OGH 9Ob61/11b

OGH9Ob61/11b21.12.2011

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Rohrer als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf, Hon.-Prof. Dr. Kuras und Mag. Ziegelbauer sowie die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Dehn als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei H*****, vertreten durch Berlin & Partner, Rechtsanwälte in Salzburg, wider die beklagte Partei Ing. H***** N*****, vertreten durch Stolz & Schartner, Rechtsanwälte GmbH in Radstadt, wegen 18.140,25 EUR sA, infolge Revision (Streitwert 12.000 EUR sA) und Rekurs (Streitwert 3.500 EUR sA) der beklagten Partei gegen die Entscheidung des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 28. Juli 2011, GZ 4 R 73/11z-32, mit der der Berufung der klagenden Partei teilweise Folge gegeben und das Urteil des Landesgerichts Salzburg vom 23. Februar 2011, GZ 6 Cg 248/09p-26, teilweise abgeändert und teilweise aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Revision und der Rekurs der beklagten Partei werden zurückgewiesen.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 838,44 EUR sowie 350,46 EUR (darin enthalten 139,74 EUR und 58,41 EUR an USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung und der Rekursbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung

I. Die ordentliche Revision und der Rekurs wurden vom Berufungsgericht mit der Begründung zugelassen, dass es an einer Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur Frage fehle, ob die Fehlerhaftigkeit im Sinne des PHG (Differenz zwischen Branchenüblichkeit und Stand der Technik) auch bei der Beurteilung der Mangelhaftigkeit im Sinne des Gewährleistungsrechts zum Tragen kommt.

Die Klägerin hat in ihrer Revisions- und Rekursbeantwortung darauf hingewiesen, dass aufgrund der konkreten Sachverhaltsfeststellungen bloß die Beurteilung eines Einzelfalls erfolge und keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 bzw § 528 ZPO zu entscheiden sei. Ausgehend davon hat sie unter anderem die Zurückweisung der Revision und auch des Rekurses beantragt.

II. Der Oberste Gerichtshof ist bei der Prüfung der Zulässigkeit der Revision ebenso wie jener des Rekurses nicht an den Ausspruch des Berufungsgerichts gebunden (§ 508a Abs 1 ZPO, § 526 Abs 2 ZPO).

Nach § 502 Abs 1 ZPO bzw § 519 Abs 2 iVm § 502 Abs 1 ZPO ist die Revision ebenso wie der Rekurs nur dann zulässig, wenn die Entscheidung von der Lösung einer Rechtsfrage des materiellen Rechts oder des Verfahrensrechts abhängt, der zur Wahrung der Rechtseinheit, Rechtssicherheit oder Rechtsentwicklung erhebliche Bedeutung zukommt, etwa weil das Berufungsgericht von der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs abweicht oder eine solche Rechtsprechung fehlt oder uneinheitlich ist. Dies ist hier aber nicht der Fall. Die Zurückweisung kann sich auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 510 Abs 3 ZPO).

III. Entscheidungswesentlich ist im Revisionsverfahren nur noch die rechtliche Beurteilung des Berufungsgerichts, dass es einen erheblichen Mangel iSd § 922 ABGB darstelle, wenn der Not-Aus-Schalter des hier von der Klägerin bei der Beklagten erworbenen Motorschlittens bei einer panikartigen und mit großer Wucht ausgeführten Betätigung zu Bruch gehe, ohne dass die Stromzufuhr unterbrochen werde. Aus den wesentlichen Sachverhaltsfeststellungen ist dazu festzuhalten, dass die Klägerin bei der Beklagten Anfang 2009 den Motorschlitten um 15.500 EUR kaufte und dieser in diesem Zusammenhang ein Altgerät zurückgab und dafür eine Gutschrift von 3.500 EUR erhielt. Am 29. 1. 2009 sollte ein Mitarbeiter der Klägerin den in einer Garage abgestellten Motorschlitten beim Lieferanteneingang für einen Transport bereit stellen. Als der Mitarbeiter den Motor gestartet hatte und Gas gab, beschleunigte der Motorschlitten mit Volllast, weil es zu einem Verklemmen des Gashebels gekommen war. Dies kommt bei Vereisungen immer wieder vor und ist häufig mit Motorschlitten fahrenden Personen bekannt. Diese betätigen deshalb regelmäßig vor der Inbetriebnahme einige Male den Gashebel, um zu beobachten, ob dieser durch die Rückholfeder in die Ausgangsposition zurückkehrt. Dies wird auch in der Betriebsanleitung empfohlen. Als der Motorschlitten mit Volllast beschleunigte, betätigte der Mitarbeiter der Klägerin die Bremse und schlug mit der Hand auf den Notfallknopf, der dadurch brach. Ein Ziehen der Abrissleine war dem Mitarbeiter nicht mehr möglich, da der Motorschlitten die Wegstrecke von 13 m bis zur steil abfallenden Geländekante in 2,6 bis 3 Sekunden bewältigte, dann abhob, durch die Luft flog und gegen einen Holzstapel prallte. Auch durch eine Abwehrlenkung oder die Betätigung des Bremshebels war der Unfall nicht mehr zu vermeiden. Technisch bestünde die Möglichkeit, den Not-Aus-Schalter auch bruchsicher zu gestalten oder so zu konstruieren, dass bei Abriss des Schalters die Triebwerke ausgeschalten werden. Hätte der Not-Aus-Schalter funktioniert, wäre der Unfall vermeidbar gewesen. Die Konstruktion des Not-Aus-Schalters ist allerdings weit verbreitet. Eine konkrete Vorschrift für die Ausgestaltung des Not-Aus-Schalters besteht nicht.

Die Klägerin begehrt die Aufhebung des Kaufvertrags wegen eines Mangels, dessen Behebung von der Beklagten abgelehnt wurde, sowie die Rückzahlung der „Anzahlung von 3.500 EUR“. Darüber hinaus begehrt sie Kosten aus dem Krankenstand wegen der Verletzung ihres Mitarbeiters, die aber mittlerweile bereits rechtskräftig abgewiesen wurden. Es gehöre zu den gewöhnlich vorausgesetzten Eigenschaften, dass ein Not-Aus-Schalter eines derart kraftvollen Motorschlittens auch in extremer Not- und Paniksituationen funktioniere und es auch bei einer kräftigen Betätigung des Schalters zu keinem Funktionsausfall kommen dürfe.

Die Beklagte beantragte die Abweisung und wendete zusammengefasst ein, dass auf die Möglichkeit der Vereisungen und des Blockierens des Gaspedals hingewiesen worden sei. Neben dem Not-Aus-Schalter bestehe auch die Reißleine. Jedenfalls sei von einem gravierenden Bedienungsmangel auszugehen.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es ging zusammengefasst rechtlich davon aus, dass der Not-Aus-Schalter nicht mangelhaft oder vorschriftswidrig gewesen sei. Nach der Verkehrsauffassung könne von Seiten der Klägerin ein funktionstauglicher und verkehrsüblicher Not-Aus-Schalter erwartet werden.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin teilweise Folge. Es gab dem Aufhebungsbegehren hinsichtlich des Kaufvertrags statt, wies rechtskräftig das Schadenersatzbegehren ab, hob das Urteil hinsichtlich des Rückforderungsbegehrens (3.500 EUR) und der Entscheidung über die Prozesskosten auf und verwies die Rechtssache zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht. Rechtlich ging das Berufungsgericht davon aus, dass bei einem Sicherheits-Not-Ausschalter als gewöhnliche Funktionsweise vorausgesetzt werden müsse, dass dieser bruchsicher oder so gestaltet werde, dass beim Zerbrechen der Motor ausgeschaltet werde. Der Oberste Gerichtshof habe zu § 5 PHG ausgeführt, dass der Hersteller zur Gewährleistung der erforderlichen Produktsicherheit im Rahmen der Konzeption und Planung des Produkts diejenigen Maßnahmen zu treffen haben, die zur Vermeidung einer Gefahr objektiv erforderlich und nach objektiven Maßstäben zumutbar seien. Diese hätten den jeweils neuesten Stand der Wissenschaft und Technik zu entsprechen ohne dass dies mit der „Branchenüblichkeit“ gleichzusetzen sei. Wenngleich zwischen dem Gewährleistungsrecht und dem Produkthaftungsrecht zu differenzieren sei, könne dies auch als Richtschnur für die Gewährleistung für neue Geräte herangezogen werden. Es dürfe von den betroffenen Verkehrskreisen erwartet werden, dass ein Not-Aus-Schalter verlässlich die Stromzufuhr zum Motor unterbreche und in Notsituationen bei einer panikartigen Bedienung nicht zu Bruch gehe oder bei einem solchen Bruch die Stromzufuhr unterbrochen werde. Wegen der unstrittigen Ablehnung des Verbesserungsbegehrens durch die Beklagte bestehe der Wandlungsanspruch zu Recht. Im Hinblick auf die Weiterveräußerung des gebrauchten Motorschlittens habe die Klägerin Anspruch auf ein angemessenes Entgelt für diesen iSd § 1431 ABGB (verschaffter „Nutzen“).

IV. Die gegen dieses Urteil erhobene Revision bzw der gegen den Aufhebungsbeschluss erhobene Rekurs relevieren im Wesentlichen einerseits, dass keine Mangelhaftigkeit des Produkts vorliege und dass diese jedenfalls nicht eine Mangelhaftigkeit im Sinne der Bestimmung des § 922 ABGB darstelle.

Rechtliche Beurteilung

Nach § 922 Abs 1 ABGB besteht ein Gewährleistungsanspruch dafür, dass die Sache die bedungenen oder gewöhnlich vorausgesetzten Eigenschaften hat, dass sie seiner Beschreibung, einer Probe oder einem Muster entspricht und dass sie der Natur des Geschäfts oder der getroffenen Verabredung gemäß verwendet werden kann.

Nach ständiger Rechtsprechung ist also eine Leistung dann als mangelhaft im Sinne dieser Bestimmung anzusehen, wenn sie qualitativ oder quantitativ hinter dem geschuldeten, also dem Vertragsinhalt zurückbleibt (RIS-Justiz RS0018547).

Konkret geht es hier darum, welche Eigenschaft eines Sicherheits-Not-Aus-Schalters „als gewöhnlich vorausgesetzt“ im Sinne dieser Bestimmung angesehen werden kann. Dafür ist nach ständiger Rechtsprechung die „Verkehrsauffassung“ maßgeblich (RIS-Justiz RS0114333). Diese gewöhnlich vorausgesetzten Eigenschaften bedürfen keiner besonderen Abrede, sondern sind mangels gegenteiliger Vereinbarung als stillschweigend vereinbart anzusehen (vgl etwa P. Bydlinski in KBB § 922 Rz 9 uva). Abgestellt wird darauf, ob der Erwerber nach der Verkehrsauffassung annehmen kann, dass diese Eigenschaften vorhanden sind. Diese Einschätzung nach der Verkehrsauffassung liegt auch der Beurteilung des Berufungsgerichts zugrunde, sodass dieses nicht von der ständigen Rechtsprechung abweicht. Dass zu dieser Verkehrsauffassung auch die Verkehrs- und Betriebssicherheit gehört, hat der Oberste Gerichtshof bereits ausgesprochen (RIS-Justiz RS0110191). Dass ein insoweit bestehender Mangel wohl regelmäßig auch ein fehlerhaftes Produkt iSd § 1 Abs 1 bzw § 5 Abs 1 PHG darstellt (nicht die Sicherheit bietet, die man unter Berücksichtigung aller Umstände zu erwarten berechtigt ist) stellt eine weitere Konsequenz, aber keine Abweichung von den oben dargestellten Grundsätzen dar.

Gerade bei Bedienungselementen, die für Notsituationen mit schnell fahrenden Fahrzeugen ein plötzliches Abschalten des Motors gewährleisten sollen, kann unter Berücksichtigung dieser Zweckbestimmung davon ausgegangen werden, dass diese möglichst auch bei einer panikartigen Manipulation den Zweck erfüllen müssen. Insoweit hat das Berufungsgericht zutreffend, aber durchaus ausgehend von der bereits bestehenden Rechtsprechung, den Gewährleistungsanspruch bejaht. Warum es - wie die Beklagte nunmehr ausführt - ausreichen sollte, dass der Motor auch auf andere Weise abgestellt werden kann, ist gerade unter Berücksichtigung der zeitlichen Dimension (hier wurde festgestellt, dass eine entsprechende andere zusätzliche Reaktion gar nicht mehr möglich war) nicht ersichtlich. Für die Beurteilung des hier geltend gemachten Gewährleistungsanspruchs ist es auch nicht entscheidend, ob dem Mitarbeiter der Klägerin beim Hantieren mit dem Motorschlitten selbst Fehler unterlaufen sind.

Insgesamt vermögen jedenfalls die Ausführungen der konkreten Rechtsmittel keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO darzustellen.

Diese waren daher zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 50 und 41 ZPO. Die Klägerin hat auf die Unzulässigkeit der Rechtsmittel hingewiesen.

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