OGH 15Os130/11y (15Os131/11w)

OGH15Os130/11y (15Os131/11w)19.10.2011

Der Oberste Gerichtshof hat am 19. Oktober 2011 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Danek als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. T. Solé und Mag. Lendl sowie die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner-Foregger und Dr. Michel-Kwapinski als weitere Richter in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Steinbichler als Schriftführerin in der Strafsache gegen Guido D***** und andere Angeklagte wegen des Verbrechens des schweren Raubes nach §§ 142 Abs 1, 143 zweiter Fall StGB, AZ 39 Hv 190/10f des Landesgerichts Innsbruck, über die von der Generalprokuratur gegen den Beschluss des Landesgerichts Innsbruck vom 1. Februar 2011 (ON 63) sowie einen weiteren Vorgang erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Mag. Knibbe, zu Recht erkannt:

 

Spruch:

In der Strafsache gegen Guido D***** und andere Angeklagte wegen des Verbrechens des schweren Raubes nach §§ 142 Abs 1, 143 zweiter Fall StGB, AZ 39 Hv 190/10f des Landesgerichts Innsbruck, verletzen:

1./ Der Beschluss des Landesgerichts Innsbruck als Schöffengericht vom 1. Februar 2011 (ON 63), soweit darin gemäß § 494a Abs 1 Z 4 StPO der Widerruf der mit Beschluss des genannten Gerichts als Vollzugsgericht vom 25. März 2009, AZ 37 BE 4/09g, gewährten bedingten Entlassung ausgesprochen wurde (Punkt 1./), § 53 Abs 1 zweiter Satz StGB und

2./ im Berufungsverfahren des Oberlandesgerichts Innsbruck, AZ 6 Bs 169/11w, das Unterbleiben der Aufhebung des in Ansehung des Angeklagten Guido D***** gemäß § 494a Abs 1 Z 4 StPO und § 494a Abs 1 Z 2 und Abs 6 StPO gefassten Beschlusses des Landesgerichts Innsbruck als Schöffengericht vom 1. Februar 2011 (ON 63 der Hv-Akten) den aus §§ 494a Abs 1, 498 Abs 3 dritter Satz StPO abzuleitenden Grundsatz der Abhängigkeit von nach § 494a StPO gefassten Beschlüssen vom aufrechten Bestand eines konnexen Strafausspruchs, in Ansehung des gemäß § 494a Abs 1 Z 4 StPO gefassten Beschlussteils überdies § 53 Abs 1 zweiter Satz StGB.

Der Beschluss des Landesgerichts Innsbruck als Schöffengericht vom 1. Februar 2011, GZ 39 Hv 190/10f-63 (Punkt 1./), wird aufgehoben und es wird vom Widerruf dieser bedingten Entlassung abgesehen.

Text

Gründe:

Mit gekürzt ausgefertigtem Urteil des Landesgerichts Innsbruck vom 19. Dezember 2008, GZ 38 Hv 254/08g-12, wurde Guido D***** der Vergehen der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB und der schweren Körperverletzung nach §§ 83 Abs 1, 84 Abs 1 StGB schuldig erkannt und nach § 84 Abs 1 StGB unter Bedachtnahme auf ein Vor-Urteil des Bezirksgerichts Landeck gemäß §§ 31, 40 StGB zu einer Zusatzfreiheitsstrafe von 12 Monaten verurteilt. Gemäß § 43a Abs 3 StGB wurde der Vollzug eines Teils dieser Freiheitsstrafe im Ausmaß von acht Monaten unter Bestimmung einer dreijährigen Probezeit bedingt nachgesehen.

Aus dem unbedingten Teil der verhängten Freiheitsstrafe wurde der Verurteilte mit Beschluss des Landesgerichts Innsbruck als Vollzugsgericht vom 25. März 2009, GZ 37 BE 4/09g-7, am 2. Mai 2009 gemäß § 46 Abs 1 StGB - bei einem Strafrest von einem Monat - unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt entlassen.

Aufgrund neuerlicher Delinquenz innerhalb der zuvor genannten Probezeiten wurde Guido D***** mit Urteil des Landesgerichts Innsbruck als Schöffengericht vom 1. Februar 2011, GZ 39 Hv 190/10f-63, des Verbrechens des schweren Raubes als Beteiligter nach §§ 12 dritter Fall, 142 Abs 1, 143 zweiter Fall StGB schuldig erkannt und nach dem ersten Strafsatz des § 143 StGB - unter Anwendung des § 41 Abs 1 StGB - zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und acht Monaten verurteilt.

Unter einem fasste das Landesgericht gemäß § 494a Abs 1 Z 2 und Abs 6 StPO den Beschluss, vom Widerruf der zu AZ 38 Hv 254/08g des genannten Gerichts gewährten bedingten Strafnachsicht abzusehen, jedoch die Probezeit auf fünf Jahre zu verlängern (Punkt 2./). Zugleich sprach es gemäß § 494a Abs 1 Z 4 StPO den Widerruf der dem Angeklagten mit Beschluss des Landesgerichts Innsbruck als Vollzugsgericht vom 25. März 2009, GZ 37 BE 4/09g-7, gewährten bedingten Entlassung aus (Punkt 1./).

Während der genannte Angeklagte dieses Urteil sowie den Beschluss unbekämpft ließ, erhob die Staatsanwaltschaft (zum Nachteil des Angeklagten) Berufung. Dieser gab das Oberlandesgericht Innsbruck als Berufungsgericht mit Urteil vom 11. Mai 2011, AZ 6 Bs 169/11w (ON 91 der Hv-Akten), Folge und erhöhte die Freiheitsstrafe auf fünf Jahre. Den gemäß § 494a StPO gefassten Beschluss ließ das Berufungsgericht indes - trotz der Abänderung des Strafausspruchs - unberührt.

Rechtliche Beurteilung

Der zuletzt genannte Vorgang sowie der Punkt 1./ des Beschlusses des Landesgerichts Innsbruck vom 1. Februar 2011 stehen - wie die Generalprokuratur in ihrer zur Wahrung des Gesetzes erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zutreffend ausführt - mit dem Gesetz nicht im Einklang:

1./ Nach dem durch das Strafrechtsänderungsgesetz 2008, BGBl I 2007/109, eingefügten zweiten Satz des § 53 Abs 1 StGB können die bedingte Nachsicht des Teils einer Freiheitsstrafe und die bedingte Entlassung aus dem nicht bedingt nachgesehenen Strafteil nur gemeinsam widerrufen werden. Ein Widerruf der bedingten Entlassung aus dem gemäß § 43a Abs 3 oder Abs 4 StGB nicht bedingt nachgesehenen Teil einer Freiheitsstrafe ist daher unzulässig, wenn zugleich (wie hier) in Ansehung des bedingt nachgesehenen Teils dieser Strafe vom Widerruf abgesehen wird (RIS-Justiz RS0125448). Die somit dem Beschluss des Landesgerichts Innsbruck als Schöffengericht vom 1. Februar 2011 auf Widerruf der bedingten Entlassung anhaftende Gesetzesverletzung hat sich zum Nachteil des Verurteilten ausgewirkt (§ 292 letzter Satz StPO), weshalb sich der Oberste Gerichtshof veranlasst sah, den Beschluss aufzuheben und vom Widerruf der bedingten Entlassung abzusehen.

2./ Bei Beschlüssen nach § 494a StPO handelt es sich um „bedingte“ Beschlüsse, deren rechtlicher Bestand von der Rechtskraft des Urteils abhängig ist, das den Anlass für ihr Ergehen bildet (SSt 61/119). Jede Aufhebung - oder Abänderung - (auch) des Strafausspruchs der Anlassverurteilung durch das Rechtsmittelgericht macht diese Beschlüsse daher - unabhängig davon, ob auch sie angefochten wurden oder nicht - hinfällig und bedingt deren Aufhebung (Jerabek, WK-StPO § 498 Rz 8, 10; RIS-Justiz RS0101886, 13 Os 140/09a).

Das Oberlandesgericht Innsbruck hätte daher zufolge Abänderung des den Angeklagten Guido D***** betreffenden Strafausspruchs zugleich auch den diesen Angeklagten betreffenden, gemäß § 494a Abs 1 Z 2 (und Abs 6) sowie Z 4 StPO gefassten Beschluss aufzuheben und mit der neuen Straffestsetzung auch (in den durch das Verschlechterungsverbot [§ 290 Abs 2 StPO] gezogenen Grenzen) eine neue Entscheidung im Sinn des § 494a StPO zu treffen gehabt. Dabei wäre, weil ein Widerruf der zu AZ 38 Hv 254/08g des Landesgerichts Innsbruck gewährten bedingten Strafnachsicht mangels Beschwerde der Staatsanwaltschaft nicht in Betracht kam, aus den zuvor dargelegten Gründen der - vom Oberlandesgericht somit unter einem verletzten - Bestimmung des § 53 Abs 1 zweiter Satz StGB folgend vom Widerruf dieser bedingten Entlassung abzusehen gewesen. Diese Gesetzesverletzung war zwar für den Angeklagten ebenfalls von Nachteil, doch bedarf deren Feststellung im Hinblick auf die Kassation schon des Beschlusses des Landesgerichts Innsbruck nicht der Zuerkennung einer konkreten Wirkung.

Das Unterbleiben der Aufhebung des Beschlusses des Landesgerichts Innsbruck als Schöffengericht vom 1. Februar 2011 auf Absehen vom Widerruf bedingter Strafnachsicht und Verlängerung der Probezeit auf fünf Jahre war in Anbetracht der vom Berufungsgericht hervorgekehrten - die Möglichkeit eines bloßen Absehens vom Widerruf bedingter Strafnachsicht (§ 494a Abs 1 Z 2 StPO) nicht nahelegenden - Erwägungen einer qualifiziert negativen spezialpräventiven Prognose (US 14) für den Verurteilten nicht potentiell nachteilig (§ 292 letzter Satz StPO).

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