OGH 13Os158/11a

OGH13Os158/11a10.5.2012

Der Oberste Gerichtshof hat am 10. Mai 2012 durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Lässig als Vorsitzenden sowie den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon-Prof. Dr. Kirchbacher, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Marek und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Nordmeyer und Dr. Oshidari in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Wohlmuth als Schriftführerin in der Strafsache gegen Daniela L***** wegen des Verbrechens der Tötung eines Kindes bei der Geburt nach § 79 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung der Angeklagten sowie die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts Linz als Schöffengericht vom 7. Oktober 2011, GZ 34 Hv 46/11k-38, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

In Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde wird das angefochtene Urteil aufgehoben, eine neue Hauptverhandlung angeordnet und die Sache an das Landesgericht Linz verwiesen.

Mit ihren Berufungen werden die Angeklagte und die Staatsanwaltschaft auf diese Entscheidung verwiesen.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Daniela L***** des Verbrechens der Tötung eines Kindes bei der Geburt nach §§ 2, 79 StGB schuldig erkannt.

Danach hat sie am 29. November 2010 in G***** ihr Kind während der Geburt getötet, indem sie es, obwohl sie als Mutter dazu verpflichtet gewesen wäre, unterlassen hat, das Kind aus der Klosettmuschel zu befreien, wodurch es erstickte.

Rechtliche Beurteilung

Die dagegen von der Angeklagten aus Z 5 und 5a des § 281 Abs 1 StPO ergriffene Nichtigkeitsbeschwerde ist aus dem erstgenannten Grund im Recht.

Den Feststellungen zufolge brachte die Angeklagte auf der Toilette sitzend ein lebendes Kind in Form einer Sturzgeburt zur Welt. Dieses glitt aus dem Geburtskanal und stürzte mit dem Kopf voran in die Klosettmuschel. Sie ließ das Kind dort in dieser Position stecken und befreite es nicht aus der lebensgefährlichen Situation, obgleich ihr dies aufgrund ihres psychischen und physischen Gesundheitszustands möglich gewesen wäre. Der Säugling starb in der Folge aufgrund einer Behinderung der Atemluftaufnahme im Siphon der Toilette, in den er eingepresst wurde (US 4). Die Angeklagte kollabierte nach der Geburt. Sie handelte willensgesteuert, als sie es unterließ, das gerade geborene Kind aus der Toilette zu befreien (US 6).

Den Konstatierungen zur „Handlungs- und Zurechnungsfähigkeit“ der Angeklagten legten die Tatrichter „bedenkenlos“ das ohne weiteres als „widerspruchsfrei und nachvollziehbar“ beurteilte Gutachten des Sachverständigen aus den Gebieten Neurologie und Psychiatrie zugrunde (US 7; ON 32 iVm ON 37 S 2 ff).

Der Gutachtensauftrag hatte unter anderem die Frage umfasst, ob die Angeklagte „zum Tatzeitpunkt handlungsunfähig“ war, „dies vor allem in Hinblick auf das offenkundige Nichtwahrnehmen der Schwangerschaft“ durch sie „sowie die erlittene Sturzgeburt“ (ON 30).

In seinem schriftlichen Gutachten führte der Sachverständige aus, dass die Angeklagte „zum Tatzeitpunkt“ - ohne dass der damit gemeinte Zeitpunkt in der Expertise näher definiert wurde - „handlungsfähig“ gewesen sei. Sie habe für die Zeit unmittelbar nach der Geburt glaubhaft einen Kollapszustand beschrieben, der plötzlich durch den Anblick des vielen Blutes entstanden sei. In „einem derartigen kollabierten Zustand“ sei das Bewusstsein eingeschränkt „und ein Mensch nicht in der Lage weder einfache noch komplexere motorische Handlungen durchzuführen“. Zudem hielt der Sachverständige fest: „Derartige kollabierte Menschen können keine gezielten Handlungen setzen, an die sie sich nachher nicht mehr erinnern können“ (ON 32 S 14 f). In der Hauptverhandlung hielt der Sachverständige das Gutachten aufrecht und führte aus, im kollabierten Zustand sei eine „derartig betroffene Person nicht handlungsfähig“ (ON 37 S 2 f).

Die Mängelrüge (der Sache nach Z 5 vierter Fall) zeigt zutreffend auf, dass die Tatrichter, indem sie auf das als schlüssig beurteilte Gutachten verwiesen, ohne sich mit den dargelegten, in entgegen gesetzte Richtungen weisenden Ausführungen des Sachverständigen zu befassen, die Feststellung offenbar unzureichend begründeten, der Angeklagten sei es unmittelbar nach der Geburt aufgrund ihres psychischen und physischen Zustands möglich gewesen, das Kind aus der lebensgefährlichen Situation zu befreien (RIS-Justiz RS0119301).

Daher war, ohne dass es noch der Erörterung der weiteren Einwände bedurfte, der Nichtigkeitsbeschwerde bei der nichtöffentlichen Beratung - in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur - sofort Folge zu geben und wie aus dem Spruch ersichtlich zu entscheiden (§§ 285e, 288 Abs 2 Z 1 StPO).

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