OGH 1Ob137/12x

OGH1Ob137/12x6.9.2012

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon.-Prof. Dr. Sailer als Vorsitzenden sowie die Hofräte Univ.-Prof. Dr. Bydlinski, Dr. Grohmann, Mag. Wurzer und Mag. Dr. Wurdinger als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei F***** J*****, vertreten durch Beneder Rechtsanwalts GmbH in Wien, gegen die beklagte Partei D***** S.L., *****, Spanien, vertreten durch Dr. Alexander Matt, Rechtsanwalt in Bregenz, wegen 21.700 EUR sA, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 10. Mai 2012, GZ 4 R 601/11y-61, mit dem das Urteil des Landesgerichts Eisenstadt vom 29. Juli 2011, GZ 18 Cg 89/09d-49, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung

1. den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Der Antrag, die Rechtssache dem Gerichtshof der Europäischen Union zur Vorabentscheidung vorzulegen, wird zurückgewiesen;

2. zu Recht erkannt:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 1.259,64 EUR (darin 209,94 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Zu 1.:

Die Revisionswerberin stellte im Rahmen ihrer Revisionsanträge den formellen Antrag, die Rechtssache dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) zur Vorabentscheidung vorzulegen. Nach ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs steht den Parteien eines Zivilprozesses ein derartiges Antragsrecht nicht zu, weshalb der Antrag als unzulässig zurückzuweisen ist (vgl nur RIS-Justiz RS0058452). Ob eine Auslegungsfrage des Gemeinschaftsrechts der Klärung durch den EuGH bedarf, ist von den Gerichten von Amts wegen zu beurteilen.

Zu 2.:

In der Sache kommt der Revision keine Berechtigung zu.

Die Beklagte hat dem Kläger eine - aus zahlreichen Schriftstücken, deren Inhalt im Einzelnen festgestellt wurde, bestehende - Mitteilung übersandt, aus der er den Eindruck gewonnen hat, einen Barbetrag von 21.700 EUR gewonnen zu haben. Der Kläger sandte im Sinne der Aufforderung die ausgefüllten Unterlagen fristgerecht an die Beklagte zurück.

Die Vorinstanzen gaben seinem - auf § 5j KSchG gestützten - Begehren auf Auszahlung des zugesagten Geldbetrags samt Zinsen statt und gingen davon aus, es lasse sich schon bei der Lektüre der Unterlagen nachvollziehen, dass er überzeugt gewesen sei, tatsächlich gewonnen zu haben. Neben dem Inhalt der Unterlagen sei vor allem ihre graphische Aufmachung geeignet, diese Annahme nahezulegen. Dem Einwand der Beklagten, § 5j KSchG normiere ein strengeres Per-se-Verbot von Gewinnzusagen als die Richtlinie 2005/29/EG über unlautere Geschäftspraktiken, weshalb die Norm des österreichischen Rechts als überschießend nicht anzuwenden sei, hielt das Berufungsgericht entgegen, dass die Richtlinie in ihrem Art 5 Abs 1 im Rahmen einer Generalklausel ein allgemeines Verbot unlauterer Geschäftspraktiken enthalte, und nach Art 5 Abs 4 insbesondere Geschäftspraktiken als unlauter gelten, die irreführend oder aggressiv sind. Darüber hinaus enthalte die Richtlinie in Z 31 des Anhangs I im Zusammenhang mit dem Erwecken des fälschlichen Eindrucks, der Verbraucher habe bereits einen Preis gewonnen oder werde einen Preis gewinnen, eine unter allen Umständen als unlauter anzusehende Geschäftspraxis. In Anwendung der Grundsätze richtlinienkonformer Auslegung sei der Tatbestand des § 5j KSchG durch teleologische Reduktion auf die im Anhang I der Richtlinie angeführten sowie auf jene Gewinnzusagen zu reduzieren, die im Sinn des Art 6 der Richtlinie im Einzelfall als irreführende Handlungen zu beurteilen sind. Im vorliegenden Fall seien jedenfalls die Voraussetzungen einer irreführenden Handlung im Sinn des Art 6 der Richtlinie erfüllt, erwecke doch die Zusendung bei dem betroffenen Kunden des irreführenden Eindrucks, er hätte einen bestimmten Preis gewonnen. Die Beklagte habe ihre Gewinnzusage mit der Zusendung eines Warenkatalogs verbunden und die Gewinnanforderung mittels Bestellscheins verlangt, sodass durch den erweckten falschen Eindruck, bereits gewonnen zu haben und den Gewinn lediglich anfordern zu müssen, ein starker Anreiz geschaffen worden sei, bei Rücksendung der Gewinnanforderung auch eine Warenbestellung zu tätigen. Die Zusendung der Beklagten erfülle daher alle Voraussetzungen einer irreführenden Handlung im Sinn des Art 6 der Richtlinie, sodass § 5j KSchG auch bei richtlinienkonformer Auslegung auf die zu beurteilende Gewinnzusage anzuwenden sei. Die Festlegung der Sanktionen, die bei Verstößen gegen die nationalen Vorschriften zur Umsetzung der Richtlinie anzuwenden seien, sei gemäß Art 13 der Richtlinie den Mitgliedstaaten vorbehalten, die alle geeigneten Maßnahmen zu treffen hätten, um ihre Durchsetzung sicherzustellen, wobei die Sanktionen vor allem wirksam, verhältnismäßig und abschreckend sein müssten. Genau diesen Erfordernissen entspreche der durch § 5j KSchG geschaffene Erfüllungsanspruch. Die ordentliche Revision sei zulässig, weil höchstgerichtliche Rechtsprechung zur richtlinienkonformen Auslegung des § 5j KSchG und insbesondere zur Frage, ob er auf den Anwendungsbereich der Z 31 des Anhangs I der Richtlinie zu reduzieren sei, nicht vorläge.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision der Beklagten ist aus dem vom Berufungsgericht angeführten Grund zulässig, aber nicht berechtigt.

Zutreffend hat das Berufungsgericht ausgeführt, dass nicht nur jene Geschäftspraktiken (jedenfalls) als unlauter und damit verboten anzusehen sind, die im Anhang I der Richtlinie 2005/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Mai 2005 über unlautere Geschäftspraktiken im binnenmarktinternen Geschäftsverkehr zwischen Unternehmen und Verbauchern und zur Änderung der Richtlinie 84/450/EWG des Rates, der Richtlinien 97/7/EG, 98/27/EG und 2005/65/EG des Europäischen Parlaments und des Rates sowie der Verordnung (EG) Nr 2006/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates (Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken) angeführt werden, sondern darüber hinaus (verbotene) unlautere Geschäftspraktiken auch dann vorliegen, wenn sie nach der Generalklausel des Art 6 Abs 1 der Richtlinie als irreführende Handlung bzw nach Art 8 der Richtlinie als aggressive Geschäftspraxis zu qualifizieren sind. Im Erwägungsgrund 17 der Richtlinie wird dazu ausgeführt, dass einerseits (im Anhang I) aus Gründen der Rechtssicherheit bestimmte Geschäftspraktiken zu identifizieren sind, die unter allen Umständen unlauter sind; (nur) diese Geschäftspraktiken könnten ohne eine Beurteilung des Einzelfalls anhand der Bestimmungen der Art 5 bis 9 als unlauter gelten. Daraus ist unmissverständlich abzuleiten, dass für sonstige Geschäftspraktiken eine Einzelfallprüfung anhand der einschlägigen Generalklauseln anzustellen ist (vgl 4 Ob 42/08t = MR 2008, 257 [Korn] und auch EuGH, Rs C-304/08).

Im vorliegenden Fall kann kein Zweifel daran bestehen, dass die Zusendungen der Beklagten ihrem Inhalt und ihrer Aufmachung nach - und wohl auch nach der damit verfolgten Absicht (vgl nur 1 Ob 303/02v = SZ 2003/20) - geeignet waren, beim Kläger - entsprechend der Formulierung in Punkt 31 des Anhangs I der Richtlinie - den Eindruck zu erwecken, er habe bereits einen Preis gewonnen, werde einen Preis gewinnen oder werde durch eine bestimmte Handlung einen Preis gewinnen. Dies wird auch von der Revisionswerberin nicht ernstlich in Zweifel gezogen, die lediglich ohne jegliche Auseinandersetzung mit dem Inhalt der Urkunden die Behauptung aufstellt, aus den „Gewinnspielunterlagen“ sei der von § 5j KSchG geforderte Eindruck nicht abzuleiten. Insoweit kann daher auf die zutreffenden Ausführungen der Vorinstanzen verwiesen werden.

Die Revisionswerberin gesteht zwar zu, dass es gemäß der Z 31 im Anhang I der Richtlinie jedenfalls unlauter ist, den unrichtigen Eindruck zu erwecken, der Verbraucher habe gewonnen oder werde gewinnen, wenn es keinen Preis gibt, lässt jedoch nicht erkennen, aus welchem Grund sie die Auffassung vertritt, § 5j KSchG statuiere ein strengeres, „den Rahmen der Liste sprengendes und damit unzulässiges per-se-Verbot“. Die genannte Bestimmung im Anhang I verbietet nach ihrem Wortlaut in ihrer ersten Tatbestandsalternative das „Erwecken des fälschlichen Eindrucks, der Verbraucher habe bereits einen Preis gewonnen, werde einen Preis gewinnen oder werde durch eine bestimmte Handlung einen Preis oder einen sonstigen Vorteil gewinnen, obwohl es in Wirklichkeit keinen Preis oder sonstigen Vorteil gibt“. Nach Auffassung des erkennenden Senats kann das zuletzt genannte Tatbestandsmerkmal vernünftiger Weise nur so verstanden werden, dass es „in Wirklichkeit“ für den betreffenden Verbraucher vor allem dann keinen Preis (oder sonstigen Vorteil) „gibt“, wenn der Gewerbetreibende nicht die Absicht hat, den angekündigten (Geld-)Preis dem betreffenden Verbraucher zur Auszahlung zu bringen. Ob es einen Preis für eine bestimmte Person „gibt“ ist ja ausschließlich davon abhängig, ob der Gewerbetreibende bei seiner Gewinnzusage die Absicht hat, dem Verbraucher den diesem angekündigten Vorteil zukommen zu lassen.

Für die Unlauterkeit der Geschäftspraxis und die verpönte Beeinflussung des betreffenden Verbrauchers ist es auch ohne Bedeutung, ob der angekündigte Vorteil („in Wirklichkeit“) überhaupt nicht vergeben werden soll oder ob der Gewerbetreibende - entgegen dem erweckten Eindruck - den Vorteil einem anderen als dem angesprochenen Verbraucher zukommen lassen will. Insofern kann daher auch die Berufung der Beklagten darauf, nicht der Kläger, sondern eine andere Person, habe den Preis gewonnen, an der Subsumtion der Geschäftspraxis unter Z 31 des Anhangs I nichts ändern, hat die Beklagte doch den Eindruck erweckt, gerade der Kläger sei der Gewinner des Preises.

Aber auch wenn man den Tatbestand der Z 31 des Anhangs I entgegen der Ansicht des erkennenden Senats besonders eng auslegen wollte, wäre für die Beklagte nichts gewonnen, würde dies doch nur dazu führen, dass nicht von einer unter allen Umständen unlauteren Geschäftspraxis auszugehen, sondern vielmehr eine Einzelfallprüfung nach der einschlägigen Generalklausel anzustellen wäre. Nach Art 8 der Richtlinie gilt eine Geschäftspraxis dann als aggressiv - und damit unzulässig -, wenn sie im konkreten Fall unter Berücksichtigung aller tatsächlichen Umstände die Entscheidungs- oder Verhaltensfreiheit des Durchschnittsverbrauchers im Bezug auf das Produkt durch Belästigung, Nötigung, einschließlich der Anwendung körperlicher Gewalt, oder durch unzulässige Beeinflussung tatsächlich oder voraussichtlich erheblich beeinträchtigt und dieser dadurch tatsächlich oder voraussichtlich dazu veranlasst wird, eine geschäftliche Entscheidung zu treffen, die er andernfalls nicht getroffen hätte. Da diese Bestimmung nur darauf abstellt, ob der Durchschnittsverbraucher „voraussichtlich“ dazu veranlasst wird, eine geschäftliche Entscheidung zu treffen, die er andernfalls nicht getroffen hätte, kommt es entgegen der Ansicht der Revisionswerberin auch nicht entscheidend darauf an, dass der Kläger im konkreten Fall das Einsenden der Gewinnunterlagen nicht mit einer Warenbestellung verbunden hat. Wie bereits dargelegt wurde, ist die hier gewählte Geschäftspraxis - wenn sie nicht überhaupt schon im Auslegungsweg unter den Tatbestand der Z 31 des Anhangs I zu subsumieren ist - von ihrem Unwertgehalt jedenfalls mit den Fällen der Z 31 gleichzusetzen. Auch die Revisionswerberin versucht nicht einmal ansatzweise zu begründen, warum die Fälle der Z 31 unstrittigermaßen sogar unter allen Umständen als unlauter anzusehen sind, das Erwecken des Eindrucks, der Kläger habe einen Preis gewonnen, obwohl ihn (möglicherweise) tatsächlich ein anderer bekommt, aber nicht einmal im Rahmen einer Einzelfallprüfung als aggressive Geschäftspraxis nach Art 8 der Richtlinie qualifiziert werden sollte. Wenn sich die Revisionswerberin mit der Regelung des Art 6 der Richtlinie (irreführende Geschäftspraktiken) auseinandersetzt, übersieht sie, dass der Fall der Z 31 des Anhangs I als „aggressive Geschäftspraktik“ (Überschrift vor Z 24) qualifiziert wird, was ebenso für Sachverhalte gelten muss, die sehr nahe am dort geregelten Tatbestand liegen.

Was die Revisionswerberin mit ihrer Ausführung sagen will, § 5j KSchG normiere ein Per-se-Verbot von Gewinnzusagen und wolle nicht Verbrauchern zu Geldpreisen verhelfen, ist nicht verständlich, begründet die genannte Bestimmung doch gerade ein Recht des Verbrauchers, den Preis (auch gerichtlich) einzufordern. Selbst wenn § 5j KSchG - wie die Revisionswerberin weiter ausführt - ein strengeres, den Rahmen der Liste sprengendes und damit unzulässiges Per-se-Verbot statuieren sollte, wäre die Bestimmung aus unionsrechtlicher Sicht nur insoweit als Anspruchsgrundlage ungeeignet, als deren Tatbestand im konkreten Einzelfall einen Sachverhalt erfassen würde, der eine nach den Regelungen der Richtlinie - einschließlich deren Generalklauseln - zulässige Geschäftspraxis darstellte. Davon kann aber, wie bereits ausführlich dargelegt, bei der hier zu beurteilenden „Gewinnzusage“ keine Rede sein. Angesichts der Einzelfallbezogenheit der Entscheidung stellt sich auch keine einer generellen Beurteilung durch den EuGH zugängliche Auslegungsfrage.

Die Verhältnismäßigkeit der in § 5j KSchG angeordneten Rechtsfolge als Sanktion auf das unlautere Verhalten des Gewerbetreibenden wird in der Revision nicht in Zweifel gezogen. Es genügt daher der Hinweis, dass der erkennende Senat eine Unverhältnismäßigkeit nicht erkennen kann.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 50 Abs 1, 41 Abs 1 ZPO.

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