OGH 4Ob47/12h

OGH4Ob47/12h17.4.2012

Der Oberste Gerichtshof hat als Rekursgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Schenk als Vorsitzende und die Hofräte Dr. Vogel, Dr. Jensik, Dr. Musger und Dr. Schwarzenbacher als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei V*****, vertreten durch Kosesnik-Wehrle & Langer Rechtsanwälte KEG in Wien, gegen die beklagte Partei U*****, vertreten durch Schönherr Rechtsanwälte KEG in Wien, wegen Unterlassung und Urteilsveröffentlichung (Gesamtstreitwert: 36.000 EUR), über den Rekurs der beklagten Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 28. Dezember 2011, GZ 15 R 212/11y-11, mit welchem das Urteil des Handelsgerichts Wien vom 5. September 2011, GZ 22 Cg 89/10x-7, aufgehoben und dem Erstgericht die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufgetragen wurde, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Der Rekurs wird zurückgewiesen.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 1.961,64 EUR bestimmten Kosten der Rekursbeantwortung (darin 326,94 EUR Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Begründung

Rechtliche Beurteilung

1. Die Parteien streiten über die Frage, ob die Ankündigung der Beklagten, ihr Lebensmittel decke 50 % des täglichen Bedarfs an Obst und Gemüse, zur Irreführung der angesprochenen Kreise geeignet ist. Das Berufungsgericht hat die Entscheidung des Erstgerichts aufgehoben, weil dieses die Unrichtigkeit dieser Ankündigung ohne Einholung eines Gutachtens bejaht hatte. In seiner rechtlichen Beurteilung führte das Berufungsgericht unter anderem aus, dass es bei irreführenden Geschäftspraktiken unerheblich sei, ob das belangte Unternehmen die berufliche Sorgfalt eingehalten habe oder nicht. Den Rekurs ließ es zu, weil der Oberste Gerichtshof zur letztgenannten Frage ein Vorabentscheidungsersuchen an den Europäischen Gerichtshof gerichtet habe (4 Ob 27/11s = ÖBl 2012, 61 - Schulschikurse).

2. Die Beklagte vertritt in ihrem Rekurs die Auffassung, dass sie die berufliche Sorgfalt eingehalten habe und dies das Vorliegen einer irreführenden Geschäftspraktik ausschließe. Auf dieser Grundlage beantragt sie die Abweisung des Klagebegehrens, gesteht dabei aber zu, dass zuvor „allenfalls“ die Vorabentscheidung des Europäischen Gerichtshofs abzuwarten sein werde. In der Sache strebt sie daher zunächst eine Unterbrechung des Verfahrens an.

3. Der auch hier erkennende Senat hat im oben genannten Vorabentscheidungsersuchen Folgendes ausgeführt:

„Einerseits könnte angenommen werden, dass ein unter Art 6 bis 9 RL-UGP (§ 2 UWG) fallendes Verhalten die Voraussetzungen des Art 5 Abs 2 lit a RL-UGP jedenfalls erfüllt und daher immer auch gegen die berufliche Sorgfalt verstößt. Nach diesem Verständnis wäre die Geschäftspraktik schon dann unlauter, wenn das beanstandete Verhalten aus Sicht des Durchschnittsverbrauchers irreführenden oder aggressiven Charakter hat; ob es auch im Widerspruch zu den Erfordernissen der beruflichen Sorgfalt steht, wäre nicht gesondert zu prüfen. Andererseits könnte aber auch die Auffassung vertreten werden, dass bei Vorliegen einer aus Sicht des Durchschnittsverbrauchers irreführenden oder aggressiven Geschäftspraktik zusätzlich zu prüfen ist, ob das beanstandete Verhalten den Erfordernissen der beruflichen Sorgfalt widerspricht. Nach diesem Verständnis müsste es dem Unternehmer möglich sein, aufgrund der Umstände des Einzelfalls zu beweisen, dass er die berufliche Sorgfalt eingehalten hat.“

4. Selbst wenn man daher die Einhaltung der beruflichen Sorgfalt für relevant hielte, müsste sie bei objektiver Irreführungseignung einer Geschäftspraktik vom belangten Unternehmer behauptet und bewiesen werden. Die Beklagte stützt sich dafür, soweit im Rekursverfahren noch relevant, auf Prüfberichte einer Lebensmittelversuchsanstalt, die die Verkehrsfähigkeit ihres Produkts bejaht hatten. Den Inhalt dieser Berichte hat das Erstgericht durch Verweis auf die Urkunden festgestellt. Ihnen lässt sich indes nicht mit der nötigen Deutlichkeit entnehmen, dass die Versuchsanstalt auch die Irreführungseignung der beanstandeten Äußerung geprüft hätte. Vielmehr heißt es jeweils, dass die „vorliegende Probe einer mikrobiologischen, sensorischen und chemischen Untersuchung“ unterzogen worden sei. Ob diese Untersuchungen auch die Frage betrafen, wie hoch nach dem derzeitigen Stand der Wissenschaft der tägliche Bedarf an Obst und Gemüse ist und ob die Zubereitung der Beklagten tatsächlich ausreiche, diesen Bedarf zur Hälfte abzudecken, ist nicht erkennbar. Soweit einige Prüfberichte ausführen, die jeweilige Probe entspreche den Bestimmungen der Lebensmittelkennzeichnungsverordnung und der Nährwertkennzeichnungsverordnung, fehlt dafür jede Begründung; zudem ist nicht ersichtlich, dass sich die diesbezügliche Prüfung tatsächlich auch auf die konkret beanstandete Ankündigung bezogen hätte. Ein die Einhaltung der beruflichen Sorgfalt rechtfertigendes Vertrauen auf die Prüfberichte könnte in diesem Zusammenhang jedenfalls nur dann bestehen, wenn darin auch eine nachvollziehbare Begründung für die Richtigkeit der konkret strittigen Aussage enthalten wäre. Vollends deutlich wird die fehlende Aussagekraft im Prüfbericht vom 20. Oktober 2010 (Beilage ./8). Denn dort führt die Versuchsanstalt aus, die Probe entspreche den Bestimmungen der VO (EG) Nr 1924/2006 (Health Claims VO) „unter der Voraussetzung, dass die gesundheitsbezogenen Angaben nachweislich und nachvollziehbar wissenschaftlich belegt werden können.“ Eine inhaltliche Überprüfung hat hier also gerade nicht stattgefunden. Dieser Prüfbericht ist der jüngste der von der Beklagten vorgelegten. Er lässt es daher besonders zweifelhaft erscheinen, dass in den früheren Begutachtungen eine umfassende Prüfung erfolgt wäre.

5. Auf dieser Tatsachengrundlage kommt es auf die vom Rekursgericht - bei abstrakter Betrachtung zutreffend - als erheblich angesehene Frage im konkreten Fall nicht an. Denn ist, was im weiteren Verfahren zu prüfen sein wird, die Ankündigung objektiv zur Irreführung geeignet, hätte die Beklagte mit den Prüfberichten die Einhaltung der beruflichen Sorgfalt nicht nachgewiesen. Andere erhebliche Rechtsfragen zeigt der Rekurs nicht auf. Er ist daher als unzulässig zurückzuweisen.

6. Die Entscheidung über die Kosten des Rekursverfahrens gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO. Im Zwischenstreit über die mangels erheblicher Rechtsfrage verneinte Zulässigkeit eines Rekurses gegen einen Aufhebungsbeschluss iSd § 519 Abs 1 Z 2 ZPO findet ein Kostenvorbehalt nach § 52 ZPO nicht statt (RIS-Justiz RS0123222). Die Beklagte hat in der Rekursbeantwortung auf die Unzulässigkeit hingewiesen.

Stichworte