OGH 8Ob118/11b

OGH8Ob118/11b22.11.2011

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsrekursgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Spenling als Vorsitzenden sowie den Hofrat Hon.-Prof. Dr. Kuras, die Hofrätin Dr. Tarmann-Prentner und die Hofräte Mag. Ziegelbauer und Dr. Brenn als weitere Richter in der Insolvenzsache Schuldnerin I*****gmbH, *****, vertreten durch Dr. Wolfgang A. Schwarz, Rechtsanwalt in Wien, Masseverwalter Mag. Daniel Lampersberger, Rechtsanwalt in Wien, wegen Insolvenzeröffnung, über den außerordentlichen Revisionsrekurs des Antragstellers Dr. Georg Kahlig, Rechtsanwalt in Wien, als Masseverwalter im Konkursverfahren über das Vermögen der A***** Gesellschaft mbH, *****, gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien vom 11. Oktober 2011, GZ 28 R 201/11a-7, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Der außerordentliche Revisionsrekurs wird gemäß § 526 Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 528 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 528a iVm § 510 Abs 3 ZPO iVm § 252 IO).

Begründung

Rechtliche Beurteilung

1. Nach Rechtsprechung und Lehre liegt Zahlungsunfähigkeit iSd § 66 IO vor, wenn der Schuldner mangels bereiter Zahlungsmittel nicht in der Lage ist, seine fälligen Schulden zu bezahlen und er sich die erforderlichen Zahlungsmittel voraussichtlich auch nicht alsbald verschaffen kann (vgl RIS-Justiz RS0064528; Dellinger in Konecny/Schubert, Insolvenzgesetze § 66 KO Rz 5 mwN).

Nach der Entscheidung 3 Ob 99/10w ist Zahlungsunfähigkeit gegeben, wenn der Schuldner mehr als 5 % aller fälligen Schulden nicht begleichen kann. Ob nur Zahlungsstockung vorliegt, richtet sich danach, ob der objektive Zustand der Zahlungsunfähigkeit voraussichtlich einen Dauerzustand bildet oder dieser nur kurzfristiger Natur ist. Ohne Hinzutreten besonderer Umstände, also im Durchschnittsfall, ist von einer Frist von drei Monaten auszugehen, bis zu deren Ablauf die Zahlungsstockung behoben sein muss. Eine längere Frist, höchstens etwa fünf Monate, setzt voraus, dass mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit mit der Beseitigung der Liquiditätsschwäche zu rechnen ist.

Das Rekursgericht hat die Beurteilung in Beachtung dieser Grundsätze vorgenommen. Im Zuge seiner Erwägungen ist es auch auf die - „wenngleich bestrittenen, aber immerhin - (nicht titulierten) betriebenen Forderungen“ eingegangen.

2.1 Die Beseitigung der Verfahrenshilfe für juristische Personen mit Art 15 Z 3 des Budgetbegleitgesetzes 2009 (BBG 2009), BGBl I 2009/52, wurde durch den Verfassungsgerichtshof mit Erkenntnis vom 5. 10. 2011, G 26/10 ua, mit Ablauf des 31. 12. 2012 aufgehoben. Im Zusammenhang mit der schon vor dem BBG 2009 zulässigen Bewilligung der Verfahrenshilfe für juristische Personen wurde in der älteren Judikatur teilweise wie - im außerordentlichen Revisionsrekurs zitiert - ausgesprochen, dass einer Kapitalgesellschaft die Verfahrenshilfe nur in besonders begründeten Ausnahmefällen bewilligt werden dürfe, weil durch deren Gewährung eine Konkurseröffnung nicht hinausgezögert werden dürfe (EvBl 1987/160; WR 799). Diese Ansicht ist in der Lehre zu Recht auf Kritik gestoßen. M. Bydlinski (in Fasching/Konecny 2 § 63 ZPO Rz 9) hielt es für nicht verständlich, warum durch die Bewilligung der Verfahrenshilfe die Konkurseröffnung hinausgeschoben werde. Sei die Gesellschaft überschuldet oder zahlungsunfähig, so wäre die Konkurseröffnung ja auch dann zu beantragen, wenn Verfahrenshilfe gewährt würde. Dass gerade die Verfahrenskosten die Überschuldung herbeiführen würden, sei nur für eine insgesamt zu vernachlässigende Anzahl von Fällen denkbar. In diesen Fällen könne man aber der betreffenden Partei die Führung eines - weder mutwilligen noch aussichtslosen - Prozesses wohl nicht unter Hinweis auf die Möglichkeit der Konkurseröffnung unmöglich machen. Eine übermäßig strenge Auffassung liefe auf eine erhebliche Einschränkung des Anwendungsbereichs der Verfahrenshilfe hinaus, die einer ganz besonders überzeugenden Rechtfertigung bedürfe.

Nach diesen zutreffenden Überlegungen konnte (vor dem BBG 2009) einer Gesellschaft auch bei wirtschaftlich angespannter Situation die Verfahrenshilfe jedenfalls dann bewilligt werden, wenn sie bei grober Betrachtung an sich noch überlebensfähig erschien und der Geschäftsbetrieb ohne die Kostenbelastung aus der Prozessführung aufrecht erhalten werden konnte.

Ausgehend von diesen Grundsätzen könnte nicht einmal aus der Gewährung der Verfahrenshilfe zu Gunsten einer Gesellschaft, geschweige denn aus einer bloßen Antragstellung und der damit verbundenen Behauptung, die zur Führung des Verfahrens erforderlichen Mittel nicht aufbringen zu können, „zwangsläufig“ die Zahlungsunfähigkeit abgeleitet werden.

2.2 Warum die Säumigkeit der Gesellschaft bei Offenlegung des Jahresabschlusses sowie die Sanktionierung dieser Pflichtverletzung durch Zwangsstrafen die - „wenn auch widerlegbare“ - Vermutung der Unmöglichkeit der Aufstellung eines Jahresabschlusses ohne Ausweisung einer Überschuldung erzeugen soll, vermag der Antragsteller nicht näher zu begründen. Auch für eine derartige Vermutung der Zahlungsunfähigkeit besteht keine Rechtsgrundlage.

3. Dass zu einer konkreten Fragestellung keine ausdrückliche Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs besteht, begründet unter anderem dann keine erhebliche Rechtsfrage, wenn die relevanten rechtlichen Grundsätze in der Rechtsprechung des Höchstgerichts geklärt sind oder die anzuwendenden Normen selbst eine eindeutige Regelung treffen (RIS-Justiz RS0042656). Diese Voraussetzungen sind im Anlassfall gegeben. Der außerordentliche Revisionsrekurs war daher zurückzuweisen.

Stichworte