OGH 16Ok5/12

OGH16Ok5/1211.10.2012

Der Oberste Gerichtshof hat als Rekursgericht in Kartellrechtssachen durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Vogel als Vorsitzenden sowie den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Schramm und die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. E. Sol als weitere Richter in der Kartellrechtssache der Antragstellerin Bundeswettbewerbsbehörde, Wien 2, Praterstraße 31, gegen die Antragsgegnerinnen 1. D*****, 2. D*****, beide vertreten durch Dr. Gerhard Rößler Rechtsanwalt KG in Zwettl, im Verfahren über einen Antrag auf Hausdurchsuchung gemäß § 12 Abs 1 und 3 WettbG wegen des Verdachts von Verstößen gegen § 1 KartG und Art 101 AEUV, über den Rekurs der Antragsgegnerinnen gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Kartellgericht vom 27. Juni 2012, GZ 24 Kt 43, 44/12-2, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.

Die Antragsgegnerinnen haben die Kosten ihres Rechtsmittels selbst zu tragen.

Text

Begründung

Das Kartellgericht ordnete mit dem angefochtenen Beschluss über Antrag der Bundeswettbewerbsbehörde eine Hausdurchsuchung in den Geschäftsräumlichkeiten und Fahrzeugen der Antragsgegnerinnen und die Sicherstellung von physischen und elektronischen Kopien an. Aus dem bescheinigten Sachverhalt ergebe sich der begründete Verdacht, dass es einerseits vertikale Preisabsprachen zwischen K***** und R*****-Konzern gegeben habe (und allenfalls immer noch gebe) und dass andererseits horizontale, von K***** koordinierte Preisabstimmungen von Lebensmitteleinzelhändlern erfolgt seien (und allenfalls immer noch erfolgten). Die Hausdurchsuchung bei den Antragsgegnerinnen fand am 25. 7. 2012 statt.

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs der Antragsgegnerinnen ist nicht berechtigt.

Die Antragsgegnerinnen machen geltend, aus dem in den Feststellungen des Erstgerichts zitierten E-Mail-Verkehr ergebe sich kein dringender Verdacht von Absprachen über Verkaufspreise im Lebensmitteleinzelhandel. Es handle sich vielmehr bloß um die Festlegung von Preisen zwischen den Antragsgegnerinnen und ihrem Abnehmer. Dass daraus die weiteren Abnehmer wiederum ihre Verkaufspreise ableiteten, habe nichts mit einer Preisbindung, sondern mit kaufmännischen Überlegungen der jeweiligen Großhändler bzw Käufer der Waren der Antragsgegnerinnen zu tun. Bei einer Gesamtbeurteilung des Sachverhalts sei nicht nur von den von der Antragstellerin vorgelegten Urkunden auszugehen, sondern auch die Marktposition der Antragsgegnerinnen zu berücksichtigen; diese erzeugten und vertrieben ein derart kleines und eingeschränktes Warensegment, dass ihnen keine Machtposition zur Gestaltung von Verkaufspreisen im Einzelhandel zukommen könne.

1. Entgegen der Ansicht der Rekurswerberinnen besteht zwischen den der Bundeswettbewerbsbehörde zustehenden Ermittlungsbefugnissen keine hierarchische Ordnung. Es ist daher weder die Durchführung eines Auskunftsverlangens (§ 11a WettbG) noch dessen Ankündigung Voraussetzung für die Erlassung eines Hausdurchsuchungsbefehls. Auskunftsverlangen und Nachprüfung sind zwei voneinander unabhängige Ermittlungsinstrumente zur Sachverhaltsaufklärung (RIS-Justiz RS0127267).

Vor dem Hintergrund, dass Hausdurchsuchungen einen schwerwiegenden Eingriff in die Individualsphäre des Betroffenen bilden, ist aber an das Interesse an der Sachaufklärung durch eine Hausdurchsuchung ein strenger Maßstab zu stellen. Im Einzelfall kann sich daher unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit eine Einschränkung der Wahlfreiheit der Bundeswettbewerbsbehörde ergeben (RIS-Justiz RS0127267 [T4]).

Zweckmäßig ist eine Nachprüfung insbesondere dann, wenn aus Sicht der Behörde Verdunkelungsgefahr besteht (16 Ok 5/11). Gründe, weshalb im vorliegenden Fall eine Hausdurchsuchung unverhältnismäßig ist, nennen die Rekurswerberinnen nicht.

2. Nach § 12 Abs 1 WettbG setzt die Anordnung einer Hausdurchsuchung voraus, dass die Hausdurchsuchung zur Erlangung von Informationen aus geschäftlichen Unterlagen erforderlich ist und der begründete Verdacht eines in dieser Bestimmung genannten Kartellverstoßes besteht.

3.1. Entgegen der Ansicht der Rekurswerberinnen bedarf es nach dem klaren Wortlaut des § 12 Abs 1 WettbG nicht eines dringenden Verdachts, sondern es genügt ein begründeter Verdacht (RIS-Justiz RS0125748 [T4]).

3.2. Begründet ist ein Verdacht dann, wenn er sich rational nachvollziehbar dartun lässt. Dafür müssen Tatsachen vorliegen, aus denen vertretbar und nachvollziehbar geschlossen werden kann, dass eine Zuwiderhandlung gegen im Gesetz genannte Wettbewerbsbestimmungen vorliegt (RIS-Justiz RS0125748 [T1]).

3.3. Hier ergibt sich aus dem vom Erstgericht festgestellten Inhalt des E-Mail-Verkehrs zwischen Mitarbeitern von K***** und einer Mitarbeiterin einer Gesellschaft der R*****, insbesondere der E-Mail vom 31. 12. 2007 und vom 8. 1. 2008, nachvollziehbar zum einen der Verdacht einer Abstimmung der Endverkaufspreise zwischen K***** und der R***** und zum anderen der Verdacht, dass K***** dieser geholfen hat, ihre Preise mit ihren Wettbewerbern im Lebensmitteleinzelhandel abzustimmen. Damit wurde nachvollziehbar und vertretbar der Verdacht kartellrechtswidriger Absprachen dargetan.

4.1. Die Bestimmung des § 12 WettbG ist weitgehend dem Europäischen Recht, insbesondere Art 20 der Verordnung Nr 1/2003 über die Nachprüfungsrechte der Europäischen Kommission, nachgebildet. Danach muss die konkrete Nachprüfungshandlung zur Erfüllung der durch diese Verordnung übertragenen Aufgaben erforderlich sein, also die Prüfung der vermuteten Zuwiderhandlung ermöglichen. Selbst wenn bereits Beweise oder Indizien für Zuwiderhandlungen vorliegen, sind die Behörden berechtigt, zusätzliche Beweise zu erheben und Auskünfte einzuholen, die es ermöglichen, das Ausmaß der Zuwiderhandlung, deren Dauer oder den Kreis der daran beteiligten Unternehmen genauer zu bestimmen (RIS-Justiz RS0127268 [T2]). Die Erforderlichkeit ist anhand des verfolgten und dem Adressaten bekanntgegeben Zwecks zu beurteilen.

4.2. Die Ermittlungen sind aber nicht auf Tatsachen beschränkt, die unmittelbar die Tatbestandsvoraussetzungen eines Wettbewerbsverstoßes betreffen, sondern umfassen auch Informationen über den rechtlichen und wirtschaftlichen Zusammenhang, in dem der Verfahrensgegenstand beurteilt werden muss. Bei einer Hausdurchsuchung darf auch nach Informationsquellen gesucht werden, die noch nicht bekannt sind (RIS-Justiz RS0127268 [T8, T3]).

4.3. Besteht ein begründeter Verdacht, dass ein Kartell trotz ausdrücklichen Verbots fortgesetzt wird, ist regelmäßig die Besorgnis berechtigt, die Unternehmen versuchten Beweismittel zu unterdrücken, sollten sie von den Erhebungen Kenntnis erlangen. Aus diesem Grund kann in derartigen Fällen in der Regel nicht davon ausgegangen werden, dass die Anordnung einer Hausdurchsuchung unverhältnismäßig ist (RIS-Justiz RS0127268 [T9]).

5. Die Antragstellerin hat die Erforderlichkeit der Hausdurchsuchung damit begründet, dass der begründete Verdacht bestehe, die Antragsgegnerinnen und verschiedene Unternehmen des Lebensmitteleinzelhandels seien maßgeblich an - sowohl der Art als auch der Dauer nach - schwerwiegenden kartellrechtswidrigen Absprachen beteiligt gewesen und es sei zu vermuten, dass sich bei den Antragsgegnerinnen die zur Erlangung von Informationen notwendigen Geschäftsunterlagen befinden könnten. Die Hausdurchsuchung diene zudem der Abklärung, wie lange die Verstöße durch die betroffenen Unternehmen gedauert hätten, ob sie noch andauerten und welche Unternehmen des Lebensmitteleinzelhandels an den Preisabstimmungsmaßnahmen der Antragsgegnerinnen beteiligt gewesen seien.

6.1. Vor dem Hintergrund der referierten Rechtsprechung ist dem Erstgericht in seiner Beurteilung zuzustimmen, dass die begehrte Hausdurchsuchung aufgrund des begründeten Verdachts kartellrechtswidriger Absprachen und des von der Antragstellerin dargetanen Zwecks erforderlich und nicht unverhältnismäßig war.

6.2. Unerheblich ist die Behauptung der Rekurswerberinnen, ihre Machtposition reiche zur Gestaltung von Verkaufspreisen im Einzelhandel nicht aus: Am Verdacht einer kartellrechtswidrigen Absprache ändert es nichts, wenn die Antragsgegnerinnen die Einhaltung von Preisbindungen von (marktmächtigen) Unternehmen des Lebensmitteleinzelhandels nicht erzwingen können.

7. Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 41 KartG, wonach die unterliegende Partei die Kosten nur in bestimmten Verfahrensarten und darüber hinaus nur die Mutwilligkeit der Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung zu ersetzen hat. Verfahren zur Bewilligung von Hausdurchsuchungen sind in § 41 KartG nicht genannt; die Rekurswerberinnen haben auch weder obsiegt, noch kann der Bundeswettbewerbshörde Mutwilligkeit vorgeworfen werden. Das Kostenersatzbegehren der Rekurswerberinnen ist daher unbegründet.

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