OGH 14Os148/11p

OGH14Os148/11p13.12.2011

Der Oberste Gerichtshof hat am 13. Dezember 2011 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Philipp als Vorsitzenden, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger und Mag. Marek sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Nordmeyer und Dr. Oshidari in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Steinbichler als Schriftführerin in der Strafsache gegen Robert Z***** wegen Vergehen der Verletzung der Unterhaltspflicht nach § 198 Abs 1 StGB, AZ 9 U 441/10k des Bezirksgerichts St. Pölten, über die von der Generalprokuratur gegen einen Vorgang in der Hauptverhandlung erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Mag. Höpler, und des Angeklagten Robert Z***** zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Im Verfahren AZ 9 U 441/10k des Bezirksgerichts St. Pölten verletzt die Verlesung des Gutachtens des Sachverständigen Dr. Richard B***** in der Hauptverhandlung vom 8. Juni 2011 § 252 Abs 1 Z 4 StPO iVm § 458 letzter Satz StPO.

Das Abwesenheitsurteil vom 8. Juni 2011, GZ 9 U 441/10k-19 des Bezirksgerichts St. Pölten, das in seinem freisprechenden Teil unberührt bleibt, wird im Schuldspruch und im Strafausspruch ebenso wie der gemeinsam mit diesem Urteil ergangene Beschluss auf Absehen vom Widerruf einer bedingten Strafnachsicht und Verlängerung der Probezeit auf fünf Jahre aufgehoben und es wird die Sache insoweit zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Bezirksgericht St. Pölten verwiesen.

Mit seiner gegen dieses Urteil erhobenen Berufung wird der Angeklagte auf diese Entscheidung verwiesen.

Text

Gründe:

Im Strafverfahren gegen Robert Z***** wegen Vergehen der Verletzung der Unterhaltspflicht nach § 198 Abs 1 StGB, AZ 9 U 441/10k des Bezirksgerichts St. Pölten, führte die Bezirksrichterin die Hauptverhandlung in Abwesenheit des Angeklagten durch (ON 18); dieser war trotz (durch Hinterlegung) zugestellter Ladung (ON 1 S 4) nicht erschienen. Nach Verlesung mehrerer im Einzelnen aufgezählter Aktenteile, darunter des Gutachtens des Sachverständigen Dr. Richard B***** (zu Arbeits- und Leistungsfähigkeit des Angeklagten; ON 13, ON 18 S 3), wurde Robert Z***** mit - auch einen in Rechtskraft erwachsenen Teilfreispruch enthaltendem - Abwesenheits-urteil (richtig:) der Vergehen der Verletzung der Unterhaltspflicht nach § 198 Abs 1 StGB schuldig erkannt und zu einer viermonatigen Freiheitsstrafe verurteilt. Mit unter einem gefassten Beschluss sah das Bezirksgericht vom Widerruf einer dem Angeklagten mit Urteil des Bezirksgerichts St. Pölten vom 18. November 2009, AZ 9 U 204/09f, gewährten bedingten Strafnachsicht unter gleichzeitiger Verlängerung der Probezeit auf fünf Jahre ab (ON 19).

Die Urteilsbegründung stützt sich (unter anderem) auch auf das oben bezeichnete Sachverständigengutachten (ON 19 S 5).

Über die dagegen erhobene Berufung des Angeklagten sowie seinen unter einem gestellten Antrag auf Delegierung der Strafsache an das Bezirksgericht Salzburg (§ 39 StPO, ON 20) wurde bisher noch nicht entschieden.

Rechtliche Beurteilung

Wie die Generalprokuratur in ihrer Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes zutreffend aufzeigt, steht die beschriebene Vorgangsweise der Richterin des Bezirksgerichts St. Pölten mit dem Gesetz nicht im Einklang:

Gemäß § 252 Abs 1 StPO dürfen (unter anderem) Gutachten von Sachverständigen in der Hauptverhandlung nur in den im Gesetz genannten Fällen (§ 252 Abs 1 Z 1 bis 4 StPO) verlesen werden. Da hier keiner der dort genannten Ausnahmetatbestände vorlag, war die Verlesung des Sachverständigengutachtens unzulässig. Eine einverständliche Verlesung im Sinn der Z 4 konnte nicht stattfinden, weil aus dem Fernbleiben des gesetzeskonform geladenen Angeklagten von der Hauptverhandlung seine Verlesungszustimmung im Sinn des § 252 Abs 1 Z 4 StPO nicht abgeleitet werden kann (RIS-Justiz RS0117012; Kirchbacher, WK-StPO § 252 Rz 103).

Da die unzulässige Verlesung nach der Beweiswürdigung des Bezirksgerichts Grundlage des Schuldspruchs war, gereichte die Formverletzung dem Angeklagten auch zum Nachteil. Der Oberste Gerichtshof sah sich daher veranlasst, das bezeichnete Urteil im aus dem Spruch ersichtlichen Umfang ebenso wie den davon abhängigen Beschluss, vom Widerruf einer bedingten Strafnachsicht unter gleichzeitiger Verlängerung der Probezeit auf fünf Jahre abzusehen (13 Os 140/09a), aufzuheben und insoweit die Verfahrenserneuerung anzuordnen (§ 292 letzter Satz StPO).

Die dagegen erhobene Berufung des Angeklagten ist damit gegenstandslos.

Über seinen Antrag auf Delegierung der Strafsache an das Bezirksgericht Salzburg wird der Oberste Gerichtshof nach Wiedervorlage der Akten unter Beachtung der Bestimmung des § 590 GeO entscheiden.

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