OGH 1Ob107/12k

OGH1Ob107/12k6.9.2012

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon.-Prof. Dr. Sailer als Vorsitzenden sowie die Hofräte Univ.-Prof. Dr. Bydlinski, Dr. Grohmann, Mag. Wurzer und Mag. Dr. Wurdinger als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei R***** J*****, vertreten durch Dr. Farhad Paya, Rechtsanwalt in Klagenfurt am Wörthersee, gegen die beklagte Partei Land Kärnten, vertreten durch Gheneff-Rami-Sommer, Rechtsanwälte KG in Klagenfurt am Wörthersee, wegen Leistung von Grundversorgung (Streitwert 10.440 EUR) und Feststellung über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht vom 7. März 2012, GZ 5 R 247/11z-17, mit dem das Urteil des Landesgerichts Klagenfurt vom 31. Oktober 2011, GZ 50 Cg 34/11i-13, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei binnen 14 Tagen die mit 908,64 EUR (darin enthalten 151,44 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung zu ersetzen.

Begründung

Rechtliche Beurteilung

1) Die Revision der klagenden Partei ist entgegen dem nicht bindenden Ausspruch des Berufungsgerichts nicht zulässig.

2) Die Beurteilung der Schlüssigkeit einer Klage ist grundsätzlich von den Umständen des Einzelfalls abhängig (RIS-Justiz RS0116144) ebenso die Auslegung des Prozessvorbringens einer Partei (RIS-Justiz RS0042828). Nur eine korrekturbedürftige Fehlbeurteilung könnte eine erhebliche Rechtsfrage begründen. Dies trifft hier nicht zu.

3) Die aus Nigeria stammende Klägerin reiste am 14. Juni 2004 nach Österreich ein und stellte am selben Tag einen Asylantrag, der 2009 in letzter Instanz rechtskräftig abgewiesen wurde. Seither hält sie sich ohne Aufenthaltstitel in Österreich auf. Sie begehrt die Leistung von Grundversorgung nach dem (unstrittig anzuwendenden) Kärntner Grundversorgungsgesetz, LGBl 2006/43 idF der Novelle LGBl 2010/32 (K-GrvG). Dieses unterscheidet in § 2 Abs 3 zwischen schutzbedürftigen Fremden, die einen Asylantrag oder einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt haben (Asylwerber), über den noch nicht rechtskräftig abgesprochen ist (lit a) und - soweit hier relevant - schutzbedürftigen Fremden ohne Aufenthaltsrecht, über deren Asylantrag oder Antrag auf internationalen Schutz rechtskräftig negativ abgesprochen wurde und die aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen nicht abschiebbar sind (lit b). Nach § 9 Abs 2 K-GrvG besteht nur für die zuerst genannte Gruppe von Fremden ein Rechtsanspruch auf Leistungen der Grundversorgung, über den grundsätzlich im Verwaltungsverfahren abzusprechen ist. Über die Gewährung, Einstellung, Einschränkung oder Verweigerung von Leistungen der Grundversorgung an die in § 2 Abs 3 lit b leg cit genannten Personen entscheidet das Land im Wege der Privatwirtschaftsverwaltung (§ 9 Abs 3 leg cit).

4) Auch im Rahmen ihrer privatwirtschaftlichen Tätigkeit hat die öffentliche Hand den Gleichheitsgrundsatz zu beachten (RIS-Justiz RS0038110). Nach der ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs (1 Ob 272/02k = SZ 2003/17; RIS-Justiz RS0117458; zuletzt 4 Ob 213/11v zu einem [wie hier] geltend gemachten Anspruch eines Fremden iSd § 2 Abs 3 lit b K-GrvG auf Zahlung von Grundversorgung) reicht der Hinweis auf die Regelung über den Mangel eines Rechtsanspruchs auf Leistung in einem Selbstbindungsgesetz nicht für die Verneinung der Leistungspflicht: Eine Gebietskörperschaft, die sich in einem Selbstbindungsgesetz zur Leistung unter bestimmten Voraussetzungen verpflichtet, ist aufgrund des Gleichbehandlungsgebots bzw des Diskriminierungsverbots von Gesetzes wegen verpflichtet, diese Leistung jedermann, der diese Voraussetzungen erfüllt, zu erbringen, wenn sie eine solche Leistung in anderen Einzelfällen bereits erbrachte. Auf eine solche Leistung besteht daher insoweit ein klagbarer Anspruch.

5) Die Klägerin, die einen Verstoß gegen das Gleichheitsgebot bzw das Diskriminierungsverbot zu behaupten und zu beweisen hätte (vgl RIS-Justiz RS0038110 [T3]), hat sich in ihrem erstinstanzlichen Vorbringen nicht konkret darauf berufen, dass sie innerhalb der durch § 2 Abs 3 lit b K-GrvG definierten Fremden deshalb diskriminiert werde, weil sie im Vergleich zu anderen Einzelfällen trotz gleicher Voraussetzungen keine Leistungen aus der Grundversorgung erhalte. Wie sie in ihrer Revision ja selbst betont, berief sie sich auf einen Anspruch auf Erbringung derartiger Leistungen, weil sie nach dem K-GrvG schutzbedürftig sei. Das beinhaltete zwar die Behauptung, dass sie die Voraussetzungen für die Gewährung derartiger Leistungen erfülle, nicht aber, dass das beklagte Land anderen Fremden, die sich nach rechtskräftiger Abweisung ihrer Asylanträge in einer vergleichbaren Situation befanden, Leistungen der Grundversorgung gewährt habe.

6) Es ist ein vertretbares Ergebnis, wenn das Berufungsgericht in Übereinstimmung mit dem Erstgericht das Klagebegehren als nicht ausreichend schlüssig angesehen hat. Von einer Überraschungsentscheidung durch das Berufungsgericht kann schon deshalb keine Rede sein, weil es die rechtliche Beurteilung des Erstgerichts teilte.

7) Eine Verletzung der Anleitungspflicht durch das Erstgericht machte die Klägerin in ihrer Berufung nicht geltend. Die unterlassene Mängelrüge kann im Revisionsverfahren nicht nachgeholt werden (RIS-Justiz RS0043111). Abgesehen davon hat das Erstgericht mit den Parteien seine Rechtsansicht erörtert, dass sich der behauptete Rechtsanspruch der Klägerin auf Grundversorgung nicht aus dem K-GrvG ableiten lasse; eine Meinung, die die Klägerin in ihrem ergänzenden Vorbringen aber ablehnte.

8) Mit den Ausführungen zur ihrer Meinung nach verfassungswidrigen, weil sachlich nicht gerechtfertigten Differenzierung zwischen Fremden nach § 2 Abs 3 lit a und b K-GrvG durch § 9 Abs 2 und 3 leg cit zeigt die Revisionswerberin ebenfalls keine erhebliche Rechtsfrage auf. Art I Abs 1 zweiter Satz des Bundesverfassungsgesetzes vom 3. 7. 1973, BGBl 390/1973 zur Durchführung des internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung verbietet Gesetzgebung und Vollziehung jede Unterscheidung aus dem alleinigen Grund der Rasse, der Hautfarbe, der Abstammung oder der nationalen oder ethnischen Herkunft. Nach der ständigen Judikatur des Verfassungsgerichtshofs (Nachweise in 4 Ob 213/11v) sind sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden verboten. Eine Ungleichbehandlung von Fremden ist also, wie auch die Klägerin ausführt, nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist (VfSlg 14.650; 16.080 ua). Eine Unterscheidung, die auf den rechtskräftigen negativen Ausgang des Asylverfahrens abstellt, ist nicht als unsachliche Benachteiligung jener Fremden anzusehen, die sich nach rechtskräftiger Abweisung ihres Asylantrags ohne Aufenthaltstitel in Österreich aufhalten. Kann der Fremde aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen nicht abgeschoben werden, gehört er nach der Definition des § 2 Abs 3 lit b K-GrvG zu den schutzbedürftigen Fremden und ist als solcher nicht ohne jeden Rechtsschutz. Ihm steht die Möglichkeit offen, in einem Zivilverfahren Leistung auf Grundversorgung zu begehren. Warum dieser Weg (offenbar gemeint im Vergleich zum Verwaltungsverfahren) nach der Diktion der Revisionswerberin „mühsam“ sein soll, legt sie nicht hinreichend dar. Der erkennende Senat sieht sich aus diesen Erwägungen nicht veranlasst, der Anregung der Revisionswerberin zu folgen, beim Verfassungsgerichtshofs einen Antrag auf Aufhebung der Bestimmungen des § 9 Abs 2 und 3 K-GrvG zu stellen.

9) Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 41 iVm § 50 Abs 1 ZPO. Die beklagte Partei hat auf die Unzulässigkeit des gegnerischen Rechtsmittels hingewiesen.

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