OGH 3Ob70/12h

OGH3Ob70/12h14.6.2012

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Prückner als Vorsitzenden sowie den Hofrat Hon.-Prof. Dr. Neumayr, die Hofrätin Dr. Lovrek und die Hofräte Dr. Jensik und Dr. Roch als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei R***** K*****, vertreten durch Dr. Josef Purtscheller und andere Rechtsanwälte in Innsbruck, gegen die beklagte Partei B*****, vertreten durch Dr. Gregor Berchtold und Dr. Ralf Geymayer, Rechtsanwälte in Innsbruck, wegen Wiederaufnahme des zu AZ 1 R 228/11f beim Oberlandesgericht Innsbruck geführten Berufungsverfahrens (Streitwert 30.000 EUR sA), über den Rekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Innsbruck vom 21. März 2012, GZ 1 R 49/12h-3, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Dem Rekurs wird Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluss wird behoben und die Rechtssache an das Berufungsgericht zur Fortsetzung des Verfahrens über die Wiederaufnahmsklage zurückverwiesen.

Die Kosten des Rekursverfahrens bilden weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung

Der Kläger begehrte mit seiner am 11. November 2009 zu AZ 12 Cg 203/09x des Landesgerichts Innsbruck eingebrachten Klage von der beklagten Bank 30.000 EUR sA und die Feststellung, dass sie für ein Drittel aller künftigen Schäden hafte, die dem Kläger aus dem Abbruch der Verhandlungen über eine Kreditgewährung durch die Beklagte entstehen werden. Der Beklagten sei von allem Anfang an klar gewesen, dass die Finanzierung der Umschuldung bei einer anderen Bank bestehender Verbindlichkeiten diene. Die Finanzierung sei im November 2006 völlig überraschend mit der Begründung nicht genehmigt worden, dass bei einem Forderungsverzicht einer Bank keine Umschuldung vorgenommen würde. Der Kläger habe daraufhin die angestrebte Finanzierung zu schlechteren Konditionen erreichen müssen. Ein Mitverschulden im Ausmaß von zwei Dritteln gestehe der Kläger zu.

Die Beklagte wendete ein, die Finanzierung des Klägers sei aus mehreren Gründen abgelehnt worden. Der vom Kläger vorgebrachte Umstand, eine Finanzierung bei Forderungsverzicht einer Fremdbank sei prinzipiell nicht möglich, habe nur einen Teilaspekt dargestellt.

Das Landesgericht Innsbruck gab mit Urteil vom 5. August 2011 der Klage statt.

Das Berufungsgericht gelangte nach Beweiswiederholung zu vom Erstgericht abweichenden Feststellungen, die Vergabe von Krediten bei Umschuldungen sei im Rahmen der Geschäftspolitik der Beklagten grundsätzlich auch dann möglich, wenn die Umschuldung mit einem Forderungsverzicht einer anderen Bank verbunden sei. Der Grund für die Ablehnung der Kreditgewährung an den Kläger sei nicht allein der Umstand eines Forderungsausfalls einer anderen Bank gewesen, sondern habe auch auf anderen Gründen beruht, etwa dem geplanten 50 %igen Fremdwährungsanteil und den hieraus resultierenden Kreditrisken. In seiner Beweiswürdigung berief sich das Berufungsgericht für die geänderten Feststellungen auf die Aussagen zweier Zeugen. Einer hätte in der Berufungsverhandlung insbesondere ausgesagt, der andere hätte ihm den Forderungsverzicht der anderen Bank nur als weiteren Grund für die Ablehnung genannt. Ein weiteres Argument in der Beweiswürdigung war der von einem Zeugen genannte Umstand, dass selbst nach der Ablehnung der Kreditgewährung durch das zuständige Gremium der Beklagten über eine Kreditgewährung an den Kläger weiter verhandelt worden sei. Schließlich wurde in der Beweiswürdigung die Formulierung eines bestimmten Schreibens herangezogen, in dem das Wort „insbesondere“ darauf hindeute, dass nicht nur der Forderungsausfall der anderen Bank für die Kreditablehnung maßgeblich gewesen sei. Die geänderten Feststellungen führten zur Abänderung des Ersturteils im Sinn gänzlicher Klageabweisung.

Mit der am 8. März 2012 beim Oberlandesgericht Innsbruck als Berufungsgericht eingebrachten Wiederaufnahmsklage strebt der Kläger die Wiederaufnahme des Berufungsverfahrens mit der Begründung an, ein E-Mail vom 6. Dezember 2006 samt unterfertigtem Aktenvermerk vom 27. November 2006 sowie ein E-Mail vom 7. März 2012 samt handschriftlichem Aktenvermerk vom 27. November 2006 und ein weiteres Memo vom 24. November 2006 seien geeignet, die Behauptung des Zeugen, es sei nach Absage der Kreditgewährung durch die Beklagte noch über eine Kreditgewährung durch sie an den Kläger weiterverhandelt worden, zu widerlegen. Der Besprechungsbericht vom 27. November 2006 sei ein neues Beweismittel zum Beweis einer erst im Berufungsverfahren relevant gewordenen Tatsache, die in erster Instanz überhaupt nie in Rede gestanden sei. Nicht einmal die Beklagte habe vorgetragen, nach Kreditablehnung sei weiterverhandelt worden. Auch bei angespanntester Diligenzpflicht sei nur zu aktuell rechtlich wesentlichen Tatsachen Beweis oder Gegenbeweis zu führen. Der Aktenvermerk vom 27. November 2006 und das Memo vom 24. November 2006 seien dem Kläger bis zum 7. März 2012 nicht zur Verfügung gestanden. Der Kläger habe diese Urkunden daher ohne Verschulden bisher nicht vorlegen können. Auch der im Memo vom 24. November 2006 dokumentierte Wissensstand sei dem Kläger bislang nicht bekannt gewesen.

Das Oberlandesgericht Innsbruck wies die Wiederaufnahmsklage zurück. Die abstrakte Eignung des der Wiederaufnahmsklage zugrunde gelegten Besprechungsberichts vom 27. November 2006, eine für den Kläger günstigere Entscheidung herbeizuführen, könne nicht in Abrede gestellt werden, weil im Rahmen einer Gesamtschau aller Beweisergebnisse eine Zeugenaussage hiedurch eine andere Gewichtung erfahren könnte. Dem Kläger sei aber entgegenzuhalten, dass es bereits in erster Instanz wesentlicher Streitpunkt gewesen sei, weshalb die Finanzierung durch die Beklagte letztlich gescheitert sei. Hiebei sei die Frage Gegenstand der Beweisführung gewesen, ob vom Gremium der Beklagten die Finanzierung (allein) deswegen abgelehnt worden sei, weil eine Finanzierung grundsätzlich nicht gewährt werde, wenn sie mit einem Nachlass bei einer anderen Bank verbunden sei. Um diese Frage zu klären, sei auch der Inhalt der nach dem Scheitern der Finanzierung mit einem Zeugen geführten Gespräche maßgeblich, weil diese einen Rückschluss auf die Gründe der Ablehnung zuließen. Die nun der Wiederaufnahmsklage zugrunde gelegten Gesprächsnotizen und Memos bezögen sich nicht nur auf die Frage, ob mit der Beklagten nach Ablehnung der Finanzierung weiter verhandelt worden sei, sondern spiegelten umfänglich den Inhalt der vom Zeugen mit dem Kläger geführten Gespräche wieder. Von Bedeutung sei in diesem Zusammenhang weiters, dass die handschriftliche Notiz des Zeugen keine über den dem Kläger mit E-Mail vom 4. Dezember 2006 übermittelten Besprechungsbericht hinausgehende Information enthalte und auch das vom anderen Zeugen verfasste Memo in diesem Bericht vollinhaltlich eingeflossen sei. Die Vorlage des eine Gesamtschau aller Beweisergebnisse ermöglichenden Besprechungsberichts wäre für den Kläger zweifellos im Verfahren erster Instanz möglich gewesen, weil dieser Besprechungsbericht bereits mit E-Mail vom 4. Dezember 2006 an den Kläger übermittelt worden sei. Davon, dass er von diesem Beweismittel ohne sein Verschulden keinen Gebrauch habe machen können, könne daher keine Rede sein. Weshalb dem Kläger bei entsprechender Diligenz die diesen Besprechungsbericht zugrundeliegenden Aufzeichnungen der anderen Zeugen im erstinstanzlichen Verfahren des wiederaufzunehmenden Prozesses unzugänglich gewesen sein sollten, lasse das Vorbringen des Klägers in seiner Wiederaufnahmsklage nicht erkennen. Auf den Umstand, dass auf die oben dargestellte Hilfstatsache des Weiterführens von Verhandlungen nach Ablehnung der Finanzierung vom Kläger, aber auch von der Beklagten, im erstinstanzlichen Verfahren nicht Bezug genommen worden sei, komme es unter Bedachtnahme darauf, dass sich der Besprechungsbericht nicht bloß auf die Hilfstatsache, sondern auf den gesamten Ablauf der die Finanzierung betreffenden Gespräche beziehe, letztlich nicht an. Selbst unter Zugrundelegung der in der Wiederaufnahmsklage aufgestellten Behauptungen sei die Klage daher zurückzuweisen.

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs des Klägers, mit dem er die Aufhebung der Klagezurückweisung und die Zurückverweisung der Rechtssache zur weiteren Verhandlung an das Berufungsgericht anstrebt, ist zulässig und berechtigt.

Gemäß § 535 ZPO sind für die Anfechtbarkeit von Entscheidungen, die ein höheres Gericht im Zuge eines bei ihm anhängigen Nichtigkeits- oder Wiederaufnahmsverfahrens fällt, diejenigen Bestimmungen maßgebend, welche für dieses Gericht als Rechtsmittelinstanz maßgebend wären. Es gelten daher die Rekursbeschränkungen der §§ 519 und 528 ZPO (RIS-Justiz RS0043965). Wendet sich die Wiederaufnahmsklage gegen ein Urteil des Berufungsgerichts des Hauptprozesses, dann richtet sich die Anfechtung von im Wiederaufnahmsverfahren gefassten Beschlüsse des Berufungsgerichts nach § 519 ZPO und nicht nach § 528 ZPO (vgl 5 Ob 234/01z mwN). Die Zurückweisung einer Wiederaufnahmsklage, die sich gegen ein Urteil des Berufungsgerichts richtet, ist daher zufolge § 519 Abs 1 Z 1 ZPO unabhängig von der Höhe des Streitwerts jedenfalls anfechtbar (Kodek in Rechberger 3 § 535 Rz 1 mwN).

Zutreffend ist das Berufungsgericht von der abstrakten Eignung der Beweismittel ausgegangen, eine wesentliche Änderung der Beweiswürdigung herbeizuführen, weil auch neue Hilfstatsachen, aus denen Schlüsse auf eine Haupttatsache gezogen werden können, in Betracht kommen (RIS-Justiz RS0044411).

Zu den in jeder Lage des Verfahrens auch von Amts wegen wahrzunehmenden allenfalls fehlenden Zulässigkeitsvoraussetzungen für eine Wiederaufnahmsklage gehört auch der Mangel eines Verschuldens iSd § 530 Abs 2 ZPO (RIS-Justiz RS0044527; Jelinek in Fasching/Konecny 2 § 530 ZPO Rz 220 mwN). Eine Zurückweisung der Wiederaufnahmsklage wegen Verschuldens des Klägers ist aber nur dann möglich, wenn sich das Verschulden des Wiederaufnahmsklägers bereits aus den - als richtig angenommenen - Tatsachenbehauptungen der Klage ergibt oder wenn in der Klage jede Behauptung fehlt, dass die Geltendmachung des als Wiederaufnahmsgrund angeführten Beweismittels im Vorprozess ohne Verschulden unmöglich war (RIS-Justiz RS0044558). Ob der Wiederaufnahmskläger die neuen Tatsachen oder Beweismittel schon im Vorprozess hätte geltend machen können, ist vor Anberaumung einer Tagsatzung nicht zu prüfen (RIS-Justiz RS0044565, RS0044639); hängt die Wahrnehmung eines solchen Verschuldens von strittigen Tatsachen ab, so ist nicht schon im Vorprüfungsverfahren (§ 538 ZPO), sondern erst in der mündlichen Verhandlung mit Urteil zu entscheiden (RIS-Justiz RS0044527; Jelinek aaO mwN).

Der Kläger behauptete in seiner Wiederaufnahmsklage, er habe von der Existenz des Aktenvermerks vom 27. November 2006 erstmals in der Berufungsverhandlung erfahren, dort habe ihn aber das im Berufungsverfahren geltende Neuerungsverbot gehindert, sich auf neue Beweismittel zu berufen, vom Memo eines Zeugen vom 24. November 2006 habe er erst mit E-Mail vom 7. März 2012 erfahren. Davor sei ihm die Existenz dieser Unterlagen nicht einmal erahnbar gewesen.

Zwar befasst sich die Zurückweisungsbegründung des Berufungsgerichts mit dem Aktenvermerk vom 27. November 2006 und verweist darauf, dass dieser dem Kläger bereits mit E-Mail vom 6. Dezember 2006 zugekommen sei, die Behauptung des Klägers, das Memo vom 24. November 2006 sei ihm erst am 7. März 2012 zur Kenntnis gelangt, bleibt aber unwiderlegt. Schon aus diesem Grund kommt die Zurückweisung der Wiederaufnahmsklage wegen evidenten Verschuldens des Klägers an der verspäteten Geltendmachung des als maßgeblich angesehenen Beweismittels nicht in Frage. Hinzu kommt, dass die Beurteilung eines allfälligen Verschuldens des Klägers an einer verspäteten Berufung auf die nunmehr geltend gemachten Beweismittel auch im Hinblick auf sein schlüssiges Vorbringen zu den unterschiedlichen Beweisthemen in erster und zweiter Instanz des wiederaufzunehmenden Verfahrens nicht im Vorprüfungsverfahren erfolgen kann.

Die Zurückweisung der Wiederaufnahmsklage war daher zu beheben und dem Berufungsgericht die Verfahrensfortsetzung aufzutragen.

Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 Abs 2 ZPO.

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