OGH 14Os168/11d

OGH14Os168/11d6.3.2012

Der Oberste Gerichtshof hat am 6. März 2012 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Philipp als Vorsitzenden, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger und Mag. Marek, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Nordmeyer und die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Fürnkranz in Gegenwart des Richteramtsanwärters MMag. Krasa als Schriftführer in der Strafsache gegen Stephan G***** und einen anderen Beschuldigten wegen des Verbrechens des schweren Betrugs nach §§ 146, 147 Abs 3 StGB, AZ 15 St 227/08g der Staatsanwaltschaft Salzburg, über die von der Generalprokuratur gegen den Beschluss des Landesgerichts Salzburg vom 25. Februar 2011, AZ 49 Bl 162/10w (ON 39 der Ermittlungsakten), erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit der Vertreterin der Generalprokuratur Erste Generalanwältin Dr. Sperker und des Privatbeteiligten Bernhard B***** zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Beschluss des Landesgerichts Salzburg vom 25. Februar 2011, AZ 49 Bl 162/10w, verletzt in seinem Punkt 1, mit welchem die Fortführung des Ermittlungsverfahrens gegen Stephan G***** und Frank S***** wegen des Verbrechens des schweren Betrugs nach §§ 146, 147 Abs 3 StGB, AZ 15 St 227/08g der Staatsanwaltschaft Salzburg, angeordnet wurde, § 195 Abs 2 dritter Satz StPO und in seiner Begründung § 195 Abs 1 Z 2 StPO.

Dieser Beschluss, der im Übrigen unberührt bleibt, wird in seinem Punkt 1 aufgehoben und die Anträge der B‑M***** GmbH und des Bernhard B***** auf Fortführung des genannten Ermittlungsverfahrens werden abgewiesen.

Text

Gründe:

Die Staatsanwaltschaft Salzburg führte zu AZ 15 St 227/08g ein Ermittlungsverfahren gegen Stephan G***** und Frank S***** wegen des Verdachts des schweren Betrugs nach §§ 146, 147 Abs 3 StGB, dem im Wesentlichen folgender, von den Privatbeteiligten B‑M***** GmbH und Bernhard B***** angezeigter Sachverhalt zugrunde lag:

Die B‑M***** GmbH (vormals: B‑R***** GmbH), ein Motorsport-Rennteam, und die von den Beschuldigten vertretene i***** GmbH hätten im Frühjahr 2008 Verhandlungen über einen Sponsoring-Vertrag geführt, auf dessen Grundlage die zweitgenannte Gesellschaft gegen Leistung eines Geldbetrags (der „Sponsorsumme“) längerfristig als Hauptsponsor der erstgenannten hätte auftreten sollen. Die Privatbeteiligten hätten im Vertrauen auf (letztlich nicht eingehaltene) Zahlungszusagen der Beschuldigten Investitionen getätigt und Arbeiten in Auftrag gegeben und dadurch einen Schaden von mehr als 60.000 Euro erlitten. Die Beschuldigten hätten über ihre Zahlungsfähigkeit und ‑willigkeit getäuscht.

Am 5. November 2010 stellte die Staatsanwaltschaft Salzburg das Ermittlungsverfahren ‑ nachdem das Gericht zuvor bereits zweimal dessen Fortführung in Stattgebung eines entsprechenden Antrags der Privatbeteiligten angeordnet hatte ‑ erneut aus dem Grund des § 190 Z 2 StPO ein (ON 1 S 1g f).

Mit dem nunmehr angefochtenen Beschluss ordnete das Landesgericht Salzburg (im Punkt 1) abermals die Fortführung des genannten Ermittlungsverfahrens an. Darin erblickt die Generalprokuratur eine Gesetzesverletzung und führt dazu Folgendes aus:

Dem Anklagegrundsatz (Art 90 Abs 2 B‑VG, § 4 Abs 1 StPO) zufolge obliegt der Staatsanwaltschaft die Beurteilung, ob aufgrund eines ausreichend geklärten Sachverhalts eine Verurteilung naheliegt und demnach eine Anklageerhebung (§ 210 Abs 1 StPO) oder ein diversionelles Vorgehen (§ 198 ff StPO) indiziert ist (Schroll, WK‑StPO § 192 Rz 2 f; Nordmeyer, WK‑StPO § 196 [idF BGBl I 2004/19] Rz 15).

Liegt nach hinreichender Sachverhaltsklärung eine Verurteilung nicht nahe, sondern ist vielmehr ein Freispruch wahrscheinlicher als der Schuldspruch, erfordert das strafprozessuale Legalitätsprinzip die Einstellung des Ermittlungsverfahrens.

In diesem Zusammenhang bleibt festzuhalten, dass der aus dem Legalitätsprinzip ableitbare Ausschluss eines Handlungs‑ oder Auswahlermessens der Staatsanwaltschaft bei ihrer Entscheidung über eine Anklageerhebung bzw eine alternativ gebotene Diversionsanwendung oder über eine Verfahrenseinstellung dort an Grenzen stößt, wo es um die Auslegung unbestimmter Gesetzesbegriffe, insbesondere normativer Deliktsmerkmale oder um die Beweiswürdigung und die damit verbundene, von der Staatsanwaltschaft autonom zu treffende Prognose über die im Anklagefall zu erwartende gerichtliche Entscheidung geht (in welchen Fällen es somit zur Ausübung im Ermessen kommen muss ‑ [Schroll, WK‑StPO § 192 Rz 3 f; Nordmeyer, WK‑StPO Vor §§ 190, 193 bis 197 Rz 2]).

Als Korrektiv für die ausschließlich in die Kompetenz der Staatsanwaltschaft fallende Verfahrenseinstellung sieht das Gesetz die gerichtliche Überprüfung dieser von einem Organ der Gerichtsbarkeit (Art 90a B‑VG) getroffenen Entscheidung aufgrund eines Fortführungsantrags nach § 195 StPO vor, wobei Opferinteressen in der ebenfalls schützenswerten Position des Beschuldigten ihre Grenzen finden und die Einstellungsentscheidung der Staatsanwaltschaft nach dem klaren Willen des Gesetzgebers (vgl EBRV StPO‑RefG 25 BlgNR 22. GP 234 f) lediglich einer Art Missbrauchskontrolle unterworfen werden soll (Nordmeyer, WK‑StPO § 196 [idF BGBl I 2004/19] Rz 6 und 16; RIS‑Justiz RS0126211).

Gemäß § 195 Abs 1 StPO hat das Gericht auf Antrag des Opfers die Fortführung eines nach den §§ 190 bis 192 StPO beendeten Ermittlungsverfahrens durch die Staatsanwaltschaft anzuordnen, wenn das Gesetz verletzt oder unrichtig angewendet wurde (Z 1), erhebliche Bedenken gegen die Richtigkeit der Tatsachen bestehen, die der Entscheidung über die Beendigung zu Grunde gelegt wurden (Z 2), oder neue Tatsachen oder Beweismittel beigebracht werden, die für sich allein oder im Zusammenhalt mit übrigen Verfahrensergebnissen geeignet erscheinen, den Sachverhalt soweit zu klären, dass nach dem 11. oder 12. Hauptstück vorgegangen werden kann (Z 3).

Lediglich in einem die Erheblichkeitsschwelle erreichenden Umfang kann unter der Bedingung und nach Maßgabe deutlich bezeichneter Beweismittel auch die Beweiswürdigung der Staatsanwaltschaft als geradezu willkürlich thematisiert werden (zum gleichgelagerten Beurteilungsmaßstab des § 281 Abs 1 Z 5a StPO vgl Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 472 und Rz 488 ff).

Eine berechtigte qualifizierte Kritik in diesem Sinn setzt daher voraus, dass der Einstellungsentscheidung eine unerträgliche Fehlentscheidung bei der Beweiswürdigung zu Grunde liegt, also im Ermittlungsverfahren gewonnene Beweismittel gravierende Bedenken gegen die Richtigkeit der Entscheidung nach §§ 190 bis 192 StPO aufkommen lassen und diese intersubjektiv ‑ gemessen an Erfahrungs- und Vernunftsätzen ‑ eine unrichtige Lösung der Verfahrenseinstellung qualifiziert nahelegen (zur vergleichbaren Ausgangslage bei § 281 Abs 1 Z 5a StPO vgl RIS‑Justiz RS0118780; Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 490; RIS‑Justiz RS0126211).

Indem der Drei‑Richter‑Senat des Landesgerichts Salzburg den beweiswürdigenden Ausführungen der Staatsanwaltschaft unter Hinweis auf den Schriftverkehr, im Besonderen auf die ohnehin berücksichtigte E-Mail vom 28. April 2008, die von der i***** GmbH verfassten Pressemitteilungen vom 5. Mai 2008 und vom 19. Mai 2008 sowie auf „die Chronologie der Geschäftsbeziehung“ eigene Erwägungen zur Glaubwürdigkeit der Angeklagten einerseits sowie des Bernhard B***** und des Norbert W***** andererseits gegenüberstellt und diese abweichend bewertet, zeigt der Beschluss keine geradezu willkürliche Beweiswürdigung durch die Staatsanwaltschaft Salzburg auf.

Überdies fehlt in der genannten Entscheidung eine Auseinandersetzung mit dem aktenkonformen Hinweis der Staatsanwaltschaft, dass sich aus den E‑Mails und den Pressemitteilungen keine Anhaltspunkte für das Zustandekommen einer entgeltlichen (einen finanziellen Rahmen von 800.000 Euro umfassenden) Sponsorvereinbarung zwischen der B‑R***** GmbH und der i***** GmbH, wohl aber für die von beiden Angeklagten behauptete Zusammenarbeit durch das Vermitteln von Sponsoren ergäben.

Die Begründungspassage, die seitens Frank S***** gegenüber der Auto Br***** GmbH abgegebene, letztlich nicht eingehaltene Zusage, die Kosten der von der B‑R***** GmbH in Auftrag gegebenen Lackierungsarbeiten bis zu einem Betrag von 12.000 Euro brutto zu übernehmen, spräche für eine grundsätzliche Einigung zwischen den Beteiligten über die (entgeltliche) Sponsorvereinbarung, beruht auf einer anderen Beweiswürdigung, die den Kriterien der vom Gesetzgeber intendierten Missbrauchskontrolle nicht gerecht wird.

Gleiches gilt für die auf der Annahme einer Sponsorvereinbarung aufbauenden Erwägungen zum Vortäuschen der Zahlungswilligkeit der i***** GmbH. Die Behauptung Frank S*****, ein plötzlicher finanzieller Engpass der i***** GmbH zwischen Ende April und Mitte Mai 2008 hätte die Zahlung an die Auto Br***** GmbH unmöglich gemacht, steht im Übrigen nicht im Widerspruch zu den Ermittlungsergebnissen der Staatsanwaltschaft Hannover, nach denen aus den „allgemein zugänglichen Quellen keine Anhaltspunkte für eine bereits 2008 vorliegende Zahlungsunfähigkeit“ der i***** GmbH und „keine zureichenden Anhaltspunkte für eine Insolvenzverschleppung vorlägen“.

Weshalb aus der vom Verteidiger des Stephan G***** (an Stelle einer nicht erzwingbaren Aussage) eingebrachten Stellungnahme vom 19. Oktober 2010 (ON 32), in der (teilweise abweichend von der Verantwortung des Frank S*****) die „Beauftragung des Zweitbeschuldigten (Frank S*****) mit Kostenübernahmen oder finanziellen Zusagen gegenüber der B‑M***** GmbH“ bestritten und Frank S***** jede Vertretungsbefugnis abgesprochen wird, das Vorliegen einer Zahlungsunwilligkeit im Frühjahr 2008 ableitbar wäre und welche Bedeutung in diesem Zusammenhang den bis 20. bzw 21. Juni 2008 erbrachten Sponsorleistungen der B‑R***** GmbH durch Auftreten unter dem Sponsor i***** GmbH zukäme, ist dem Beschluss jeweils nicht zu entnehmen.

Auch unter Berücksichtigung des Gesamtzusammenhangs der gegen die Verfahrenseinstellung durch die Staatsanwaltschaft Salzburg ins Treffen geführten Argumente im Beschluss des Landesgerichts Salzburg vom 25. Februar 2011 werden ‑ obwohl als solche bezeichnet ‑ keine erheblichen Bedenken im Sinn des § 195 Abs 1 Z 2 StPO gegen die Tatsachenannahmen der Einstellungsentscheidung begründet, eine geradezu willkürliche Verfahrenseinstellung wird nicht aufgezeigt.

Rechtliche Beurteilung

Der Oberste Gerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 195 Abs 2 dritter Satz StPO hat ein Antrag auf Fortführung des Ermittlungsverfahrens Gründe einzeln und bestimmt zu bezeichnen, aus denen eine Verletzung oder unrichtige Anwendung des Gesetzes oder erhebliche Bedenken abzuleiten sind, widrigenfalls er vom Gericht gemäß § 196 Abs 2 erster Satz StPO zurückzuweisen ist. Seit Inkrafttreten des BudgetbegleitG 2009 (BGBl I 2009/52) unterscheidet das Gesetz bei Einstellungen aus tatsächlichen Gründen (§ 190 Z 2 StPO) klar zwischen Ermessensmissbrauch (§ 195 Abs 1 Z 1 StPO), der sich aus einer willkürlichen (also nach den Kriterien des § 281 Abs 1 Z 5 StPO mangelhaft begründeten) Beurteilung ergeben kann, und erheblich bedenklichem Ermessensgebrauch (§ 195 Abs 1 Z 2 StPO). Diesem am für Nichtigkeitsbeschwerden geltenden Standard orientierten Begründungserfordernis entspricht eine Antragsbindung des Gerichts, das nicht befugt ist, vom Fortführungswerber nicht (gesetzmäßig) geltend gemachte Argumente gegen die Einstellung, die sich (nach Ansicht des Gerichts) etwa aus dem Akt ergeben, aufzugreifen oder die Wirkung des stattgebenden Beschlusses amtswegig auf Taten oder Beschuldigte zu erstrecken, hinsichtlich derer eine Fortführung des Verfahrens gar nicht beantragt wurde (RIS‑Justiz RS0126210; Nordmeyer, WK‑StPO § 195 Rz 15a f und 30 sowie § 196 Rz 13 und 16 ff [im Druck]).

Vorliegend haben die Fortführungswerber in ihrem am 24. November 2010 eingebrachten Antrag Unvollständigkeit (§ 195 Abs 1 Z 1 StPO; vgl § 281 Abs 1 Z 5 zweiter Fall StPO) der Einstellungsbegründung der Staatsanwaltschaft Salzburg vom 5. November 2010 zufolge fehlender Auseinandersetzung mit belastenden Verfahrensergebnissen eingewendet (vgl ON 34). In ihrer Stellungnahme (§ 195 Abs 3 zweiter Satz StPO) hat die Staatsanwaltschaft Salzburg die zuvor als übergangen reklamierten Verfahrensergebnisse erörtert und mit ausführlicher, mängelfreier Begründung dargelegt, weshalb eine Verurteilung aus tatsächlichen Gründen nicht zu erwarten und das Verfahren daher gemäß § 190 Z 2 StPO einzustellen gewesen sei (ON 35). In der dazu erstatteten Äußerung (§ 196 Abs 1 zweiter Satz StPO), in der grundsätzlich eine Begründung im Sinn des § 195 Abs 2 dritter Satz StPO hätte nachgetragen werden können (vgl Nordmeyer, WK‑StPO § 196 Rz 24 [im Druck]), beschränkten sich die Fortführungswerber darauf, den Argumenten der Staatsanwaltschaft zum Wert einzelner Beweismittel ‑ von diesen abgesehen großteils ohne Aktenbezug (vgl RIS‑Justiz RS0117961) ‑ eigene Erwägungen entgegenzustellen und daraus für die Beschuldigten belastende Schlüsse zu ziehen (ON 37). Solcherart haben sie die von § 195 Abs 1 Z 2 StPO gemeinten „erheblichen Bedenken“ weder nominell, noch der Sache nach geltend gemacht (vgl RIS‑Justiz RS0117446 ua). Dem Landesgericht Salzburg war es demnach verwehrt, den Anträgen aus diesem Grund stattzugeben; auf einen Rechtsfehler im Sinn des § 195 Abs 1 Z 1 StPO hat es die Entscheidung nicht gestützt.

Aus den zuvor wiedergegebenen Ausführungen der Generalprokuratur ergibt sich zudem, dass die Begründung des angefochtenen Beschlusses die Annahme erheblicher Bedenken nicht trägt.

Der Beschluss verletzt in seinem Punkt 1 (infolge Missachtung der Antragsbindung des Gerichts) § 195 Abs 2 dritter Satz StPO und in seiner Begründung § 195 Abs 1 Z 2 StPO. Da er zum Nachteil der Beschuldigten wirkte, war er im bezeichneten Umfang gemäß § 292 letzter Satz StPO aufzuheben und in der Sache selbst zu entscheiden. Die Anträge der B‑M***** GmbH und des Bernhard B***** auf Fortführung des Ermittlungsverfahrens waren abzuweisen.

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