OGH 13Os73/12b

OGH13Os73/12b10.7.2012

Der Oberste Gerichtshof hat am 10. Juli 2012 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Kirchbacher als Vorsitzenden sowie die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Marek und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Nordmeyer in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Marvan als Schriftführer in der Strafsache gegen Davor T***** wegen des Vergehens der Begehung einer mit Strafe bedrohten Handlung im Zustand voller Berauschung nach § 287 Abs 1 StGB, AZ 8 HR 109/12m des Landesgerichts Klagenfurt, über die Grundrechtsbeschwerde des Angeklagten gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Graz vom 14. Juni 2012, AZ 9 Bs 202/12t (ON 44a), nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Davor T***** wurde im Grundrecht auf persönliche Freiheit verletzt.

Der angefochtene Beschluss wird nicht aufgehoben.

Gemäß § 8 GRBG wird dem Bund der Ersatz der Beschwerdekosten von 800 Euro zuzüglich der darauf entfallenden Umsatzsteuer auferlegt.

Text

Gründe:

Der Einzelrichter des Landesgerichts Klagenfurt verhängte am 15. Mai 2012 über Davor T***** die Untersuchungshaft wegen des Verdachts des Verbrechens nach § 3g VG aus den Haftgründen der Fluchtgefahr und der Tatbegehungsgefahr nach § 173 Abs 1 und Abs 2 Z 1 und Z 3 lit a StPO (ON 13). Mit Beschluss vom 29. Mai 2012 setzte er die Untersuchungshaft nach Durchführung einer Haftverhandlung, in der vom Vertreter der Staatsanwaltschaft ein dem Beschuldigten Zurechnungsunfähigkeit infolge voller Berauschung attestierendes Gutachten vorgelegt und vom Verteidiger unter anderem der Erlag einer Kaution angeboten wurde, aus denselben Haftgründen nun wegen des Verdachts der Begehung einer mit Strafe bedrohten Handlung im Zustand voller Berauschung nach § 287 Abs 1 StGB fort (ON 28).

Rechtliche Beurteilung

Der dagegen von Davor T***** erhobenen Beschwerde gab das Oberlandesgericht Graz mit dem angefochtenen Beschluss vom 14. Juni 2012 nicht Folge, sondern ordnete die Fortsetzung der Untersuchungshaft aus den selben Haftgründen an (ON 44a).

Gestützt auf konkret bezeichnete Ermittlungsergebnisse der Sicherheitsdirektion Kärnten und auf Videoaufzeichnungen der Tathandlung ging das Beschwerdegericht ‑ ebenso wie übrigens die Staatsanwaltschaft in ihrer am 26. Juni 2012 eingebrachten Anklageschrift (ON 49) ‑ vom dringenden Verdacht aus, „Davor T***** habe sich am 12. Mai 2012 in B*****, wenn auch nur fahrlässig, jedenfalls überwiegend durch den Genuss von Alkohol in einen die Zurechnungsfähigkeit ausschließenden Rausch versetzt und im Rausch sich auf andere als die in den §§ 3a bis 3f VG bezeichnete Weise im nationalsozialistischen Sinn im Rahmen einer Gedenkveranstaltung der 'Kroatischen Emigration', an der insgesamt rund 8.000 Personen teilnahmen, betätigt, indem er im Bewusstsein der Bedeutung des 'Deutschen Grußes' und der Aussage 'Sieg Heil' im Kreise einer Gruppe, welche T‑Shirts mit dem Aufdruck 'Deutsch Kroatische Waffenbrüder' trugen, in zumindest sechs Wiederholungen den 'Deutschen Gruß' ausführte und diesen zumindest zweimal durch lautstarkes Skandieren der Parole 'Sieg Heil' untermauerte, mithin eine Handlung begangen, die ihm außer diesem Zustand als Verbrechen nach § 3g VG zugerechnet würde“ (BS 2).

Zur Annahme von Fluchtgefahr führte das Beschwerdegericht aus, dass „der kroatische Staatsangehörige in Österreich in keiner Weise sozial integriert ist, seinen Hauptwohnsitz und Lebensmittelpunkt in Kroatien hat, sodass in Verbindung mit der bei einer verdachtskonformen Verurteilung drohenden Sanktion konkret zu befürchten ist, dass er sich dem vorliegenden Strafverfahren durch Flucht ins Ausland (sein Heimatland Kroatien) zu entziehen versuchen wird (in Anbetracht der zugrunde liegenden Tat sowie der kroatischen Staatsbürgerschaft des Beschuldigten wäre auch eine Auslieferung aus Kroatien nicht zu erwarten)“.

Die Annahme von Tatbegehungsgefahr nach § 173 Abs 2 Z 3 lit a StPO begründete das Oberlandesgericht damit, dass die konkrete Gefahr bestehe, „der Angeklagte würde auf freiem Fuß ungeachtet des gegen ihn geführten Strafverfahrens insbesondere in alkoholisiertem Zustand eine strafbare Handlung mit schweren Folgen begehen, die gegen dasselbe Rechtsgut gerichtet ist wie die ihm angelastete Rauschtat mit schweren Folgen“. Diese konkrete Befürchtung ergebe sich „aus den bestimmten Tatsachen, dass der Angeklagte, der nach der Einschätzung eines unmittelbar anwesenden Doku-Beamten“ als „Frontmann“ der oben genannten Gruppierung aufgetreten und vom Einsatzkommandanten als „Chef“ der Gruppe bezeichnet worden sei, eine „rechtsorientierte Gesinnung“ zugestanden, „sogar wiederholt die Tathandlungen gesetzt“ und „in der Vergangenheit bereits mehrfach an derartigen Veranstaltungen“ teilgenommen habe.

Unverhältnismäßigkeit der Haft und deren Substituierbarkeit durch gelindere Mittel verneinte das Beschwerdegericht.

Die gegen diese Entscheidung gerichtete Grundrechtsbeschwerde des Angeklagten ist ‑ wie die Generalprokuratur in ihrer Stellungnahme zutreffend ausführt ‑ teilweise im Recht.

Zwar verfehlt der Beschwerdeführer mit dem Hinweis auf seine Verantwortung, den „Deutschen Gruß“ nicht getätigt, sondern lediglich in kroatischer Sprache eine historisch entstandene Grußformel geäußert zu haben, eine am Gesetz orientierte Beschwerdekritik, die zur Bekämpfung des dringenden Tatverdachts im Grundrechtsbeschwerdeverfahren an den Kriterien der Z 5 und 5a des § 281 Abs 1 StPO Maß zu nehmen hätte (vgl RIS-Justiz RS0110146). Zudem ist die Haft entgegen seinem weiteren Vorbringen angesichts ihrer Dauer, der Bedeutung der Sache und der zu erwartenden Strafe nicht unverhältnismäßig.

Im Recht ist er hingegen mit seiner Kritik an der Annahme von Tatbegehungsgefahr.

Die rechtliche Annahme einer der von § 173 Abs 2 StPO genannten Gefahren wird vom Obersten Gerichtshof im Rahmen des Grundrechtsbeschwerdeverfahrens ‑ vorbehaltlich der in § 173 Abs 3 StPO genannten Tatumstände, welche jedenfalls in Rechnung zu stellen sind ‑ dahin überprüft, ob sie aus den angeführten bestimmten Tatsachen abgeleitet werden durfte, ohne dass die darin liegende Ermessensentscheidung als willkürlich angesehen werden müsste (RIS-Justiz RS0117806 [T6, T13]).

Solche konkreten Tatsachen, aus denen die Annahme der Tatbegehungsgefahr abgeleitet werden durfte, sind der Entscheidung des Oberlandesgerichts nicht zu entnehmen.

Denn der Hinweis, der zurechnungsunfähige (nach der Aktenlage strafgerichtlich im Übrigen unbescholtene; ON 6 S 3 und ON 8 S 13) Angeklagte sei als „Frontmann“ oder „Chef“ einer im Beschluss des Oberlandesgerichts keineswegs der nationalsozialistischen Szene zugeordneten Gruppe aufgetreten, ist ebenso wenig aufschlussreich wie die im Haftfortsetzungsbeschluss weiters genannten Umstände, dass der Angeklagte eine „rechtsorientierte“ (keine „rechtsradikale“) Gesinnung zugestanden und in der Vergangenheit bereits mehrfach an ‑ im Beschluss nicht näher umschriebenen ‑ „derartigen Veranstaltungen“ (bloß) teilgenommen habe. Allein dass der Angeklagte im Zustand fortwährender Zurechnungsunfähigkeit mehrmals hintereinander den rechten Arm zum „Deutschen Gruß“ erhob und zweimal „Sieg Heil“ rief, vermag eine konkrete Gefahr der Begehung einer strafbaren Handlung mit schweren Folgen, die gegen dasselbe Rechtsgut gerichtet ist wie die ihm angelastete Straftat, nicht zu begründen.

Eine grundrechtskonforme Fundierung der Annahme von Tatbegehungsgefahr ist bei unveränderter Sachverhaltsgrundlage vor allem deshalb nicht zu erwarten, weil sich beim Angeklagten laut Gutachten des Sachverständigen gerade kein Hinweis auf einen vermehrten Alkoholkonsum oder eine Gewöhnung an Alkohol findet, sondern vielmehr von einer weitgehenden Alkoholabstinenz auszugehen ist (vgl ON 10 S 12, ON 44 S 8).

Beim allein verbleibenden Haftgrund der Fluchtgefahr nach § 173 Abs 2 Z 1 StPO ist der Angeklagte beim Verdacht einer Straftat, die dem Vergehen der Begehung einer mit Strafe bedrohten Handlung im Zustand voller Berauschung nach § 287 Abs 1 StGB zu subsumieren ist, im Hinblick auf die Strafdrohung zwingend gegen Kaution oder Bürgschaft sowie gegen Ablegung der im § 173 Abs 5 Z 1 und Z 2 StPO erwähnten Gelöbnisse freizulassen (§ 180 Abs 1 letzter Halbsatz StPO).

Der Einzelrichter im Ermittlungsverfahren des Landesgerichts Klagenfurt ist verpflichtet, unverzüglich den der Anschauung des Obersten Gerichtshofs entsprechenden Rechtszustand herzustellen (§ 7 Abs 2 GRBG), also die Höhe der Sicherheitsleistung zu bestimmen (§ 180 Abs 2 StPO) und den Angeklagten nach deren Leistung gegen Ablegung der im § 173 Abs 5 Z 1 und Z 2 StPO erwähnten Gelöbnisse (§ 180 Abs 1 StPO) aus der Untersuchungshaft zu entlassen.

Die Kostenersatzpflicht des Bundes gründet sich auf § 8 GRBG.

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