European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2011:0150OS00122.11X.1019.001
Spruch:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.
Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Graz zugeleitet.
Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Gründe:
Mit dem angefochtenen Urteil, das auch einen Zuspruch an die Privatbeteiligte enthält, wurde V***** B***** der Verbrechen des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB (A./), der Verbrechen des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 StGB (B./), des Verbrechens der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 und Abs 2 erster Fall StGB (C./1./), des Verbrechens der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 StGB (C./2./), des Vergehens der Blutschande nach § 211 Abs 1 StGB (D./1./), der Vergehen der Blutschande nach § 211 Abs 2 StGB (D./2./) und der Vergehen des Missbrauchs eines Autoritätsverhältnisses nach § 212 Abs 1 Z 1 (erster Fall) StGB (E./) schuldig erkannt.
Danach hat er in Graz
A./ außer dem Fall des § 206 StGB eine geschlechtliche Handlung an einer unmündigen Person, nämlich an seiner ***** 1991 geborenen Tochter V***** B***** vorgenommen, indem er in zahlreichen Angriffen
1./ zwischen Ende 1999 bis Anfang 2002 sie im bekleideten wie im nackten Zustand im Genitalbereich intensiv massierte, betastete und streichelte,
2./ zwischen Anfang 2002 bis 11. November 2005 ihre Hand nahm, sie auf seinen erigierten Penis legte, seine Hand über ihre legte und bis zur Ejakulation onanierte;
B./ im Zeitraum Anfang 2002 bis 11. November 2005 mit einer unmündigen Person, nämlich seiner ***** 1991 geborenen Tochter V***** B*****, dem Beischlaf gleichzusetzende geschlechtliche Handlungen unternommen, indem er in zahlreichen Angriffen einen seiner Finger teils zum Teil, teils zur Gänze in ihre Scheide einführte;
C./ V***** B***** zu zwei nicht näher bekannten Zeitpunkten im Jahr 2006 mit Gewalt zur Duldung nachgenannter geschlechtlicher Handlungen genötigt, und zwar
1./ zu einer dem Beischlaf gleichzusetzenden geschlechtlichen Handlung, nämlich zur Vornahme des Oralverkehrs, indem er sie mit seinen Händen an den Schultern zu Boden drückte, sodass sie vor ihm eine kniende Position einnehmen musste, sodann mit seinen Händen ihren Kopf erfasste und sein erigiertes Glied in ihren Mund einführte, wobei die Tat eine schwere Körperverletzung, nämlich eine länger als 24 Tage dauernde Gesundheitsschädigung (posttraumatische Belastungsstörung mit ausdifferenzierter Persönlichkeitsstörung) zur Folge hatte,
2./ zum Beischlaf, indem er in Überwindung ihrer Gegenwehr ihre Beine auseinander drückte, seinen Penis in ihre Scheide einführte, sodann vor ihr onanierte und auf ihren Bauch ejakulierte;
D./ in zahlreichen Angriffen (mit) eine(r) Person, die mit ihm in gerader Linie verwandt ist, nämlich (mit) seine(r) Tochter V***** B*****,
1./ durch die unter Punkt C./2./ näher bezeichnete Tat den Beischlaf vollzogen,
2./ im Zeitraum Ende November 2008 bis September 2010 zirka zwei bis drei Mal pro Monat zum Beischlaf verführt, indem er mit ihr den vaginalen Geschlechtsverkehr vollzog;
E./ durch die im Punkt A./ bis D./1./ näher geschilderten Tathandlungen mit einer mit ihm in absteigender Linie verwandten minderjährigen Person, nämlich mit seiner ***** 1991 geborenen Tochter V***** B*****, geschlechtliche Handlungen vorgenommen.
Rechtliche Beurteilung
Die gegen dieses Urteil erhobene, auf Z 4, 5, 10 und 11 des § 281 Abs 1 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten verfehlt ihr Ziel.
Der Verfahrensrüge (Z 4) zuwider wurde der Antrag auf Einholung eines psychiatrischen Sachverständigengutachtens zum Beweis dafür, dass bei V***** B***** „keine posttraumatische Belastungsstörung kausal aufgetreten ist“ und keine „schwere Körperverletzung im Sinne einer 24 Tage übersteigenden Gesundheitsverletzung vorliegt“, da „derartige Feststellungen lediglich im Rahmen einer psychiatrischen Beurteilung getroffen werden können“ (ON 49 S 48 f), zu Recht abgewiesen. Bei Bestellung der an der Universitätsklinik für Psychiatrie des Kindes‑ und Jugendalters der Medizinischen Universität Wien (ON 22) tätigen und für die Fachgebiete der Allgemeinen Psychologie, der klinischen Psychologie (inkl Suchtmittel, Traumatisierung und Neuropsychologie), der Familien-, Kinder‑ und Jugendpsychologie eingetragenen Sachverständigen Dr. E***** wurde diese mit der Erstattung von Befund und Gutachten ua zu der Frage beauftragt, ob die Taten beim Opfer schwerwiegende psychische Schäden in Form einer posttraumatischen Belastungsstörung zur Folge hatten (ON 22 Pkt 2). Begründete Einwände gegen die Fachkunde der bestellten Gutachterin (§ 126 Abs 4 zweiter Satz StPO) wurden nach der Gutachterbestellung nicht erhoben. Die bloße Behauptung, die Feststellung einer posttraumatischen Belastungsstörung und deren Ausmaß sei nur einem psychiatrischen Sachverständigen möglich (ON 49 S 50), legt nicht dar, warum einem psychiatrischen Gutachen erhöhte Beweiskraft gegenüber einer psychologischen Expertise zukommen sollte (vgl auch § 3 Abs 2 Z 1 PsychologenG). Im Übrigen hat der Beschwerdeführer Unzulänglichkeiten des Gutachtens iSd § 127 Abs 3 StPO oder mangelndes Fachwissen der Sachverständigen nicht behauptet.
Dem Vorwurf der Unvollständigkeit (Z 5 zweiter Fall) zuwider haben die Tatrichter die Frage, ob sich der Angeklagte entgegen seiner in der Hauptverhandlung gewählten Verantwortung im Zeitraum von 1998 und 2003 trotz eines bestehenden Aufenthaltsverbots zumindest zeitweise illegal bei seiner Familie in Österreich aufgehalten habe (US 5), umfassend erörtert. Die Feststellung jedenfalls kurzfristiger Inlandsaufenthalte wurde auf die Aussage der Zeugin V***** B*****, die ursprünglichen Angaben des Angeklagten vor der Polizei (ON 6 S 85) und die von ihm auch zugestandenen Verstöße gegen ein früheres Aufenthaltsverbot (ON 49 S 4) gegründet (US 10 f). Das Schöffengericht ist nach § 270 Abs 2 Z 5 StPO zu einer gedrängten Darstellung der Urteilsgründe, jedoch nicht dazu verhalten, den vollständigen Inhalt sämtlicher Zeugenaussagen und sonstiger Beweise zu erörtern (RIS‑Justiz RS0106642). Da die Tatrichter die ‑ unter anderem nach explizitem Vorhalt der entsprechenden Aussage seiner Ehefrau N***** B***** im Ermittlungsverfahren, er sei von 1999 bis 2003 sicher nicht in Österreich gewesen (ON 16 S 32) ‑ vom Angeklagten aufgestellte Behauptung, entgegen seinen eigenen ursprünglichen Angaben zwar gegen das erste, nicht aber gegen das zweite Aufenthaltsverbot verstoßen zu haben (ON 49 S 4, 10 und 12 f), als „nicht nachvollziehbar“ werteten (US 11), konnten auch die diesbezüglichen Angaben der Zeugin N***** B***** in der Hauptverhandlung (ON 49 S 20) die dem Gericht durch die Gesamtheit der übrigen Beweisergebnisse vermittelte Einschätzung vom Vorliegen oder Nichtvorliegen der im Rechtsmittel angesprochenen erheblichen Tatsache etwaiger Inlandsaufenthalte und der daraus resultierenden Möglichkeit der Tatbegehung erkennbar nicht maßgeblich beeinflussen. Die von der Rüge in diesem Zusammenhang thematisierte Aussage der Zeugin N***** B*****, sie könne nicht ausschließen, dass der Angeklagte seine Tochter sexuell missbraucht hat, bezog das Erstgericht ausdrücklich in seine Überlegungen ein (US 14). Einer gesonderten Erörterung ihrer Angabe, ihr Ehemann sei nach seiner Verurteilung im Jahr 1999 bis 2003 nicht mehr nach Österreich gekommen (ON 49 S 20), bedurfte es daher der Rüge zuwider nicht.
Die Subsumtionsrüge (Z 10) zu B./ behauptet, das Eindringen mit dem Finger in die Scheide stelle im konkreten Fall keine dem Beischlaf gleichzusetzende Handlung dar, lässt jedoch die prozessförmige Darstellung des angesprochenen Nichtigkeitsgrundes vermissen (§ 285a Z 2 StPO), indem sie nicht darlegt, weshalb ‑ entgegen ständiger Rechtsprechung ‑ die sexuelle Inanspruchnahme und Schwere des Eingriffs in die Sexualsphäre beim Einführen eines Fingers in die Scheide eines unmündigen Tatopfers nicht dem Beischlaf entsprechen (RIS‑Justiz RS0095004 [T6, T9, T11, T12]) und welcher Tatbestand aus Sicht des Rechtsmittelwerbers sonst erfüllt sein sollte (RIS‑Justiz RS0118415 [T3, T4]; Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 644).
Mit dem Verweis auf vermeintliches Fehlen von Feststellungen zum Vorsatz des Angeklagten (Z 10) macht das Rechtsmittel der Sache nach aus Z 9 lit a einen Rechtsfehler mangels Feststellungen (Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 605 und 611) geltend. Die vermisste Konstatierung zum Vorsatz des Angeklagten bezüglich des Unternehmens der dem Beischlaf gleichzusetzenden Handlungen ist den Urteilskonstatierungen ‑ zu deren Verdeutlichung auch das Erkenntnis und die Gesamtheit der Entscheidungsgründe heranzuziehen sind (Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 19 und 584) ‑ jedoch hinreichend deutlich zu entnehmen, beschloss der Angeklagte danach doch spätestens Anfang 2002, seine unmündige Tochter auch schwer sexuell zu missbrauchen (US 2, 5 und 15).
Das Vorbringen zu C./2./, das sich gleichfalls nicht an der Gesamtheit der Feststellungen der Tatrichter orientiert, behauptet der Sache nach keinen Subsumtionsfehler (Z 10), sondern läuft mit seiner Kritik an den getroffenen Feststellungen auf die Geltendmachung unzureichender Begründung (Z 5 vierter Fall) jener Urteilspassage hinaus, wonach der Angeklagte die Beine seiner Tochter unter Anwendung erheblicher Körperkraft auseinanderdrückte, um ihren geleisteten Widerstand zu überwinden (US 6 f). Dabei stützt sich die Beschwerde jedoch nur auf einzelne Passagen der Aussagen der Zeugin V***** B***** zu diesem Vorfall, vernachlässigt aber ihre weiteren Angaben, sie habe versucht, den Angeklagten wegzustoßen, er habe sie aufgrund ihrer Ablehnung des Geschlechtsverkehrs jedoch mit beiden Händen niedergedrückt (ON 17 S 9) und ihre Beine gegen ihren Willen auseinandergedrückt (ON 17 S 17). Unzureichendes Beweissubstrat zur Begründung dieser auf die Aussage des Tatopfers gestützten Feststellung (US 9 f, 13) vermag das Rechtsmittel somit nicht aufzuzeigen.
Welche Feststellungen trotz der konstatierten, aus einer posttraumatischen Belastungsstörung resultierenden und auf die sexuellen Übergriffe des Angeklagten zurückzuführenden Persönlichkeitsentwicklungsstörung mit länger als 24 Tage dauernder Gesundheitsschädigung (US 8, 12 f) zu C./1./ zur Beurteilung der Rechtsfrage, ob bei V***** B***** eine schwere Körperverletzung iSd § 84 Abs 1 StGB ‑ also eine an sich schwere Verletzung oder Gesundheitsschädigung oder 24 Tage übersteigende Gesundheitsschädigung ‑ vorliegt, geboten gewesen wären, legt die Subsumtionsrüge (Z 10) mit dem bloßen, jeglichen Sachverhaltsbezugs entbehrenden Hinweis, eine psychische Einwirkung, die bloß das seelische Wohlbefinden beeinträchtige, sei keine Gesundheitsschädigung, nicht deutlich und bestimmt dar (vgl § 285a Z 2 StPO) und entzieht sich dergestalt inhaltlicher Erwiderung.
Die Strafzumessungsrüge (Z 11 zweiter Fall) entfernt sich einerseits von den Urteilsannahmen zu A./1./ und E./, wenn sie behauptet, das zu Beginn der Tathandlungen achtjährige Opfer (US 1 und 5) hätte die Altersgrenze des § 207 StGB bloß um drei Jahre unterschritten. Andererseits legt sie nicht dar, weshalb die erschwerende Wertung des die Schutzgrenze der §§ 206 ff StGB deutlich unterschreitenden Alters der V***** B***** zu Beginn der sexuellen Missbrauchshandlungen (US 17), das die Strafdrohungen der §§ 207 Abs 1 und 212 Abs 1 Z 1 StGB nicht betrifft, gegen das Doppelverwertungsverbot verstoßen sollte (vgl RIS‑Justiz RS0090958).
Die Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten war daher in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur bereits bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d StPO), woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufung folgt (§ 285i StPO).
Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 390a Abs 1 StPO.
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