Spruch:
Der Antrag wird zurückgewiesen.
Text
Gründe:
Mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 12. Juli 2011, GZ 24 Hv 26/11h‑30, wurde Mag. Dr. Frank H***** des Vergehens der schweren Körperverletzung nach §§ 83 Abs 1, 84 Abs 1 StGB schuldig erkannt und zu einer, für eine Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von sieben Monaten verurteilt.
Bei der Strafbemessung wertete das Erstgericht die verstärkte Tatbildmäßigkeit als erschwerend und den bisher ordentlichen Lebenswandel als mildernd. Zudem berücksichtigte die Einzelrichterin die Persönlichkeit des Angeklagten, der „ursprünglich zwar bedauerte, dass sein Kontrahent gestürzt ist und sich verletzt hat, wofür er sich vorerst schuldig erachtete, sich inhaltlich aber sodann nicht schuldeinsichtig verantwortete und zuletzt ausdrücklich leugnete, jemanden verletzt oder gar geschlagen zu haben“ (US 15).
Mit Urteil vom 25. Oktober 2011, AZ 20 Bs 313/11t (ON 42), gab das Oberlandesgericht Wien der Berufung des Angeklagten nicht Folge. Unter Zugrundelegung der gleichen Erschwerungs‑ und Milderungsgründe hielt es eine ‑ bedingt nachgesehene ‑ Freiheitsstrafe von sieben Monaten für angemessen. Bei der Strafbemessung berücksichtigte das Berufungsgericht in der Beurteilung der Persönlichkeit des Angeklagten ausdrücklich nicht, dass sich dieser letztlich nicht schuldeinsichtig verantwortet habe, wohl aber, dass dieser von Anfang an aggressiv eine verbale Auseinandersetzung mit Thomas S***** herbeigeführt und sodann mit seinen Nordic‑Walking‑Stöcken auf ihn eingeschlagen habe, wodurch Thomas S***** eine mit einer Gesundheitsschädigung von mehr als 24 Tagen verbundene schwere Verletzung erlitten habe (US 6 f).
Gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien richtet sich der Antrag des Verurteilten Mag. Dr. Frank H***** auf Erneuerung des Strafverfahrens gemäß § 363a Abs 1 StPO.
Der Erneuerungswerber behauptet eine Verletzung im Recht auf ein faires Verfahren nach Art 6 Abs 1 MRK und einen damit verbundenen Verstoß gegen das verfassungsgesetzliche Verbot eines Zwangs zur Selbstbezichtigung nach Art 90 Abs 2 B‑VG. Das Oberlandesgericht habe nämlich als Berufungsgericht wohl zutreffend erkannt, dass das Erstgericht rechtsfehlerhaft bei der Strafbemessung die mangelnde Schuldeinsicht des Angeklagten und seine zuletzt leugnende Verantwortung berücksichtigt hatte, die damit verbundene Grundrechtsverletzung jedoch nicht spür‑ und messbar ausgeglichen, weil es von einer Herabsetzung der Strafe abgesehen habe.
Damit ist er nicht im Recht.
Rechtliche Beurteilung
Gemäß § 295 StPO enthält das Urteil des Berufungsgerichts der Sache nach stets einen eigenständigen Sanktionsausspruch, der jenen des Erstgerichts ersetzt. Sogar dann, wenn das Berufungsgericht sich im Rahmen eines Berufungspunkts von einer Nichtigkeit des Sanktionsausspruchs überzeugt (§ 281 Abs 1 Z 11 StPO), kassiert es den betroffenen Ausspruch nicht, sondern ersetzt ihn durch einen eigenen Ausspruch (vgl Ratz, WK‑StPO § 295 Rz 2, 4).
Indem das Berufungsgericht im vorliegenden Fall ‑ anders als das Erstgericht ‑ seinen Strafausspruch in den Entscheidungsgründen ausdrücklich nicht (auch) darauf stützte, dass der Angeklagte sich nicht schuldeinsichtig gezeigt und sich letztlich leugnend verantwortet hat, haftet dem Strafausspruch ein Verstoß gegen Art 6 Abs 1 MRK und Art 90 Abs 2 B-VG nicht an. Die vom Oberlandesgericht ausdrücklich als „rechtsfehlerhaft“ bezeichnete Strafzumessungsbegründung der Erstrichterin wurde vielmehr ‑ unbeschadet dessen, dass das Berufungsgericht, wenngleich (auch) aus anderen Gründen als das Erstgericht, im Ergebnis zum selben Strafausmaß fand ‑ gänzlich beseitigt. Anders als im Fall unangemessen langer Verfahrensdauer, die nicht mehr ungeschehen gemacht werden kann und demzufolge auf andere Art ausgeglichen werden muss, bedurfte es daher ‑ dem Antragsvorbringen zuwider ‑ keines messbaren Ausgleichs der dem Erstgericht vorgeworfenen Grundrechtsverletzung in Form einer Reduktion der von diesem ausgesprochenen Freiheitsstrafe.
Ebenso wenig dringt der Antragsteller mit der Geltendmachung unangemessen langer Verfahrensdauer als (weiterem) Verstoß gegen Art 6 Abs 1 MRK durch.
Eine Antragstellung gemäß § 363a StPO vor Feststellung einer Konventionsverletzung durch den EGMR ist unter analoger Anwendung des § 35 Abs 1 MRK nur dann zulässig, wenn die von Art 34 MRK verlangte Opfereigenschaft fortbesteht, der innerstaatliche Instanzenzug ausgeschöpft und eine sechsmonatige Frist nach der endgültigen innerstaatlichen Entscheidung eingehalten wurde (RIS‑Justiz RS0122737).
Dem Erfordernis der Rechtswegerschöpfung wurde entsprochen, wenn von allen effektiven Rechtsbehelfen, durch die in der innerstaatlichen Rechtsordnung vorgesehenen Instanzen Gebrauch gemacht wurde (vertikale Erschöpfung) und die geltend gemachte Konventionsverletzung zumindest der Sache nach und in Übereinstimmung mit den innerstaatlichen Verfahrensvorschriften vor diesen Instanzen vorgebracht wurde (horizontale Erschöpfung; vgl Grabenwarter/Pabel Europäische Menschenrechtskonvention5 § 13 Rz 19, 31).
Nach der Rechtsprechung des EGMR ist der Fristsetzungsantrag gemäß § 91 GOG ein wirksamer und ausreichender Rechtsbehelf zur Verhütung einer unangemessen langen Dauer des Verfahrens bzw zur Hintanhaltung ungebührlicher Verzögerungen (RIS‑Justiz RS0121231, RS0123544, RS0122737 [T7]; EGMR 30. 1. 2001, Holzinger gegen Österreich = ÖJZ 2001/14 [MRK], 478).
Ist eine rasche Erledigung einer gegen ihn erhobenen Anklage aber unabhängig vom Ausgang des Verfahrens schon deshalb im Interesse des Angeklagten gelegen, weil dadurch der ihn belastende Schwebezustand beendet wird, so ist ihm bei Untätigkeit des zur Entscheidung berufenen Erstgerichts zur Erschöpfung des innerstaatlichen Instanzenzugs die Einbringung eines Fristsetzungsantrags gemäß § 91 GOG abzuverlangen (vgl zum Ganzen 12 Os 125/08m).
Das trifft ‑ entgegen der Auffassung des Erneuerungswerbers ‑ auch im gegenständlichen Fall zu.
Richtig ist zwar, dass der Antragsteller bzw sein Verteidiger in der Hauptverhandlung vor dem Bezirksgericht Josefstadt am 20. Jänner 2011 die Übermittlung des Aktes an die Staatsanwaltschaft zur Prüfung des gegen einen weiteren Angeklagten, nämlich den Kontrahenten des Erneuerungswerbers, gerichteten Verdachts der Nötigung und dauernden Sachentziehung begehrte (ON 12 S 15), worauf die Staatsanwaltschaft, bei welcher der Akt nach Übertragung des Hauptverhandlungsprotokolls am 7. Februar 2011 einlangte (ON 1 S 3), ‑ nach Auffassung des Erneuerungswerbers nach einer Phase der Untätigkeit erst ‑ am 23. Mai 2011 den bisherigen Strafantrag gegen einen nunmehr beim Landesgericht für Strafsachen Wien überreichten Strafantrag austauschte (ON 13).
Dessen unbeschadet befand sich das Verfahren gegen den Erneuerungswerber aber auch im Zeitraum von 7. Februar bis 23. Mai 2011 beim Bezirksgericht Josefstadt im Stadium der Hauptverhandlung; mit der Behauptung einer „Rückleitung“ des Verfahrens (iSd früheren Judikatur zu § 276 StPO idF vor dem BGBl I 2007/93) argumentiert der Antrag gesetzesfremd (vgl Danek, WK‑StPO § 276 Rz 12). Dem Antragsvorbringen zuwider wäre daher in Ansehung der Anberaumung eines weiteren Termins für die Hauptverhandlung einem an dieses Gericht gerichteten Fristsetzungsantrag gemäß § 91 GOG kein Hindernis entgegengestanden.
In Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur ‑ jedoch entgegen der hiezu erstatteten Äußerung des Antragstellers ‑ war der Antrag auf Erneuerung des Verfahrens daher zurückzuweisen (§ 363b Abs 1 und Abs 2 Z 3 StPO).
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