OGH 3Ob63/12d

OGH3Ob63/12d15.5.2012

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Prückner als Vorsitzenden sowie den Hofrat Hon.-Prof. Dr. Neumayr, die Hofrätin Dr. Lovrek und die Hofräte Dr. Jensik und Dr. Roch als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei B***** GmbH, *****, vertreten durch Rechtsanwälte Maxwald - Bauer in Linz, gegen die beklagte Partei G***** GmbH, *****, vertreten durch Dr. Kleinszig/Dr. Puswald, Rechtsanwälte in St. Veit an der Glan, wegen 104.564,99 EUR (Revisionsinteresse 55.018,19 EUR sA), über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 23. Februar 2012, GZ 3 R 112/11d-22, womit über Berufung der beklagten Partei das Teilurteil des Handelsgerichts Wien vom 27. September 2011, GZ 16 Cg 73/10z-18, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision der beklagten Partei wird mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Text

Begründung

Mit Auftragsschreiben vom 12. März 2009 beauftragte die beklagte Partei, die mit der Erbringung von Bauleistungen bei einem Bauvorhaben in Wien befasst war, die klagende Partei mit der Vornahme von Dämm- und Verputzarbeiten (Auftragssumme 263.061,80 EUR). Die beiden im Mai bzw November 2009 gelegenen Fertigstellungstermine waren verschuldensabhängig pönalisiert.

Aufgrund zu niedriger Temperaturen konnte die klagende Partei ab 14. Dezember 2009 nicht mehr arbeiten. Wegen der Bauverzögerungen ergab sich die Notwendigkeit, die Fassade einzuhausen (= mit einer Plane zu umhüllen) und zu beheizen, um ein Arbeiten auch bei niedrigen Temperaturen zu ermöglichen. Am 11. Jänner 2010 beauftragte die beklagte Partei die klagende Partei auf Basis deren Angebots vom 11. Dezember 2009 über 10.040 EUR mit der Einhausung und Beheizung der Fassade (das Heizöl sollte nach tatsächlichem Verbrauch abgerechnet werden).

Am 8. Februar 2010 legte die klagende Partei eine erste Rechnung für Einhausung und Beheizung über 20.253,56 EUR (inkl. Heizölverbrauch bis 14. Februar 2010). Anlässlich einer Baubesprechung am 9. Februar 2010 gab die örtliche Bauaufsicht die Rechnung frei. Unter Bezugnahme darauf forderte die klagende Partei von der beklagten Partei umgehende Zahlung bis 16. Februar 2010, widrigenfalls die Betankung der Heizgeräte eingestellt würde. Die beklagte Partei lehnte die Zahlung ab und verlangte, dass weiter gearbeitet werde. Die klagende Partei stellte die Arbeiten ein und verlangte außerdem - am 16. Februar 2010 - von der beklagten Partei umgehend eine (vorerst betraglich nicht determinierte, dann mit 30.200 EUR bezifferte) Sicherstellung gemäß § 1170b ABGB für die noch ausstehenden Arbeiten bzw für den noch aushaftenden Betrag betreffend Dämmarbeiten und Gerüstung. In einem Telefonat vom 18. Februar 2010 lehnte der Geschäftsführer der beklagten Partei eine Sicherstellung ab. Schon am Vortag hatte die beklagte Partei eine Nachfrist für die Weiterführung der Arbeiten gesetzt, „widrigenfalls am 22. 2. 2010 Ersatzmaßnahmen“ eingeleitet werden.

Nach der Einstellung der Arbeiten durch die klagende Partei erklärte ein Mitarbeiter der beklagten Partei im Auftrag des Bauleiters der beklagten Partei am 18. Februar 2010 in einem mit „i.A.“ gezeichneten E-Mail, dass Ersatzvornahmen eingeleitet würden und sich die klagende Partei von der Baustelle entfernen möge. Die klagende Partei antwortete am 19. Februar 2010 per E-Mail, dass aufgrund der Aufkündigung des Vertrags durch die beklagte Partei alles bis auf die Gerüstung von der Baustelle entfernt werde; dieses Antwort-E-Mail wurde an den Bauleiter weitergeleitet. Die beklagte Partei antwortete darauf nicht. Mit Schreiben vom 25. Februar 2010 erklärte die klagende Partei mit der Begründung, dass die geforderte Sicherstellung trotz Setzung einer Nachfrist nicht erbracht worden sei, die Vertragsauflösung, falls der Vertragsrücktritt der beklagten Partei unwirksam sein sollte.

Zur Zeit des Sicherstellungsbegehrens der klagenden Partei war deren 7. Teilrechnung in nicht feststellbarer Höhe zur Zahlung offen, weiters ein nicht berechtigter Skonto-Abzug aus der 6. Teilrechnung in ebenfalls nicht feststellbarer Höhe.

Am 5. März 2010 legte die klagende Partei die Schlussrechnung über netto 76.862,16 EUR; die beklagte Partei ihrerseits nahm eine Abrechnung des Bauvorhabens vor, die zu einem offenen Betrag (zu ihren Gunsten) von 29.752,50 EUR führte.

Mit Teilurteil vom 27. September 2011 gab das Erstgericht dem einen Betrag von 104.564,99 EUR sA umfassenden Klagebegehren mit einem Betrag von 55.018,19 EUR sA statt und behielt die Entscheidung über das Mehrbegehren von 47. 311,82 EUR sA der Endentscheidung vor; im Umfang von 2.234,98 EUR sA (Kosten eines Privatgutachtens) wurde die Klage mit Beschluss zurückgewiesen.

Die Konditionen des Hauptvertrags seien auf den Vertrag über Einhausung und Beheizung nicht anzuwenden; die klagende Partei sei gemäß § 904 ABGB jederzeit zur Fälligstellung der Zahlungsverpflichtung der beklagten Partei aus diesem zweiten Vertrag berechtigt gewesen. Die Zahlungsverweigerung der beklagten Partei sei unberechtigt gewesen, weshalb die klagende Partei gerechtfertigterweise die Arbeiten eingestellt habe. Bei einem zum damaligen Zeitpunkt ausstehenden Entgelt von 78.148,96 EUR habe die klagende Partei zu Recht - allerdings erfolglos - angemessene Sicherstellung in Höhe von 30.200 EUR innerhalb ausreichender Frist verlangt. Weitere Fristsetzungen seien angesichts der Weigerung der beklagten Partei sinnlos gewesen, weshalb die klagende Partei zum sofortigen Rücktritt berechtigt gewesen sei. Der Zuspruch im Teilurteil resultiere aus der Überlegung, dass dieser Betrag der klagenden Partei jedenfalls zustehe.

Das Berufungsgericht verneinte eine Mangelhaftigkeit des erstinstanzlichen Verfahrens, übernahm die Feststellungen des Erstgerichts und bestätigte auch die erstgerichtliche Rechtsansicht. Bei dem Vertrag über die Einhausung und Beheizung der Fassade, einem „gemischten Vertrag“, handle es sich um einen vom ursprünglich abgeschlossenen Bauwerkvertrag losgelösten selbständigen Vertrag, dem nicht die Zahlungsbedingungen des Grundauftrags zugrunde lägen. Die Anwendung des § 904 ABGB durch das Erstgericht begegne keinen Bedenken. Die gesetzte Frist für eine Sicherstellung nach § 1170b Abs 2 ABGB sei angemessen. Angesichts der endgültigen Weigerung der beklagten Partei, eine Sicherstellung zu leisten, habe es auch keiner weiteren Nachfristsetzung bedurft.

Rechtliche Beurteilung

In ihrer außerordentlichen Revision macht die beklagte Partei keine erhebliche Rechtsfrage (§ 502 Abs 1 ZPO) geltend.

Die beklagte Partei bezeichnet - kurz zusammengefasst - folgende Rechtsfragen als erheblich:

(a) Die rechtliche Beurteilung der Vorinstanzen sei einzelfallbezogen zu korrigieren, weil nicht geprüft worden sei, welcher Sphäre der Verzug zuzurechnen sei. Die Einstellung der Arbeiten durch die klagende Partei sei aus diesem Grund unberechtigterweise erfolgt, aber auch mangels der Voraussetzungen des § 1052 ABGB.

(b) Der Zusatzauftrag betreffend Einhausung und Beheizung unterliege den Bedingungen des Hauptvertrags und damit Werkvertragsrecht. Selbst bei Qualifikation als selbständiger Vertrag wäre die klagende Partei nicht berechtigt gewesen, die Erbringung der Leistungen laut Grundvertrag einzustellen.

(c) Es fehle höchstgerichtliche Rechtsprechung zur Frage, ob der grundsätzlich vorleistungspflichtige Werkunternehmer berechtigt sei, die Werkleistungen zeitgleich mit Anforderung einer Sicherstellung einzustellen, weiters dazu, ob auch die Nichtzahlung einer aus Sicht des Werkbestellers unberechtigten Rechnung ein Sicherstellungsbegehren rechtfertige.

(d) Es fehle Rechtsprechung zur Frist zur Beschaffung einer Sicherstellungssumme von 30.200 EUR.

(e) Es fehle Rechtsprechung, wann im Anwendungsbereich des § 1170b ABGB eine Nachfristsetzung hinsichtlich des Vertragsrücktritts entfallen könne.

Letztlich können alle diese Fragen nur unter Bezugnahme auf die konkret zwischen den Parteien getroffenen Vereinbarungen und damit einzelfallbezogen beantwortet werden. Fragen der Auslegung von Verträgen und der sich daraus ergebenden Verpflichtungen bilden - von einem (hier nicht vorliegenden) Fall krasser Fehlbeurteilung abgesehen - regelmäßig keine erhebliche Rechtsfrage (RIS-Justiz RS0044358 ua).

Im Einzelnen zu den Argumenten in der außerordentlichen Revision:

1. Aus Gründen der Übersicht ist es zweckmäßig, den zeitlichen Ablauf laut den erstgerichtlichen Feststellungen (Seiten 11 f des Ersturteils) konzentriert darzustellen.

8. Februar 2010: Die klagende Partei legt Rechnung über 20.253,56 EUR für Heizung und Einhausung.

12. Februar 2010: Die klagende Partei fordert von der beklagten Partei die Zahlung der Rechnung bis 16. Februar, bei sonstiger Einstellung der Betankung.

16. Februar 2010: Die klagende Partei erklärt, die Betankung einzustellen und verlangt unter Berufung auf § 1170b ABGB Sicherstellung in nicht genannter Höhe als Voraussetzung für die Weiterarbeit; aufgrund der niedrigen Temperaturen war ein Weiterarbeiten ab 17. Februar 2010 nicht mehr möglich.

16. Februar 2010: Die beklagte Partei retourniert die Rechnung und fordert Weiterarbeit.

17. Februar 2010: Die klagende Partei beharrt auf Zahlung der Rechnung und Sicherstellung (ohne Betragsnennung) und stellt die Arbeiten ein.

17. Februar 2010: Die beklagte Partei setzt eine Nachfrist für die Weiterarbeit mit „18. 2. 2010, 8 Uhr“, widrigenfalls am 22. Februar 2010 Ersatzmaßnahmen eingeleitet würden.

18. Februar 2010, 8.54 Uhr: Die klagende Partei verlangt Sicherstellung in Höhe von 30.200 EUR und setzt eine Frist bis 24. Februar 2010.

18. Februar 2010: Ein Mitarbeiter der beklagten Partei fordert die klagende Partei auf, die Baustelle zu verlassen.

Vor dem dem 18. Februar 2010 (= Donnerstag) folgenden Wochenende: Der Geschäftsführer der beklagten Partei lehnt in einem Telefonat eine Sicherstellung dezidiert ab.

19. Februar 2010: Die klagende Partei akzeptiert die Kündigung durch die beklagte Partei.

25. Februar 2010: Die klagende Partei erklärt Vertragsauflösung wegen fehlender Sicherheit nach § 1170b ABGB.

2. Die Vorinstanzen haben sich ausführlich mit der Frage auseinandergesetzt, ob für den Zusatzauftrag vom 11. Jänner 2010 ebenfalls die Bedingungen des „Hauptauftrags“ gelten. Sie sind - keineswegs unvertretbar - zur Auffassung gelangt, dass die Konditionen des Hauptauftrags, insbesondere zur Fälligkeit von Zahlungen, nicht auf diesen zusätzlichen Auftrag anzuwenden sind und dass die Rechnung vom 8. Februar 2010 wegen Einhausung und Beheizung sofort fällig wurde (§ 904 Satz 1 ABGB). Die von der klagenden Partei am Freitag, 12. Februar 2010 auf Dienstag, 16. Februar 2010 gesetzte Nachfrist von vier Tagen ist in Anbetracht der gegebenen Umstände angemessen. Im Hinblick auf den Schuldnerverzug der beklagten Partei, der durch die Nichtzahlung der Rechnung vom 8. Februar 2010 eingetreten ist, ist die klagende Partei - anders als die beklagte Partei in der Klagebeantwortung (AS 15) meint - berechtigterweise in Form der Einstellung der Arbeiten vom Vertrag zurückgetreten (§ 918 Abs 1 ABGB).

Die Nichtanwendbarkeit der Bedingungen des Hauptauftrags auf den Zusatzauftrag ändert nichts am Rücktrittsrecht hinsichtlich des gesamten Vertragsverhältnisses, war doch angesichts der Temperaturen eine Weiterarbeit ohne Beheizung ab dem 17. Februar 2010 nicht mehr möglich (vgl RIS-Justiz RS0018450 [T1]).

4. § 1170b ABGB spielt im gegebenen Zusammenhang keine Rolle; die betragliche Sicherstellung wurde erst am 18. Februar 2010, also nach dem Rücktritt verlangt.

Die außerordentliche Revision der beklagten Partei ist daher mangels erheblicher Rechtsfrage (§ 502 Abs 1 ZPO) zurückzuweisen.

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