OGH 9Ob6/11i

OGH9Ob6/11i25.11.2011

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsrekursgericht durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Rohrer als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf, Hon.-Prof. Dr. Kuras und Mag. Ziegelbauer sowie die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Dehn als weitere Richter in der außerstreitigen Rechtssache der Antragstellerin V*****gesellschaft mbH, *****, vertreten durch die Pistotnik & Krilyszyn Rechtsanwälte GmbH in Wien, gegen den Antragsgegner R***** T*****, vertreten durch Mag. Heinz Wolfbauer, Rechtsanwalt in Wien, wegen gerichtlicher Genehmigung der Aufkündigung, über den außerordentlichen Revisionsrekurs der Antragstellerin gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 14. September 2010, GZ 40 R 53/10f-11, womit der Beschluss des Bezirksgerichts Meidling vom 23. Februar 2010, GZ 29 Nc 10/09p-7, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Der außerordentliche Revisionsrekurs der

Antragstellerin wird mangels Vorliegens der Voraussetzungen des § 62 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen.

Text

Begründung

Die Antragstellerin und der Antragsgegner sind zu zwei Drittel bzw zu einem Drittel Miteigentümer einer Liegenschaft, die an den Antragsgegner vermietet wurde. Über Antrag der Antragstellerin genehmigte das Erstgericht die Einbringung einer gerichtlichen Aufkündigung des Bestandverhältnisses. Das Rekursgericht gab dem dagegen erhobenen Rekurs des Antragsgegners Folge und änderte die erstgerichtliche Entscheidung im Sinn der Abweisung der beantragten Genehmigung der Aufkündigung ab. Dabei sprach es aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs gemäß § 62 Abs 1 AußStrG nicht zulässig sei, weil die Umstände des Einzelfalls maßgeblich gewesen seien. Seinen ursprünglichen Ausspruch über den Wert des Entscheidungsgegenstands berichtigte das Rekursgericht über Aufforderung des Obersten Gerichtshofs (9 Ob 79/10y), der Anhebung der Wertgrenzen durch das Budgetbegleitgesetz 2009, BGBl I 2009/52, Rechnung tragend, dahin, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands (nicht bloß 20.000 EUR, wie ursprünglich ausgesprochen, sondern) 30.000 EUR übersteige. Durch diese Korrektur des Bewertungsausspruchs ist nun klargestellt, dass der Revisionsrekurs der Antragstellerin nicht jedenfalls unzulässig ist (§ 62 Abs 3 AußStrG). Zur Begründung der Zulässigkeit bedarf es jedoch der Geltendmachung einer erheblichen Rechtsfrage iSd § 62 Abs 1 AußStrG.

Die Revisionsrekurswerberin begründet das Vorliegen einer erheblichen Rechtsfrage damit, dass das Rekursgericht im Rahmen einer „krassen Fehlentscheidung“ die Entscheidung des Obersten Gerichtshofs 5 Ob 8/09a auf den vorliegenden Fall angewendet habe, obwohl der Sachverhalt ein wesentlich anderer gewesen sei. Das Rekursgericht sei überdies von der Feststellung des Erstgerichts bezüglich der offenbaren Vorteilhaftigkeit der Aufkündigung des Bestandverhältnisses des Antragsgegners abgegangen. Richtigerweise hätte es sich entweder den Feststellungen des Erstgerichts anschließen oder die erstgerichtliche Entscheidung aufheben und zur neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurückverweisen müssen. Mit der abändernden Entscheidung des Rekursgerichts sei in keinster Weise zu rechnen gewesen.

Rechtliche Beurteilung

Nach § 62 Abs 1 AußStrG ist gegen einen im Rahmen des Rekursverfahrens ergangenen Beschluss des Rekursgerichts der Revisionsrekurs nur dann zulässig, wenn die Entscheidung von der Lösung einer Rechtsfrage des materiellen Rechts oder des Verfahrensrechts abhängt, der zur Wahrung der Rechtseinheit, Rechtssicherheit oder Rechtsentwicklung erhebliche Bedeutung zukommt, etwa weil das Rekursgericht von der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs abweicht oder eine solche Rechtsprechung fehlt oder uneinheitlich ist. Auf diese Voraussetzungen geht die Revisionsrekurswerberin nicht näher ein, sondern meint nur, dass die Rekursentscheidung die „Rechtssicherheit“ gefährde. Dieser Standpunkt wird vom Obersten Gerichtshof nicht geteilt. Eine aufzugreifende grobe Fehlbeurteilung des Rekursgerichts liegt hier nicht vor.

Die Entscheidung des Obersten Gerichtshofs 5 Ob 8/09a wurde vom Rekursgericht nicht wegen der Gleichheit der beurteilten Sachverhalte zitiert, sondern weil sie die wesentlichen Grundsätze der Rechtsprechung zur Zustimmung zu Aufkündigungen von Bestandverträgen mit Miteigentümern nach § 835 ABGB zusammenfasst. Für den vorliegenden Fall ist Folgendes wesentlich:

Die Aufkündigung von Bestandverträgen mit Miteigentümern ist eine wichtige Veränderung iSd § 834 ABGB. Mangels Zustimmung sämtlicher Miteigentümer ist die Genehmigung des Außerstreitrichters nach § 835 ABGB erforderlich (RIS-Justiz RS0013594, RS0013680 ua). Gegenstand der richterlichen Beschlussfassung nach § 835 ABGB ist die Frage, ob die wichtige Veränderung ohne Einschränkung oder unter Bedingungen (Sicherstellung) bewilligt oder überhaupt abgelehnt wird. Das Gesetz stellt für diese richterliche Ermessensentscheidung keine bindenden Richtlinien auf; die Entscheidung hängt vielmehr davon ab, ob die Veränderung offenbar (also eindeutig) vorteilhaft, bedenklich oder nachteilig ist. Ob dies der Fall ist, ist nach den Umständen des Einzelfalls und vom Standpunkt der Gesamtheit aller Miteigentümer und nicht allein von jenem des Mehrheitseigentümers aus zu beurteilen (RIS-Justiz RS0013703 ua). Der Beschluss des Außerstreitrichters ist eine im Wesentlichen von Billigkeitserwägungen getragene Ermessensentscheidung (5 Ob 8/09a ua). Der Außerstreitrichter hat auch die Entscheidung über die Genehmigung der Aufkündigung eines Minderheitseigentümers nach Ermessen danach zu fällen, ob die von der Mehrheit beschlossene (oder vorgesehene) Maßnahme offenbar vorteilhaft ist (RIS-Justiz RS0013440 ua), zB wenn nach der Räumung (durch den beklagten Miteigentümer) bessere Verwendungsaussichten für das Objekt bestehen (5 Ob 8/09a ua). Die Aufkündigung darf nicht aussichtslos sein. Zu einer aussichtslosen Maßnahme ist keine Ermächtigung zu erteilen (RIS-Justiz RS0013389 ua).

Die Parteien sind zwar unterschiedlicher Auffassung über die Erfolgsaussichten der von der Antragstellerin geplanten Aufkündigung. Eigentliches Streitthema sind hier aber nicht die Erfolgsaussichten der Aufkündigung, sondern die Frage, ob die geplante Aufkündigung für die Miteigentumsgemeinschaft in ihrer Gesamtheit eindeutig vorteilhaft ist. Der Oberste Gerichtshof verwies schon zu 5 Ob 8/09a darauf, dass die erfolgreiche Aufkündigung eines Mietvertrags mit einem (auch hier mangels gegenteiliger Anhaltspunkte) weder säumigen noch sonst vertragswidrig agierenden Miteigentümer nicht gleichsam automatisch mit einem Vorteil für die Miteigentumsgemeinschaft gleichgesetzt werden kann.

Die Antragstellerin wich dieser Frage in erster Instanz aus. In ihrem Antrag brachte sie zur offenbaren Vorteilhaftigkeit nichts vor. Erst über Bestreitung durch den Antragsgegner und dessen Erwähnung von 5 Ob 8/09a stellte die Antragstellerin allgemeine Überlegungen des Inhalts an, dass es „wohl offensichtlich“ sei, dass ein Lagerplatz, der von Wohngebiet umgeben sei, besser verwertet werden könne. Konkretes Vorbringen zur beabsichtigten Verwertung unterließ sie allerdings. Dies veranlasste das Rekursgericht zur Beurteilung, dass die offenbare Vorteilhaftigkeit der Aufkündigung von der Antragstellerin nicht hinreichend konkretisiert worden sei, sodass eine Genehmigung der Aufkündigung nicht möglich sei.

Diese rechtliche Beurteilung des Rekursgerichts ist vertretbar. Die diesbezügliche Überraschung der Antragstellerin ist nicht nachvollziehbar, beruht doch die Auffassung zur offenbaren Vorteilhaftigkeit auf der einschlägigen Lehre (vgl Klang in Klang III² 1116; Gamerith in Rummel, ABGB³ § 835 Rz 9; Sailer in KBB³ § 835 Rz 5 ua) und der ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs (6 Ob 233/65, MietSlg 17.046; 7 Ob 257/75, MietSlg 27.078; 6 Ob 528/77, MietSlg 29.079; 1 Ob 250/05d; 5 Ob 8/09a; RIS-Justiz RS0013440 ua). Zureichende Gründe, von dieser Linie abzugehen, zeigt die Revisionsrekurswerberin nicht auf. Die von der Antragstellerin in erster Instanz aufgestellte Behauptung, die Entscheidung 5 Ob 8/09a widerspreche der „geltenden“ Rechtsprechung, trifft nicht zu. Auch der in erster Instanz erfolgte Verweis auf die in Tades/Hopf/Kathrein/Stabentheiner, ABGB37 § 835 E 7g, zitierten Entscheidungen ist nicht zielführend. In 8 Ob 7/03t wird ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die Genehmigung der Aufkündigung davon abhängt, ob die von der Mehrheit beschlossene Maßnahme offenbar vorteilhaft ist. In 9 Ob 91/06g wurde die geplante Maßnahme bewilligt. Im dagegen erhobenen Revisionsrekurs des dortigen Antragsgegners wurde offenbar nicht die Vorteilhaftigkeit angezweifelt, sondern nur die Erfolgsaussichten. Im Übrigen verweisen Tades/Hopf/Kathrein/Stabentheiner, ABGB37 in E 7c, 8 und 8a zu § 835 ABGB ebenfalls auf die Voraussetzung der offenbaren Vorteilhaftigkeit.

Die Rüge, das Rekursgericht wäre unzulässigerweise von „Feststellungen“ des Erstgerichts zur offenbaren Vorteilhaftigkeit abgegangen, ist unbegründet. Das Erstgericht hat nämlich - abgesehen von den Miteigentumsanteilen der Parteien - keine Tatsachenfeststellungen getroffen. Der Ansatz der Revisionsrekurswerberin, die offenbare Vorteilhaftigkeit wäre hier ohnehin offenkundig, ist nicht zielführend. Die Vorteilhaftigkeit kann nur an konkreten Maßnahmen gemessen werden. Deren eindeutige Bekanntgabe blieb die Antragstellerin allerdings schuldig. Die Auffassung des Rekursgerichts, dass es im vorliegenden Fall an der gebotenen Konkretisierung der für die Bewilligung des gestellten Antrags sprechenden Gründe fehlt, ist daher nicht zu beanstanden. Die Auslegung des Vorbringens der Parteien hängt von den Umständen des Einzelfalls ab und begründet in der Regel keine erhebliche Rechtsfrage (RIS-Justiz RS0042828 ua).

Mangels Geltendmachung einer erheblichen Rechtsfrage iSd § 62 Abs 1 AußStrG ist der außerordentliche Revisionsrekurs der Antragstellerin zurückzuweisen. Einer weiteren Begründung bedarf dieser Beschluss nicht (§ 71 Abs 3 Satz 3 AußStrG).

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