Spruch:
Im Verfahren AZ 24 Hv 94/11d (vormals AZ 38 Hv 121/10a) des Landesgerichts Innsbruck gegen Stefan G***** wegen § 88 Abs 1 und Abs 4 zweiter Fall StGB verletzen
1. das Urteil des Landesgerichts Innsbruck vom 18. Februar 2011, GZ 38 Hv 121/10a-39, im Schuldspruch wegen des Vergehens des Imstichlassens eines Verletzten nach § 94 Abs 1 StGB diese Bestimmung;
2. das Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom 18. August 2011, AZ 7 Bs 301/11i, im Unterlassen der Aufhebung des zuvor genannten Schuldspruchs § 290 Abs 1 zweiter Satz StPO iVm §§ 489 Abs 1, 471 StPO.
Das Urteil des Landesgerichts Innsbruck vom 18. Februar 2011, GZ 38 Hv 121/10a-39, wird im Schuldspruch nach § 94 Abs 1 StGB aufgehoben und es wird die Sache (auch in diesem Umfang) an das Landesgericht Innsbruck zur neuen Verhandlung und Entscheidung verwiesen.
Text
Gründe:
Mit Urteil des Landesgerichts Innsbruck vom 18. Februar 2011, GZ 38 Hv 121/10a-39, wurde Stefan G***** im Sinn der in der Hauptverhandlung vom 19. Oktober 2010 von der Staatsanwaltschaft Innsbruck mündlich ausgedehnten Alternativanklage (ON 25 S 3; zu deren Zulässigkeit siehe Fabrizy, StPO11 § 210 Rz 3; Ratz, WK-StPO § 281 Rz 505 und 514) wegen des am 5. Februar 2010 zum Nachteil des Mathias N***** begangenen Vergehens des Imstichlassens eines Verletzten nach § 94 Abs 1 StGB schuldig erkannt.
Vom Vorwurf der ursprünglich gegen ihn erhobenen Anklage, er habe am 5. Februar 2010 in L***** als Lenker eines im Urteil näher bezeichneten PKW bei feuchter Fahrbahn, Dunkelheit, relativ überhöhter Geschwindigkeit und im alkoholisierten Zustand bei einem Blutalkoholgehalt von 0,78 ‰, sohin insgesamt unter besonders gefährlichen Verhältnissen (§ 81 Abs 1 Z 1 StGB), durch mangelnde Vorsicht und Aufmerksamkeit im Straßenverkehr Mathias N***** fahrlässig schwer am Körper verletzt, wurde Stefan G***** gemäß § 259 Z 3 StPO freigesprochen.
Den Freispruch gründete der Einzelrichter darauf, dass nicht mit der erforderlichen Sicherheit festgestellt werden konnte, ob sich der Angeklagte ungeachtet seiner Alkoholisierung überhaupt unfallvermeidend bzw schadenvermindernd verhalten hätte können, ob also „ein fahrlässiges Verhalten“ des Angeklagten „kausal für das Unfallgeschehen“ war (US 28; vgl zur objektiven Erfolgszurechnung Burgstaller in WK2 § 6 Rz 60 ff und § 80 Rz 67 ff).
Den Feststellungen des Erstgerichts zum Vorwurf nach § 94 Abs 1 StGB zufolge setzte der Angeklagte, nachdem er die Kollision bemerkt hatte und ihm „bewusst“ geworden war, dass er eine Person angefahren hatte, die dadurch schwerste Verletzungen erlitten haben musste, ungeachtet seiner Verursachung des Unfalls seine Fahrt ca 100 bis 200 Meter bis zu seinem Haus fort und bat seine Ehefrau um Hilfe, woraufhin er sich zunächst gemeinsam mit dieser zur Unfallstelle begab, selbst jedoch wieder nach Hause zurückkehrte, während seine Frau bis zum Eintreffen der Polizei zurückblieb und zunächst angab, das Fahrzeug gelenkt zu haben. Der Angeklagte unterließ es dabei, Mathias N***** die für ihn erkennbare erforderliche Hilfe zu leisten. Er „wusste“, dass er im Zuge der Verursachung eines Verkehrsunfalls zur Hilfeleistung gegenüber dem Verletzten verpflichtet ist. Eine solche Hilfeleistung wäre ihm auch zumutbar gewesen (US 13 f).
Der vom Privatbeteiligten Mathias N***** gegen den Freispruch erhobenen Berufung wegen des Nichtigkeitsgrundes nach § 281 Abs 1 Z 4 StPO (§§ 489, 282 Abs 2 StPO) gab das Oberlandesgericht Innsbruck als Berufungsgericht mit Urteil vom 18. August 2011, AZ 7 Bs 301/11i (ON 57 der Hv-Akten) Folge, hob das angefochtene Urteil in seinem freisprechenden Teil und im Ausspruch über die Strafe auf und verwies die Sache in diesem Umfang zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Landesgericht Innsbruck. Den Schuldspruch wegen des Vergehens des Imstichlassens eines Verletzten nach § 94 Abs 1 StGB ließ das Berufungsgericht unberührt.
Ein neues Urteil wurde im zweiten Rechtsgang bislang nicht gefällt.
Rechtliche Beurteilung
Das Urteil des Landesgerichts Innsbruck vom 18. Februar 2011 sowie jenes des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom 18. August 2011 verletzen - wie die Generalprokuratur in ihrer zur Wahrung des Gesetzes erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zutreffend ausführt - das Gesetz:
Es unterlässt auch derjenige vorsätzlich die erforderliche Hilfe zu leisten, der, obgleich er zumindest mit der objektiv gegebenen Hilfebedürftigkeit des Verletzten ernstlich rechnet, annimmt, dass dritte Personen sich um den Verletzten kümmern werden, und dies daher selbst nicht tut (RIS-Justiz RS0074172). Der in § 94 Abs 1 StGB normierten Pflicht wird nicht schon entsprochen, wenn der Täter oder ein Dritter die Rettung verständigt oder ärztliche Hilfe anfordert; der primär hilfeleistungspflichtige Täter ist dieser gesetzlichen Verpflichtung erst dann entbunden, wenn der Verletzte sachkundige Hilfe von anderer Seite tatsächlich erhält (RIS-Justiz RS0093431). Der Vorsatz des Täters muss dabei nicht nur das Wissen umfassen, dass er jemanden verletzt hat und das Opfer der Hilfe bedarf, der Täter muss vielmehr auch die erforderliche Hilfe unterlassen wollen (§ 5 Abs 1 StGB; RIS-Justiz RS0093408).
Die vom Erstrichter getroffenen Feststellungen lassen aber nicht erkennen, ob der Vorsatz des Angeklagten auch die nach § 5 Abs 1 StGB erforderliche Willenskomponente bezüglich der Unterlassung der gebotenen Hilfeleistung umfasste. Es fehlt eine klare Aussage darüber, ob sich der Täter mit der Tatbildverwirklichung abgefunden hat oder nicht. Damit leidet das Ersturteil im Schuldspruch wegen des Vergehens nach § 94 Abs 1 StGB an einem Rechtsfehler mangels Feststellungen (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 605, 611). Dieser wirkte sich zum Nachteil des Angeklagten aus, sodass sich der Oberste Gerichtshof veranlasst sah, das Urteil in diesem Umfang aufzuheben (§ 292 letzter Satz StPO).
Das Oberlandesgericht Innsbruck als Berufungsgericht indes wäre verhalten gewesen, aus Anlass der Berufung des Privatbeteiligten Mathias N***** (vgl Ratz, WK-StPO § 290 Rz 5, 7) den mit materieller Nichtigkeit behafteten Schuldspruch nach § 94 Abs 1 StGB von Amts wegen aufzuheben (§ 281 Abs 1 Z 9 lit a StPO). Diese Gesetzesverletzung war lediglich festzustellen.
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