OGH 11Os96/12w

OGH11Os96/12w13.11.2012

Der Oberste Gerichtshof hat am 13. November 2012 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Zehetner als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schwab, Mag. Lendl, Mag. Michel und Dr. Oshidari als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Meier als Schriftführerin, in der Maßnahmenvollzugssache des Theophil B*****, AZ 30 BE 257/11s des Landesgerichts Feldkirch, über die von der Generalprokuratur gegen den Beschluss dieses Gerichts vom 25. Jänner 2012, GZ 30 BE 257/11s‑15, und den Beschluss des Oberlandesgerichts Innsbruck als Beschwerdegericht vom 20. März 2012, AZ 7 Bs 99/12k (ON 19 der BE‑Akten), erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit der Vertreterin der Generalprokuratur, Generalanwältin Dr. Aicher, zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2012:0110OS00096.12W.1113.000

 

Spruch:

In der Maßnahmenvollzugssache AZ 30 BE 257/11s des Landesgerichts Feldkirch verletzen das Gesetz jeweils in § 179a Abs 2 StVG

(1) der Beschluss des Landesgerichts Feldkirch vom 25. Jänner 2012 (ON 15) und

(2) der Beschluss des Oberlandesgerichts Innsbruck als Beschwerdegericht vom 20. März 2012 (ON 19 der BE‑Akten).

Diese Beschlüsse werden aufgehoben und es wird dem Landesgericht Feldkirch aufgetragen, nach Verfahrensergänzung über den Antrag auf Übernahme der Kosten für den Aufenthalt des Theophil B***** im Kolpinghaus Götzis durch den Bund zu entscheiden.

Text

Gründe:

Mit dem rechtskräftigen Beschluss des Landesgerichts Linz als Vollzugsgericht vom 4. Oktober 2011, GZ 24 BE 232/11k-8, wurde Theophil B***** zum 5. Dezember 2011 gemäß § 47 Abs 1 StGB aus einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher unter Bestimmung einer Probezeit von fünf Jahren bedingt entlassen. Gleichzeitig wurde gemäß §§ 50, 52 StGB Bewährungshilfe angeordnet und ihm gemäß §§ 50, 51 StGB ua folgende Weisung erteilt: „Wohnsitznahme im Kolpinghaus Götzis/Vorarlberg“. Ferner sprach das Gericht aus, „gemäß § 179a Abs 2 StVG“ übernehme „die Kosten der Vollbetreuung der Bund, insoweit der Untergebrachte nicht Anspruch auf entsprechende Leistungen aus einer Krankenversicherung hat und durch die Verpflichtung zur Zahlung der Behandlungskosten sein Fortkommen erschwert werden würde“. Mit Verfügung vom 20. Oktober 2011 überwies das Landesgericht Linz die Vollzugssache dem gemäß § 179 Abs 1 StVG zuständig gewordenen Landesgericht Feldkirch.

In dem zu AZ 30 BE 257/11s dieses Gerichts weiter geführten Verfahren beantragte der Geschäftsführer des „Kolpinghaus Götzis“ mit Eingabe vom 18. Dezember 2011 die Übernahme der Kosten für den Aufenthalt des bedingt Entlassenen durch den Bund (ON 11 der BE‑Akten). Nachdem es eine schriftliche Auskunft der Versicherungsanstalt öffentlich Bediensteter eingeholt hatte, der zufolge diese „bei Unterbringung eines Versicherten im Kolpinghaus keine Kosten für den Aufenthalt“ übernehme (ON 14), wies das Landesgericht Feldkirch mit Beschluss vom 25. Jänner 2012 den Antrag mit der darauf gestützten Begründung ab, die Voraussetzungen des § 179a Abs 2 StVG lägen nicht vor (ON 15).

Einer dagegen erhobenen Beschwerde des Theophil B***** gab das Oberlandesgericht Innsbruck mit Beschluss vom 20. März 2012, AZ 7 Bs 99/12k (ON 19 der BE‑Akten), nicht Folge, weil „die Unterbringung eines Versicherten im Kolpinghaus“ nach Mitteilung der Versicherungsanstalt öffentlich Bediensteter „kein Fall eines Kostenbeitrags“ für diese Versicherungsanstalt sei, sodass eine „auch teilweise Kostenübernahme durch den Bund im gegenständlichen Fall überhaupt nicht in Betracht“ komme.

Rechtliche Beurteilung

Wie die Generalprokuratur in ihrer zur Wahrung des Gesetzes erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zutreffend geltend macht, stehen die Beschlüsse des Landesgerichts Feldkirch vom 25. Jänner 2012, GZ 30 BE 257/11s‑15, und des Oberlandesgerichts Innsbruck vom 20. März 2012, AZ 7 Bs 99/12k, mit dem Gesetz nicht im Einklang.

Ist einem bedingt Entlassenen die Weisung erteilt worden, sich einer Entwöhnungsbehandlung, einer psychotherapeutischen oder einer medizinischen Behandlung zu unterziehen oder in einer sozialtherapeutischen Wohneinrichtung Aufenthalt zu nehmen, hat der Betreffende nicht Anspruch auf entsprechende Leistungen aus einer Krankenversicherung und würde durch die Verpflichtung zur Zahlung der Kosten sein Fortkommen erschwert, so hat der Bund gemäß § 179a Abs 2 erster Satz StVG die Kosten der Behandlung oder des Aufenthalts ganz oder teilweise zu übernehmen. Der Höhe nach übernimmt der Bund die Kosten jedoch grundsätzlich nur bis zu dem Ausmaß, in dem die Versicherungsanstalt öffentlich Bediensteter für die Kosten aufkommen könnte, wenn der Entlassene in der Krankenversicherung öffentlich Bediensteter versichert wäre; einen Behandlungsbeitrag (§ 63 Abs 4 B‑KUVG) hat der Rechtsbrecher nicht zu erbringen (Abs 2 zweiter Satz leg cit). Die Entscheidung über die Übernahme der Kosten steht dem für die Erteilung der Weisung zuständigen Gericht zu und soll nach Möglichkeit zumindest dem Grunde nach bereits bei der Entscheidung über die bedingte Entlassung in geeigneter Form berücksichtigt werden (Abs 2 letzter Satz leg cit).

Vorliegend hat das Landesgericht Linz als Vollzugsgericht bereits mit dem ‑ unbekämpft in Rechtskraft erwachsenen ‑ Beschluss vom 4. Oktober 2011, GZ 24 BE 232/11k-8, im Sinne des § 179a Abs 2 letzter Satz StVG dem Grunde nach die Übernahme der Kosten für „die Vollbetreuung“ des Theophil B***** durch den Bund ausgesprochen. Zwar unterliegt der - auf die Zukunft gerichtete - Ausspruch nach § 179a Abs 2 letzter Satz StVG der clausula rebus sic stantibus ( Pieber in WK 2 StVG § 179a Rz 8; vgl JME 25. 7. 2000, JABl 2000/24, Pkt 1.2., zu § 41 SMG); mangels einer wesentlichen Änderung der Verhältnisse (zur Umstandsklausel näher Pieber in WK 2 StVG § 152 Rz 31 ff) aber stand dessen Bindungswirkung einer (neuerlichen) Entscheidung über die Kostenersatzpflicht des Bundes dem Grunde nach entgegen. Das (zufolge weisungsgemäßer Wohnsitznahme des bedingt Entlassenen in seinem Sprengel für die mit der bedingten Entlassung zusammenhängenden Anordnungen gemäß § 179 Abs 1 StVG zuständig gewordene) Landesgericht Feldkirch hätte daher aufgrund des Antrags des Kolpinghauses Götzis nur über das ‑ mit der sich aus den Richtlinien der Versicherungsanstalt öffentlich Bediensteter (fiktiv) ergebenden Kostendeckung begrenzte ‑ Ausmaß der vom Bund zu ersetzenden Kosten entscheiden dürfen.

Bereits zu § 179a Abs 2 StVG idF BGBl I 134/2002 hat der Oberste Gerichtshof ‑ wie die Generalprokuratur zutreffend aufzeigt ‑ im Übrigen ausgesprochen, dass sich dieses Limit nur auf die ziffernmäßige Höhe der Gebührensätze der Versicherungsanstalt öffentlich Bediensteter für jene Leistungen der Krankenbehandlung oder Anstaltspflege aus dem Versicherungsfall der Krankheit (§ 52 Z 2 B‑KUVG) bezieht, welche der als für die bedingte Entlassung notwendig erkannten Behandlung entsprechen oder mit ihr zumindest vergleichbar sind. Dass als Voraussetzung der Kostentragung durch den Bund für die vom Gericht als notwendig erachteten Behandlungen entsprechende Kostenansätze in den Bestimmungen des B‑KUVG bestehen müssen, lässt sich aus dieser Bestimmung allerdings nicht ableiten, zumal die in § 179a Abs 2 StVG genannten Behandlungen nicht krankheitsbedingt notwendig sein müssen (13 Os 87/05a, RZ 2006, 285; vgl die weitgehend ähnlichen Regelungen in § 46 Abs 1 JGG und § 41 Abs 1 und Abs 2 SMG sowie die zu § 21 SGG ergangenen Entscheidungen 15 Os 96/89, SSt 60/57; 14 Os 24/89, SSt 60/24, EvBl 1989/154; 14 Os 101/89; siehe auch Jesionek/Edwards JGG 4 § 46 Anm 9; Hinterhofer/Rosbaud SMG § 41 Rz 12; Litzka/Matzka/Zeder SMG 2 § 41 Rz 16; Fabrizy Suchtmittelrecht 5 § 41 Rz 4; JME 25. 7. 2000, JABl 2000/24, Pkt 1.3. und 1.7.).

Mit BGBl I 40/2009 wurde der Katalog der in § 179a Abs 2 StVG genannten Therapiemaßnahmen um Aufenthalte in sozialtherapeutischen Wohneinrichtungen erweitert; abgesehen davon hat diese Bestimmung bloß geringfügige, ihren Wortsinn unangetastet lassende Abänderungen erfahren, durch die den Materialien zufolge nur eine „gesetzliche Klarstellung“ im Sinne der zitierten Judikatur erzielt werden sollte (IA 271/A BlgNR 24. GP 39 f; JAB 106 BlgNR 24. GP 39).

Daher hat der Bund ‑ unter den weiteren Voraussetzungen des § 179a Abs 2 StVG idgF ‑ nunmehr (auch) die Kosten des weisungsgemäßen Aufenthalts eines Rechtsbrechers in einer sozialtherapeutischen Wohneinrichtung dem Grunde nach unabhängig davon zu übernehmen, ob die Versicherungsanstalt öffentlich Bediensteter zur Tragung dieser Kosten verpflichtet wäre, wenn ein Versicherungsverhältnis des bedingt Entlassenen zu ihr bestünde (vgl Pieber in WK 2 StVG § 179a Rz 4 f).

Das Landesgericht Feldkirch sowie das Oberlandesgericht Innsbruck als Beschwerdegericht haben demnach nicht nur rechtsfehlerhaft (neuerlich) dem Grunde nach über die Übernahme der Kosten des Aufenthalts des Theophil B***** im Kolpinghaus Götzis durch den Bund entschieden, sondern diese zudem rechtsirrig mit der Begründung abgelehnt, es liege kein Fall eines Kostenbeitrags für die Versicherungsanstalt öffentlich Bediensteter vor. Das Oberlandesgericht Innsbruck hätte mangels Beweisaufnahmen zur Begrenzung der Leistungspflicht des Bundes anhand der ziffernmäßigen Höhe von Gebührensätzen oder Tarifen der Versicherungsanstalt öffentlich Bediensteter für solche Leistungen, die der Gewährung des weisungsgemäßen Aufenthalts am nächsten kommen (vgl die zu § 21 SGG ergangene Entscheidung 14 Os 24/89), nach § 89 Abs 2a Z 3 StPO vorgehen können.

Theophil B***** gereichen die aufgezeigten Gesetzesverletzungen zum Nachteil, weshalb sich der Oberste Gerichtshof gemäß § 292 letzter Satz StPO veranlasst sah, deren Feststellung mit konkreter Wirkung zu verknüpfen. Dem Landesgericht Feldkirch war aufzutragen, nach Verfahrensergänzung im vorher aufgezeigten Sinn über den Antrag Kolpinghauses Götzis zu entscheiden.

Einer förmlichen Aufhebung der auf den kassierten Beschlüssen beruhenden Anordnungen und Verfügungen bedurfte es nicht (RIS‑Justiz RS0100444).

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