OGH 8ObA63/10p

OGH8ObA63/10p25.10.2011

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Dr. Spenling als Vorsitzenden und die Hofräte Hon.-Prof. Dr. Kuras und Mag. Ziegelbauer, sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Rolf Gleißner und Franz Kisling als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei A***** K*****, vertreten durch Dr. Hannes Pflaum, Dr. Peter Karlberger, Dr. Manfred Wiener, Mag. Wilfried Opetnik, Mag. Petra Rindler, Rechtsanwälte in Wien, gegen die beklagte Partei Niederösterreichische Landes-Landwirtschaftskammer, 3100 St. Pölten, Wienerstraße 64, vertreten durch CMS Reich-Rohrwig Hainz Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen Feststellung und Kündigungsanfechtung, infolge der Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 18. März 2010, GZ 8 Ra 37/09h-18, womit über Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichts Korneuburg als Arbeits- und Sozialgericht vom 21. Jänner 2009, GZ 8 Cga 117/08h-9, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

I. Dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften werden gemäß Art 267 AEUV folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

Steht Art 3 Abs 1 lit a und c der Richtlinie 76/207/EWG in der Fassung der Richtlinie 2002/73/EG einer nationalen Regelung entgegen, nach der die Frage einer Diskriminierung wegen des Geschlechts im Zusammenhang mit der Beendigung eines Arbeitsverhältnisses, die aufgrund eines vor Inkrafttreten der genannten Richtlinie (hier: vor dem Beitritt Österreichs zur Europäischen Union) geschlossenen befristeten Einzelarbeitsvertrags ausschließlich durch Zeitablauf erfolgt, nicht anhand der vor dem Beitritt getroffenen Vertragsvereinbarung über die Befristung als „Entlassungsbedingung“, sondern nur im Zusammenhang mit der Ablehnung des Antrags auf Vertragsverlängerung als „Einstellungsbedingung“ zu prüfen ist?

II. Das Verfahren wird bis zum Einlangen der Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften im Sinne des § 90a Abs 1 GOG ausgesetzt.

Begründung

Rechtliche Beurteilung

I. Sachverhalt:

Der für die Beurteilung der Vorlagefrage maßgebende Sachverhalt lässt sich wie folgt zusammenfassen:

Die Klägerin war seit 1. 3. 1967 bei der Beklagten zunächst im Rahmen eines unbefristeten Angestelltenverhältnisses beschäftigt. Am 1. 1. 1980 vereinbarte sie durch Heranziehung einer bei der Beklagten allgemein verwendeten „Vertragsschablone“ (Dienst- und Besoldungsordnung der Niederösterreichischen Landes-Landwirtschaftskammer; in der Folge: DO) die erstmalige und einzige Befristung ihres Arbeitsverhältnisses, die mit einem Verzicht der Beklagten auf ein Kündigungsrecht verbunden war. Die als Bestandteil des Dienstvertrags zu qualifizierenden Bestimmungen der DO lauten wie folgt:

§ 25 Auflösung von Dienstverhältnissen

1.) Das Dienstverhältnis von pensionsberechtigten Dienstnehmern wird aufgelöst:

a) Versetzung in den zeitlichen oder dauernden Ruhestand (§ 26)

§ 26 Versetzung in den Ruhestand

1.) Die Versetzung des Dienstnehmers in den zeitlichen oder dauernden Ruhestand gegen seinen Willen ist dem Hauptausschuss der NÖ Landes-Landwirtschaftskammer nach den Bestimmungen der Pensionsbesoldungsordnung vorbehalten.

§ 65 Übertritt in den dauernden Ruhestand

Der männliche Dienstnehmer tritt mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem er das 65., der weibliche Dienstnehmer mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem er das 60. Lebensjahr vollendet hat, in den dauernden Ruhestand.

Die Klägerin vollendete ihr 60. Lebensjahr 2008. Sie wurde am 18. 7. 2008 telefonisch vom Leiter des Personalreferats der Beklagten davon in Kenntnis gesetzt, dass ihr Ansuchen auf Beschäftigung auch über das Pensionsantrittsalter hinaus in der Präsidialsitzung vom 14. 7. 2008 abschlägig beschieden worden war und die Beklagte davon ausgehe, dass das Arbeitsverhältnis mit Ablauf des Jahres 2008 enden werde. In einem Schreiben vom 25. 7. 2008 wurde der Klägerin mitgeteilt, dass einer Verlängerung ihres Arbeitsverhältnisses über den 31. 12. 2008 hinaus nicht zugestimmt werde und das Arbeitsverhältnis somit mit Ende des Jahres 2008 als aufgelöst gelte.

II. Zum Vorbringen der Parteien:

Soweit hier von Interesse begehrte die Klägerin, „ihre Versetzung in den Ruhestand zum 31. 12. 2008 für rechtsunwirksam zu erklären“. Die von der Beklagten herangezogene Regelung verstoße gegen das Gleichbehandlungsgesetz und insbesondere gegen § 3 Z 7 GlBG; sie stelle eine direkte Diskriminierung der Klägerin sowohl aufgrund ihres Alters, als auch aufgrund ihres Geschlechts dar.

Die Beklagte wandte insbesondere ein, dass das Arbeitsverhältnis der Klägerin nicht durch Versetzung in den Ruhestand oder Kündigung, sondern automatisch durch Zeitablauf geendet habe. Die im Jahr 1980, also vor dem Beitritt der Republik Österreich zur Europäischen Union, vereinbarte Befristungsregelung sei nach damaliger Rechtslage zulässig gewesen und auch durch den späteren Beitritt nicht unzulässig geworden. Eine Versetzung der Klägerin in den Ruhestand habe nicht stattgefunden.

III. Der bisherige Verfahrensverlauf:

Das Erstgericht wies das Klagebegehren, „die Versetzung der Klägerin in den dauernden Ruhestand zum 31. 12. 2008 für rechtsunwirksam zu erklären“, „zurück“. Das Schreiben vom 25. 7. 2008 sei lediglich eine Auslaufmitteilung, mit der die Beklagte eine Verlängerung des befristeten Arbeitsverhältnisses abgelehnt habe. Außerdem sei die Klage insoweit verfristet.

Das Berufungsgericht änderte diese Entscheidung über Berufung der Klägerin ab und stellte fest, dass das Arbeitsverhältnis der Klägerin über den 31. 12. 2008 hinaus aufrecht fortbestehe. Der zum Bestandteil des Arbeitsvertrags gewordene § 25 Abs 2 lit a DO sehe die automatische Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch Erreichen des Pensionsantrittsalters vor. Die Erklärung der Beklagten, das Arbeitsverhältnis nicht über den 31. 12. 2008 hinaus fortsetzen zu wollen, sei daher als „Nichtverlängerungserklärung“, nicht aber als eine auf Beendigung des Arbeitsverhältnisses gerichtete Willenserklärung zu verstehen. Das gegen diese Beendigung gerichtete Klagebegehren sei demgemäß als Begehren auf Feststellung des aufrechten Bestands des Arbeitsverhältnisses über den 31. 12. 2008 hinaus zu interpretieren. Nach der Rechtsprechung des EuGH umfasse der Entlassungsbegriff der RL 2000/78/EG sämtliche Arten der Beendigung eines Arbeitsverhältnisses. § 25 Abs 2 lit a DO verstoße gegen die §§ 3 Z 7, 17 Z 7 GlBG. Die automatische Beendigung des Arbeitsverhältnisses gemäß § 25 Abs 2 lit a DO beruhe auf einer geschlechtsspezifischen Altersgrenze. Die Nichtverlängerungserklärung stelle daher eine unmittelbare Beendigungsdiskriminierung dar.

IV. Die dem Obersten Gerichtshof vorgelegten Rechtsmittel:

Die Beklagte bekämpft mit ihrer zulässigen Revision die Rechtsansicht des Berufungsgerichts.

Die Klägerin beantragt, das Berufungsurteil zu bestätigen.

V. Unionsrecht:

1. Die RL 76/207/EWG , die durch die RL 2006/54/EG mit Wirkung vom 15. 8. 2009 aufgehoben wurde, lautet idF der RL 2002/73/EG auszugsweise:

„Artikel 3

(1) Die Anwendung des Grundsatzes der Gleichbehandlung bedeutet, dass es im öffentlichen und privaten Bereich einschließlich öffentlicher Stellen in Bezug auf folgende Punkte keinerlei unmittelbare oder mittelbare Diskriminierung aufgrund des Geschlechts geben darf:

a) die Bedingungen - einschließlich Auswahlkriterien und Einstellungsbedingungen - für den Zugang zu unselbständiger oder selbständiger Erwerbstätigkeit ...

c) die Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen einschließlich der Entlassungsbedingungen sowie das Arbeitsentgelt nach Maßgabe der Richtlinie 75/117/EWG ; ...“

2. Der Beitrittsvertrag der Republik Österreich zur Europäischen Union trat gemäß seinem Art 2 Abs 2 mit 1. 1. 1995 in Kraft (ABl Nr C-241 vom 29. 8. 1994; BGBl 1995/45). Nach Art 2 der Akte zum Beitrittsvertrag (Erster Teil, Grundsätze) sind die ursprünglichen Verträge und die vor dem Beitritt erlassenen Rechtsakte der Organe für die neuen Mitgliedstaaten ab dem Beitritt verbindlich und gelten in diesen Staaten nach Maßgabe der genannten Verträge und dieser Akte. Dies gilt gemäß Art 151 der Beitrittsakte auch für die RL 76/207/EWG (mit Ausnahme eines hier nicht relevanten Vorbehalts zu Art 5, vgl Anh XV, Liste nach Art 151 der Beitrittsakte, Pkt V, Sozialpolitik).

3. Die beklagte Landes-Landwirtschaftskammer ist eine Einrichtung, die der staatlichen Aufsicht untersteht und mit besonderen Rechten ausgestattet ist. Sie ist daher eine staatliche Einrichtung im Sinn der Rechtsprechung des EuGH, sodass ihr gegenüber die RL 2002/73/EG unmittelbar anwendbar ist (EuGH 12. 7. 1990, C-188/89 , Foster mwH).

4. Der EuGH hat bereits entschieden, dass die Frage nach den Bedingungen für die Gewährung einer Alterspension und die Frage nach den Bedingungen für die Beendigung eines Arbeitsverhältnisses unterschiedlich sind (EuGH 26. 2. 1986, C-152/84 , Marshall Rn 32). Es wurde auch ausgesprochen, dass die in Art 7 Abs 1 lit a RL 79/7/EWG enthaltene Ausnahme vom Verbot der Diskriminierung aufgrund des Geschlechts für den Bereich der sozialen Sicherheit („staatliche Sozialversicherung“) angesichts der grundlegenden Bedeutung des Grundsatzes der Gleichbehandlung eng auszulegen ist und grundsätzlich nicht für den hier relevanten Bereich der „Entlassungsbedingungen“ iSd Art 3 Abs 1 lit c RL 76/207/EWG gilt (EuGH 18. 11. 2010, C-356/09 , Kleist Rn 39 mwH, Rn 40). Der EuGH hat sich bereits mehrmals mit der Auslegung der früheren Bestimmung des ex Art 5 der Richtlinie 76/207/EWG betreffend die Anwendung des Grundsatzes der Gleichbehandlung bei den „Entlassungsbedingungen“ befasst und diese im Wesentlichen auf alle Formen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch den Arbeitgeber erstreckt. Unter den - weit auszulegenden - Begriff der Entlassung nach dieser Bestimmung fällt auch eine Altersgrenze für das obligatorische Ausscheiden der Arbeitnehmer im Rahmen einer allgemeinen Pensionierungspolitik eines Arbeitgebers; dies gilt selbst dann, wenn dieses Ausscheiden die Gewährung einer Alterspension mit sich bringt (EuGH 26. 2. 1986, C-62/84 , Beets-Proper, Rn 36 - „Klausel“; EuGH 26. 2. 1986, C-152/84 , Marshall, Rn 34 ua - “Entlassungspolitik“).

VI. Nationales Recht:

1. Das Anfallsalter für den sozialversicherungsrechtlichen Anspruch auf Alterspension hat der Verfassungsgesetzgeber bis zum Jahr 2024 für Männer und Frauen unterschiedlich, nämlich mit 60 bzw 65 Jahren, festgeschrieben; in weiterer Folge wird das Anfallsalter für Frauen bis zum Jahr 2033 dem der Männer angeglichen. Diese lange Übergangsfrist wurde mit der gesellschaftlichen, familiären und ökonomischen Benachteiligung der Frauen und deren Vertrauen in die bisherige Rechtslage begründet (RV 737 der BlgNR 18. GP). Die gesetzliche Alterspension kann aus verfassungsrechtlichen Gründen auch bei einem weiter aufrechten Bestand eines Arbeitsverhältnisses nicht gekürzt werden (VfGH 15. 12. 1990, VfSlg 12.592).

2. Auf das Arbeitsverhältnis der Klägerin sind die Bestimmungen des Angestelltengesetzes 1921 anzuwenden. Die Vereinbarung eines befristeten Arbeitsverhältnisses ist gemäß § 19 Abs 1 AngG zulässig. Nach dieser Bestimmung endet das Arbeitsverhältnis mit dem Ablauf der Zeit, für die es eingegangen wurde. Die in § 25 Abs 2 lit a DO vorgesehene Beendigung des Arbeitsverhältnisses mit Erreichung der in § 65 DO genannten Altersgrenze ist eine nach ständiger Rechtsprechung zulässige Befristung (RIS-Justiz RS0021592; RS0028403). Von dieser vertraglichen Vereinbarung können ohne Zustimmung des anderen Vertragspartners weder Arbeitgeber noch Arbeitnehmer einseitig abweichen. Nach österreichischem Recht enden so befristete Arbeitsverhältnisse in der Regel durch Zeitablauf, ohne dass es einer Auflösungserklärung bedürfte.

3. Das österreichische Gleichbehandlungsgesetz (Umsetzungsgesetz ua zur RL 76/207/EWG) sieht in der hier maßgeblichen Fassung überhaupt keine näheren Bestimmungen für die Möglichkeit der Bekämpfung des Auslaufens von so befristeten Arbeitsverhältnissen vor, wohl aber detaillierte Regelungen für die Bekämpfung der unterbliebenen Begründung von Arbeitsverhältnissen in Verletzung des Verbots der unmittelbaren oder mittelbaren Diskriminierung bei der Begründung des Arbeitsverhältnisses (§§ 3 Z 1 iVm § 12 Abs 1 Gleichbehandlungsgesetz).

VII. Zu den Vorlagefragen:

1. Der hier zu beurteilende Sachverhalt unterscheidet sich von dem vom EuGH in der bereits erwähnten Rechtssache Kleist entschiedenen:

In der Rechtssache Kleist wurde das Arbeitsverhältnis der bei einem Sozialversicherungsträger als leitende Ärztin beschäftigte Klägerin aufgrund eines wie ein Gesetz in der jeweiligen Fassung anzuwendenden Kollektivvertrags beendet. Dem Arbeitsverhältnis der nunmehrigen Klägerin liegt jedoch keine generelle Norm zugrunde, sondern - wie ausgeführt - lediglich ein zu einem bestimmten Zeitpunkt abgeschlossener Einzelarbeitsvertrag, dessen genaue Parameter noch nicht abgeklärt wurden.

In der Rechtssache Kleist erfolgte die Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch Arbeitgeberkündigung. Eine solche Kündigung erfolgte jedoch im nunmehr vorliegenden Sachverhalt gerade nicht. Das befristete Arbeitsverhältnis der Klägerin endete vielmehr durch Zeitablauf. Die Nichterneuerung eines befristeten Arbeitsvertrags kann nicht einer Kündigung gleichgestellt werden (EuGH 4. 10. 2001, C-438/99 , Jimnez Melgar, Rn 45; vgl auch zur Arbeitsvertragsklausel der Beendigung mit dem 65. Lebensjahr EuGH 12. 10. 2010, C-45/09 , Rosenbladt, Rn 49).

Anders als in der Rechtssache Kleist ist daher einerseits zu beurteilen, ob das Arbeitsverhältnis der Klägerin durch bloßen Zeitablauf wirksam zum 31. 12. 2008 endete und andererseits, wie die mangelnde Bereitschaft der Beklagten zur Verlängerung des Arbeitsvertrags zu beurteilen ist.

Diese Unterscheidung ist deshalb von Bedeutung, weil die Vereinbarung der Befristung vor dem Beitritt der Republik Österreich zur Europäischen Union erfolgte, während das vereinbarte Ende des Arbeitsverhältnisses einerseits, aber auch die mangelnde Bereitschaft zur Verlängerung andererseits auf einen Zeitpunkt nach dem Beitritt fällt. Der Beitritt der Republik Österreich zur Europäischen Union war im Zeitpunkt der Vereinbarung der Befristung nicht absehbar. Nach dem Beitritt der Republik Österreich zur Europäischen Union führte allein der Zeitablauf - nicht aber eine (weitere) Erklärung der Arbeitgeberin - zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses.

2. Überlegungen zum zeitlichen Übergangsrecht im Zusammenhang mit den Diskriminierungsverboten

2.1 Abgrenzung der Verantwortungsbereiche:

Vorweg zu klären ist die Abgrenzung zwischen der Verantwortung des EuGH und der Höchstgerichte der Mitgliedstaaten. Der Oberste Gerichtshof geht davon aus, dass der EuGH die Fragen betreffend das Gemeinschaftsrecht auch aufgrund des heranzuziehenden „Sachverhalts“ prüft und dieser nach dem Gemeinschaftsrecht zu beurteilende „Sachverhalt“ nicht nur das tatsächliche Geschehen, sondern auch die jeweilige Rechtsordnung als Objekt der Einwirkung des Gemeinschaftsrechts umfasst. Dieser „Sachverhalt“ ist nach der Zuständigkeitsverteilung vom vorlegenden Gericht zu beurteilen und darzustellen (zuletzt etwa EuGH 10. 5. 2011, C-147/08 , Römer, Rn 42; 22. 12. 2010, C-444/09 , Gavieiro, Rn 66; 8. 7. 2010, C-246/09 , Bulicke, Rn 28 uva).

2.2 „Sachverhalt“ (Österreichische Rechtslage):

§ 5 des österreichischen Allgemeinen bürgerlichen Gesetzbuch (ABGB) ordnet grundsätzlich Folgendes an: „Gesetze wirken nicht zurück; sie haben daher auf vorhergegangene Handlungen und auf vorher erworbene Rechte keinen Einfluss.“

Das Verbot der rückwirkenden Rechtsanwendung bedeutet, dass Gesetze auf ihrer Kundmachung vorangegangene Handlungen und auf vor ihr erworbene Rechte keinen Einfluss haben. Im Zweifel wird daher grundsätzlich davon ausgegangen, dass ein Gesetz nicht zurückwirkt.

§ 5 ABGB kann allerdings als einfaches Gesetz innerhalb der durch den verfassungsrechtlich vorgegebenen Vertrauensschutz vorgegebenen Grenzen (Ordnungsanliegen des Gesetzes) durch andere Rechtsnormen einfachgesetzlicher Natur verdrängt werden. Wesentlich dabei ist also der verfassungsrechtlich vorgegebene Vertrauensschutz. Jeder Normadressat soll darauf vertrauen dürfen, dass die Rechtsfolgen seiner Handlungen nach der im Zeitpunkt ihrer Vornahme geltenden Rechtslage beurteilt werden. Auch bei nicht durch Dispositionen bereits erworbenen Rechtsansprüchen bedürfen schwerwiegende Eingriffe einer besonderen Rechtfertigung. Bei der Beurteilung der Vertrauensverletzung ist auch die Klarheit der gesetzlichen Regelung und die bisherige Praxis zu berücksichtigen. Dabei wird das mit dem Gesetz verfolgte Ordnungsanliegen geprüft.

Im Rahmen des Arbeitsverhältnisses - eines Dauerschuldverhältnisses - wurden nach Abschluss des Arbeitsvertrags erlassene Neuregelungen für die laufenden Ansprüche als maßgeblich und wirksam qualifiziert (vgl etwa OGH 9 ObA 56/00a - „Freizügigkeitsbestimmungen“; ähnlich VfGH 5. 3. 1999, VfSlg 15.448 - unrichtige Vorrückung). Hingegen wurde bei Bestimmungen, die die gesamte Qualität des Arbeitsverhältnisses regeln („Kündbarkeit“), auf den Zeitpunkt des Abschlusses des Arbeitsvertrags abgestellt (9 ObA 48/06h). Dies hängt auch mit der Struktur des österreichischen Arbeitsrechts zusammen, das regelmäßig bei der Gestaltung des Entgelts durch „Normen“ Kollektiv(-Tarif-)verträge in die Einzelverträge eingreift (vgl zum Gestaltungsspielraum etwa EuGH 8. 9. 2011, C-297/10 und C-298/10 , Hennigs, Rn 92), sodass insoweit schon im Ansatz kein besonderer Vertrauensschutz entstehen kann. Ein wesentlicher Ausgangspunkt ist auch das „Ordnungsanliegen“ der Diskriminierungsverbote. Diese sollen Entscheidungsmechanismen (EuGH 13. 1. 2004, C-256/01 , Allonby, Slg 2004, I-873, Rn 45 f mwN; 17. 9. 2002, C-320/00 , Lawrence, Slg 2002, I-7325, Rn 18) diskriminierungsfrei halten. Dies spricht aber dafür, die Entscheidungsabläufe zu erfassen, die nach dem Inkrafttreten stattfinden. Der rechtsstaatliche Vertrauensschutz im Privatrecht, der es Personen erlaubt, im Rahmen der vorgegebenen Grenzen durch Verträge die rechtlichen Rahmenbedingungen für ihr Verhalten zu gestalten und im Vertrauen darauf nachhaltig zu disponieren, wäre dadurch nicht beeinträchtigt.

Dies würde im Ergebnis dazu führen, dass im vorliegenden Verfahren zwar der Entscheidungsablauf, der zum Vertragsabschluss im Jahre 1980 führte, samt dessen bloßer Auswirkung - Zeitablauf -, wegen des Inkrafttretens der Richtlinie bzw des Gleichbehandlungsgesetzes nach dem Vertragsabschluss nicht zu überprüfen wäre, wohl aber die Weigerung der Arbeitgeberin, einer Verlängerung des Arbeitsverhältnisses zuzustimmen (Feststellung der Motive). Im Anschluss daran wäre bei Bejahung einer Diskriminierung bei einer im Gesetz nicht geregelten „Verweigerung der Vertragsverlängerung“ die Zuordnung der geeigneten Rechtsfolgen zu prüfen.

2.3 Gemeinschaftsrechtliche Ausgangspunkte:

Nach der Rechtsprechung zum Gemeinschaftsrecht ist grundsätzlich davon auszugehen, dass eine neue Vorschrift, soweit nichts Abweichendes bestimmt ist, unmittelbar auch auf die künftigen Auswirkungen eines Sachverhalts anzuwenden ist, der unter der Geltung der alten Vorschrift entstanden ist (EuGH 14. 4. 1970, C-68/69 , Brock, Slg 1970, 171, Rn 7; 10. 7. 1986, C-270/84 , Licata/WSA, Slg 1986, 2305, Rn 31; 18. 4. 2002, C-290/00 , Duchon, Slg 2002, I-3567, Rn 21; 11. 12. 2008, C-334/07 P , Kommission/Freistaat Sachsen, Slg 2008, I-9465, Rn 43; 22. 12. 2008, C-443/07 P , Centeno Mediavilla u. a./Kommission, Slg 2008, I-10945, Rn 61; 10. 6. 2010, C-395/08 , Pettini ua, Rn 53; zum Ausschluss für die Zeit davor zuletzt etwa EuGH 10. 5. 2011, C-147/08 , Römer, Rn 61 f).

Im Einzelnen können hier verschiedene Bereiche auseinander gehalten werden.

Zu den umfassend vom Gemeinschaftsrecht geregelten Bereichen (etwa Beamtendienstrecht) hat der EuGH bereits herausgearbeitet, dass typischerweise unmittelbar durch Gesetz (Normen) geregelte Rechtsverhältnisse leichter geändert werden können, als Rechtsverhältnisse, die von Vertragsparteien im Vertrauen auf ihre Gestaltungsbefugnisse für ihre zukünftige Leistungsbeziehung durch Vertrag begründet wurden (EuGH 22. 12. 2008, C-443/07 P, Centeno Mediavilla u. a./Kommission, Slg 2008, I-10945, Rn 60, „daher“). Dies erklärt sich wohl schon daraus, dass dort, wo die Rechtsordnung schon im Ansatz den Betroffenen keine rechtlich verbindliche Gestaltung durch eigene Dispositionen einräumt, wo also die Rechtsbeziehungen ohnehin „von außen“ durch Normen geregelt werden, kein geschütztes Vertrauen auf die Wirksamkeit eigener Gestaltungen bestehen kann und damit nur das Vertrauen auf eine gewisse Kontinuität und Ausgewogenheit der Rechtsentwicklung Gegenstand des Grundrechtsschutzes ist.

In der Rechtsprechung wurde auch darauf abgestellt, ob der „Sachverhalt“ abgeschlossen ist und bereits „wohlerworbene“ Rechte begründet wurden, ob also der „Tatbestand“ vor der Änderung abgeschlossen war (EuGH C-443/07 P , Slg 2008, I-10945, Rn 62 mwN). Für die „künftigen Auswirkungen“ von unter der alten Rechtslage abgeschlossenen Sachverhalten wurde je nach dem Regelungsbereich eine Einwirkung neuer Vorschriften nicht gänzlich ausgeschlossen (EuGH 11. 12. 2008, C-334/07 P, Kommission/Freistaat Sachsen, Slg 2008, I-9465, Rn 43). Der Verstoß gegen den Grundsatz des Vertrauensschutzes durch gemeinschaftsrechtliche Regelungen ist aber auch als Grundlage für Schadenersatzverpflichtungen gegen die Gemeinschaft anerkannt (etwa EuGH 19. 5. 1992, C-37/90 , Mulder II).

Auch in dem nicht umfassend vom Gemeinschaftsrecht geregelten Bereich - etwa dort, wo es um die Umsetzung von Richtlinien (also um die Vorgaben für das Rechtssystem [Sachverhalt] der Mitgliedstaaten) geht -, anerkennt der EuGH den Vertrauensschutz, und zwar selbst im Rahmen der Feststellung von wegen des Vorrangs des primären Gemeinschaftsrechts von Anfang an unwirksamen Richtlinien (EuGH 17. 5. 1990, C-262/88 , Barber, Slg 1990, I-1885; allgemein EuGH 8. 4. 1976, C-43/75 , Defrenne II, Slg 1976, 455, Rn 74 - unmittelbare Wirksamkeit des Art 119; Beitritt Teilzeitbeschäftigter zu Betriebsrentensystem - EuGH 24. 10. 1996, C-435/93 , Dietz, Slg 1996, I-5223, Rn 19 ff ua). So werden auch nach dem Beitritt ausgezahlte Rentenleistungen („Auswirkungen“) vom Gleichbehandlungsgebot nur so weit erfasst, als sie auf Dienstzeiten („Sachverhalt“, „Tatbestand“) entfallen, die nach dem Beitritt geleistet wurden (EuGH 12. 9. 2002, C-351/00 , Niemi, Rn 54 f). Ähnlich wurde dies in der Rechtssache Bartsch (EuGH 23. 9. 2008, C-427/06 ) für die Frage von nach dem Inkrafttreten bzw dem Ablauf der Frist für die Umsetzung der RL 2000/78/EG allenfalls gebührende Hinterbliebenenleistungen beurteilt, wenn das Ableben des Arbeitnehmers bereits davor erfolgte.

Mittelbar hat der EuGH im Rahmen der Anpassungserfordernisse von Normen auf nationaler Ebene insoweit den Vertrauensschutz anerkannt, als er es als zulässig angesehen hat, unter Bedachtnahme auf den Besitzstand der früher durch das normative Regelungssystem begünstigten Arbeitnehmer in einer Übergangsphase noch zu differenzieren (EuGH 8. 9. 2011, C-297/10 , C-298/10 , Hennigs, Rn 92 ff; vgl zur Flexibilität und den Gestaltungsspielraum der Sozialpartner auch EuGH 12. 10. 2010, C-45/95 , Rosenbladt, Rn 49, 67; vgl auch Art 28 der Grundrechtecharta).

Geringere Bedeutung kommt dem „Vertrauensschutz“ des Einzelnen naturgemäß dort zu, wo es um die rückwirkende Begründung von Rechten des Einzelnen gegen den „Staat“ geht (etwa im Ergebnis EuGH 14. 4. 1970, C-68/69 , Brock, Slg 1970, 171; EuGH 18. 4. 2002, C-290/00 , Duchon).

Zusammenfassend anerkennt die Rechtsprechung den Vertrauensschutz gerade in den typischerweise durch Vertrag geregelten Fragen für „Sachverhalte“, die vor dem Inkrafttreten neuer Regelungen abgeschlossen wurden. Bloße „Auswirkungen“ (nach der Rechtsordnung für die Gestaltung - hier Vertrag - nicht mehr maßgebliche Umstände) sind für die Anwendung der neuen Rechtslage nicht ausreichend.

2.4 Übertragung auf den vorliegenden Bereich:

Eine umfassende Regelung des Arbeitsrechts auf Ebene des Gemeinschaftsrechts besteht nicht. Der Zugang der verschiedenen Arbeitsrechtssysteme dazu, was durch gesetzliche oder kollektive („Tarifvertrag“) Arbeitsbedingungen für die Bewertung des Verhaltens und die daraus resultierenden Ansprüche in einem Arbeitsverhältnis vorgegeben wird, und inwieweit die Arbeitnehmer und Arbeitgeber in diesem Rahmen durch vertragliche Gestaltung nachhaltig Vorgaben machen können, ist sehr unterschiedlich. Auch die Richtlinie selbst geht ja von der Unterschiedlichkeit der Systeme aus (Erwägungsgrund Nr 25; vgl etwa zum abweichenden Zugang zu „Befristungen“ etwa zum Erfordernis der „Bestätigung“ EuGH 12. 10. 2010, C-45/09 , Rosenbladt, Rn 13, 52; vgl auch Art 4 Abs 2 EUV). Grundsätzlich spricht nach dem Stand des Gemeinschaftsrechts daher wohl manches dafür, hier die Frage der Strukturen der Entscheidungsvorgänge und den dabei bestehenden Vertrauensschutz nach dem Rechtssystem des Mitgliedstaats zu beurteilen. Auch wenn man davon ausgeht, dass darüber hinaus die Frage des Vertrauensschutzes in diesem vom Gemeinschaftsrecht nur partiell erfassten Rechtsbereich auch aus dem Gemeinschaftsrecht zu beurteilen ist, so müsste wohl - soweit das Gemeinschaftsrecht keine Regelungen trifft -, die Frage, was als „Sachverhalt“ (Vertrag), dessen „Abgeschlossenheit“ den Vertrauensschutz begründet, zu beurteilen ist, mangels umfassender Regelung durch das Gemeinschaftsrecht wieder nach dem in den anzuwendenden Rechtsvorschriften des Mitgliedstaates festgelegten „Tatbestand“ beurteilt werden.

Nach österreichischem Recht liegt der maßgebliche Tatbestand für die Annahme einer Befristung in der vertraglichen Vereinbarung im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses. Der Ablauf der Befristung ist nur noch eine „Auswirkung“.

Anders stellt sich dies für die Entscheidung über den Antrag auf Verlängerung des Arbeitsverhältnisses über den Ablauf der vereinbarten Befristung hinaus dar, die nach ihrem Inhalt nicht als Frage der „Entlassung“ sondern als Frage der „Einstellung“ zu qualifizieren ist (EuGH 4. 10. 2001, C-438/99 , Jimnez Melgar, Rn 45).

VIII. Zum Erfordernis der Vorlage:

Gerade im Hinblick auf die Bedeutung des Grundsatzes des Vertrauensschutzes, der für Vertragspartner eine wesentliche Grundlage für die Gestaltung ihrer Rechtsbeziehungen und für die Bereitschaft zu wirtschaftlichen Initiativen darstellt, und im Hinblick auf die Ausformung des Gleichbehandlungsrechts und dessen Akzeptanz können die hier aufgeworfenen Fragen noch nicht als ausreichend durch die Rechtsprechung des EuGH geklärt angesehen werden. Der Oberste Gerichtshof ist daher verpflichtet, ein Vorabentscheidungsverfahren einzuleiten.

Der Ausspruch über die Aussetzung des Verfahrens beruht auf § 90a Abs 1 GOG.

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