OGH 15Os18/12d

OGH15Os18/12d25.4.2012

Der Oberste Gerichtshof hat am 25. April 2012 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Danek als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. T. Solé und Mag. Lendl sowie die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner-Foregger und Dr. Michel-Kwapinski als weitere Richter in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Uljanov als Schriftführerin in der Strafsache gegen Wolfgang P***** wegen des Verbrechens des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 StGB und einer weiteren strafbaren Handlung über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Graz als Schöffengericht vom 3. November 2011, GZ 18 Hv 12/11v-29, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

In teilweiser Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde wird das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, im Schuldspruch I./, demzufolge im Strafausspruch und den Aussprüchen über die privatrechtlichen Ansprüche (einschließlich der Feststellung gemäß § 69 Abs 1 StPO) aufgehoben und die Strafsache in diesem Umfang zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landesgericht für Strafsachen Graz verwiesen.

Im Übrigen wird die Nichtigkeitsbeschwerde zurückgewiesen.

Mit seiner Berufung wird der Angeklagte auf diese Entscheidung verwiesen.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Wolfgang P***** des Verbrechens des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 StGB (I./) und des Vergehens der fahrlässigen Körperverletzung nach § 88 Abs 1 und 4 erster Fall StGB (II./) schuldig erkannt.

Danach hat er

I./ zwischen 13. und 16. April 2001 in E***** mit einer unmündigen Person, nämlich der am 7. November 1992 geborenen Jennifer S***** den Beischlaf unternommen, indem er mit seinem erregten Glied in ihre Scheide eindrang;

II./ am 9. Dezember 2010 in R***** Theresia U***** fahrlässig am Körper verletzt, indem er unter Außerachtlassung der im Straßenverkehr gebotenen Aufmerksamkeit und Sorgfalt mit seinem PKW auf der Bundesstraße 63 auf die Gegenfahrbahn geriet, weshalb die entgegenkommende Lenkerin U***** ihren PKW verriss, mit diesem von der Straße abkam und sich mehrmals überschlug, wodurch sie eine schwere Verletzung, nämlich einen Bruch des sechsten Brustwirbelkörpers, eine Prellung des Brustkorbs, eine Bauchprellung sowie eine Prellung der Lendenwirbelsäule mit einer länger als 24 Tage dauernden Gesundheitsschädigung und Berufsunfähigkeit erlitt.

Dagegen richtet sich die auf § 281 Abs 1 Z 3, 4, 5 und 9 lit b StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten, sie ist teilweise im Recht.

Rechtliche Beurteilung

Die Verfahrensrüge (Z 3) zeigt zutreffend auf, dass die Zeugin Silvia S***** bei ihrer Vernehmung in der Hauptverhandlung (ON 23 S 8) auf die ihr als geschiedene Ehegattin des Bruders des Angeklagten („Ex-Schwägerin“), sohin als auch nach Beendigung der Ehe fortwährende Angehörige (§ 72 StGB) des Angeklagten zukommende Befreiung von der Aussagepflicht nach § 156 Abs 1 Z 1 StPO nicht ausdrücklich verzichtet hat (§ 159 Abs 3 StPO). Weil die Tatrichter die den Schuldspruch I./ tragenden Feststellungen auch auf die Aussagen dieser Zeugin stützten (US 6 und 8), ist nicht auszuschließen, dass diese Formverletzung auf die Entscheidung einen dem Angeklagten nachteiligen Einfluss üben konnte (§ 281 Abs 3 erster Fall StPO).

Die vorliegende Nichtigkeit nach § 281 Abs 1 Z 3 StPO erfordert die Kassation des Schuldspruchs I./, sodass auf das weitere dagegen gerichtete Beschwerdevorbringen daher nicht einzugehen ist.

Das Vorbringen zu Schuldspruch II./ schlägt hingegen fehl:

Der Mängelrüge (Z 5 erster Fall) zuwider stellte das Schöffengericht unmissverständlich fest, dass das Tatopfer durch den gegenständlichen Verkehrsunfall einen Bruch des sechsten Brustwirbelkörpers, eine Prellung des Brustkorbs, eine Bauchprellung sowie eine Prellung der Lendenwirbelsäule erlitt und diese „an sich schwere“ Körperverletzung mit „über 24 Tage dauernder Gesundheitsschädigung oder Berufsunfähigkeit“ einherging (US 5). Unzweifelhaft erkennbar ist auch, dass die Tatrichter diese Feststellungen auf das Gutachten des Sachverständigen Dr. K***** stützten (US 13). Weder die Verwendung der - einen Sachverhaltsbezug aufweisenden - verba legalia (vgl dazu Ratz, WK-StPO § 281 Rz 8) noch die rechtliche Beurteilung des Erstgerichts im Rahmen der Urteilsfeststellungen vermögen den behaupteten Begründungsmangel der Undeutlichkeit herzustellen. Im Übrigen spricht die Mängelrüge keine entscheidende Tatsache an, weil allein die - insoweit unbekämpft gebliebenen - konstatierten Verletzungen, welche das Erstgericht zutreffend als an sich schwer qualifizierte, die Subsumtion unter das Vergehen der fahrlässigen Körperverletzung nach § 88 Abs 1 und 4 erster Fall StGB tragen (vgl Ratz, WK-StPO § 281 Rz 399).

Entgegen der Aktenwidrigkeit (Z 5 fünfter Fall) reklamierenden Rüge brachten die Tatrichter durch die Wiedergabe der Gemeinsamkeiten in den Aussagen der Zeugen U*****, A***** und H***** zur Farbe des tatgegenständlichen Fahrzeugs in freier Beweiswürdigung (§ 258 Abs 2 StPO) lediglich zum Ausdruck, dass sich die Beschreibungen der Zeugen auf dasselbe (silberne) Auto bezogen haben (US 12), ohne dass daraus eine unrichtige oder sinnentstellt unvollständige Wiedergabe im Sinn der Z 5 fünfter Fall abgeleitet werden kann.

In teilweiser Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde - und in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur - war daher das angefochtene Urteil in seinem Schuldspruch I./ und demzufolge auch im Strafausspruch sowie in den Aussprüchen über die privatrechtlichen Ansprüche (einschließlich der Feststellung gemäß § 69 Abs 1 StPO) aufzuheben und die Strafsache in diesem Umfang an das Landesgericht für Strafsachen Graz zu neuer Verhandlung und Entscheidung zu verweisen (§ 285e StPO). Soweit sich die Nichtigkeitsbeschwerde auf den Schuldspruch II./ bezog, war sie schon bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO).

Mit seiner Berufung war der Angeklagte auf diese Entscheidung zu verweisen.

Voraussetzung für eine Kostenersatzpflicht im Rechtsmittelverfahren (§ 390a StPO) ist - sofern das Rechtsmittelgericht nicht in der Sache selbst erkennt - ein grundsätzlicher Ausspruch derselben nach §§ 389 oder 390 StPO in der Entscheidung erster Instanz. Weil das Erstgericht - entgegen § 260 Abs 1 Z 5 und § 389 Abs 1 StPO - den allgemeinen Ausspruch über die Kostenersatzpflicht (unbekämpft) unterließ, ist es dem Obersten Gerichtshof verwehrt, eine Kostenersatzpflicht nach § 390a StPO auszusprechen (vgl RIS-Justiz RS0101332; Lendl, WK-StPO § 389 Rz 1 und 4 f und § 390a Rz 4).

Anzumerken ist, dass das Erstgericht die Entscheidung, die Kosten des Strafverfahrens für uneinbringlich zu erklären, somit ohne gesetzliche Grundlage sowie entgegen § 391 Abs 2 StPO nicht in Beschlussform bei Schöpfung des Erkenntnisses sondern in diesem fasste (vgl RIS-Justiz RS0101475; Lendl, WK-StPO § 260 Rz 49 und § 391 Rz 8).

Stichworte