OGH 3Ob165/11b

OGH3Ob165/11b14.12.2011

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Prückner als Vorsitzenden sowie den Hofrat Hon.-Prof. Dr. Neumayr, die Hofrätin Dr. Lovrek und die Hofräte Dr. Jensik und Dr. Roch als weitere Richter in der Pflegschaftssache der minderjährigen M*****, vertreten durch die Mutter P*****, wegen Übertragung der Obsorge, über den außerordentlichen Revisionsrekurs des Pflegevaters M*****, vertreten durch Mag.. Irene Oberschlick, Rechtsanwältin in Wien, gegen den Beschluss des Landesgerichts Korneuburg als Rekursgericht vom 14. Juni 2011, GZ 20 R 52/11d-77, womit infolge Rekurses des Pflegevaters der Beschluss des Bezirksgerichts Gänserndorf vom 23. Februar 2011, GZ 1 PS 84/10h-70, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden aufgehoben und die Pflegschaftssache an das Erstgericht zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung über den Antrag des Pflegevaters auf Obsorgeübertragung zurückverwiesen.

Text

Begründung

Die minderjährige M*****, ist das uneheliche Kind von P***** (im Weiteren: Mutter) und E***** (im Weiteren: Vater). Mit schriftlicher Zustimmung ihrer allein obsorgeberechtigten Mutter zur Übernahme der Minderjährigen in die „volle Erziehung der Stadt Wien“ wurde diese am 17. Juli 2001 „in Pflege und Erziehung der Stadt Wien (Pflegeeltern)“ übernommen (siehe AS 87) und am 28. September 2001 als Pflegekind bei den (nicht verheirateten, jedoch im gemeinsamen Haushalt lebenden) Pflegeeltern M***** (in Hinkunft: Pflegevater) und A***** (in Hinkunft: Pflegemutter) in Wien untergebracht.

Nach den Pflegeaufsichtsberichten der Jahre 2002 bis 2009 (Kopien des Aktes des Jugendwohlfahrtsträgers [JWT]) war die Unterbringung bei den Pflegeeltern ein Erfolg. Der Pflegevater hatte zum Kind eine besonders intensive Beziehung. Im Jahr 2005 zog die gesamte Familie, zu der auch die mj leibliche Tochter der Pflegemutter E***** (vgl AS Bd I/175 = S 1 der ON 29 vom Juli 2010, damals 14 Jahre alt), zählte, in ein Haus nach Niederösterreich. Allerdings trennten sich die Pflegeeltern am 1. Oktober 2009. Die Pflegemutter zog mit E***** nach Wien, das Pflegekind verblieb zunächst beim Pflegevater (laut seinen Behauptungen einvernehmlich) in Niederösterreich, obwohl die Pflegemutter rasch erhebliche Bedenken dagegen anmeldete (siehe die Kopien des Aktes des JWT ab AS 111 sowie den Abschlussbericht dort AS 163); zur Pflegemutter bestand vorerst Besuchskontakt.

Der Pflegevater stellte schon am 21. Oktober 2009, also zu einem Zeitpunkt, als er die Pflege und Erziehung jedenfalls überwiegend besorgte, den im Revisionsrekursverfahren noch immer (alleine) gegenständlichen Antrag, ihm die alleinige Obsorge für das Kind zu übertragen (ON I/1).

Der JWT führte parallel eine psychologische Abklärung der Frage durch, ob das Kind beim Pflegevater oder bei der Pflegemutter verbleiben solle. Von der Psychologin (siehe deren Stellungnahme AS I/89 - 109) wurde der weitere Verbleib der Minderjährigen bei der Pflegemutter befürwortet, sodass der JWT am 5. Februar 2010 entschied, dass sie in Hinkunft bei ihrer Pflegemutter und Pflegeschwester leben soll, was auch dem Wunsch der Minderjährigen entspreche (siehe AS I/27 und 85). Daher lebt sie seit 8. Februar 2010 bei der Pflegemutter, besuchte aber weiter die Volksschule in Niederösterreich.

Am 4. März 2010 wurde eine Besuchsrechtsvereinbarung zwischen den Pflegeeltern und dem JWT geschlossen (siehe AS I/37) mit der dem Pflegevater folgendes, vorerst bis 5. Oktober 2010 befristetes Besuchsrecht eingeräumt wurde: 14-tägig von Freitag nach der Schule bis Montag früh und wöchentlich von Dienstag nach der Schule bis Mittwoch nach dem Ballett (19:00 Uhr), halbe Karwoche und 3 Einzelwochen im Sommer.

Sodann wiederholte der Pflegevater seinen Obsorgeantrag mit folgender, später ergänzter wesentlicher Begründung: Er sei von Anfang des Pflegeverhältnisses an die Hauptbezugsperson der Minderjährigen gewesen und habe sie schon lange adoptieren wollen. Zwischen den Pflegeeltern sei ihr Verbleib beim Pflegevater wegen der besonders engen Beziehung vereinbart worden und um sie nicht aus ihrem sozialen Umfeld zu reißen. Zur besseren Verarbeitung der Trennung der Pflegeeltern sei auch psychotherapeutische Behandlung des Mädchens vereinbart und durchgeführt worden. Dennoch habe die Pflegemutter gegen den Pflegevater - unbegründet - massive Vorwürfe erhoben und schließlich habe der JWT am 5. Februar 2010 aufgrund einer vorerst nur mündlichen Stellungnahme einer Psychologin entschieden, dass die Minderjährige in der Zukunft bei der Pflegemutter leben sollte, obwohl sie einen solchen Wunsch nie geäußert habe. Dabei habe es sich um eine rechtswidrige und willkürliche, weil auf einem nicht lege artis erstellten Gutachten gegründete Maßnahme gehandelt, die das Kind gegen seinen Willen grundlos aus seinem Zuhause und täglichen sozialen Umfeld gerissen und seiner engsten Bezugsperson entzogen habe. Dadurch sei das Kindeswohl gefährdet, aber auch weil die Pflegemutter über ihre Tochter Druck auf die Minderjährige ausübe, untaugliche und nicht altersgerechte Erziehungsmethoden mit Essensentzug („dinnercancelling“) anwende, die geeignet seien, eine Essensstörung der Minderjährigen zu bewirken, gegenüber dem Pflegevater bindungsintolerant sei, einen ausreichenden Kontakt der Minderjährigen zum Pflegevater zu unterbinden versuche, das Kind hin- und herschiebe, diese - statt ihr die nötige Förderung und Unterstützung zu gewähren - mit ihren Aufgabenstellungen alleine lasse und beim Scheitern bestrafe sowie trotz Problematisierens ihres „Übergewichts“ sportliche Aktivitäten untersage. Mehrmals beantragte der Pflegevater die Einholung eines kinderpsychiatrischen Gutachtens (zuletzt ON II/69).

Diesen Vorwürfen trat die Pflegemutter, die die Abweisung des Obsorgeantrags und ein 14-tägiges Wochenendbesuchsrecht begehrte, entgegen (ON I/21). Der Pflegevater habe mangels leiblicher Kinder die Pflegetochter „besetzt“ und als Partnerersatz verwendet und ein unangemessenes Verhältnis zu ihr unterhalten, das ein Hauptgrund für die Trennung der Pflegeeltern gewesen sei. Er habe zuletzt versucht, jeden Kontakt zur Pflegemutter samt ihrer Familie zu unterbinden und ihr 13 außerschulische Aktivitäten „aufgebrummt“, zu denen er sie persönlich gebracht und abgeholt habe. Sie sei von ihm auch massiv unter Druck gesetzt worden und habe deshalb in der Trennungssituation an Schuldgefühlen gelitten. Eine Vereinbarung über den Verbleib beim Pflegevater habe nie bestanden, vom Obsorgeantrag des Pflegevaters habe die Pflegemutter keine Kenntnis gehabt. Jetzt genieße das Mädchen die Möglichkeit, wieder Kind zu sein. Die Beziehung zur Pflegemutter und ihrer Familie werde aber durch die beinahe eine Halbe/Halbe-Lösung darstellende Besuchsrechtsregelung „zerrissen“. Die Obsorge solle beim JWT verbleiben. Hilfsweise beantragte die Pflegemutter, ihr die Obsorge zu übertragen. Die Aufrechterhaltung der Beziehung zum Pflegevater sei wichtig, weshalb die Pflegemutter einem angemessenen Besuchsrecht und Kontakten offen gegenüber stehe und diese regelmäßig auch ermögliche.

Der JWT spricht sich erkennbar gegen den Obsorgeantrag des Vaters aus.

Im ersten Rechtsgang wies das Erstgericht mit Beschluss vom 23. Juli 2010, ON I/30, den Obsorgeantrag des Vaters mangels Gefährdung des Kindeswohls ab und räumte ihm ein Besuchsrecht 14-tägig von Freitag nach der Schule bis Sonntag 19:00 Uhr und wöchentlich von Dienstag nach der Schule bis Mittwoch nach dem Ballett (19:00 Uhr) ein. Dieser Beschluss wurde mehrfach bekämpft.

Laut der Äußerung des JWT vom 7. Oktober 2010, ON I/53, wurde das vom Erstgericht festgelegte, im Wesentlichen der Vereinbarung entsprechende Besuchsrecht „de facto seit 4. 3. 2010“ umgesetzt, was zu einer Aufteilung des Kindes zwischen den Pflegeeltern, gerechnet auf vier Wochen (= 28 Tage), von 12 Tagen beim Pflegevater (= 43 %) und 16 Tagen bei der Pflegemutter (= 57 %), also fast zu einer Halbe/Halbe-Lösung führte.

Am 9. November 2010 teilte der JWT mit, er habe wegen der vermehrten schulischen Belastung im Gymnasium und dem vor allem die Minderjährige und die Familie der Pflegemutter belastenden „Hin und Her“ mangels Einigung der Pflegeeltern folgendes neues Besuchsrecht ab 4. November 2010 festgesetzt (ON I/59): 14-tägig von Samstag nach der Schule bis Sonntag 18:00 Uhr und wöchentlich von Mittwoch nach der Schule bis Donnerstag früh sowie ein einwöchiges Weihnachtsbesuchsrecht (gerechnet auf 4 Wochen entspricht das einer Besuchszeit des Pflegevaters von 2 x 1,5 Tagen und 4 x 0,75 Tagen, das sind zusammen 6 Tage, also nur mehr etwa 21 %).

Das Rekursgericht hob am 25. November 2010 den Beschluss des Erstgerichts zu Obsorge und Besuchsrecht auf, weil bisher eine Anhörung der Minderjährigen und eine Zustellung des Berichts der Jugendgerichtshilfe ON 29 an die Parteien unterlassen worden und deshalb das Verfahren mangelhaft geblieben sei (ON I/60). Es trug dem Erstgericht die Abhaltung einer Tagsatzung auf, in der ua die Minderjährige zu vernehmen sei und mit den Parteien die Ergebnisse des Berichts ON 29 zu erörtern seien.

Vom Erstgericht wurde darauf die Minderjährige am 18. Jänner 2011 allein befragt, wobei das mittlerweile im 12. Lebensjahr befindliche Kind seine Antworten mit dem Satz „Eigentlich würde ich schon gern beim [Pflegevater] wohnen.“ schloss (ON I/64). Die Erstrichterin verfasste zu dieser Anhörung einen Aktenvermerk (ON I/64a), nach dem die Minderjährige zur Obsorgefrage nach Beendigung der Protokollierung gemeint habe, „dass sie doch ganz gern auch [beim Pflegevater] wohnen würde, drückt aber gleichzeitig Besorgnis aus, da ihre Schwester gesagt habe, wenn sie [zum Pflegevater] ziehe, wolle sie nichts mehr mit ihr zu tun haben. Diese Aussage dürfte [der Minderjährigen] sehr zugesetzt haben.“

Das Erstgericht stellte dann (nur) das Protokoll ON 64 und den Bericht ON 29 der Pflegemutter, dem Pflegevater, dem JWT, der Mutter und dem Vater zur allfälligen Äußerung binnen 14 Tagen zu, nicht jedoch den Aktenvermerk ON I/64a.

Bis auf den Vater äußerten sich alle Angesprochenen (ON II/67 JWT, ON II/68 Pflegemutter, ON II/69 Pflegevater) einschließlich der Mutter (ON I/66). Darin legt diese offen, dass ihr die Bedeutung der Begriffe Obsorge und Fürsorge nicht wirklich klar seien, weshalb sie um Rechtsbelehrung bat. Inhaltlich befürwortete sie, dass beide Pflegeeltern die Fürsorge zu gleichen Teilen bekommen sollten, wenn der Fürsorgestreit aber zur Gefährdung des Wohls ihrer Tochter führen könnte, sollte neu beurteilt werden.

Daraufhin entschied das Erstgericht mit Beschluss vom 23. Februar 2011 nach Richterwechsel - ohne Rechtsbelehrung der Mutter und ohne die aufgetragene Tagsatzung zwecks Erörterung abzuhalten, aber auch ohne jede weitere Beweisaufnahme - neuerlich, und zwar ausdrücklich nur über den Obsorgeantrag, der abgewiesen wurde (ON II/70); zum Besuchsrecht sprach es einen Entscheidungsvorbehalt aus und bestellte gleichzeitig in einem gesonderten Beschluss eine Sachverständige für die Besuchsrechtsfrage.

Es ging im Wesentlichen von folgendem Sachverhalt aus: Die Minderjährige lebt mit ihrer Pflegemutter und deren 14-jährigen Tochter in einer nett eingerichteten und sehr gepflegten Wohnung. Jedes Kind hat ein eigenes Zimmer. Die Minderjährige besucht seit Herbst 2010 das Musikgymnasium in 1070 Wien. Sie ist ein sehr begabtes und interessiertes Kind und hat ein dichtes Freizeitprogramm. So spielt sie zB Klavier, singt in einem Chor und nimmt Ballettunterricht. Die Trennung der Pflegeeltern war für sie sehr belastend, sie leidet unter einem Loyalitätskonflikt. Sie möchte, dass beide Pflegeeltern wieder zusammen wären und wünscht sich großzügigen Besuchskontakt zum Antragsteller. Der Pflegevater hat sich von Beginn an sehr um das Mädchen bemüht, sie mit großer Fürsorge und großem Einsatz betreut und sie sehr an sich gebunden, sodass die Beziehung besonders eng wurde. Der Antragsteller hat Besuchskontakt zur Minderjährigen, zuletzt jeweils 14-tägig von Samstag nach der Schule bis Sonntag Abend und wöchentlich von Mittwoch nach der Schule bis Donnerstag Schulbeginn. Er bewohnt ein geräumiges, weitläufiges Haus. Zwischen den Pflegeeltern besteht hohes Konfliktpotential und kaum eine Gesprächsbasis. Die Mutter der Minderjährigen befürwortet, dass beide Pflegeeltern mit der „Fürsorge“ betraut werden, weil beide für ihre Tochter sehr wichtig seien.

Rechtlich folgerte der Erstrichter, der Pflegevater sei antragslegitimiert, weil er bei Antragstellung die faktischen Voraussetzungen des § 186 ABGB für die Stellung als Pflegeeltern erfüllt habe. Ein Erfolg des Antrags scheitere aber daran, dass dafür eine Kindeswohlgefährdung Voraussetzung sei, die hier bei einem Verbleib bei der Pflegemutter nicht gegeben sei.

Dem Rekurs des Pflegevaters gab das Rekursgericht nicht Folge und erklärte den ordentlichen Revisionsrekurs für nicht zulässig. Dem Obsorgeantrag des Pflegevaters stehe der Wortlaut des § 186a ABGB entgegen. Danach bedürfe die Anwendung dieser Bestimmung einerseits der Pflegeelterneigenschaft, nämlich der zumindest teilweisen Pflege und Erziehung des Kindes durch den Antragsteller, andererseits auch dessen persönlicher Beziehung zum Kind in vergleichbarer Intensität zum Verhältnis zwischen leiblichen Eltern und Kindern. Da der Antragsteller seit 5. Februar 2010 nicht mehr mit der Pflege und Erziehung des Kindes betraut sei, sei es nicht möglich, ihm die Obsorge zu übertragen. Der ordentliche Revisionsrekurs sei nicht zulässig, weil keine Rechtsfrage der im § 62 Abs 1 AußStrG geforderten Qualität vorliege.

Dagegen richtet sich der außerordentliche Revisionsrekurs des Pflegevaters wegen Mangelhaftigkeit und unrichtiger rechtlicher Beurteilung, mit dem Antrag auf Abänderung im Sinn einer Stattgebung des Obsorgeantrags, hilfsweise Aufhebung in die erste Instanz zur Verfahrensergänzung. Er wendet sich ua gegen die Verneinung seiner Qualifikation als Pflegevater und macht auch sekundäre Feststellungsmängel zu der von ihm behaupteten Gefährdung des Kindeswohls geltend.

Die freigestellten Revisionsrekursbeant-wortungen der Pflegemutter und des JWT verneinen das Vorliegen erheblicher Rechtsfragen und treten den Argumenten des Pflegevaters auch inhaltlich entgegen.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist zulässig, weil es einer Klarstellung zur Frage der Beendigung der Pflegeelterneigenschaft iSd § 186 ABGB bedarf. Der hilfsweise gestellte Aufhebungsantrag ist auch berechtigt:

1. Die Rechtsansicht des Rekursgerichts, dem Antragsteller (zwar nicht die Antragslegitimation) abzusprechen, wohl aber die zivilrechtliche Stellung als Pflegevater nunmehr zu verweigern, weil er seit 5. Februar 2010 nicht mehr mit Pflege und Erziehung „betraut“ sei bzw ihm diese nicht mehr „zustehe“, ist nicht zutreffend.

1.1. Zum einen ist es herrschende Ansicht, dass die Pflegeelterneigenschaft nach § 186 ABGB kraft Gesetzes gegeben ist, wenn die gesetzlichen Tatbestandsmerkmale vorliegen, sodass es auf die Art des Begründungsaktes oder auf die Rechtsgrundlage dafür nicht ankommt (8 Ob 54/11s; Deixler-Hübner in Kletecka/Schauer, ABGB-ON 1.00 § 186 Rz 3 und 5; Hopf in KBB³ § 186 Rz 1; Weitzenböck in Schwimann, ABGB-TaKomm § 186 Rz 2; Barth/Neumayr in Fenyves/Kerschner/Vonkilch, Klang³ § 186 Rz 18; Haberl in Schwimann³ § 186 Rz 3; Stabentheiner in Rummel³ ErgBd § 186 Rz 2). Konsequenterweise hat dies auch für die Beendigung der Pflegeelterneigenschaft zu gelten, die somit endet, wenn die in § 186 ABGB genannten Tatbestandsvoraussetzungen nicht mehr erfüllt sind. Allein die Aufhebung des Pflegevertrags führt per se nicht zur Beendigung der Pflegeelternschaft (im Innenverhältnis); liegen ungeachtet dieser geänderten Umstände die Tatbestandsmerkmale des § 186 ABGB weiterhin vor, so bleibt die Pflegeelternschaft nur im Innenverhältnis bestehen (Barth/Neumayr in Fenyves/Kerschner/Vonkilch, Klang³ § 186 Rz 37). Das Rekursgericht stellt aber nicht auf die faktischen Verhältnisse ab, sondern erkennbar auf den Entzug der Ermächtigung zu pflegen und zu erziehen durch den JWT. Es kommt aber darauf an, wie die Pflege und Erziehung der Minderjährigen seit der Trennung tatsächlich besorgt wird.

1.2. Zum anderen ist dem Antragsteller beim vorliegenden speziellen Sachverhalt nicht abzusprechen, dass er nach wie vor als Pflegevater iSd § 186 ABGB anzusehen ist. § 186 ABGB lautet: „Pflegeeltern sind Personen, die die Pflege und Erziehung des Kindes ganz oder teilweise besorgen und zu denen eine dem Verhältnis zwischen leiblichen Eltern und Kindern nahekommende Beziehung besteht oder hergestellt werden soll. Sie haben das Recht, in den die Person des Kindes betreffenden Verfahren Anträge zu stellen.“ Die Umschreibung des Begriffs „Pflegeeltern“ knüpft somit an zwei Merkmale an: Die - tatsächliche - ganze oder teilweise Besorgung der Pflege und Erziehung sowie das Bestehen einer dem Verhältnis zwischen leiblichen Eltern und Kindern nahekommenden persönlichen Beziehung oder die Absicht, eine solche herzustellen.

Das Bestehen der geforderten emotionalen Beziehung zwischen der Minderjährigen und dem Pflegevater ist in keiner Weise strittig. Es kommt daher nur darauf an, ob man die - sowohl von Seiten des JWT als auch der Pflegemutter einvernehmliche, also rechtmäßige (vgl dazu Barth/Neumayr in Fenyves/Kerschner/Vonkilch, Klang³ § 186 Rz 14) - Anwesenheit des Kindes beim Pflegevater nach dem 8. Februar 2010 noch als (nach dem Gesetz ausdrücklich ausreichende) teilweise tatsächliche Besorgung der Pflege und Erziehung ansehen will; davor, also auch bei Antragstellung im Oktober 2009, kann wegen des festgestellten Verbleibs des Kindes im Haushalt des Pflegevaters ohnehin kein Zweifel daran bestehen.

Das ist bei den besonderen Umständen des hier zu beurteilenden Einzelfalls zu bejahen. Ursprünglich hat ja über etwa ein Jahr eine Betreuung des Kindes durch den Pflegevater in einer zeitlichen Ausdehnung stattgefunden, die eine fast gleichmäßige Aufteilung des Verbleibs des Kindes bei beiden Pflegeeltern bedeutete; diese wurde zwar nunmehr seit etwas mehr als einem Jahr auf ein großzügiges Besuchsrecht eingeschränkt. Das schadet aber angesichts des zweifellos ernstlichen und ununterbrochenen Bemühens des Vaters seit fast zwei Jahren in Fortsetzung des davor etwa acht Jahre bestandenen Pflegeverhältnisses und der Sondersituation einer Trennung der Pflegeeltern nicht. Angesichts der fortdauernden teilweisen Besorgung der Pflege und Erziehung durch den Antragsteller ist daher auch der Weiterbestand seiner zivilrechtlichen Stellung als Pflegevater zu bejahen.

1.3. Das steht mit der Entscheidung des Obersten Gerichtshofs zu 7 Ob 91/05s (= RIS-Justiz RS0120059) nicht im Widerspruch, weil es dort um eine Antragstellung nach Entfernung des Kindes von den Pflegeeltern und um einen Zeitraum von 40 Monaten bis zur Entscheidung der zweiten Instanz ging, in der überhaupt kein Kontakt der Pflegeeltern zum Kind mehr bestand.

Auch die Konsequenz der hier vertretenen Rechtsansicht, die die Existenz von Pflegeeltern zur Folge hat, die nicht im dauernden gemeinsamen Haushalt leben, obwohl das Tatbestandsmerkmal der tatsächlichen Betreuung durch beide die Eingliederung in einen gemeinsamen Haushalt in der Regel voraussetzen wird (vgl Barth/Neumayr in Fenyves/Kerschner/Vonkilch, Klang³ § 186 Rz 13), zwingt im vorliegenden Einzelfall nicht zu einer anderen Beurteilung. Es handelt sich dabei nämlich nicht um eine unabdingbare gesetzliche Voraussetzung, weshalb gerade im Zusammenhang mit der Trennung von vormals im gemeinsamen Haushalt lebenden Pflegeeltern und einem Obsorgestreit wie dem vorliegenden für dessen Dauer bei entsprechend intensiven Kontakten des Kindes zu beiden Pflegeelternteilen vom Weiterbestand von zwei parallelen Pflegeverhältnissen ausgegangen werden kann.

Zusammenfassend ist daher sowohl die Antrags- und Rechtsmittellegitimation des Antragstellers zu bejahen, als auch seine nach wie vor aufrechte materiell-rechtliche Stellung als Pflegevater.

2. § 186a Abs 1 und 2 ABGB sehen vor, dass das Gericht einem Pflegeelternpaar (Pflegeelternteil) auf seinen Antrag die Obsorge für das Pflegekind ganz oder teilweise zu übertragen hat, wenn das Pflegeverhältnis nicht nur für kurze Zeit beabsichtigt ist und die Übertragung dem Wohl des Kindes entspricht; sind die Eltern oder Großeltern mit der Obsorge betraut und stimmen sie der Übertragung nicht zu, so darf diese nur verfügt werden, wenn ohne sie das Wohl des Kindes gefährdet wäre.

2.1. Es entspricht herrschender Ansicht, dass auch bei freiwilliger voller Erziehung nach § 28 JWG (§ 34 Wr JWG) die Eltern Obsorgeträger bleiben (Fischer-Czermak in Kletecka/Schauer, ABGB-ON 1.00 § 137a Rz 2; Kathrein in Fenyves/Kerschner/Vonkilch, Klang³ § 215 Rz 19; Jaksch-Ratajczak, EF-Z 2007/85 [86 f]; Winterroither, ÖA 2006, 79 [80]). Zu Recht ist daher das Erstgericht davon ausgegangen, dass die Mutter nach wie vor uneingeschränkt obsorgeberechtigt ist. Da ihrer Äußerung (ON I/66) - ungeachtet allfälliger rechtlicher Unklarheiten - eine Zustimmung zur begehrten Übertragung der Obsorge für ihre Tochter an den Pflegevater allein nicht zu entnehmen ist, kommt jedenfalls derzeit eine solche nur dann in Frage, wenn sonst das Wohl des Kindes gefährdet wäre. Der Oberste Gerichtshof hat bereits klargestellt, dass das Gesetz nicht vorsieht, dass neben einem Elternteil ein Pflegeelternteil mit der Obsorge betraut werden kann (7 Ob 144/02f = RIS-Justiz RS0116924). Eine Obsorgeübertragung an den Pflegevater setzt daher voraus, dass der Mutter die Obsorge entzogen wird, was nur bei akuter Kindeswohlgefährdung in Betracht kommt, sodass eine solche Maßnahme nur als ultima ratio gerechtfertigt ist (2 Ob 295/97i = RIS-Justiz RS0108442; Fischer-Czermak in Kletecka/Schauer, ABGB-ON 1.00 § 186a Rz 2; Barth/Neumayr in Fenyves/Kerschner/Vonkilch, Klang³ § 186a Rz 9).

2.2. Der Umstand dass die Mutter die Pflege und Erziehung für ihre Tochter dem JWT übertragen hat, diese also derzeit gar nicht selbst ausübt, schließt eine Entziehung der Obsorge nicht von vornherein aus.

Unter dem Begriff der Gefährdung des Kindeswohls ist nicht geradezu ein Missbrauch der elterlichen Befugnisse zu verstehen. Es genügt, dass die elterlichen Pflichten (objektiv) nicht erfüllt oder (subjektiv) gröblich vernachlässigt worden sind oder die Eltern durch ihr Gesamtverhalten das Wohl des Kindes gefährden; die Gefährdung des Kindeswohls kann auch darin liegen, dass wichtige Veränderungen eingetreten sind, die Eltern aber diesen Veränderungen nicht Rechnung tragen; ein subjektives Schuldelement kann, muss aber nicht hinzutreten; es muss aufgrund eines bestimmten Verhaltens der Eltern oder eines Elternteils, in dem die objektive Nichterfüllung oder Vernachlässigung elterlicher Pflichten zu erblicken ist, zu befürchten sein, dass das Wohl des Kindes beeinträchtigt werden wird (RIS-Justiz RS0048633). Unabhängig vom Inhalt der die Übertragung von Pflege und Erziehung der Ausübung nach regelnden Vereinbarung bleibt diese Ermächtigung jederzeit widerrufbar, die Eltern können das Kind jederzeit zurückfordern (Fischer-Czermak in Kletecka/Schauer, ABGB-ON 1.00 § 137a Rz 3; Barth/Neumayr in Fenyves/Kerschner/Vonkilch, Klang³ § 186 Rz 25; Haberl in Schwimann³ § 186 Rz 4). Damit besteht die rechtliche Möglichkeit des Obsorgeberechtigten, unabhängig von der vorgenommenen Übertragung der Pflege und Erziehung auf allenfalls beim Dritten gegebene, kindeswohlgefährdende Umstände zu reagieren; wenn eine solche notwendige Reaktion aber trotz der Gefährdung des Kindeswohls unterbleibt, stellt dies zumindestens eine objektive Nichterfüllung der elterlichen Pflichten dar, die einen Eingriff nach § 176 ABGB rechtfertigen kann.

2.3. Eine massive Gefährdung des Kindeswohls im Fall des Verbleibs der Minderjährigen bei der Pflegemutter hat der Antragsteller ausdrücklich und detailliert behauptet. Von den Vorinstanzen wurden jedoch dazu keine (ausreichenden) Beweise aufgenommen. Das Erstgericht hat aber auch keine die Behauptungen des Pflegevaters abdeckenden Feststellungen getroffen, sodass schon die somit gegebenen sekundären Feststellungsmängel die Aufhebung der Entscheidung der Vorinstanzen erzwingen. Die noch umfangreich notwendigen Beweisaufnahmen lassen es zweckmäßig erscheinen - ungeachtet der unterbliebenen Erledigung aller Rechtsmittelgründe durch das Rekursgericht - die Pflegschaftssache an das Erstgericht zurückzuverweisen.

Eine Auseinandersetzung mit den weiteren Argumenten des Revisionsrekurses erübrigt sich daher.

3. Das Erstgericht wird im fortzusetzenden Verfahren die aktuelle Lebenssituation der Minderjährigen zu ermitteln und unter Beiziehung sämtlicher Beteiligter eine aktuelle und vollständige Tatsachengrundlage zu schaffen haben; die Beiziehung der Sachverständigen wird dabei wohl unerlässlich sein. Es wird auch zweckmäßig sein, der Mutter vorweg die gewünschte Rechtsbelehrung zu erteilen und sie zu einer klaren Stellungnahme aufzufordern, ob sie der Übertragung der Obsorge an den Pflegevater allein zustimmt oder nicht.

Im Hinblick auf den bisherigen Verfahrensverlauf und den schon lange andauernden, für die Minderjährige erkennbar belastenden Schwebezustand ist auch daran zu erinnern, dass § 13 Abs 2 AußStrG die bestmögliche Wahrung des Kindeswohls auch in verfahrensrechtlicher Hinsicht verlangt; dazu gehört aber auch eine zügige Verfahrensführung in Obsorgeangelegenheiten, kommt doch dem Grundsatz der Kontinuität der Erziehung erhebliche Bedeutung zu.

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