OGH 14Os66/12f

OGH14Os66/12f10.7.2012

Der Oberste Gerichtshof hat am 10. Juli 2012 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Philipp als Vorsitzenden, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger und Mag. Marek, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Nordmeyer und die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Fürnkranz in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Lindenbauer als Schriftführer in der Strafsache gegen Constantin B***** wegen mehrerer Verbrechen des schweren Raubes nach §§ 142 Abs 1, 143 erster, zweiter und dritter Fall StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Graz als Geschworenengericht vom 27. Februar 2012, GZ 6 Hv 176/06s-494, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Mag. Holzleithner, des Angeklagten Constantin B***** und seines Verteidigers Mag. Tomanek zu Recht erkannt:

 

Spruch:

In teilweiser Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde wird das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, im Strafausspruch aufgehoben und in diesem Umfang in der Sache selbst zu Recht erkannt:

Constantin B***** wird unter Bedachtnahme auf das Urteil des Bezirksgerichts Graz-Ost vom 12. März 2008, AZ 217 U 18/08x, gemäß § 31 StGB in Anwendung des § 28 Abs 1 StGB nach dem ersten Strafsatz des § 143 StGB zu einer Freiheitsstrafe von zehn Jahren und zehn Monaten als Zusatzstrafe verurteilt.

Über die Anrechnung der von Constantin B***** in Vorhaft zugebrachten Zeit hat das Erstgericht zu entscheiden.

Im Übrigen wird die Nichtigkeitsbeschwerde verworfen.

Mit seiner Berufung wird der Angeklagte auf die Strafneubemessung verwiesen.

Ihm fallen auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen - auf dem Wahrspruch der Geschworenen beruhenden - Urteil wurde Constantin B***** im zweiten Rechtsgang (zum ersten Rechtsgang siehe 14 Os 16/08x) mehrerer Verbrechen des schweren Raubes nach §§ 142 Abs 1, 143 erster, zweiter und dritter Fall StGB schuldig erkannt.

Danach hat er im einverständlichen Zusammenwirken mit den im ersten Rechtsgang rechtskräftig Verurteilten Artur S***** (außer Schuldspruch 3) und Vladimir M***** (außer Schuldspruch 4) sowie mit weiteren abgesondert verfolgten Mittätern, insbesondere mit Sergej P***** und Arsen I*****, mit Gewalt gegen Personen und durch Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben (§ 89 StGB) nachangeführten Personen fremde bewegliche Sachen mit auf unrechtmäßige Bereicherung gerichtetem Vorsatz weggenommen oder abgenötigt, wobei er die Raubüberfälle als Mitglied einer kriminellen Vereinigung unter Mitwirkung (§ 12 StGB - zumindest) eines anderen Mitglieds dieser Vereinigung und unter Verwendung einer Waffe verübte und „teilweise durch die ausgeübte Gewalt ein anderer schwer (§ 84 Abs 1 StGB) verletzt wurde“, nämlich

1. am 5. April 2005 in P***** auf der Südautobahn A2 Richtung Wien dem Christinel I***** eine Geldbörse samt 260 Euro und der Alexandra M***** eine Geldbörse mit 450 Euro, indem sie einen mit mehreren rumänischen Personen besetzten Kleinbus mit rumänischen Kennzeichen mit drei Fahrzeugen zum Anhalten zwangen, die Insassen unter Vorhalten zweier Faustfeuerwaffen zum Aussteigen aufforderten, hiebei einen Warnschuss abgaben, den Buslenker Christinel I***** aus dem Fahrzeug zerrten, unter Anwendung von massiver Körperkraft brutal zusammenschlugen und anschließend der Alexandra M***** deren Handtasche entrissen, wobei Christinel I***** im Kopf- und Rippenbereich leichte Verletzungen erlitt;

2. am 3. Mai 2005 in P***** am dortigen Parkplatz der Südautobahn A2 Richtung Wien dem tschechischen Lenker eines LKW mit tschechischen Kennzeichen, Vaclav D*****, dessen Mobiltelefon, einen Europaatlas und eine Straßenkarte sowie 100 Euro, 1.700 tschechische Kronen und 700 ungarische Forint, indem sie ihn unter Vorhalt ihrer Faustfeuerwaffen zum Aussteigen aus dem LKW aufforderten und mit einem ca 30 cm langen Gegenstand mehrmals gegen Brust- und Rückenbereich schlugen, wodurch er leichte Verletzungen erlitt;

3. am 9. Mai 2005 in S***** am dortigen Parkplatz der Südautobahn A2 Richtung Wien dem Lenker eines LKW, Nicu C*****, und dessen Beifahrer Lucian Bo***** 2.200 Euro, zwei Mobiltelefone und einen Ehering, indem sie mit einer Faustfeuerwaffe in das Fahrzeuginnere eindrangen und den Genannten Faustschläge in das Gesicht versetzten, wodurch Lucian Bo***** in Form von Prellungen und einem Bruch des Oberkiefers (zumindest teilweise) an sich schwere sowie Nicu C***** in Form einer Nasenprellung leichte Verletzungen erlitten;

4. am 10. Mai 2005 in St. J***** auf dem dortigen Parkplatz der Südautobahn A2 Richtung Wien den Insassen eines Minivan mit rumänischen Kennzeichen, Guta D*****, Costica Du***** und Carina Ca***** insgesamt 8.050 Euro, Schmuck, Bekleidung und zwei Mobiltelefone, indem sie mit zwei Täterfahrzeugen ein Wegfahren des Minivans verhinderten, mit vorgehaltener Faustfeuerwaffe Guta D***** zum Öffnen der Tür aufforderten und infolge dessen Weigerung einen Schuss abgaben, der die linke Hüfte des Genannten streifte, in der Folge von Guta D***** und Carina Ca***** die Herausgabe von Wertsachen forderten, den flüchtenden Costica Du***** einholten und durch Anwendung von Körperkraft brutal zu Boden schlugen und aus dessen Jacke dessen Bargeld an sich nahmen, ehe sie Carina Ca***** unter Bedrohung mit einer Schusswaffe Bargeld und Schmuck abnahmen, wobei Guta D***** an der rechten Hüfte und Costica Du***** durch Schläge im Gesichts- und Rückenbereich leicht verletzt wurden.

Rechtliche Beurteilung

Der dagegen aus den Gründen der Z 5 und 13 des § 345 Abs 1 StPO erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten kommt teilweise Berechtigung zu.

Entgegen dem Standpunkt der Verfahrensrüge (Z 5) wurden durch die Abweisung des - nach etwa sechseinhalbjähriger Verfahrensdauer am vierten Verhandlungstag des zweiten Rechtsgangs (ON 493 S 33 f) gestellten - Antrags, beim Flughafen von Verona „betreffend den 8. Mai 2005, 18:00 Uhr, hinsichtlich eines Fluges nach Chisinau, unter dem vom Angeklagten angegebenen Namen T***** S***** I*****“ und bei beiden Flughäfen Roms (Leonardo Da Vinci und Fiumicino) „betreffend eines Fluges aus Chisinau am 11. Mai 2005, wo der Angeklagte gemäß seiner Behauptung unter dem angegebenen Namen S***** I***** B***** gereist sei“, anzufragen, dies zum Beweis dafür, dass „der Angeklagte an den jeweiligen Tatzeitpunkten nicht im Inland aufhältig war und die ihm angelasteten Taten daher nicht begehen konnte“, Verteidungsrechte nicht verletzt.

Obwohl das Verhalten des Beschwerdeführers (der die dem Beweisantrag zugrunde liegende Behauptung erst am vierten und letzten Verhandlungstag des zweiten Rechtsgangs in dem seit August 2005 gegen ihn anhängigen Verfahren [ON 1 S 585] aufgestellt hatte, nachdem seine bisherige Verantwortung, unter seinem eigenen Namen am 8. Mai 2005 von Treviso/Italien nach Temesvar/Rumänien geflogen zu sein, widerlegt worden war [ON 303 S 35, ON 345 S 19 iVm ON 1 S 677, ON 360, ON 389 S 12, ON 422 S 36 f, ON 423 S 5, ON 435, ON 493 S 7 f, 11 f] eine bewusste Verfahrensverzögerung erkennen lässt, und damit eine entsprechende eingehende Begründung erforderlich gewesen wäre (RIS-Justiz RS0107040 [T11 und T12]), ließ sich dem Antrag nämlich nicht entnehmen, warum die begehrte Beweisaufnahme das vom Antragsteller behauptete Ergebnis (konkret den Nachweis, dass er es war, der sich unter Verwendung der angegebenen Namen als Passagier auf den - zudem hinsichtlich der angeblich benützten Fluglinie und teilweise auch des Zielflughafens und der Flugzeit nicht konkretisierten - Flügen befand, und damit ein Alibi für die ihm vorgeworfenen Taten) erwarten lasse. Das Begehren zielte damit auf eine im Erkenntnisverfahren unzulässige Erkundungsbeweisführung ab (vgl zum Ganzen RIS-Justiz RS0099453 und RS0107040; Ratz, WK-StPO § 281 Rz 330 ff, 342 ff).

In diesem Umfang war die Nichtigkeitsbeschwerde daher zu verwerfen.

Im Recht ist hingegen die Sanktionsrüge (Z 13 erster Fall) mit ihrem Einwand, das Erstgericht hätte gemäß § 31 StGB auf das (seit 18. März 2008 rechtskräftige) Urteil des Bezirksgerichts Graz-Ost vom 12. März 2008, AZ 217 U 18/08x (mit dem der Angeklagte wegen des Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB zu einer zweimonatigen Freiheitsstrafe verurteilt wurde; vgl die in der Hauptverhandlung verlesene [ON 493 S 35] Strafregisterauskunft ON 411), Bedacht nehmen und eine Zusatzstrafe verhängen müssen, weil die der gegenständlichen Verurteilung zugrunde liegenden Taten nach der Zeit ihrer Begehung schon im früheren Verfahren hätten abgeurteilt werden können (vgl dazu auch US 6). Die Nichtanwendung des § 31 StGB (trotz Erwähnung der Vorverurteilung in den Entscheidungsgründen) bewirkt Nichtigkeit aus Z 13 erster Fall des § 345 Abs 1 StPO (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 667 mwN, 670).

In Betreff der weiteren Verurteilung des Angeklagten durch das Bezirksgericht Graz-Ost vom 28. Juli 2008 (rechtskräftig seit 1. August 2008), AZ 215 U 57/08t, kommt Bedachtnahme nach § 31 StGB übrigens nicht in Betracht (worauf die Beschwerde demnach zu Recht auch gar nicht abzielt), weil die der Abstrafung zugrunde liegende Körperverletzung (§ 83 Abs 1 StGB) am 30. Mai 2008 begangen wurde und demnach nicht bereits am 12. März 2008 zu AZ 217 U 18/08x des Bezirksgerichts Graz-Ost abgeurteilt hätte werden können (vgl zum Ganzen RIS-Justiz RS0112524).

Anzumerken bleibt, dass der in der rechtlichen Unterstellung der den Schuldsprüchen 1, 2 und 4 zugrunde liegenden Taten (auch) unter den dritten Fall des § 143 StGB (trotz insoweit bloß leichter Verletzungsfolgen) gelegene Subsumtionsfehler angesichts der weiteren Subsumtion des Täterverhaltens unter die - die gleiche Strafdrohung aufweisende - Bestimmung des § 143 erster und zweiter Fall StGB per se keinen Nachteil im Sinn des § 290 Abs 1 zweiter Satz StPO darstellt (vgl Ratz, WK-StPO § 290 Rz 23) und dem Angeklagten auch bei der Strafbemessung kein Nachteil erwachsen ist, weil der Erschwerungsgrund der mehrfachen Qualifikation der Taten auch bei Wegfall einer dieser Qualifikationen in Ansehung dreier Schuldsprüche anzunehmen wäre.

Das Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, war demnach in teilweiser Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde im Strafausspruch aufzuheben und in diesem Umfang nach § 288 Abs 2 Z 3 StPO wie aus dem Spruch ersichtlich in der Sache selbst zu erkennen.

Bei der Strafneubemessung waren das Zusammentreffen von vier Verbrechen mit einem (der Bedachtnahmeverurteilung zugrunde liegenden) Vergehen, die mehrfache Qualifikation sowie die 1998 in Chisniau/Moldawien erlittene Vorverurteilung des Angeklagten wegen Diebstahls zu einer - bis 2004 verbüßten - elfjährigen Freiheitsstrafe erschwerend zu werten (vgl § 73 StGB). Dass das ausländische Urteil in einem den Grundsätzen des Art 6 MRK entsprechenden Verfahren erging, ist zufolge Ratifikation der Konvention durch Moldawien, das seit 1995 Mitglied des Europarats ist, anzunehmen, woran das - Gegenteiliges bloß substratlos behauptende - Vorbringen des Beschwerdeführers im Gerichtstag keine Zweifel zu erwecken vermag (vgl Flora in WK2 § 39 Rz 15).

Dagegen kommt dem Angeklagten der - zu Recht schon vom Erstgericht berücksichtigte - Milderungsgrund des § 34 Abs 2 StGB zugute, weil das gegen ihn geführte Verfahren, von dem er anlässlich seiner Inhaftierung am 8. August 2005 erfuhr (ON 76 S 161, ON 79; vgl EGMR 22. 5. 2007, Donner gegen Österreich, Nr 32.407/04; RIS-Justiz RS0124901) und in dem er sich seither (mit kurzen Unterbrechungen zum Vollzug von Freiheitsstrafen) in Untersuchungshaft befand (§ 9 Abs 2 StPO), aus einem nicht von ihm oder seinem Verteidiger zu vertretenden Grund unverhältnismäßig lange gedauert hat. Ohne die zwischenstaatlicher Zusammenarbeit (hier in Betreff beantragter Ladung und Vernehmung mehrerer im Ausland wohnhafter Zeugen) inhärenten Schwierigkeiten (die sich im aktuellen Fall insbesonders in der eingeschränkten Kooperationsbereitschaft der moldawischen Behörden manifestierte, die mehrfache - im Ergebnis erfolglose - Urgenzen der an sie gerichteten Rechtshilfeersuchen erforderte [vgl ON 412, 431, 432, 434, 451, 468 ff, 472, 475 f, 478, 481 f]) in Abrede zu stellen, kann die demnach etwa siebenjährige Verfahrensdauer nicht durch die - nicht weit überdurchschnittliche - Komplexität des Sachverhalts oder das - wenn auch verfahrensverschleppende Tendenzen (vgl oben) aufweisende - Verhalten des Angeklagten gerechtfertigt werden, zumal Phasen längerer Inaktivität des Gerichts zu erkennen sind (vgl die teilweise ineffektive Behandlung der Beweisanträge des Angeklagten: etwa zum ursprünglich begehrten Alibibeweis: ON 368, ON 1 S 685, S 703, ON 422 S 36, ON 424, 425, 427, 435, sowie die zwischen den Hauptverhandlungstagen im zweiten Rechtsgang liegenden Zeiträume: von rund vier Monaten bis zum Beginn der Hauptverhandlung, weiteren rund 8 ½ Monaten und letztlich etwa 2 Jahren und acht Monaten bis zu deren jeweiliger Neudurchführung [ON 389, 408, 422, 423, 493] und den gänzlichen Stillstand des Verfahrens zwischen der letzten Ergänzung des Rechtshilfeersuchens an die moldawischen Behörden am 5. Mai 2011 und der Ausschreibung der Hauptverhandlung für den 27. Februar 2012 am 23. Jänner 2012 [ON 482 und ON 1 S 727] trotz mehrfacher Urgenzen der Staatsanwaltschaft [ON 1 S 721 ff]; vgl zum Ganzen Grabenwarter/Pabel, EMRK5 § 24 Rz 69 ff).

Der Oberste Gerichtshof erkennt dies als Verletzung des Rechts auf ein faires Verfahren (Art 6 Abs 1 MRK) an und gleicht dies durch Reduktion der dem Unrecht der Taten und der Schuld des Angeklagten an sich angemessenen Zusatzstrafe von elf Jahren und zehn Monaten um ein Jahr aus.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a StPO.

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