Spruch:
1. Dem Rekurs wird Folge gegeben.
Der Beschluss des Berufungsgerichts wird aufgehoben und in der Sache selbst dahin zu Recht erkannt, dass das Urteil des Erstgerichts wiederhergestellt wird.
2. Die beklagte Partei ist schuldig, den klagenden Parteien binnen 14 Tagen die mit 1.833,70 EUR (darin 305,62 EUR USt) bestimmten Kosten des Rechtsmittelverfahrens zu bezahlen.
Text
Entscheidungsgründe:
Die Kläger sind seit 1986 bzw 1987 bei der Beklagten bzw ihrer Rechtsvorgängerin, den Österreichischen Bundesbahnen, als Buslenker beschäftigt. Auf ihre definitiv gestellten Dienstverhältnisse sind die allgemeinen Vertragsbestimmungen für Dienstverträge bei den Österreichischen Bundesbahnen (AVB) anzuwenden.
Über die beiden Kläger wurden mit Disziplinarerkenntnissen einer gemäß §§ 9, 47 der Disziplinarordnung (DO) 2004 der Österreichischen Bundesbahnen eingerichteten Disziplinarkommission (DK) vom 6. 8. 2009 gemäß § 8 Abs 1 lit a DO 2004 Geldbußen wegen behaupteter schwerer Dienstpflichtverletzungen verhängt.
Die DO 2004 gründet sich auf eine am 28. 9. 2004 abgeschlossene Betriebsvereinbarung zwischen den (damaligen) Österreichischen Bundesbahnen als Rechtsvorgängerin der Beklagten und deren vormaligem Zentralbetriebsrat.
Die Kläger begehren die Feststellung der Unwirksamkeit der über sie verhängten Disziplinarerkenntnisse. Die im Verfahren angewandte DO 2004 sei nicht rechtswirksam zustande gekommen, die Zusammensetzung der Disziplinarkommission widerspreche grundlegenden Kriterien der EMRK. Die Kläger hätten außerdem die ihnen zur Last gelegten Dienstpflichtverletzungen nicht begangen.
Die Beklagte wandte ein, es habe zwar tatsächlich eine Zustimmung des Betriebsrats zur DO 2004 gefehlt, jedoch sei dies im Ergebnis rechtlich nicht relevant, weil bei Unwirksamkeit der DO 2004 auf der Basis der Bestimmung des Art 7 BundesbahnG 2003 die in den wesentlichen Teilen inhaltsgleiche DO 1996 gelte.
Das Erstgericht gab der Klage statt. Die nach der DO 2004 vorgesehene Möglichkeit einer Bestellung des bzw der Vorsitzenden der Disziplinarkommission durch eine dem Dienstgeber nahestehende Institution, nämlich die Konzernmutter der Beklagten, sei iSd § 879 ABGB sittenwidrig und die streitgegenständlichen Disziplinarverfahren aus diesem Grund nichtig.
Das Berufungsgericht hob dieses Urteil mit dem angefochtenen Beschluss zur Verfahrensergänzung auf. Ein Disziplinarerkenntnis unterliege einer umfassenden, auch den Tatsachenbereich einschließenden gerichtlichen Kontrolle, sodass die rechtlichen Bedenken des Erstgerichts nicht geteilt würden. Es komme im Ergebnis auch nicht darauf an, ob die DO 2004, auf die sich die bekämpften Erkenntnisse bezögen, wirksam abgeschlossen wurde. Verneine man dies, dann sei von einer Weitergeltung der praktisch wortgleich damit übereinstimmenden Disziplinarordnung 1996 als wirksamer Rechtsgrundlage für die Verurteilungen der Kläger auszugehen. Im fortgesetzten Verfahren seien daher die vorgeworfenen Dienstpflichtverletzungen inhaltlich zu prüfen.
Das Berufungsgericht ließ den Rekurs an den Obersten Gerichtshof zu, weil noch keine höchstgerichtliche Rechtsprechung zur Frage der Wirksamkeit von im Jahr 2009 gefällten Disziplinarerkenntnissen gegen Arbeitnehmer der Beklagten, die auf die DO 2004 gestützt wurden, bestehe.
Rechtliche Beurteilung
Der von der Beklagten beantwortete Rekurs der Kläger ist zulässig, weil die Entscheidung des Berufungsgerichts einer Korrektur bedarf. Er ist dementsprechend auch berechtigt.
1. Der Oberste Gerichtshof hat die Frage des wirksamen Zustandekommens der Betriebsvereinbarung über die DO 2004 der Österreichischen Bundesbahnen sowie der Wirksamkeit eines auf ihre Bestimmungen gegründeten Disziplinarverfahrens mittlerweile in seiner Entscheidung 9 ObA 13/11v eingehend behandelt. Er ist darin zu dem Ergebnis gelangt, dass die DO 2004 der Österreichischen Bundesbahnen mangels aufrechter Abschlusskompetenz des auf Arbeitnehmerseite beteiligten Zentralbetriebsrats zum maßgeblichen Zeitpunkt nicht rechtswirksam zustande gekommen ist. Die DO 2004 scheide als Grundlage für eine Bestrafung auf kollektivrechtlicher, aber auch auf einzelvertraglicher Basis aus.
Ob die Dienstordnung 1996 aufgrund dieses Ergebnisses weiterhin Gültigkeit habe, könne dahingestellt bleiben, weil im Anlassfall sowohl die Zusammensetzung des Disziplinargremiums („Disziplinarkommission“) als auch die Verhängung einer Geldbuße explizit auf die DO 2004 gestützt wurde.
Im Nachhinein könne ein solches Verfahren nicht wegen der Unwirksamkeit der DO 2004 in ein Verfahren und in ein Disziplinarerkenntnis nach der Disziplinarordnung 1996 „umgedeutet“ werden. Auch wenn dem Disziplinarverfahren und dem Erkenntnis kein öffentlich-rechtlicher Charakter zukomme, sei dennoch nicht zu übersehen, dass die Verhängung und Vollstreckung des Disziplinarerkenntnisses Eingriffswirkung mit Sanktionscharakter für den Bestraften bedeute.
Wenn sich die Beklagte für die Unschädlichkeit der Nennung der Disziplinarordnung 2004 auf den Grundsatz „falsa demonstratio non nocet“ berufe, so sei ihr entgegenzuhalten, dass sie bei Fällung des Disziplinarerkenntnisses gar nicht davon ausgegangen sei, eine Verurteilung nach der Disziplinarordnung 1996 vorgenommen und diese lediglich irrig bezeichnet zu haben.
2. Der erkennende Senat schließt sich diesen zusammengefassten, in der Entscheidung 9 ObA 13/11v ausführlich begründeten Erwägungen an. Für das vorliegende Verfahren ergibt sich daraus, dass die von einer nach der DO 2004 gebildeten Disziplinarkommission ausgesprochenen, ausdrücklich auf deren Bestimmungen gestützten Disziplinarerkenntnisse rechtsunwirksam sind.
Das rechtliche Interesse der beiden Kläger an der präventiven Klärung dieser auf die weiteren vertraglichen Beziehungen der Streitteile einwirkenden Rechtsfrage ist evident und unbestritten (vgl RIS-Justiz RS0039202). Die weiteren Rekursausführungen, die sich auf die Frage der Tribunalqualität der Disziplinarkommission iSd Art 6 Abs 1 MRK konzentrieren, sind mangels Wirksamkeit ihrer Rechtsgrundlage für die rechtliche Beurteilung ohne Relevanz, sodass darauf nicht weiter einzugehen ist.
Dem berechtigten Rekurs der Kläger war Folge zu geben und in der Sache das Urteil des Erstgerichts wiederherzustellen.
Die Entscheidung über die Kosten des Rechtsmittelverfahrens gründet sich auf § 2 ASGG sowie §§ 41 und 50 ZPO.
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