OGH 5Ob199/12v

OGH5Ob199/12v24.1.2013

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Danzl als Vorsitzenden und die Hofrätinnen Dr. Hurch und Dr. Lovrek sowie die Hofräte Dr. Höllwerth und Mag. Wurzer als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei W***** R*****, vertreten durch Dr. Wolfgang Maria Paumgartner, Rechtsanwalt in Salzburg, gegen die beklagte Partei Stadtgemeinde S*****, vertreten durch Dr. Hartmut Ramsauer, Rechtsanwalt in Salzburg, wegen Unterlassung und Wiederherstellung (Streitwert 20.000 EUR), über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 5. September 2012, GZ 4 R 151/12x‑15, mit dem infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichts Salzburg vom 6. Juli 2012, GZ 10 Cg 180/11w‑11, abgeändert wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2013:0050OB00199.12V.0124.000

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden aufgehoben und dem Erstgericht wird die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufgetragen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Begründung

Der Kläger ist seit 1. 9. 1993 Mieter des GST‑NR 366/9 der EZ 1480 GB *****. Auf diesem Grundstück errichtete der Kläger einen Imbissstand samt Zubauten.

Der Bürgermeister der *****stadt ***** trug dem Kläger mit Bescheid vom 5. 7. 2007, Zl. 05/01/41057/2007/006, auf, den auf dem genannten Grundstück errichteten Verkaufskiosk samt Zubehör zu beseitigen. Die vom Kläger gegen diese Entscheidung erhobene Berufung an die Bauberufungskommission der *****stadt ***** und seine Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof blieben erfolglos.

Mit Bescheid der ***** Landesregierung vom 2. 9. 2009, Zl. 205‑1/40320/95‑2009, wurden die Eigentümerin des Grundstücks und der Kläger als Eigentümer des Superädifikats (Imbissstands) zwecks Durchführung eines Straßenbauvorhabens enteignet.

Der Verwaltungsgerichtshof hob infolge Beschwerde der Liegenschaftseigentümerin den Enteignungsbescheid mit Erkenntnis vom 6. 10. 2011, Zl. 2010/06/0236‑12, teilweise, nämlich (ua) betreffend die Enteignung des eingangs näher bezeichneten GST‑NR 366/9, wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften auf.

Die Beklagte hat das Straßenbauvorhaben bereits verwirklicht.

Der Kläger begehrte von der Beklagten, die Nutzung des GST‑NR 366/9 zu unterlassen, insbesondere durch Unterlassung der Errichtung näher bezeichneter Verkehrsanlagen, und den ursprünglichen Zustand wiederherzustellen. Die Beklagte habe rechtswidrig in das Mietrecht des Klägers an der in Anspruch genommen Grundfläche eingegriffen.

Die Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens. Der das Superädifikat betreffende Teil des Enteignungsbescheids sei in Rechtskraft erwachsen und der Kläger wäre ohnehin schon seit Jahren verpflichtet gewesen, den Verkaufskiosk zu entfernen. Der Kläger sei nur mehr Mieter eines unbebauten Grundstücks; das Unterlassungs‑ und Wiederherstellungsbegehren sei schikanös.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren auf der Grundlage des eingangs zusammengefassten Sachverhalts statt. Es war rechtlich der Ansicht, dass der Kläger nach wie vor Mieter des Grundstücks und deshalb berechtigt sei, die Beklagte von dessen Nutzung auszuschließen. Eine schikanöse Rechtsausübung des Klägers liege nicht vor. Ob und gegebenenfalls in welchem Umfang es künftig zur Enteignung des Grundstücks kommen werde, sei nicht abzusehen.

Gegen diese Entscheidung erhob die Beklagte Berufung wegen „unrichtiger bzw unvollständiger Tatsachenfeststellung“ und Mangelhaftigkeit des Verfahrens mit dem Antrag auf Abänderung im Sinn der Klageabweisung; hilfsweise stellte die Beklagte auch einen Aufhebungsantrag.

Das Berufungsgericht verwarf die Tatsachen- und Verfahrensrüge, sah aber die Beklagte „insoweit im Recht, als sie sich gegen die rechtliche Beurteilung des Erstgerichts, wonach das Klagebegehren nicht schikanös sei, zur Wehr setzt(e)“, und änderte das Ersturteil in Stattgebung der Berufung im Sinne der Klageabweisung ab. Schikane liege nämlich nicht nur dann vor, wenn die Schädigungsabsicht den einzigen Grund der Rechtsausübung bilde, sondern auch dann, wenn zwischen den vom Handelnden verfolgten eigenen Interessen und den beeinträchtigten Interessen des anderen ein ganz krasses Missverhältnis bestehe. Der Kläger habe ‑ abgesehen vom Eingriff in seine Mietrechte ‑ keinerlei tatsächliche Nachteile behauptet, die für ihn aufgrund der derzeitigen Situation bestünden. Aus den erstgerichtlichen Feststellungen ergebe sich, dass der Kläger derzeit auf der Liegenschaft keinen Imbissstand betreiben dürfe. Daher sei der Kläger aktuell gar nicht in der Lage, die Liegenschaft entsprechend dem Zweck des Bestandvertrags zu nutzen und eine andere Nutzungsmöglichkeit der Liegenschaft habe der Kläger nicht einmal behauptet. Die Beklagte müsste demgegenüber im Fall der Klagestattgebung die auf der Liegenschaft errichteten Verkehrsflächen beseitigen. Wiege man die Interessen des Klägers und jene der Beklagten gegeneinander ab, so bestehe jedenfalls ein krasses Missverhältnis. Infolge schikanöser Rechtsausübung des Klägers sei daher das Klagebegehren abzuweisen.

Das Berufungsgericht sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 30.000 EUR übersteigt und die ordentliche Revision nicht zulässig sei, weil beim vorliegenden Einzelfall keine Rechtsfragen mit der Qualifikation des § 502 Abs 1 ZPO zu lösen gewesen seien.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die außerordentliche Revision des Klägers wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag auf Abänderung im Sinne der Wiederherstellung des Ersturteils. Hilfsweise stellt der Kläger auch einen Aufhebungsantrag.

Die Beklagte beantragte in der ihr freigestellten Revisionsbeantwortung, der Revision des Klägers keine Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig und in ihrem Aufhebungsantrag auch berechtigt, weil die Vorinstanzen entscheidungsrelevantes Prozessvorbringen des Klägers unbeachtet gelassen haben.

1.1. Eine Rechtsrüge ist nur dann gesetzmäßig ausgeführt, wenn darin bestimmt begründet wird, warum der festgestellte Sachverhalt rechtlich unrichtig beurteilt wurde oder dass infolge eines Rechtsirrtums eine entscheidungswesentliche Tatsache nicht festgestellt wurde (10 ObS 33/02d; 1 Ob 70/12v; vgl auch RIS‑Justiz RS0043605; RS0043603; RS0041719; Pimmer in Fasching/Konecny² § 496 ZPO Rz 58). Im Fall einer nicht gesetzmäßig ausgeführten Rechtsrüge ist es dem Berufungsgericht verwehrt, die rechtliche Beurteilung des Erstgerichts zu überprüfen (6 Ob 53/68 SZ 41/68; 9 ObA 156/89); es dürfte dann der Berufung nach Verwerfung der Tatsachen‑ und Beweisrüge nicht aus rechtlichen Erwägungen Folge geben (RIS‑Justiz RS0043352 [T12]).

1.2. Die Beklagte hat in ihrer Berufung den Berufungsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung nicht ausdrücklich releviert; ihre Berufungsausführungen lassen sich allerdings ‑ gerade noch ‑ dahin verstehen, dass sie auch ausgehend von dem vom Erstgericht festgestellten und nicht nur von dem mit der Tatsachen‑ und Verfahrensrüge angestrebten Sachverhalt dessen vermeintlich unrichtige rechtliche Beurteilung aufzuzeigen versuchte. Das Berufungsgericht hat daher ‑ entgegen der vom Kläger in seiner Revision vertretenen Ansicht ‑ die rechtliche Beurteilung des Erstgerichts zulässigerweise überprüft.

2. Der vorzunehmenden rechtlichen Überprüfung ist vorauszuschicken, dass im Revisionsverfahren nur mehr die Frage aufgegriffen wird, ob dem Begehren des Klägers erfolgreich der Einwand des Rechtsmissbrauchs (der Schikane) entgegengehalten werden kann. Im Folgenden ist daher nur mehr auf diese Frage einzugehen.

3. Schikane liegt, wie vom Berufungsgericht im Grundsatz zutreffend ausgeführt, nicht nur dann vor, wenn die Schädigungsabsicht den einzigen Grund der Rechtsausübung bildet, sondern auch dann, wenn zwischen den vom Handelnden verfolgten eigenen Interessen und den beeinträchtigten Interessen des anderen ein ganz krasses Missverhältnis besteht (RIS‑Justiz RS0026265 [T1]; Wittwer in Schwimann, ABGB TaKomm § 1295 Rz 30). Rechtsmissbrauch ist dann anzunehmen, wenn das unlautere Motiv der Rechtsausübung das lautere Motiv eindeutig überwiegt (RIS‑Justiz RS0026265 [T13]: Karner in KBB³ § 1295 ABGB Rz 22). Beweispflichtig dafür, dass der Rechtsausübende kein anderes Interesse hat als zu schädigen oder dass doch der Schädigungszweck und unlautere Motive so augenscheinlich im Vordergrund stehen, dass andere Ziele der Rechtsausübung völlig in den Hintergrund treten, ist der den Rechtsmissbrauch Behauptende (RIS‑Justiz RS0026265 [T14]). Aus diesen Rechtsgrundsätzen ergibt sich für den vorliegenden Fall Folgendes:

4.1. Es ist dem Berufungsgericht dahin zu folgen, dass dem Begehren des Klägers dann schikanöse Rechtsausübung vorgeworfen werden könnte, wenn definitiv feststünde, dass dieser das betreffende Grundstück künftig nicht mehr dem Mietvertrag entsprechend nutzen wollte und könnte und auch eine andere realistische Nutzung nicht in Frage käme. Das Erstgericht hat allerdings ‑ entgegen der Darstellung des Berufungsgerichts ‑ keine Feststellungen getroffen, die einen derartigen Schluss zuließen. Das Erstgericht hat nämlich insoweit nur den Inhalt des Bescheids des Bürgermeisters der *****stadt ***** vom 5. 7. 2007, Zl. 05/01/41057/2007/006, wiedergegeben, mit welchem dem Kläger aufgetragen worden war, den auf dem genannten Grundstück errichteten Verkaufskiosk samt Zubehör zu beseitigen. Diese Entscheidung beruhte auf einer überholten Sach‑ und Rechtslage vor dem Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofs vom 6. 10. 2011, Zl. 2010/06/0236‑12, mit welchem dieser die Enteignung des eingangs näher bezeichneten GST‑NR 366/9 wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben hat. Darauf hat der Kläger bereits in erster Instanz nachdrücklich, aber unberücksichtigt hingewiesen (S 5 ff in ON 8).

4.2. Durch das besagte Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofs hat sich die für den Kläger bis dahin praktisch aussichtslose Sach‑ und Rechtslage tendenziell verbessert. Unter dem Gesichtspunkt eines fraglichen Rechtsmissbrauchs muss es daher entscheidend darauf ankommen, ob der Kläger nach dem Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofs ernsthafte Bemühungen unternommen hat, im Behördenweg wieder eine neuerliche mietvertragskonforme Nutzung des Grundstücks zu erreichen. Genau in diesem Sinn hat der Kläger vor dem Erstgericht detailliert und ausführlich vorgebracht (S 4 ff in ON 8), welche Konsequenzen er aus diesen geänderten Verhältnissen rechtlich ableitet und dass er infolgedessen auch Behördenverfahren eingeleitet hat, mit denen er letztlich gerade anstrebt, das Grundstück wieder nutzen zu können. Mit diesem Vorbringen hat sich jedoch das Erstgericht ‑ infolge abweichender Rechtsansicht ‑ nicht auseinandergesetzt und auch das Berufungsgericht hat sich damit nicht befasst. Dieses Vorbringen des Klägers ist aber für die Beurteilung des Vorliegens einer schikanösen Rechtsausübung beachtlich. Verfolgt der Kläger nach der beschriebenen Änderung der Sach‑ und Rechtslage seine mietvertraglichen Interessen auf den dafür legitim zur Verfügung stehenden verwaltungsrechtlichen Wegen, dann kann dem hier zu beurteilenden Klagebegehren prima vista nicht Schikane entgegengehalten werden; es wäre dann vielmehr von der insoweit behauptungs‑ und beweispflichtigen Beklagten der Nachweis zu erbringen, dass besagte Bestrebungen des Klägers aller Voraussicht nach als offenkundig aussichtslos anzusehen seien.

5. Im Ergebnis folgt:

Die Revision des Klägers ist in ihrem Aufhebungsantrag berechtigt. Das Erstgericht wird im fortgesetzten Verfahren mit den Parteien zu erörtern und festzustellen haben, ob sich der Kläger nach dem Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofs ‑ wie von ihm vorgebracht (S 4 ff in ON 8) ‑ behördlich um eine neuerliche Nutzung des Grundstücks bemüht hat und wie weit diese Schritte gegebenenfalls gediehen sind. Solche Bemühungen sprechen tendenziell gegen die Annahme einer schikanösen Geltendmachung des hier erhobenen Klagebegehrens; es wäre dann Aufgabe der insoweit behauptungs‑ und beweispflichtigen Beklagten, die voraussichtliche Aussichtslosigkeit der Bestrebungen des Beklagten zu erweisen.

6. Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 Abs 1 ZPO.

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