OGH 13Os45/12k

OGH13Os45/12k30.8.2012

Der Oberste Gerichtshof hat am 30. August 2012 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Kirchbacher als Vorsitzenden, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Lässig, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Marek sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Nordmeyer und Dr. Oshidari in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Temper als Schriftführerin in der Strafsache gegen Dinela S***** und einen Angeklagten wegen des Verbrechens des schweren gewerbsmäßigen Betrugs nach §§ 146, 147 Abs 3, 148 erster Fall StGB und anderer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten Blerim Sh***** sowie die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts Wiener Neustadt als Schöffengericht vom 16. Februar 2012, GZ 37 Hv 124/11h-50, sowie die Beschwerde des Blerim Sh***** gegen den gemeinsam mit dem Urteil gefassten Beschluss auf Verlängerung einer Probezeit und die Beschwerde der Staatsanwaltschaft gegen den gemeinsam mit dem Urteil gefassten Beschluss auf Absehen vom Widerruf bedingter Strafnachsichten nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

In Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde und aus deren Anlass wird das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, im Blerim Sh***** betreffenden Schuldspruch I/D, demgemäß im diesen Angeklagten betreffenden Strafausspruch (einschließlich der Vorhaftanrechnung) und im Adhäsionserkenntnis, soweit es Blerim Sh***** verpflichtet, weiters im Verfallserkenntnis ebenso wie der Beschluss auf Absehen vom Widerruf bedingter Strafnachsichten und Verlängerung einer Probezeit aufgehoben und die Sache im Umfang der Aufhebung zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landesgericht Wiener Neustadt verwiesen.

Mit seiner Berufung und seiner Beschwerde wird der Angeklagte Blerim Sh***** ebenso wie die Staatsanwaltschaft mit ihrer diesen Angeklagten betreffenden Berufung und ihrer Beschwerde auf diese Entscheidung verwiesen.

Zur Entscheidung über die Dinela S***** betreffende Berufung der Staatsanwaltschaft werden die Akten vorerst dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.

Dem Angeklagten Blerim Sh***** fallen auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Soweit im Verfahren über die Nichtigkeitsbeschwerde relevant wurde Blerim Sh***** mit dem angefochtenen Urteil des Verbrechens des schweren gewerbsmäßigen Betrugs nach §§ 146, 147 Abs 3, 148 erster Fall StGB (I/D) und des Vergehens der Fälschung besonders geschützter Urkunden nach §§ 223 Abs 1, 224 StGB (I/A/2) schuldig erkannt.

Danach hat er

(I)

(A) 2) in Wien vor dem 2. September 2010 den slowakischen Reisepass lautend auf Morvay P*****, mithin eine ausländische öffentliche Urkunde, die durch (richtig:) Gesetz (§ 2 Abs 4 Z 4 FPG) inländischen öffentlichen Urkunden gleichgestellt ist, durch Lichtbildaustausch mit dem Vorsatz verfälscht, dass sie im Rechtsverkehr zum Beweis eines Rechts oder einer Tatsache, nämlich zu Identifikationszwecken, gebraucht werde;

(D) in Vösendorf in der Zeit von 18. Juni bis 4. August 2010 gemeinsam (§ 12 erster Fall StGB) mit Dinela S***** mit auf unrechtmäßige Bereicherung gerichtetem Vorsatz gewerbsmäßig in 21 Fällen Verfügungsberechtigte von im Urteil genannten Transportunternehmen durch Vorspiegelung der Zahlungsbereitschaft der M***** GmbH, mithin durch Täuschung über Tatsachen, zu Warentransporten verleitet, die diese Unternehmen um insgesamt rund 60.000 Euro am Vermögen schädigten.

Rechtliche Beurteilung

Die dagegen vom Angeklagten Blerim Sh***** aus Z 5 und 5a des § 281 Abs 1 StPO ergriffene Nichtigkeitsbeschwerde ist berechtigt:

Zutreffend zeigt die - ausdrücklich nicht (auch) gegen den Schuldspruch I/A/2 gerichtete - Rüge auf, dass die Feststellungen zur Täterschaft des Beschwerdeführers in Betreff der vom Schuldspruch I/D umfassten Taten offenbar unzureichend (Z 5 vierter Fall) begründet sind. Die Argumentation, dass der (leugnende) Beschwerdeführer und (die ihn zur Gänze entlastende, selbst aber umfassend geständige) Dinela S***** „zum Tatzeitpunkt bereits in einer langjährigen Beziehung und gemeinsam in einer Wohnung gelebt haben“ (US 12), bietet auch mit Blick auf die (zureichend begründete; US 11 f) Annahme zum Schuldspruch I/A/2, der Beschwerdeführer habe „sehr wohl den sichergestellten Laptop zur Fälschung des slowakischen Reisepasses verwendet“ und diesen Bestar Se***** anschließend zum Zweck der Übertragung der Gesellschaftsanteile der Dinela S***** an der M***** GmbH auf ihn (also ersichtlich nach den Betrugstaten) „zur Verfügung gestellt“ (US 11), keine tragfähige Basis. Dass allein aus vereinzelten Schilderungen geschädigter Subfrächter, anlässlich der Kontaktaufnahme mit der M***** GmbH mit einem Mann telefoniert zu haben, der Schluss auf eine Beteiligung des Beschwerdeführers nicht gezogen werden kann, wird im Urteil eingeräumt (US 13).

Da somit die Begründung der Tatrichter deren Konstatierungen zum Schuldspruch I/D, soweit er Blerim Sh***** betrifft, nicht trägt, war dieser (wie demzufolge auch der ihn betreffende Strafausspruch, das bezughabende Adhäsionserkenntnis sowie der gemäß § 494a Abs 1 Z 2 und Abs 6 StPO gefasste Beschluss) schon bei der nichtöffentlichen Beratung sofort aufzuheben (§ 285e StPO), womit sich ein Eingehen auf die Tatsachenrüge erübrigt.

Mit seiner Berufung und seiner Beschwerde war der Angeklagte Blerim Sh***** ebenso wie die Staatsanwaltschaft mit ihrer diesen Angeklagten betreffenden Berufung und ihrer Beschwerde auf diese Entscheidung zu verweisen.

Zur Entscheidung über die Dinela S***** betreffende Berufung der Staatsanwaltschaft waren die Akten vorerst dem Oberlandesgericht zuzuleiten.

Aus Anlass der Nichtigkeitsbeschwerde überzeugte sich der Oberste Gerichtshof zudem von nicht geltend gemachter Nichtigkeit (Z 11 erster Fall) hinsichtlich des Erkenntnisses auf Verfall (des bei der Raiffeisenlandesbank Niederösterreich Wien AG zu Konto Nr ***** sichergestellten Betrags von 1.387,87 Euro), das die - ungeachtet ihrer Liquidation wegen vorhandenen Aktivvermögens fortbestehende (vgl RIS-Justiz RS0050186, RS0059984) - M***** GmbH betrifft (vgl US 16 f; siehe auch ON 19 S 9 f). Dieses Erkenntnis kann bei nachteiliger Wirkung für die Haftungsbeteiligte, die in der Hauptverhandlung und im Rechtsmittelverfahren die Rechte eines Angeklagten hat (§ 64 Abs 1 zweiter Satz StPO), in analoger Anwendung des § 290 Abs 1 zweiter Satz StPO zum Gegenstand amtswegiger Verfügung gemacht werden (vgl 11 Os 13/11p).

Das Erstgericht gründete den „Verfall“ ersichtlich (US 16 f) auf § 20 Abs 1 StGB idF des strafrechtlichen Kompetenzpakets (sKp) BGBl I 2010/108. Da diese Bestimmung (erst) mit 1. Jänner 2011 in Kraft trat (Art 5 sKp), durfte die Haftungsbeteiligte durch deren Anwendung nicht schlechter gestellt werden als nach der zur Tatzeit geltenden Rechtslage (§ 1 Abs 2 StGB; zum erweiterten Strafbegriff dieser Bestimmung s Höpfel in WK2 § 1 Rz 5, 12; vgl auch § 443 Abs 3 StPO).

Die Abschöpfung der Bereicherung bei einem Dritten, der durch oder für eine mit Strafe bedrohte Handlung einen Vermögensvorteil erlangt hat, setzt nach der hier anzuwendenden Bestimmung des § 20 Abs 4 StGB idF BGBl I 2002/134 eine unmittelbare und unrechtmäßige Bereicherung dieser Person voraus. Die dazu getroffene Feststellung, wonach die M***** GmbH „im Zeitraum der Geschäftsführertätigkeit der Erstangeklagten ausschließlich Vermögenswerte durch strafbare Handlungen auf das Geschäftskonto überwiesen bekam“ (US 16), reicht für eine abschließende rechtliche Beurteilung der genannten Abschöpfungsvoraussetzungen nicht aus. Hinzu kommt, dass § 20 Abs 1 und Abs 4 StGB aF die Feststellung des Ausmaßes der Bereicherung im Sinn des sogenannten Nettoprinzips vorsah und die Abschöpfungsbestimmungen in § 20a Abs 2 Z 3 StGB aF eine Härteklausel enthielten (zum Ganzen eingehend 11 Os 83/11g, EvBl 2011/150, 1026).

Mangels ausreichender Feststellungsbasis war der Ausspruch über den „Verfall“ ebenso bereits bei der nichtöffentlichen Beratung sofort aufzuheben (§ 290 Abs 1 zweiter Satz StPO iVm § 285e StPO).

Im neuen Rechtsgang wird zu beachten sein, dass die Durchführung der Hauptverhandlung und die Fällung des - auch zuzustellenden - Urteils in Abwesenheit der Haftungsbeteiligten (§ 64 Abs 1 StPO) gemäß § 444 Abs 1 StPO deren ordnungsgemäße Ladung (§ 221 Abs 2 StPO; Fuchs/Tipold, WK-StPO § 444 Rz 27 f) voraussetzt (vgl auch Fuchs/Tipold, WK-StPO § 443 Rz 90).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

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