OGH 6Ob240/11d

OGH6Ob240/11d16.11.2012

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Pimmer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schramm, Dr. Gitschthaler, Univ.-Prof. Dr. Kodek und Dr. Nowotny als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei P***** Privatstiftung, *****, vertreten durch CMS Reich-Rohrwig Hainz Rechtsanwälte GmbH in Wien, gegen die beklagte Partei Dr. Karl Maier, Rechtsanwalt, 8720 Knittelfeld, Hauptplatz 14, als Masseverwalter im Konkurs über das Vermögen der E***** Gesellschaft m.b.H., *****, wegen Feststellung des Zurechtbestehens einer Konkursforderung, Streitwert 132.374,50 EUR sA (Revisionsinteresse 58.000 EUR sA), über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht vom 21. September 2011, GZ 2 R 159/11m-10, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 510 Abs 3 ZPO).

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 2.017,98 EUR (darin 336,33 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung

Im vorliegenden Prüfungsprozess gemäß § 110 KO begehrt die klagende Privatstiftung die Feststellung einer Konkursforderung von 1.241.477,21 EUR sA im Konkurs der E***** Gesellschaft m.b.H. (im Folgenden als Gemeinschuldnerin bezeichnet). Die Klägerin habe gegenüber zwei Banken eine Garantie (Bank 1) bzw eine Bürgschaftserklärung (Bank 2) für einen jeweils betraglich begrenzten Teil von Krediten der Gemeinschuldnerin bei diesen Banken abgegeben und nach Konkurseröffnung über das Vermögen der Gemeinschuldnerin aus der Garantie und der Bürgschaftserklärung insgesamt den Klagsbetrag an die Banken gezahlt. Im Umfang der Zahlung sei der Anspruch der Banken gemäß § 1358 ABGB auf die Klägerin übergegangen.

Der beklagte Masseverwalter bestritt. Im Garantievertrag (Bank 1) sei in Klausel 6 vereinbart, dass die Gläubigerrechte erst dann auf den Garanten (Klägerin) übergehen, wenn die Bank wegen ihrer sämtlichen Forderungen und Ansprüche gegenüber dem Kreditnehmer (Gemeinschuldnerin) vollständig befriedigt sei.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt.

Das Berufungsgericht wies das Klagebegehren (betreffend die Bank 2 rechtskräftig) ab und ließ die Revision nicht zu. Zur Garantieeinlösung (Bank 1) führte das Berufungsgericht aus: Der nicht in erster Instanz, sondern erst in der Berufungsbeantwortung erhobene Einwand der Klägerin, die Klausel 6 im Garantievertrag sei sittenwidrig, verstoße gegen das Neuerungsverbot. § 1358 ABGB gehöre nicht zum zwingenden Recht, die nunmehr im Berufungsverfahren erstmals eingewendete Sittenwidrigkeit iSd § 879 Abs 3 ABGB könnte daher nur eine relative Nichtigkeit bedeuten, die nicht von Amts wegen, sondern nur auf Einwendung wahrzunehmen sei.

Gegen die berufungsgerichtliche Abweisung betreffend die Garantie (Bank 1) richtet sich die außerordentliche Revision der Klägerin mit dem Antrag, insoweit das Urteil des Erstgerichts wiederherzustellen.

Der Beklagte hat die ihm vom Obersten Gerichtshof freigestellte Revisionsbeantwortung erstattet und beantragt die Zurückweisung der Revision mangels erheblicher Rechtsfrage, in eventu, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist unzulässig.

Die Revisionswerberin bringt vor, nach der jüngeren Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs sei die österreichische Judikatur, wonach die Unwirksamkeit einer Klausel gemäß § 879 Abs 3 ABGB nur über Einwendung wahrzunehmen sei, für Verbraucherverträge nicht aufrechtzuerhalten. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs müsse das nationale Gericht die Missbräuchlichkeit einer Vertragsklausel von Amts wegen prüfen. Dass die Klausel 6 im Garantievertrag gröblich benachteiligend und daher nichtig gemäß § 879 Abs 3 ABGB sei, habe der Oberste Gerichtshof in der Entscheidung 6 Ob 212/09h ausgesprochen. Die Klägerin sei als Privatstiftung Verbraucherin.

Damit hat die Revisionswerberin aber aus folgenden Gründen keine erhebliche Rechtsfrage aufgezeigt:

1. Die Nichtigkeit einer Vereinbarung zufolge § 879 ABGB ist grundsätzlich nicht von Amts wegen zu beachten, namentlich wenn eine zugunsten eines bestimmten Personenkreises getroffene Schutznorm verletzt sein sollte (RIS-Justiz RS0016435; vgl auch RS0044398; RS0016453). Nur bei Verstößen gegen solche Gesetze, die dem Schutz von Allgemeininteressen, der öffentlichen Ordnung und der Sicherheit dienen, ist die Nichtigkeit von Amts wegen wahrzunehmen (RIS-Justiz RS0016432).

Eine der Klausel 6 des Garantievertrags sinngleiche Klausel hat der erkennende Senat in der Entscheidung 6 Ob 212/09h als nichtig iSd § 879 Abs 3 ABGB beurteilt.

Eine solche Klausel betrifft aber weder Allgemeininteressen noch die öffentliche Ordnung oder Sicherheit. Die Beurteilung des Berufungsgerichts, die Nichtigkeit dieser Klausel sei nur über Einwendung (in erster Instanz) wahrzunehmen, ist daher nicht korrekturbedürftig.

2. Der Europäische Gerichtshof hat in mehreren Entscheidungen ausgesprochen, dass Art 6 Abs 1 der Richtlinie 93/13/EWG des Rates (bzw die Richtlinie 93/13/EWG des Rates) vom 5. 4. 1993 über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen dahin auszulegen ist, dass ein nationales Gericht verpflichtet ist, die Missbräuchlichkeit einer Vertragsklausel von Amts wegen zu prüfen, sobald es über die hierzu erforderlichen rechtlichen und tatsächlichen Grundlagen verfügt (EuGH 4. 6. 2009, Rs C-243/08, Pannon, Slg 2009 I-4713; 6. 10. 2009, Rs C-40/08, Asturcom Telecomunicaciones SL, Slg 2009 I-9479; 9. 11. 2010, Rs C-137/08, VB Pnzügyi Lizing Zrt., Slg 2010 I-10847; 16. 11. 2010, Rs C-76/10, Pohotovost; Slg 2010 I-11557).

Damit ist für die Revisionswerberin aber nichts gewonnen: Nach Art 2 lit b der zitierten und vom Europäischen Gerichtshof in den angeführten Entscheidungen ausgelegten Richtlinie ist ein Verbraucher definiert als „eine natürliche Person, die bei Verträgen, die unter diese Richtlinie fallen, zu einem Zweck handelt, der nicht ihrer gewerblichen oder beruflichen Tätigkeit zugerechnet werden kann“ (vgl auch wort- oder sinngleich Art 1 Abs 2 lit a der Richtlinie 87/102/EWG des Rates vom 22. 12. 1986 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedsstaaten über den Verbraucherkredit; Art 3 lit a der Richtlinie 2008/48/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. 4. 2008 über Verbraucherkreditverträge und zur Aufhebung der Richtlinie 87/102/EWG des Rates; Art 2 Z 1 der Richtlinie 2011/83/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. 10. 2011 über die Rechte der Verbraucher, zur Abänderung der Richtlinie 93/13/EWG des Rates und der Richtlinie 1999/44/EG des Europäischen Parlaments und des Rates sowie zur Aufhebung der Richtlinie 85/577/EWG des Europäischen Parlaments und des Rates).

In der Entscheidung vom 22. 11. 2001, Rs C-541/99 und C-542/99, Cape Snc/Idealservice, Slg 2001 I-9049, hat der Europäische Gerichtshof ausgesprochen, der Begriff „Verbraucher“, wie er in Art 2 lit b der RL 93/13 über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen definiert werde, sei dahin auszulegen, dass er sich ausschließlich auf natürliche Personen beziehe.

3. Da die klagende Privatstiftung keine natürliche Person ist, ist die von der Revisionswerberin ins Treffen geführte, dargestellte Rechtslage des Gemeinschaftsrechts auf sie nicht anwendbar. Auch eine richtlinienkonforme Auslegung (RIS-Justiz RS0075866) führt daher hier nicht zu dem von der Revisionswerberin gewünschten Ergebnis und zwingt nicht dazu, von der aufgezeigten nationalen Rechtsprechung, wonach die Nichtigkeit der in Rede stehenden Vertragsklausel nicht amtswegig aufzugreifen ist, abzugehen.

4. Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 50, 41 ZPO. Der Beklagte hat auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen.

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