Spruch:
Im Strafverfahren gegen Markus R***** wegen des Vergehens der unerlaubten Abwesenheit nach § 8 zweiter Fall MilStG, AZ 10 U 9/06d des Bezirksgerichts Villach, verletzen
1./ die Durchführung der Hauptverhandlung und die Fällung des Urteils am 27. April 2006 in Abwesenheit des Angeklagten § 32 Abs 1 JGG iVm § 46a Abs 2 JGG;
2./ das Urteil vom 27. April 2006 durch Unterlassen von Feststellungen zur subjektiven Tatseite § 8 zweiter Fall MilStG und § 270 Abs 2 Z 5 StPO iVm § 447 StPO idF BGBl 1993/526;
3./ der unvollständige Vermerk im Hauptverhandlungsprotokoll über den Inhalt des am 27. April 2006 verkündeten Urteils § 271 Abs 1 Z 7 StPO iVm § 458 Abs 5 StPO idF BGBl I 2004/164;
4./ die Unterlassung der Zustellung des Protokolls über die Hauptverhandlung vom 27. April 2006 an den Angeklagten § 271 Abs 6 letzter Satz StPO iVm § 458 Abs 5 StPO idF BGBl I 2004/164.
Das Abwesenheitsurteil des Bezirksgerichts Villach vom 27. April 2006, GZ 10 U 9/06d-5, wird aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Bezirksgericht Villach verwiesen.
Text
Gründe:
Mit Urteil des Bezirksgerichts Villach vom 27. April 2006, GZ 10 U 9/06d-5, wurde Markus R***** des Vergehens der unerlaubten Abwesenheit nach § 8 zweiter Fall MilStG schuldig erkannt und zu einer Geldstrafe verurteilt.
Inhaltlich des Schuldspruchs ist der am 15. Oktober 1986 geborene Angeklagte zwischen 24. Oktober und 7. November 2005 in Villach als Rekrut der 1. Kompanie des Pionierbataillons 1 vorsätzlich seiner (richtig:) Truppe ferngeblieben, wodurch er sich, wenn auch nur fahrlässig, dem Dienst für länger als 8 Tage entzog.
Feststellungen zur vorsätzlichen Abwesenheit von der Truppe und zur zumindest fahrlässigen Dienstentziehung für einen länger als achttägigen Zeitraum wurden in den Entscheidungsgründen nicht getroffen.
Die Durchführung der Hauptverhandlung vor dem Bezirksgericht Villach und die Urteilsfällung am 27. April 2006 erfolgten gemäß § 459 StPO idF vor BGBl I 2007/93 in Abwesenheit des ordnungsgemäß geladenen (RS bei S 37 in ON 4) Angeklagten, dessen Vernehmung der Bezirksrichter zufolge geständiger Verantwortung vor der Polizeiinspektion Villach für entbehrlich erachtete (US 4).
Das Protokoll über die Hauptverhandlung am 27. April 2006 (ON 4) enthält zum Inhalt des den Angeklagten schuldig erkennenden Strafurteils folgende Angaben: „Sohin verkündet der Richter das Urteil samt den wesentlichen Gründen.“
Die schriftliche Urteilsausfertigung wurde Markus R***** letztlich am 28. Juni 2011 persönlich ausgefolgt (ON 21 S 1 und 3) und blieb unbekämpft. Eine die Zustellung des Hauptverhandlungsprotokolls anordnende Verfügung ist nicht aktenkundig.
Rechtliche Beurteilung
Im bezeichneten Verfahren wurde - wie die Generalprokuratur in ihrer Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes zutreffend ausführt - das Gesetz mehrfach verletzt.
Im Strafverfahren gegen junge Erwachsene sind gemäß § 32 Abs 1 JGG iVm § 46a Abs 2 JGG die Bestimmungen über das Abwesenheitsverfahren nicht anzuwenden. Die Durchführung der Hauptverhandlung vor dem Bezirksgericht Villach und die Fällung des Urteils am 27. April 2006 in Abwesenheit des jungen Erwachsenen waren daher unzulässig; das Abwesenheitsurteil ist gemäß § 32 Abs 1 JGG nichtig (RIS-Justiz RS0121343, jüngst 11 Os 153/10z).
Gemäß § 270 Abs 2 Z 5 StPO hat das Gericht in den Entscheidungsgründen in gedrängter Darstellung, aber mit voller Bestimmtheit unter anderem anzugeben, welche Tatsachen es als erwiesen angenommen hat. Das Fehlen von Feststellungen etwa zur subjektiven Tatseite begründet sogar Nichtigkeit nach § 281 Abs 1 Z 9 lit a StPO. Soweit sich im Erkenntnis (§ 260 Abs 1 Z 1 StPO) Ausführungen zum vorsätzlichen Fernbleiben von der Truppe und der wenn auch nur fahrlässigen Entziehung aus dem Dienst finden, vermögen diese die dazu zur Gänze fehlenden Feststellungen in den Entscheidungsgründen nicht zu ersetzen (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 271).
Das über die Hauptverhandlung aufzunehmende Protokoll hat gemäß § 271 Abs 1 Z 7 StPO auch den Spruch des Urteils mit den in § 260 Abs 1 Z 1 bis Z 3 StPO bezeichneten Angaben zu enthalten. Der oben erwähnte Vermerk im Hauptverhandlungsprotokoll vom 27. April 2006 genügt diesen Anforderungen nicht.
Gemäß § 271 Abs 6 letzter Satz StPO ist den Beteiligten, soweit sie nicht darauf verzichtet haben, ehestmöglich, spätestens aber zugleich mit dem Urteil eine Ausfertigung des Protokolls über die Hauptverhandlung zuzustellen. Eine entsprechende Verfügung oder die erfolgte Zustellung ist den Akten nicht zu entnehmen.
Es ist nicht auszuschließen, dass sich die Gesetzesverletzungen, insbesondere die Verhandlung und Urteilsfällung in Abwesenheit des Angeklagten, zu dessen Nachteil ausgewirkt haben.
Der Oberste Gerichtshof sah sich somit veranlasst, das angefochtene Urteil des Bezirksgerichts Villach aufzuheben und die Neudurchführung des Verfahrens aufzutragen (§ 292 letzter Satz StPO).
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