Spruch:
Das Urteil des Bezirksgerichts Leopoldstadt vom 14. Juli 2011, GZ 7 U 98/11g-13, verletzt § 30 Abs 1 erster und zweiter Fall SMG sowie § 35 Abs 1 SMG iVm § 37 SMG und § 270 Abs 4 Z 1 und 2 StPO iVm § 458 StPO.
Dieses Urteil und der gemäß § 494a Abs 1 Z 4 StPO gefasste Beschluss werden aufgehoben und es wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Bezirksgericht Leopoldstadt verwiesen.
Text
Gründe:
Mit - in gekürzter Form ausgefertigtem - Urteil des Bezirksgerichts Leopoldstadt vom 14. Juli 2011, GZ 7 U 98/11g-13, wurde Anita B***** einer nicht näher bezeichneten Anzahl von Vergehen des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs 1 Z 1 erster und zweiter Fall und Abs 2 SMG und des unerlaubten Umgangs mit psychotropen Stoffen nach § 30 Abs 1 (zu ergänzen: erster und zweiter Fall) und Abs 2 SMG schuldig erkannt und nach § 27 Abs 2 SMG unter Anwendung des § 28 Abs 1 StGB zu einer Freiheitsstrafe von zwei Monaten verurteilt. Gemäß § 34 SMG iVm § 26 Abs 1 StGB wurden sichergestellte Suchtmittel (nämlich 0,8 Gramm Kokain und 0,6 Gramm Heroin) eingezogen. Mit einem zugleich „gemäß § 449a StPO“ (gemeint richtig: gemäß § 494a Abs 1 Z 4 StPO) gefassten Beschluss wurde die zu AZ 30 BE 289/10t des Landesgerichts Krems an der Donau angeordnete bedingte Entlassung aus Freiheitsstrafen widerrufen.
Nach dem Inhalt des (nicht nach den Aussprüchen gemäß § 260 Abs 1 Z 2 StPO differenzierenden) Schuldspruchs hat Anita B***** in Wien bzw Stockerau
zu näher bezeichneten Zeiten beginnend im Jänner 2010 bis 9. Februar 2011 jeweils Suchtgift, nämlich Heroin und zwei Kugeln Kokain, und
am 14. Jänner 2011 „psychotrope Stoffe, nämlich zehn Stück 'Somnubene'“
jeweils zum persönlichen Gebrauch erworben und besessen.
Rechtliche Beurteilung
Das Urteil des Bezirksgerichts Leopoldstadt steht - wie die Generalprokuratur in ihrer zur Wahrung des Gesetzes erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde ausführt - in mehrfacher Hinsicht mit dem Gesetz nicht im Einklang:
1./ Nach der auch für die Verhandlung vor dem Bezirksgericht geltenden (§ 458 StPO) Bestimmung des § 270 Abs 4 StPO hat eine - unter den in dieser Vorschrift genannten, hier vorgelegenen Voraussetzungen zulässige - gekürzte Urteilsausfertigung die in § 270 Abs 2 StPO genannten Angaben mit Ausnahme der Entscheidungsgründe, also auch die Inhaltserfordernisse nach § 260 StPO (§ 270 Abs 4 Z 1 StPO), sowie im Fall einer Verurteilung die vom Gericht als erwiesen angenommenen Tatsachen in gedrängter Darstellung (§ 270 Abs 4 Z 2 StPO) zu enthalten. Im Urteilstenor, der bei gekürzter Urteilsausfertigung die fehlenden Entscheidungsgründe als Bezugspunkt für die materiellrechtliche Beurteilung ersetzt, ist sohin auszusprechen, welcher Tat der Angeklagte schuldig befunden worden ist, und zwar unter ausdrücklicher Bezeichnung der einen bestimmten Strafsatz bedingenden Tatumstände, worunter nichts anderes zu verstehen ist als die für die Subsumtion entscheidenden Tatsachen (§ 260 Abs 1 Z 1 StPO). Dazu zählen auch Feststellungen zur Beseitigung eines in tatsächlicher Hinsicht konstatierten Ausnahmesatzes oder durch in der Hauptverhandlung vorgekommene Verfahrensergebnisse indizierte Feststellungen zu einem Ausnahmesatz (RIS-Justiz RS0125764).
Der Tatbestand der Privilegierung nach § 27 Abs 2 SMG (Tatbegehung ausschließlich zum persönlichen Gebrauch) umfasst nicht nur den persönlichen Gebrauch des Täters, sondern auch den (für ihn) uneigennützigen persönlichen Gebrauch eines anderen (RIS-Justiz RS0124624; Litzka/Matzka/Zeder, SMG² § 27 Rz 70; Schwaighofer in WK² § 27 SMG Rz 57 jeweils mwN). Diese Privilegierungserfordernisse entsprechen somit den in der - nach Einbringen der Anklage vom Gericht sinngemäß anzuwendenden (§ 37 SMG) - Diversionsbestimmung des § 35 Abs 1 SMG genannten materiellen Voraussetzungen einer ausschließlich für den eigenen persönlichen Gebrauch oder den persönlichen Gebrauch eines anderen ohne daraus gezogenen Vorteil begangenen Straftat nach § 27 Abs 1 und 2 (oder § 30) SMG (vgl 15 Os 12/09t; Schwaighofer in WK² § 27 SMG Rz 59, § 35 SMG Rz 5).
Die Bezirksrichterin hätte im Hinblick auf die ausdrückliche Bejahung eines nach § 27 Abs 2 SMG privilegierten Suchtgiftgebrauchs somit ausdrückliche Urteilsannahmen dahin zu treffen gehabt, weshalb das solcherart in seinen wesentlichen materiellen Prämissen in tatsächlicher Hinsicht konstatierte temporäre Verfolgungshindernis nach den §§ 35 Abs 1, 37 SMG (RIS-Justiz RS0113620 [T2]; Schwaighofer in WK² § 35 SMG Rz 6) nicht verwirklicht wurde.
2./ Im Hinblick auf die konstitutive und taxative Enumeration der Suchtgifte und psychotropen Stoffe in Suchtgiftverordnung und Psychotropenverordnung (BGBl II 1997/374 und 375 in der jeweils geltenden Fassung - vgl die Regelungsverweise in den Legaldefinitionen der Suchtgifte in § 2 Abs 1, 2 und 3 SMG sowie der psychotropen Stoffe in § 3 Abs 1 und 2 SMG) - bezieht sich strafrechtlich relevantes Verhalten nach dem Suchtmittelgesetz (hier laut Schuldspruch § 30 Abs 1 erster und zweiter Fall) immer nur auf in Suchtgiftverordnung oder Psychotropenverordnung konkret erfasste Wirkstoffe. Es sind daher stets konkrete Urteilsfeststellungen zur - solcherart entscheidenden - Tatsache der Beschaffenheit, nämlich der Wirkstoffart (und -menge) der jeweils tatverfangenen Substanzen erforderlich. Die bloße Bezeichnung mit Marken- oder Handelsnamen sowie die bloße Nennung der Anzahl und Bezeichnung von (allenfalls ein Suchtgift oder einen psychotropen Stoff enthaltenden) Tabletten - wie hier vorliegend - vermag somit den aufgezeigten Feststellungserfordernissen nicht zu genügen (RIS-Justiz RS0114428; Litzka/Matzka/Zeder, SMG² § 1 Rz 11 bis 14 mwN).
Da die aufgezeigten Rechtsfehler mangels Feststellungen (zu Punkt 1./ vgl Ratz, WK-StPO § 281 Rz 602 zweiter Absatz) geeignet sind, zum Nachteil der Verurteilten zu wirken, waren das Urteil und demzufolge auch der gemäß § 494a Abs 1 Z 4 StPO gefasste Beschluss aufzuheben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zu verweisen (§§ 292 letzter Satz, 288 Abs 2 Z 3 zweiter Satz StPO).
Im erneuerten Verfahren wird vorerst zu prüfen sein, ob einer weiteren Verfolgung wegen § 30 Abs 1 und 2 SMG nicht das Verbot wiederholter Strafverfolgung (§ 17 Abs 1 StPO) entgegensteht. Denn (auch) die Einstellung des Ermittlungsverfahrens durch die Staatsanwaltschaft gemäß § 190 StPO entfaltet jedenfalls dann eine entsprechende Sperrwirkung, wenn der Beschuldigte im Sinn des § 193 Abs 2 Z 1 StPO in das Verfahren eingebunden wurde, er mithin wegen der Tat vernommen (§§ 164, 165 StPO) oder gegen ihn Zwang ausgeübt wurde (Birklbauer, WK-StPO § 17 Rz 46). Nach der Aktenlage (ON 1 S 2 f sowie ON 11 jeweils in ON 9) wurde das Ermittlungsverfahren gegen Anita B***** wegen der hier in Rede stehenden Tat (Erwerb und Besitz von zehn Stück Somnubene-Tabletten am 14. Jänner 2011 in Wien 1) nach deren Vernehmung als Beschuldigte durch die Kriminalpolizei am 10. Februar 2011 gemäß § 190 Z 1 StPO eingestellt. Eine weitere Verfolgung dieser Tat wäre somit nur bei - seinerzeit angeordneter (vgl Ratz, WK-StPO § 292 Rz 35; RIS-Justiz RS0100341) - Fortführung des Verfahrens gemäß § 193 Abs 2 Z 2 StPO möglich (Nordmeyer, WK-StPO § 190 Rz 25).
Sollte im erneuerten Verfahren festgestellt werden, dass die vom Schuldspruch wegen § 30 Abs 1 erster und zweiter Fall und Abs 2 SMG erfassten Tabletten einen psychotropen Stoff enthalten (vgl Punkt 1./ des Anhangs zur Psychotropenverordnung BGBl II 1997/375 idgF, Arzneimittelliste des Einführungserlasses zum Suchtmittelgesetz, JMZ 703.028/5-II.2/1997), so wird das Bezirksgericht bei einer die Grenzmenge (§ 31b SMG) nicht übersteigenden Menge den Strafausschließungsgrund des § 30 Abs 3 Z 1 SMG zu beachten haben.
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