OGH 9ObA120/11d

OGH9ObA120/11d22.8.2012

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Rohrer als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf und Hon.-Prof. Dr. Kuras sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Dr. Wolfgang Höfle und Dr. Peter Schnöller als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei M***** M*****, vertreten durch Mag. Rudolf Lind, Rechtsanwalt in Langenzersdorf, gegen die beklagte Partei H***** GmbH, *****, vertreten durch die Fellner Wratzfeld & Partner Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen 5.933,18 EUR sA (Revisionsinteresse 3.694,74 EUR), über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 5. Juli 2011, GZ 8 Ra 60/11v-25, womit das Urteil des Landesgerichts Korneuburg als Arbeits- und Sozialgericht vom 8. März 2011, GZ 7 Cga 61/10v-21, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Revision der beklagten Partei wird zurückgewiesen.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 445,82 EUR (darin 74,30 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Begründung

Rechtliche Beurteilung

Das Berufungsgericht ließ die ordentliche Revision zu, weil zur Auslegung des § 10 Pkt 1. und 2. des Rahmenkollektivvertrags des Nahrungs- und Genussmittelgewerbes sowie des Lohnvertrags vom 16. 12. 2009 noch keine höchstgerichtliche Rechtsprechung vorliege. Die Begründung der Zulassung der ordentlichen Revision traf im Zeitpunkt der Entscheidung des Berufungsgerichts zu, ist aber in der Zwischenzeit überholt, weil der Oberste Gerichtshof im Verfahren 8 ObA 22/12m, das ebenfalls die hier Beklagte betraf, die der Zulassung der Revision zugrundeliegende Frage ausführlich beurteilt und entschieden hat. Nach ständiger Rechtsprechung ist das Vorliegen einer erheblichen Rechtsfrage nach dem Zeitpunkt der Entscheidung über das Rechtsmittel durch den Obersten Gerichtshof zu beurteilen. Eine im Zeitpunkt der Einbringung des Rechtsmittels aufgeworfene erhebliche Rechtsfrage fällt somit weg, wenn die Frage durch eine andere Entscheidung des Obersten Gerichtshofs bereits geklärt wurde (RIS-Justiz RS0112921 ua). Die Zurückweisung der ordentlichen Revision wegen Fehlens einer erheblichen Rechtsfrage (§ 502 Abs 1 ZPO) kann sich nach § 510 Abs 3 Satz 4 ZPO auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken:

Die Klägerin war vom 1. 3. 2007 bis 26. 2. 2010 bei der Beklagten als Arbeiterin beschäftigt. Im Betrieb der Beklagten werden Kartoffeln verarbeitet (durch Schälen und/oder Kochen) und in Vakuumverpackungen ohne Zusatz von Konservierungsstoffen verkauft. Die Klägerin war - wie ihre im Verfahren 8 ObA 22/12m gegen die Beklagte einschreitende Kollegin - hauptsächlich mit dem Nachputzen und Vierteln der Kartoffeln befasst. Unstrittig ist, dass die Beklagte als Mitglied der entsprechenden Fachgruppe der Wirtschaftskammer in den Anwendungsbereich des Rahmenkollektivvertrags des Nahrungs- und Genussmittelgewerbes für Arbeiter fällt und dieser Rahmenkollektivvertrag auf das Arbeitsverhältnis der Klägerin zur Anwendung gelangt. Der Klage liegt wie im Parallelprozess ein Streit über den anzuwendenden Lohnvertrag zugrunde. Die Beklagte steht auf dem Standpunkt, dass ihre Tätigkeit unter keinen der vom Rahmenkollektivvertrag erfassten Lohnverträge falle. Dennoch nahm sie über Empfehlung der Wirtschaftskammer die Entlohnung der Klägerin auf der Grundlage der Lohnvereinbarung vom 5. 3. 2010 für die Erzeugung von Fischmarinaden, Fischkonserven, Gabelbissen, Sandwiches und sonstige Arten der Feinkosterzeugung vor. Die Klägerin vertritt demgegenüber die Auffassung, dass sie dem Geltungsbereich des Lohnvertrags vom 16. 12. 2009 für die Erzeugung von Gemüsekonserven, Obstkonserven, Marmeladen, Fruchtsäften, Süßmost und Tiefkühlwaren unterliege, und macht mit der vorliegenden Klage Differenzansprüche gegenüber der auf der Grundlage des von der Beklagten angewendeten Lohnvertrags erfolgten geringeren Entlohnung geltend.

Der Oberste Gerichtshof gelangte in 8 ObA 22/12m zum Ergebnis, dass auf die Beklagte der vorgenannte Lohnvertrag für die Erzeugung von Gemüsekonserven anzuwenden ist. An dieser rechtlichen Beurteilung ist festzuhalten. In der Revision werden von der Beklagten die gleichen Argumente wie im Parallelverfahren vorgetragen, die jedoch nicht überzeugen. Wie schon in 8 ObA 22/12m dargelegt, ist entscheidend, dass § 10 des Rahmenkollektivvertrags nach den gewählten Formulierungen eine abschließende Regelung enthält. Demnach soll entsprechend dem erkennbaren Willen der Kollektivvertragsparteien die Lohnauszahlung für alle Arbeitnehmer geregelt werden. Dafür spricht die anordnende Formulierung in § 10 Pkt 1, wonach die Arbeitnehmer in Lohngruppen eingeteilt werden. Auch § 10 Pkt 2 lässt keinen Zweifel offen, dass die Lohnsätze für alle Arbeitnehmer in Lohnverträgen festgesetzt werden. Das Gleiche ergibt sich aus § 10 Pkt 10, wonach jedem Arbeitnehmer spätestens nach dem ersten Dienstmonat jedenfalls die Einstufung mittels Dienstzettels bekannt zu geben ist. Vorbehalte oder Ausnahmen sind in diesen Regelungen nicht vorgesehen. Auch die Lehrlingsentschädigung in § 10 Pkt 9 ist ausnahmslos an den Facharbeiterlohn der jeweiligen Lohntafel geknüpft. Der abschließende Regelungscharakter kann letztlich auch aus der Begünstigungsklausel des § 24 des Rahmenkollektivvertrags abgeleitet werden, wonach die in den einzelnen Erzeugungszweigen vom Rahmenkollektivvertrag abweichenden Bestimmungen, die an die Stelle der entsprechenden Bestimmungen des Rahmenkollektivvertrags treten oder diese ergänzen, einen integrierenden Bestandteil des Rahmenkollektivvertrags bilden. Wie sich im Verein mit § 10 Pkt 2 des Rahmenkollektivvertrags ergibt, sollen die kollektiven Regelungen für alle Erzeugungszweige, zu denen auch die Lohnverträge gehören, Inhalt des Rahmenkollektivvertrags sein. Nach dem eindeutig erkennbaren Willen der Kollektivvertragsparteien sollen die Lohnverträge somit alle Erzeugungszweige erfassen (8 ObA 22/12m). Davon geht im Ergebnis auch die Beklagte aus, indem sie zugestand, dass sie die Klägerin ebenfalls nach einem bestehenden Lohnvertrag, wenn auch nach jenem für die Fisch- und Feinkosterzeugung, entlohnt hat. Die Beurteilung des Berufungsgerichts, dass die Kollektivvertragsparteien alle dem Rahmenkollektivvertrag unterworfenen Arbeitnehmer entsprechend ihrer Arbeitsleistung und Verwendung in Lohngruppen einteilen und die Mindestlöhne regeln wollten und daher durch Auslegung zu ermitteln sei, welcher Lohnvertrag auf das Arbeitsverhältnis anwendbar sei, wird auch im vorliegenden Fall gebilligt.

Die Lohnvereinbarung für die Erzeugung von Fischmarinaden, Fischkonserven, Gabelbissen, Sandwiches und sonstige Arten der Feinkosterzeugung bezieht sich auf die Herstellung bestimmter Arten sofort zum Verzehr bestimmter Lebensmittel. Das Berufungsgericht und die Parteien verwenden in diesem Zusammenhang den Begriff „essfertig“. Die Ansicht des Berufungsgerichts, dass ausgehend von den Feststellungen die überwiegende Tätigkeit der Beklagten (vgl den Lohnvertrag für die Erzeugung von Gemüsekonserven) in der Kartoffelverwertung (ohne Verwendung von Konservierungsmitteln) bestehe, die verpackten Kartoffeln nicht essfertig seien und der Betrieb der Beklagten nicht zur Feinkosterzeugung zähle, ist nicht zu beanstanden.

Nach der gewählten Beschreibung („Erzeugung von Gemüsekonserven“) scheint der vom Berufungsgericht herangezogene Lohnvertrag für die Erzeugung von Gemüsekonserven das Kriterium der Herstellung einer „Konserve“ (zum Zweck der Konservierung) in den Vordergrund zu rücken. Unter „Konservieren“ werden alle Maßnahmen zusammengefasst, die geeignet sind, die Haltbarkeit von Lebensmitteln zu erhöhen, ohne bis zum Zeitpunkt ihres Verbrauchs ihre Genussfähigkeit und gesundheitliche Verträglichkeit zu vermindern (Pkt I Abs 1 des von der Beklagten vorgelegten Auszugs aus dem Lebensmittelbuch Beilage ./7). Konservierte Lebensmittel werden so verpackt, gelagert und in den Verkehr gebracht, dass der durch die Konservierung erreichte Zweck, nämlich die Haltbarkeit, nicht verloren geht. Durch Trocknung konservierte Lebensmittel sind vor Feuchtigkeit zu schützen und erforderlichenfalls zweckentsprechend zu verpacken. Durch Entkeimungsfiltration oder andere Verfahren entkeimte Lebensmittel werden durch Aufbewahren in entsprechend vorbehandelten Gefäßen mit geeignetem Verschluss vor neuerlichem Keimbefall geschützt. Durch Kälte konservierte Lebensmittel sind nur solange haltbar, als eine entsprechend niedrige Temperatur eingehalten wird (Pkt III Abs 75 Beilage ./7). Dosenkonserven sind trocken und kühl zu lagern und zweckmäßigerweise durch geeignete Maßnahmen vor Rost zu schützen (Pkt III Abs 76 Beilage ./7).

Der Begriff der „Konserve“ laut Lohnvertrag für die Erzeugung von Gemüsekonserven bezieht sich nach den dargestellten Bestimmungen auf die „Konservierung“ von Gemüse zur Verlängerung der Haltbarkeit. Auf die Art und die Dauer der Konservierung wird im Lohnvertrag nicht Bezug genommen. Die Konservierung ist auch nicht mit der Verwendung von Konservierungsmitteln gleichzusetzen. Aus Sicht des Lohnvertrags ist es daher nicht abwegig, die Behandlung der geschälten und zerteilten Kartoffeln bei der Beklagten als zumindest einfache Art der Konservierung zu betrachten, zumal auch die Vakuumverpackung unstrittig bezweckt, die Frische und damit die Haltbarkeit der Kartoffeln zu beeinflussen (8 ObA 22/12m).

Nach § 10 Pkt 2 des Rahmenkollektivvertrags kommt es für die Heranziehung des passenden Lohnvertrags auf den Erzeugungszweig an. Aus der Regelung des Geltungsbereichs des Lohnvertrags für die Erzeugung von Gemüsekonserven, wonach für Betriebe, die auch anderen Erzeugungssparten angehören, der Kollektivvertrag (gemeint: Lohnvertrag) nur dann anzuwenden ist, wenn die Obst- und Gemüseverwertung jahresumsatzmäßig überwiegt, ergibt sich, dass die jeweilige (überwiegende) Erzeugungssparte maßgebend ist. Für die Bestimmung des Erzeugungszweigs (der Erzeugungssparte) kann aber nicht primär auf die Verpackungsart abgestellt werden. Vielmehr muss es auf die Produkterzeugung ankommen. Diese besteht bei der Beklagten aber in der Verwertung bzw Verarbeitung von Kartoffeln. In diesem Sinn kann auch aus der vorgenannten Bestimmung zum Geltungsbereich des Lohnvertrags abgeleitet werden, dass für die Zuordnung zum Lohnvertrag die (Obst- und) Gemüseverwertung das entscheidende Kriterium darstellt. Die Frage, ob sich die Tätigkeit bzw der Schwerpunkt der Tätigkeit des Betriebs der Beklagten als Gemüseverwertung darstellt, ist für die bei der Beklagten verarbeiteten und verpackten Kartoffeln zweifellos zu bejahen (8 ObA 22/12m).

Hinsichtlich des auf § 21 des Rahmenkollektivvertrags gestützten, von beiden Vorinstanzen übereinstimmend verneinten Verfallseinwands der Beklagten erblickte das Berufungsgericht keine erhebliche Rechtsfrage. Auch die Beklagte macht in der Begründung der Zulässigkeit ihrer Revision (Punkt 1.) die Verfallsfrage nicht als erhebliche Rechtsfrage geltend.

Mangels Geltendmachung einer erheblichen Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO ist die Revision der Beklagten zurückzuweisen.

Die Klägerin konnte - wie die Beklagte - bei Einbringung ihrer Revisionsbeantwortung die Unzulässigkeit der Revision der Beklagten noch nicht erkennen, weil zu diesem Zeitpunkt die Entscheidung 8 ObA 22/12m noch nicht vorlag. Das Fehlen eines Hinweises auf die mangelnde Zulässigkeit der Revision schadet daher der Klägerin bei der Kostenentscheidung nicht. Der Kostenzuspruch kann sich diesfalls auf eine analoge Anwendung des § 50 Abs 2 ZPO stützen (vgl 8 Ob 23/08b ua).

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