Spruch:
Gemäß § 494a Abs 1 Z 2 StPO wird vom Widerruf der in den Verfahren AZ 24 Hv 86/07i und AZ 24 Hv 147/07k des Landesgerichts für Strafsachen Graz gewährten bedingten Strafnachsichten abgesehen.
Gemäß § 494a Abs 6 StPO wird die im Verfahren AZ 24 Hv 147/07k des Landesgerichts für Strafsachen Graz bestimmte Probezeit auf fünf Jahre verlängert.
II. Im Übrigen wird die Nichtigkeitsbeschwerde verworfen.
Text
Gründe:
Mit (seit 30. Mai 2008) rechtskräftigem Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Graz vom 26. Mai 2008, GZ 24 Hv 147/07k-43, wurde der am 23. Juni 1990 geborene Calderon L***** des Verbrechens des Raubes nach §§ 15, 142 Abs 1 und Abs 2 StGB sowie weiterer strafbarer Handlungen schuldig erkannt und zu einer neunmonatigen Freiheitsstrafe verurteilt, deren sechsmonatiger Teil für eine Probezeit von drei Jahren gemäß § 43a Abs 3 StGB bedingt nachgesehen wurde.
Mit Beschluss des Landesgerichts für Strafsachen Graz als Vollzugsgericht vom 29. Juli 2008, GZ 3 BE 301/08z-6, wurde er aus dem unbedingten Strafteil am 20. August 2008 unter Bestimmung einer dreijährigen Probezeit bedingt entlassen.
Aufgrund von Straftaten am 5. und 9. Juni 2009 wurde Calderon L***** mit (gekürzt ausgefertigtem) Urteil des Bezirksgerichts Graz-West vom 3. Dezember 2009, GZ 15 U 231/09s-14, (richtig) zweier Vergehen der Erschleichung einer Leistung nach § 149 Abs 1 StGB schuldig erkannt und zu einer sechswöchigen Freiheitsstrafe verurteilt. Unter einem beschloss das Bezirksgericht Graz-West, vom Widerruf der im Verfahren AZ 24 Hv 86/07i des Landesgerichts für Strafsachen Graz gewährten bedingten Strafnachsicht abzusehen. Ebenso sah es vom Widerruf der im Verfahren AZ 24 Hv 147/07k dieses Gerichts gewährten bedingten Nachsicht eines Teils der Freiheitsstrafe ab und verlängerte die Probezeit auf fünf Jahre. Zum Verfahren AZ 3 BE 301/08z des Landesgerichts für Strafsachen Graz traf es keine Entscheidung.
Mit rechtskräftigem Urteil des Bezirksgerichts Graz-West vom 19. September 2012, AZ 7 U 129/12m, wurde Calderon L***** des Vergehens der Hehlerei nach § 164 Abs 1 StGB schuldig erkannt und hiefür zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von sechs Wochen verurteilt, die gemäß § 43 Abs 1 StGB für eine Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen wurde.
Rechtliche Beurteilung
I. Wie die Generalprokuratur in ihrer Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes zutreffend aufzeigt, verletzt der Strafausspruch des bezeichneten Urteils des Bezirksgerichts Graz-West das Gesetz, weil das Gericht die (bloß) bis zu einem Monat Freiheitsstrafe oder bis zu 60 Tagessätzen Geldstrafe reichende Strafbefugnis überschritt (§ 149 Abs 1 StGB). Da die Gesetzesverletzung zum Nachteil des Verurteilten wirkt, sah sich der Oberste Gerichtshof veranlasst, deren Feststellung gemäß § 292 letzter Satz StPO mit konkreter Wirkung zu verknüpfen. Der gemäß § 494a Abs 1 Z 2 und Abs 6 erster Halbsatz StPO gefasste, von der Rechtskraft des Urteils abhängige Beschluss war zugleich mit dem Strafausspruch aufzuheben (vgl RIS-Justiz RS0101886).
Bei der Strafbemessung waren das Zusammentreffen von drei Vergehen (§ 33 Abs 1 Z 1 StGB) und mehrere auf der gleichen schädlichen Neigung beruhende Vorverurteilungen (§ 33 Abs 1 Z 2 StGB) erschwerend, die Tatbegehung nach Vollendung des achtzehnten, jedoch vor Vollendung des einundzwanzigsten Lebensjahres (§ 34 Abs 1 Z 1 StGB) und die geständige Verantwortung (§ 34 Abs 1 Z 17 StGB) mildernd.
Die bedingte Nachsicht der Freiheitsstrafe verbietet sich, weil die bloße Androhung des Vollzugs allein oder in Verbindung mit anderen Maßnahmen mit Blick auf die mangelnde Wirkung früherer Abstrafungen und selbst des Vollzugs von Freiheitsstrafen nicht geeignet erscheint, den Angeklagten von der Begehung weiterer strafbarer Handlungen abzuhalten.
Der Ausspruch nach § 494a StPO entspricht der erstgerichtlichen Beschlussfassung.
II. Die mit dem Beschluss des Bezirksgerichts Graz-West vom 3. Dezember 2009 bezüglich der bedingten Nachsicht eines Teils der Freiheitsstrafe im Verfahren AZ 24 Hv 147/07k des Landesgerichts für Strafsachen Graz angeordnete Probezeitverlängerung widerspricht nach Ansicht der Generalprokuratur § 53 Abs 3 StGB iVm § 53 Abs 1 zweiter Satz StGB. Sie argumentiert:
„Im Falle der - durch das Strafrechtsänderungsgesetz 2008, BGBl I 2007/109, neu eröffneten - Möglichkeit der bedingten Entlassung eines Verurteilten aus dem nicht bedingt nachgesehenen Teil der über ihn verhängten Freiheitsstrafe (§§ 43a Abs 3, 46 Abs 1 StGB) lehnt der Gesetzgeber bei nachfolgender Verurteilung eine eigenständige Behandlung von (bedingt nachgesehenem) Strafteil und (nach bedingter Entlassung verbliebenem) Strafrest ab, indem der zweite Satz des § 53 Abs 1 StGB nur einen gemeinsamen Widerruf von bedingter Strafnachsicht und bedingter Entlassung zulässt. Im Ergebnis soll damit der Fall, dass bei offener Probezeit ein Ereignis eintritt, das einen Widerruf oder eine Verlängerung der Probezeit nach sich ziehen könnte, nicht anders behandelt werden, als wenn es sich um eine bedingte Entlassung aus der ursprünglich zur Gänze unbedingt verhängten Freiheitsstrafe handeln würde (vgl 302 BlgNR 23. GP 9).
Da im Falle der bedingten Entlassung aus dem nicht bedingt nachgesehenen Teil einer Freiheitsstrafe der Überwachungszeitraum für die (ursprüngliche) Urteilssanktion ein einheitlicher sein soll (vgl § 49 letzter Satz StGB: 'so laufen beide Probezeiten nur gemeinsam ab') und das Absehen vom Widerruf und der Verlängerung der Probezeit (§ 53 Abs 3 StGB iVm § 494a Abs 1 Z 2 und 6 StPO) nur in Betracht kommt, wenn die gesetzlichen Voraussetzungen für eine Widerrufsentscheidung (§ 53 Abs 1 StGB) vorliegen, stellt in solchen Konstellationen die in § 53 Abs 3 StGB vorgesehene Möglichkeit, bei nachfolgender Verurteilung 'die Probezeit' zu verlängern, auf ein einheitliches Schicksal von Strafteil und Strafrest ab. Das Absehen vom Widerruf ist daher nur in Ansehung beider Sanktionen möglich und eine - fallaktuell erfolgte - Verlängerung nur einer der beiden Probezeiten ausgeschlossen (vgl Jerabek in WK2 § 53 Rz 4a und 16).“
Dazu hat der Oberste Gerichtshof erwogen:
Der zweite Satz des § 53 Abs 1 StGB schließt den partiellen Widerruf von hinsichtlich ein und derselben Sanktion gewährten Rechtswohltaten aus (vgl RIS-Justiz RS0125448).
Nach § 53 Abs 3 erster Satz StGB ist eine Verlängerung der Probezeit auch bei der im zweiten Satz des § 53 Abs 1 StGB angesprochenen Fallkonstellation zulässig.
§ 49 dritter Satz StGB legt fest, dass im Fall der Entlassung aus dem unbedingten Teil einer Freiheitsstrafe vor Ablauf der für den bedingt nachgesehenen Strafteil bestimmten Probezeit beide Probezeiten zwingend („nur“) gemeinsam ablaufen. Die früher endende Probezeit wird somit ex lege bis zum Ablauf der später endenden verlängert (Jerabek in WK2 StGB § 49 Rz 2a).
Der Beschluss, mit dem das Bezirksgericht Graz-West vom Widerruf der bedingten Strafnachsicht und (de facto; vgl 12 Os 143/11p) der bedingten Entlassung abgesehen und die Probezeit zum Verfahren AZ 24 Hv 147/07k des Landesgerichts für Strafsachen Graz auf fünf Jahre verlängert hat, bewirkte demnach die Verlängerung beider Probezeiten bis zum Ablauf der ausdrücklich verlängerten (vgl auch Jerabek in WK2 StGB § 53 Rz 4a und Rz 16).
Das diesbezügliche Vorgehen des Bezirksgerichts Graz-West war demnach rechtsrichtig und die Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes in diesem Umfang zu verwerfen.
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