OGH 2Ob160/12m

OGH2Ob160/12m11.10.2012

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Baumann als Vorsitzenden und durch die Hofräte Dr. Veith, Dr. E. Solé, Dr. Schwarzenbacher und Dr. Nowotny als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. W***** GmbH, *****, und 2. Ing. A***** S*****, beide vertreten durch Dr. Stephan Hieke, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei ASFINAG Autobahnen- und Schnellstraßen-Finanzierungs-Aktiengesellschaft, Rotenturmstraße 5-9, 1010 Wien, vertreten durch Dr. Hans-Jörg Luhamer, Rechtsanwalt in Wien, wegen 1. (erstklagende Partei) 32.492 EUR sA und 2. (zweitklagende Partei) 4.000 EUR sA, über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 30. Juli 2012, GZ 5 R 87/12v-68, womit infolge der Berufungen sämtlicher Parteien das Urteil des Handelsgerichts Wien vom 8. Februar 2012, GZ 33 Cg 5/09y-58, in der Hauptsache bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird zurückgewiesen.

Text

Begründung

Nach einem Verkehrsunfall auf der Südautobahn in Wien begehrte die erstklagende Partei den Ersatz ihres mit 32.492 EUR bezifferten Sachschadens und der Zweitkläger 4.000 EUR an Schmerzengeld. Die beklagte Partei sei ihrer vertraglichen Verpflichtung, die Autobahn in einem verkehrssicheren Zustand zu halten, nicht nachgekommen.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren hinsichtlich der erstklagenden Partei mit 10.830,67 EUR sA und hinsichtlich des Zweitklägers mit 1.000 EUR sA statt. Das jeweilige Mehrbegehren von 21.661,33 EUR sA (erstklagende Partei) bzw 3.000 EUR sA (Zweitkläger) wies es ab.

Das von sämtlichen Parteien angerufene Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung in der Hauptsache und gab der Berufung der beklagten Partei nur im Kostenpunkt teilweise Folge. Es sprach aus, dass hinsichtlich der erstklagenden Partei die ordentliche Revision nicht zulässig sei; hinsichtlich des Zweitklägers sei die Revision jedenfalls unzulässig.

Die beklagte Partei bekämpft mit außerordentlicher Revision dieses Berufungsurteil „in seinem gesamten Umfange“. Sie stellt den Antrag, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und den Vorinstanzen die „fristauslösende“ Zustellung der Berufung der klagenden Parteien an sie aufzutragen.

Die beklagte Partei macht geltend, sie habe keine Berufungsbeantwortung erstatten können, weil ihr die Berufung der klagenden Parteien nicht zugestellt worden sei. Dies begründe Nichtigkeit nach § 477 Abs 1 Z 4 ZPO. Das Berufungsgericht sei aktenwidrig von einer Zustellung der Berufung ausgegangen. Die beklagte Partei sei auch tatsächlich beschwert, weil sie den klagenden Parteien die Kosten deren Berufungsbeantwortung zu ersetzen habe. Es sei ihr auch die Möglichkeit zur Bekämpfung belastender Feststellungen genommen worden.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist unzulässig:

1. Vorauszuschicken ist, dass nach der Aktenlage die Berufung der klagenden Parteien am 9. 3. 2012 im elektronischen Rechtsverkehr an den Beklagtenvertreter zugestellt wurde. Selbst bei unbedenklichem Zustellnachweis steht dem Empfänger an sich der „Gegenbeweis“ nach § 292 ZPO offen (6 Ob 93/09h; RIS-Justiz RS0040471). Erhebungen über die Gesetzmäßigkeit des Zustellvorgangs können hier aber schon aus den im Folgenden darzulegenden Erwägungen unterbleiben.

2. Gemäß § 55 Abs 1 Z 2 JN sind mehrere in einer Klage geltend gemachte Ansprüche von mehreren Klägern nur im Falle einer materiellen Streitgenossenschaft (§ 11 Z 1 ZPO) zusammenzurechnen. Mehrere aus einem Unfall Geschädigte sind nur formelle Streitgenossen iSd § 11 Z 2 ZPO (2 Ob 11/12z mwN; RIS-Justiz RS0110982). Ihre Ansprüche sind daher nicht zusammenzurechnen (RIS-Justiz RS0035615).

Die Zulässigkeit der Revision ist für jeden einzelnen Streitgenossen gesondert zu beurteilen (RIS-Justiz RS0035710). Sie richtet sich beim Zweitkläger nach § 502 Abs 2 ZPO, weil der Entscheidungsgegenstand des Berufungsgerichts 5.000 EUR nicht übersteigt. Demnach ist aber - gemäß dem Ausspruch des Berufungsgerichts - die Revision in Ansehung des Zweitklägers jedenfalls unzulässig.

3. Nach ständiger Rechtsprechung setzt die Zulässigkeit jedes Rechtsmittels eine Beschwer, also ein Anfechtungsinteresse voraus (RIS-Justiz RS0043815 [T29]). An dieser Zulässigkeitsvoraussetzung fehlt es der Revision in Ansehung der erstklagenden Partei:

Die beklagte Partei wendet sich - entgegen ihrer Anfechtungserklärung und dem Rechtsmittelantrag - nach dem Inhalt der Revision ausschließlich gegen den klagsabweisenden, also den ihrem Rechtsschutzantrag ohnehin entsprechenden Teil der Entscheidungen der Vorinstanzen. Nur mit diesem stehen die geltend gemachten Revisionsgründe in einem sachlichen Zusammenhang.

Die beklagte Partei verkennt jedoch, dass das Recht zur Erstattung einer Rechtsmittelbeantwortung keineswegs Selbstzweck ist (2 Ob 110/07a mwN; 8 Ob 95/10v). Die Beschwer der beklagten Partei wäre nur dann zu bejahen, wenn ihr mangels Zustellung der Berufung die Möglichkeit genommen worden wäre, den Rechtsmittelerfolg ihrer Prozessgegnerin abzuwehren (vgl 2 Ob 110/07a mwN zum Fall der Zurückweisung einer Rechtsmittelbeantwortung). Der Berufung der erstklagenden Partei wurde aber ohnedies nicht Folge gegeben. Im Falle einer neuerlichen Entscheidung über die Berufung, wie sie mit der Revision angestrebt wird, könnte die beklagte Partei auch mittels einer von ihr erstatteten Berufungsbeantwortung keinen günstigeren Prozesserfolg erzielen.

Unter diesen Umständen fehlt es ihrem Rechtsmittel an der Beschwer. Das bloße Interesse an einer günstigeren Kostenentscheidung allein vermag nach ständiger Rechtsprechung eine Beschwer nicht zu begründen (RIS-Justiz RS0002396). Davon abgesehen wurde der beklagten Partei die Kostenersatzpflicht für die Berufungsbeantwortung der klagenden Parteien nur wegen der Erfolglosigkeit ihrer eigenen Berufung auferlegt. Allein aus den Entscheidungsgründen („belastende Feststellungen“) ist die Beschwer ebenfalls nicht ableitbar (6 Ob 17/09g).

4. Aus den angeführten Gründen ist die außerordentliche Revision daher als (absolut) unzulässig zurückzuweisen.

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