OGH 6Ob12/12a

OGH6Ob12/12a15.3.2012

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Pimmer als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schramm, Dr. Gitschthaler, Univ.-Prof. Dr. Kodek und Dr. Nowotny als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei S***** B*****, vertreten durch Mag. Ralph Kilches, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei S***** W*****, W*****, vertreten durch Dr. Peter Rudeck und Dr. Gerhard Schlager, Rechtsanwälte in Wien, wegen 90.000 EUR sA und Rente, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 16. November 2011, GZ 12 R 9/11y-141, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird zurückgewiesen.

Text

Begründung

1. Die Entscheidung des Berufungsgerichts über die vorprozessualen Kosten ist vor dem Obersten Gerichtshof nicht bekämpfbar (§ 528 Abs 2 Z 3 ZPO; RIS-Justiz RS0044200). Insoweit ist die Revision jedenfalls unzulässig.

2. Im Übrigen war die außerordentliche Revision gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückzuweisen:

Der am 1. 11. 1962 geborene Kläger unterzog sich am 12. 12. 2001 in einem Krankenhaus der beklagten Partei einer Operation zur Entfernung eines Tumors am Thymus. Die Operation wurde lege artis durchgeführt. Der entfernte Tumor erwies sich als gutartig. Im Zug des Eingriffs wurde der linke untere Kehlkopfnerv des Klägers verletzt, wodurch es zur Lähmung der linken Stimmlippe kam. Über eine derartige mögliche Folge des Eingriffs war der Kläger nicht aufgeklärt worden. Die beklagte Partei haftet dem Kläger für den daraus resultierenden Schaden dem Grunde nach.

Der Kläger ist Werkstättenleiter in einer Kreidefabrik. Vor der Operation hatte er mit der Stimme keinerlei Probleme. Er litt weder an verstärkter Heiserkeit noch an sonstigen stimmlichen Beeinträchtigungen. Sportlich betätigte er sich vor allem beim Fußballspielen, Laufen und Skifahren. Er war gesellig. Aufgrund der Lähmung der linken Stimmlippe wurde der Stimmlippenschluss im Kehlkopf unvollständig, was zu einer heiseren Stimmgebung mit einem hohen Luftverbrauch beim Sprechen führte. Nach dem Eingriff vom 12. 12. 2001 war der Kläger heiser. Er konnte sich nur schwer verständlich machen. Da eine Besserung nicht eintrat, war er ab März 2002 in logopädischer Behandlung. Eine wesentliche Besserung der Stimme trat nicht ein. Er konnte nicht telefonieren, erlitt beim schnellen Sprechen Schwindelanfälle, war leicht ermüdbar, hatte Atemprobleme, konnte sich in seiner Arbeit nur schwer verständlich machen. Am 10. 9. 2002 unterzog er sich in einem Krankenhaus einer Thyreoplastik-Operation mit Implantation einer Vocom-Prothese. Bei dieser Operation wurde ein Implantat in den Schildknorpel eingesetzt und die gelähmte Stimmlippe in die Mitte verlagert, wodurch der Stimmlippenschluss verbessert wurde. Der danach noch bestehende unvollständige Stimmlippenschluss beträgt 1,5 mm. Durch diese Operation verbesserte sich zwar das Stimmverhalten des Klägers, die Stimme wurde deutlich kräftiger, doch ist weiterhin die Stimmfunktion deutlich eingeschränkt. Die Stimme ist mittelgradig heiser, behaucht und rau. Die Stimme des Klägers ist nicht mehr steigerungsfähig. Es ist ihm unmöglich, laut zu sprechen. Deshalb kann er den Umgebungslärm mit der Stimme nicht übertönen, was für ihn vor allem beruflich problematisch ist und ihn stark belastet, weil es in seiner Arbeitsumgebung in der Kreidefabrik laut ist. Seine Arbeitsleistung an sich ist davon nicht betroffen.

Auch geselliges Beisammensein ist für den Kläger belastend. Ist es lauter, etwa weil Musik gespielt wird und der Stimmpegel höher ist, kann er sich nur schwer verständlich machen. Dies bedeutet zusätzlich eine psychische Belastung. Durch die eingeschränkte Leistungsfähigkeit der Stimme ist seine Lebensqualität hochgradig eingeschränkt (32 von 48 möglichen Punkten, wobei 0 Punkte keine Beeinträchtigung bedeuten).

Die Stimme des Klägers ist nicht mehr besserungsfähig. Ihre Einschränkung wird sein Leben lang bestehen. Eine Folge der Stimmbandlähmung ist es, dass sich im untersten Teil des Rachens Speichel ansammelt. Dadurch wird die Schluckfunktion dahin beeinträchtigt, dass vor allem beim Trinken Flüssigkeiten in die Luftröhre eindringen und einen Hustenreiz verursachen können. Eine weitere Folge sind immer wieder auftretende Atembeschwerden, weil durch die Lähmung der Stimmlippe und die operativ durchgeführte Fixierung der Stimmlippe in der Mittellinie der Atemweg geringfügig eingeschränkt wurde. Der Kläger betreibt weiterhin Sport, doch ermüdet er etwa beim Fußballspielen schneller, weil „ihm die Luft ausgeht“. Beim Laufen braucht er seine Zeit, bis er in den richtigen Atemrhythmus kommt. Beim Skifahren hat er keine Probleme. Seine Stimmungslage ist aufgrund der Stimmlippenlähmung und einer Anpassungsstörung leicht dysphorisch mit mäßiggradiger psychovegetativer Labilität. Schon vor der Operation am 12. 12. 2001 war der Kläger reizbar. Seine Reizbarkeit hat sich seit dem Eingriff gesteigert. Er ist unduldsamer geworden. Die Schlafprobleme des Klägers stehen in keinem Zusammenhang mit der Stimmlippenlähmung.

Die statistische Lebenserwartung des Klägers ist das 82. Lebensjahr.

Das Berufungsgericht sprach dem Kläger 42.000 EUR Schmerzengeld zu. Die Abweisung des Schmerzengeldrentenbegehrens ab 1. 12. 2044 bestätigte es. Im Hinblick auf, dass die menschliche Stimme ein essentielles Persönlichkeitsmerkmal darstelle, könne die durch einen teilweisen Verlust der Stimme bewirkte hochgradige Einschränkung der Lebensqualität nicht als weniger gravierend beurteilt werden, als etwa die eingeschränkte Gebrauchsfähigkeit einer Gliedmaße. Beim Kläger sei mit seiner stimmlichen Beeinträchtigung auch eine für ihn nachteilige psychische Veränderung einhergegangen. Berücksichtige man weiters, dass sich der Kläger zur Verbesserung des Sprechvermögens ein dreiviertel Jahr lang einer logopädischen Behandlung und schließlich auch einer Folgeoperation habe unterziehen müssen, so sei das zugesprochene Schmerzengeld angemessen.

Rechtliche Beurteilung

Das Schmerzengeld ist grundsätzlich eine Globalabfindung für alle eingetretenen und für alle nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge zu erwartenden künftigen körperlichen und seelischen Beeinträchtigungen durch die Unfallfolgen (RIS-Justiz RS0031300; RS0031307; RS0031015 [T3]; zuletzt 3 Ob 128/11m). Regelmäßig wird daher das Schmerzengeld als Kapital geschuldet. Im Anlassfall kann das mit der Stimmlippenlähmung verbundene Ungemach des Klägers mit hinreichender Sicherheit bereits überblickt werden.

Nach ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs steht eine Schmerzengeldrente nur in Ausnahmefällen bei dauernden, äußerst schweren Körperverletzungen mit besonders schwerwiegenden Dauerfolgen - auch neben einem Kapitalbetrag - zu (RIS-Justiz RS0031369; 2 Ob 145/02s mwN; 2 Ob 292/03k). Ob eine derartige Verletzung vorliegt, kann nur aufgrund der Umstände des Einzelfalls beurteilt werden, weshalb insoweit die Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO in der Regel nicht gegeben sind (2 Ob 292/03k).

Die Beurteilung des Berufungsgerichts, dass im Anlassfall eine derartige schwere Verletzung nicht gegeben ist, bedarf keiner Korrektur.

Nach ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs ist die Beurteilung der Höhe des angemessenen Schmerzengeldes von den Umständen des Einzelfalls abhängig. Zur Vermeidung einer völligen Ungleichmäßigkeit der Rechtsprechung ist aber auch ein objektiver Maßstab anzulegen, in dem der von der Judikatur ganz allgemein gezogene Rahmen für die Bemessung im Einzelfall nicht gesprengt wird (RIS-Justiz RS0031075). Die Bemessung hat nicht nach starren Regeln, etwa nach Tagessätzen oder Schmerzperioden zu erfolgen. Es ist vielmehr jede Verletzung in ihrer Gesamtauswirkung nach den besonderen Umständen des Einzelfalls zu betrachten und auf dieser Basis eine Bemessung vorzunehmen (2 Ob 63/11w mwN; RIS-Justiz RS0031415 [T7 und T8]). Entgegen der Ansicht des Revisionswerbers ist das Berufungsgericht nicht von den Leitlinien der Rechtsprechung zur Bemessung des Schmerzengeldes abgewichen. Es berücksichtigte insbesondere das Alter des Klägers, die prognostizierte Lebenserwartung und die psychischen Folgen der Beeinträchtigung der Stimme. Einen wahrzunehmenden rechtlichen Fehler in der Ausmessung des Schmerzengeldes zeigen die Revisionsausführungen, die zum Teil nicht vom festgestellten Sachverhalt ausgehen und die Beweiswürdigung der Vorinstanzen bekämpfen, nicht auf.

Behauptete Mängel des Berufungsverfahrens liegen nicht vor (§ 510 Abs 3 ZPO).

Entgegen der Behauptung des Revisionswerbers hat die beklagte Partei das die gesetzlichen Zinsen von 4 % übersteigende Zinsenbegehren ausdrücklich in der Klagebeantwortung bestritten. § 1333 Abs 2 ABGB idF ZinsRÄG (BGBl I 2002/118), der auch Forderungen erfasst, die vor seinem Inkrafttreten am 1. 8. 2002 begründet wurden (2 Ob 253/06d mwN), ist nach seinem eindeutigen und klaren Wortlaut und zutreffender Beurteilung des Berufungsgerichts im Anlassfall nicht anwendbar, sind doch die eingeklagten Geldforderungen keine Forderungen zwischen Unternehmern aus unternehmerischen Geschäften.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte