OGH 15Os147/12z

OGH15Os147/12z12.12.2012

Der Oberste Gerichtshof hat am 12. Dezember 2012 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Danek als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Mag. Lendl, Dr. Bachner-Foregger, Dr. Michel-Kwapinski und Mag. Fürnkranz als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Krausam als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Wolfgang P***** wegen des Verbrechens des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Graz als Schöffengericht vom 23. August 2012, GZ 15 Hv 74/12s-44, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Graz zugeleitet.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Wolfgang P***** im zweiten Rechtsgang des Verbrechens des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 StGB schuldig erkannt (und hiefür sowie für den im ersten Rechtsgang [s dazu 15 Os 18/12d] in Rechtskraft erwachsenen Schuldspruch wegen des Vergehens der fahrlässigen Körperverletzung nach § 88 Abs 1 und 4 erster Fall StGB zu einer dreijährigen Freiheitsstrafe verurteilt).

Danach hat er zwischen 13. und 16. April 2001 in E***** mit einer unmündigen Person, nämlich der am 7. November 1992 geborenen Jennifer S*****, den Beischlaf unternommen, indem er mit seinem erregten Glied in ihre Scheide eindrang.

Rechtliche Beurteilung

Dagegen richtet sich die auf § 281 Abs 1 Z 3 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten; sie geht fehl.

Die geschiedene Ehegattin des Angeklagten, Ursula P*****, wurde nicht nur im Ermittlungsverfahren von der Polizeibeamtin Brigitte B***** (ON 4 S 41 ff), sondern auch in der Hauptverhandlung im ersten Rechtsgang (ON 23 S 11 ff und ON 28 S 16 ff) - jeweils unter ausdrücklichem Verzicht auf die ihr zukommende Befreiung von der Aussagepflicht nach § 156 Abs 1 Z 1 StPO - als Zeugin vernommen. In der Hauptverhandlung im zweiten Rechtsgang allerdings verweigerte sie die Aussage nach der genannten Bestimmung (ON 38 S 13), woraufhin keines der über ihre davor abgelegten Aussagen errichteten Protokolle verlesen wurde (ON 43 S 21).

B***** hinwieder machte im Rahmen ihrer Vernehmung als Zeugin in der Hauptverhandlung im ersten Rechtsgang Angaben zum Inhalt der ihr gegenüber im Ermittlungsverfahren abgelegten Aussage der Ursula P***** (ON 28 S 10).

In der Hauptverhandlung im zweiten Rechtsgang wurde B***** neuerlich als Zeugin vernommen und berief sich dabei auf ihre damaligen Bekundungen (ON 38 S 19; Kirchbacher, WK-StPO § 252 Rz 31; Ratz, WK-StPO § 281 Rz 230).

Mit dem Einwand, durch diesen Vorgang seien (auch) frühere Aussagen der Zeugin Ursula P*****, die aufgrund deren berechtigter Zeugnisverweigerung „im gegenständlichen Verfahren bei sonstiger Nichtigkeit keine Berücksichtigung“ hätten finden dürfen, in der Hauptverhandlung vorgekommen, wähnt der Beschwerdeführer das - aus § 281 Abs 1 Z 3 StPO nichtigkeitsbewehrte - Umgehungsverbot (§ 252 Abs 4 StPO) verletzt.

In der Tat ist die Vernehmung von „Verhörspersonen“ über den Inhalt einer von ihnen aufgenommenen Zeugenaussage genau in jenen Fällen nach § 252 Abs 4 StPO unzulässig, in denen das Protokoll über diese selbst (gemäß § 252 Abs 1 StPO) nicht verlesen werden darf (RIS-Justiz RS0103998; Kirchbacher, WK-StPO § 247 Rz 13 und § 252 Rz 108 ff). Dies aber trifft - entgegen der Ansicht des Nichtigkeitswerbers - keineswegs in jedem Fall der berechtigten Aussageverweigerung eines Zeugen auf sämtliche über dessen frühere Aussagen aufgenommene Niederschriften zu. Hatten etwa - wie hier bei der Vernehmung der Zeugin Ursula P***** in der Hauptverhandlung im ersten Rechtsgang (ON 23 S 11 ff und ON 28 S 16) - sowohl der Angeklagte als auch der Staatsanwalt Gelegenheit, sich an (irgend-)einer gerichtlichen Zeugenvernehmung zu beteiligen, dürfen gemäß § 252 Abs 1 Z 2a StPO alle amtlichen Schriftstücke über diese sowie sämtliche davor abgelegten Aussagen des betreffenden Zeugen verlesen werden (RIS-Justiz RS0117262, RS0098303, RS0110798; Ratz, WK-StPO § 281 Rz 232 f; zur Zulässigkeit der Verlesung in einer Hauptverhandlung erlangter Zeugenaussagen im Besonderen Kirchbacher, WK-StPO § 252 Rz 80 und 86 ff).

Die im Ermittlungsverfahren erfolgte Zeugenaussage der Ursula P***** durfte daher ohne Verstoß gegen § 252 StPO - sei es (wie hier) durch Vernehmung einer „Verhörsperson“ zu deren Inhalt, sei es aber auch durch (vorliegend unterlassene) Verlesung der Niederschrift dieser Aussage, - in die Hauptverhandlung im zweiten Rechtsgang eingeführt werden, weshalb die geltend gemachte Formverletzung nicht vorliegt.

Im Übrigen wurde das über die im ersten Rechtsgang abgelegte Aussage der Zeugin B***** errichtete Protokoll ohnedies - mit dem Einverständnis des Angeklagten - gemäß § 252 Abs 1 Z 4 StPO verlesen (ON 43 S 21) und schon dadurch (rechtens) zum Gegenstand der Hauptverhandlung im zweiten Rechtsgang.

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher bereits bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO), woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Erledigung der Berufung folgt (§ 285i StPO).

Zufolge Fehlens eines Ausspruchs über die Kostenersatzpflicht gemäß § 389 Abs 1 StPO im angefochtenen Urteil (52 und 10) hatte ein Ausspruch gemäß § 390a Abs 1 StPO (auch) im Rechtsmittelverfahren zu unterbleiben (vgl 15 Os 18/12d).

Bleibt anzumerken, dass das angefochtene Urteil keinen Ausspruch nach § 260 Abs 2 StPO enthält. Ein solcher wird gemäß § 260 Abs 3 erster Satz StPO vom Vorsitzenden (§ 32 Abs 3 StPO) mit Beschluss nachzuholen sein (RIS-Justiz RS0099073; Lendl, WK-StPO § 260 Rz 53 f).

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