OGH 8Ob71/11s

OGH8Ob71/11s28.3.2012

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsrekursgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Spenling als Vorsitzenden, den Hofrat Hon.-Prof. Dr. Kuras, die Hofrätin Dr. Tarmann-Prentner und die Hofräte Mag. Ziegelbauer und Dr. Brenn als weitere Richter im Konkurs der Schuldnerin M***** S*****, vertreten durch Ing. Dr. Stefan Krall, Rechtsanwalt in Innsbruck, über den außerordentlichen Revisionsrekurs der Schuldnerin gegen den Beschluss des Landesgerichts Innsbruck als Rekursgericht vom 30. März 2011, GZ 4 R 21/11h-36, mit dem der Beschluss des Bezirksgerichts Lienz vom 29. Dezember 2010, GZ 4 S 10/03g-33 abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

1. Der Beschluss des Rekursgerichts wird in Ansehung der Abweisung des Antrags der Schuldnerin auf Beendigung des Abschöpfungsverfahrens unter Restschuldbefreiung gemäß § 213 Abs 2 KO (IO) als nichtig ersatzlos aufgehoben.

2. In Ansehung der Abweisung des Antrags der Schuldnerin auf Beendigung des Abschöpfungsverfahrens unter Aussetzung der Entscheidung über die Restschuldbefreiung gemäß § 213 Abs 3 KO (IO) wird der angefochtene Beschluss bestätigt.

3. Im Übrigen wird der Beschluss des Rekursgerichts aufgehoben.

Dem Erstgericht wird die Verfahrensergänzung und Entscheidung über den Antrag der Schuldnerin, das Abschöpfungsverfahren nach § 213 Abs 4 KO (IO) um drei Jahre zu verlängern, aufgetragen.

Text

Begründung

Über das Vermögen der Schuldnerin wurde mit Beschluss vom 25. 3. 2003 das Schuldenregulierungsverfahren eröffnet. Die Summe der im Verfahren festgestellten Forderungen beträgt 32.214,01 EUR. Nach Ablehnung des angebotenen Zahlungsplans leitete das Erstgericht mit weiterem Beschluss vom 14. 5. 2003 über Antrag der Schuldnerin das Abschöpfungsverfahren ein.

Während der Dauer des Abschöpfungsverfahrens leistete die Schuldnerin insgesamt Zahlungen von 2.496,57 EUR, wovon 1.099,98 EUR (3,41 % der festgestellten Forderungen) an die Gläubiger flossen und der Restbetrag zur Begleichung der Verfahrenskosten aufgewendet wurde. Die Schuldnerin, die für zwei 1998 und 1999 geborene Kinder sorgepflichtig ist, bezog vor dem und während des Abtretungszeitraums durchwegs nur Invaliditätspensions- und Ausgleichszulageneinkünfte sowie Pflegegeld. Die im Abschöpfungszeitraum erbrachten Zahlungen bestritt sie aus dem Existenzminimum.

Nach Ablauf der Abtretungserklärung stellte die Schuldnerin am 9. 6. 2010 den Antrag, das Abschöpfungsverfahren gemäß § 213 Abs 2 KO (IO) unter Restschuldbefreiung aus Billigkeitsgründen für beendet zu erklären, in eventu die Entscheidung über die Restschuldbefreiung gemäß § 213 Abs 3 KO (IO) für drei Jahre auszusetzen und der Schuldnerin bis dahin die Zahlung einer weiteren Quote von 2,25 % der festgestellten Forderungen (bzw einer höheren, vom Gericht festzusetzenden Quote) aufzuerlegen. Eventualiter beantragte sie schließlich die Verlängerung des Abschöpfungsverfahrens um weitere drei Jahre, wofür sie sich zur Unterfertigung einer entsprechenden Abtretungserklärung bereit erklärte.

Mit Beschluss vom 29. 12. 2010 erklärte das Erstgericht das Abschöpfungsverfahren über das Vermögen der Schuldnerin für beendet und sprach aus, dass die Entscheidung über die Restschuldbefreiung gemäß § 213 Abs 3 KO (IO) ausgesetzt werde, wobei die Schuldnerin innerhalb von drei Jahren ab Rechtskraft des Beschlusses den Insolvenzgläubigern weitere 2,25 % ihrer festgestellten Forderungen (724,82 EUR) zu bezahlen habe, um von den noch nicht erfüllten Verbindlichkeiten befreit zu werden. Den Antrag auf Beendigung des Abschöpfungsverfahrens unter sofortiger Restschuldbefreiung gemäß § 213 Abs 2 KO (IO) wies es ab.

Unter Berücksichtigung der schwierigen persönlichen Verhältnisse der Schuldnerin, des Umstands, dass ihre Zahlungen aus dem Existenzminimum geleistet wurden und - sofern man die Verfahrenskosten dazurechne - mehr als 7 % der festgestellten Forderungen betragen hätten, entspreche zwar eine sofortige Restschuldbefreiung nicht der Billigkeit, wohl aber der erste Eventualantrag, dem auch die überwiegende Mehrheit der Gläubiger zugestimmt habe.

Das Rekursgericht gab mit seinem angefochtenen Beschluss den Rekursen zweier Gläubiger Folge und änderte die Entscheidung des Erstgerichts dahin ab, dass es „die Anträge der Schuldnerin vom 9. 6. 2010, eine Entscheidung iSd § 213 Abs 2 bis Abs 4 IO zu treffen“ abwies. Den Revisionsrekurs erklärte es mangels erheblicher Rechtsfragen für nicht zulässig.

In seiner Begründung führte das Rekursgericht aus, selbst wenn man die in Literatur und Rechtsprechung nicht einheitlich beurteilte Frage, ob die in § 213 Abs 3 KO (IO) demonstrativ aufgezählten Billigkeitsgründe auch Krankheit erfassen, zu Gunsten der Schuldnerin bejahe, komme den Versagungsgründen ein stärkeres Gewicht zu. Die von der Schuldnerin ins Treffen geführten Umstände, insbesondere die krankheitsbedingte Erwerbsunfähigkeit, seien durchaus typisch für eine Vielzahl von Schuldenregulierungsverfahren und könnten eine Restschuldbefreiung trotz erheblicher Unterschreitung der gesetzlichen Mindestquote nicht rechtfertigen. Es entspreche auch nicht der Billigkeit, die geradezu selbstverständlichen und im Einzelfall keineswegs ungewöhnlich hohen Verfahrenskosten zu Lasten der Gläubiger in die Mindestquote einzubeziehen, weil damit die klare Intention des Gesetzes umgangen würde.

Eine Vorgangsweise nach § 213 Abs 4 KO (IO) komme nicht in Betracht, weil es bei realistischer Betrachtung des bisherigen Abschöpfungserfolgs und der im Wesentlichen gleich gebliebenen Einkünfte der Schuldnerin nahezu ausgeschlossen sei, dass sie in drei Jahren 6,59 % der Restschuld bezahlen könnte.

Rechtliche Beurteilung

Der gegen diesen Beschluss erhobene außerordentliche Revisionsrekurs der Schuldnerin ist entgegen dem nicht bindenden Ausspruch des Rekursgerichts zulässig, weil dessen Entscheidung an rechtserheblichen Feststellungsmängeln leidet, er ist im Sinne des Eventualantrags auch berechtigt.

1. Aus Anlass des Revisionsrekurses war eine der Rekursentscheidung anhaftende Teilnichtigkeit aufzugreifen.

Der Antrag der Schuldnerin auf Entscheidung über die Restschuldbefreiung gemäß § 213 Abs 2 KO (IO) wurde bereits durch das Erstgericht abgewiesen. Dieser Entscheidungsteil blieb unbekämpft, sodass der neuerliche Ausspruch über den selben Antrag gegen die Rechtskraft des erstgerichtlichen Beschlusses verstoßen hat.

2. Die Voraussetzungen für die Annahme einer Restschuldbefreiung nach Billigkeit iSd § 213 Abs 2 bis Abs 4 KO (IO) können stets nur nach den Umständen des Einzelfalls geprüft werden (RIS-Justiz RS0112278 [T1]; RS0042405 ua). Bereits das Rekursgericht hat bei seiner Entscheidung die besonderen persönlichen Verhältnisse der Schuldnerin, insbesondere ihre krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit und ihre Sorgepflichten, bei der Beurteilung der Voraussetzungen einer Entscheidung nach § 213 Abs 3 KO (IO) ins Kalkül gezogen. Diese Beurteilung steht mit der Rechstprechung des Obersten Gerichtshofs im Einklang, der bereits mehrfach ausgesprochen hat, dass die in § 213 Abs 2 KO (IO) genannten berücksichtigungswürdigen Gründe keine taxative Aufzählung bilden („insbesondere“; 8 Ob 342/98; 8 Ob 100/09b; G. Kodek Privatkonkurs, Rz 682 f). Für die ebenfalls nur „insbesondere“ aufgezählten Gründe des § 213 Abs 3 KO (IO) hat grundsätzlich nichts anderes zu gelten, wenngleich bei der Abwägung, welchen Umständen mehr oder weniger Gewicht zukommen kann, die im Gesetz ausdrücklich genannten Beispiele als Wertungsmaßstab heranzuziehen sind.

Im vorliegenden Fall erscheint die ausführlich und sorgfältig begründete ablehnende Ermessensentscheidung des Rekursgerichts nicht korrekturbedürftig. Die persönliche Lage und die Einkommensverhältnisse der Schuldnerin sind seit Einleitung des Schuldenregulierungsverfahrens im Wesentlichen unverändert geblieben, insbesondere hat sich keine Verschlechterung ergeben. Die Schuldnerin hat vielmehr wegen ihrer krankheitsbedingten Erwerbsunfähigkeit durchgehend Pensionsleistungen erhalten, die aber im Rahmen der Billigkeitsentscheidung nicht anders als ein Arbeitseinkommen von gleicher Höhe zu behandeln sind. Es kann auch nicht die Rede davon sein, dass die aufgelaufenen Verfahrenskosten überdurchschnittlich hoch gewesen wären (vgl dazu Mohr in Konecny/Schubert InsG, § 213 IO Rz 16) Das Vorliegen eines der in § 213 Abs 3 KO (IO) aufgezählten Gründe wurde von vornherein nicht geltend gemacht.

3. Dem Revisionsrekurs ist jedoch beizupflichten, dass die Entscheidung des Rekursgerichts über den Antrag auf Verlängerung des Abschöpfungsverfahrens gemäß § 213 Abs 4 KO (IO) auf Grundlage des festgestellten Sachverhalts nicht nachvollziehbar ist.

Grundsätzlich bedarf die Bewilligung einer Verlängerung des Abschöpfungsverfahrens konkreter Gründe, die vom Schuldner, der sie anstrebt, zu behaupten und zu bescheinigen sind. Welche Umstände generell für oder gegen eine Verlängerung des Abschöpfungsverfahrens sprechen können, ist an der gesetzlichen Zielsetzung dieser Maßnahme zu messen. Die Verlängerung des Abschöpfungsverfahrens nach § 213 Abs 4 KO (IO) soll dem Schuldner ermöglichen, die Quote von 10 % und damit die Restschuldbefreiung doch noch zu erreichen (8 Ob 5/10h, RIS-Justiz RS0126092).

Die Aufbringung der auf das Ausmaß von 10 % fehlenden Quote (6,59 % der festgestellten Forderungen bzw 2.251,76 EUR) wäre in einem dreijährigen Verlängerungszeitraum durch eine monatliche Leistung von rund 60 EUR gewährleistet. Angesichts des festgestellten unbefristeten Pensionsnettoeinkommens der Schuldnerin von 1.239,42 EUR ist eine Unmöglichkeit, diesen Betrag tatsächlich aufzubringen, entgegen der Ansicht des Rekursgerichts keineswegs offenkundig.

Der Sachverhalt erweist sich aber in diesem Punkt schon wegen widersprüchlichen Vorbringens als ergänzungsbedürftig. Die Schuldnerin ist zwar nach den Feststellungen seit 2008 geschieden, gab jedoch in ihrem 2010 gestellten Antrag auf Restschuldbefreiung an, dass sich ihr Ehegatte (sic!) um Haushalt und Kinder kümmere, was sich auf seine Vermittelbarkeit am Arbeitsmarkt und die finanzielle Situation der Familie auswirke; er beziehe Notstandshilfe in Höhe von 760 EUR. Sollten diese Angaben zutreffen und die geschiedenen Ehegatten weiterhin gemeinsam wirtschaften, wäre insgesamt von einem realen Familieneinkommen (ohne weitere Transferleistungen) von rund 2.000 EUR netto auszugehen, das eine Erfüllbarkeit der Restquote noch mehr in den Bereich des Wahrscheinlichen rücken würde.

Das Erstgericht wird daher nach Durchführung ergänzender Erhebungen über die gegenwärtigen wirtschaftlichen Verhältnisse der Schuldnerin über den Antrag auf Verlängerung des Abschöpfungszeitraums gemäß § 213 Abs 4 IO neu zu entscheiden haben.

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