OGH 6Nc15/11z

OGH6Nc15/11z13.10.2011

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Pimmer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schramm, Dr. Gitschthaler, Univ.-Prof. Dr. Kodek und Dr. Nowotny als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei K***** W*****, vertreten durch Dr. Thomas Praxmarer, Rechtsanwalt in Innsbruck, gegen die beklagte Partei C***** B*****, vertreten durch Dr. Johannes Krauss, Rechtsanwalt in Wien, wegen 30.000 EUR sA, über die Anzeige eines Zuständigkeitsstreits (GZ 26 C 500/11y-10 des Bezirksgerichts Innsbruck) zwischen dem Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien und dem Bezirksgericht Innsbruck in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Für die Verhandlung und Entscheidung der gegenständlichen Rechtssache ist das Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien zuständig.

Text

Begründung

Die Ehe der Streitteile wurde vor dem Bezirksgericht Innsbruck am 2. 3. 1995 einvernehmlich geschieden. In Punkt IV des Scheidungsvergleichs anerkannte die Beklagte, dem Kläger „aufrecht einen Betrag von 3 Mio S zu schulden, wobei hinsichtlich einer allfälligen Rückzahlung dieses Betrags die Vertragsteile eine separate Vereinbarung treffen“.

Gestützt auf diese Vereinbarung begehrt der Kläger mit seiner am 22. 3. 2011 beim Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien eingebrachten Klage einen Teilbetrag von 30.000 EUR.

Mit Beschluss vom 23. 3. 2011 (ON 2) wies das Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien diese Klage wegen Unzuständigkeit zurück. Es liege ein Fall der Eigenzuständigkeit des Bezirksgerichts gemäß § 49 Abs 2 Z 2b JN vor.

Über Antrag der klagenden Partei überwies daraufhin das Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien die Klage an das Bezirksgericht Innsbruck und hob den Zurückweisungsbeschluss auf (ON 4).

In der Folge erhob die beklagte Partei beim Bezirksgericht Innsbruck den Einwand der Unzuständigkeit. Die beklagte Partei wohne in 1120 Wien, sodass das angerufene Bezirksgericht Innsbruck örtlich unzuständig sei.

Die klagende Partei führte aus, die Unzuständigkeitseinrede bestehe „vor dem Hintergrund der rechtskräftigen Entscheidung“ des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien nicht zu Recht.

Mit Beschluss vom 18. 7. 2011 (ON 10) erklärte sich das Bezirksgericht Innsbruck seinerseits für nicht zuständig und zeigte dem Obersten Gerichtshof den Kompetenzkonflikt an. Nach dem Inhalt der Klageerzählung liege nicht ein familienrechtlicher Streit vor, sondern ein bloßes Teilbegehren auf Erfüllung des 16 Jahre alten Vergleichs.

Rechtliche Beurteilung

Hierzu hat der Oberste Gerichtshof erwogen:

1.1. Gemäß § 47 Abs 1 JN sind Streitigkeiten zwischen verschiedenen Gerichten erster Instanz über die Zuständigkeit für eine bestimmte Rechtssache von dem diesen Gerichten übergeordneten gemeinsamen höheren Gericht zu entscheiden.

1.2. Im vorliegenden Fall haben sowohl das Landesgericht für Zivilrechtsachen Wien als auch das Bezirksgericht Innsbruck jeweils ihre Zuständigkeit verneint. Mittlerweile sind beide Beschlüsse unangefochten in Rechtskraft erwachsen. Damit liegt ein negativer Zuständigkeitskonflikt iSd § 47 JN vor (Mayr in Fasching/Konecny² § 230a Rz 24 mwN).

1.3. Dass das Bezirksgericht Innsbruck nach § 261 ZPO gehalten war, über den Unzuständigkeitseinwand, dem der Kläger sich nicht unterworfen hatte, sondern noch dazu ausdrücklich entgegengetreten war, mündlich zu verhandeln (4 Ob 193/01p; G. Kodek in Fasching/Konecny² § 261 ZPO Rz 20), kann vom Obersten Gerichtshof wegen Rechtskraft des Zurückweisungsbeschlusses nicht mehr wahrgenommen werden.

2.1. Nach § 230a ZPO kann das Adressatgericht einen Mangel seiner Zuständigkeit nur noch wahrnehmen, wenn der Beklagte rechtzeitig die Einrede der (sachlichen oder örtlichen) Unzuständigkeit erhebt. Insoweit besteht eine Bindungswirkung des Adressatgerichts (7 Ob 584/93; Mayr in Fasching/Konecny² § 230a ZPO Rz 22).

2.2. Hingegen kann der Beklagte, der am Verfahren vor dem zuerst angerufenen Gericht noch nicht beteiligt war, jede (prorogable oder unprorogable) Unzuständigkeit mit (rechtzeitiger) Einrede geltend machen. Weil er am Verfahren bisher nicht beteiligt war, kann er sich auch darauf stützen, dass das zuerst angerufene Gericht zuständig sei (EvBl 1988/145; SZ 72/69 ua; Mayr aaO Rz 23).

3.1. Die Einrede der beklagten Partei, das Bezirksgericht Innsbruck sei „(örtlich) unzuständig“, ist als allgemeiner Einwand der Unzuständigkeit und nicht als Beschränkung auf die Geltendmachung bloß einer allfälligen örtlichen Unzuständigkeit zu verstehen. Zudem kam im konkreten Fall die Zuständigkeit eines anderen Gerichts außer den bisher befassten Gerichten von vornherein nicht in Betracht.

3.2. Damit kommt dem Unzuständigkeitseinwand aber Berechtigung zu: Nach überwiegender Auffassung fallen Klagen, die sich aus einer aus Anlass einer Scheidung geschlossenen Vereinbarung ergeben, nicht unter § 49 Abs 2 Z 2c JN (Simotta in Fasching² § 49 JN Rz 40 mwN). Simotta begründet dies damit, dass sich der klagsweise geltend gemachte Anspruch in diesem Fall nicht auf das ehemalige Eheverhältnis, sondern auf den aus Anlass für den Fall der Eheauflösung geschlossenen Vertrag stütze. Dazu komme, dass in derartigen Prozessen keine ehe- oder familienspezifischen Fragen, sondern ausschließlich Fragen zu lösen seien, die auch in Prozessen zwischen Personen denkbar sind, die nicht miteinander verheiratet waren. Die meisten derartigen Klagen würden auf Einhaltung einer geschlossenen Vereinbarung oder auf Schadenersatz wegen Nichteinhaltung derselben lauten. In diesen Prozessen werde nicht der Anspruch aus dem Eheverhältnis geprüft, sondern das Bestehen der Vereinbarung, die Nichterfüllung, das Verschulden an dieser sowie die Schadenshöhe, somit lauter schuldrechtliche Fragen.

3.3. Der erkennende Senat schließt sich dieser Auffassung an. Aus den dargelegten Gründen kann der ua von Fucik (ÖJZ 1994, 287 [Buchbesprechung]; Verschraegen, Die einverständliche Scheidung in rechtsvergleichender Sicht, 506 f; OLG Wien EFSlg 57.678 ua) vertretenen Ansicht, bei der Scheidungsvereinbarung nach § 55a EheG handle es sich um eine familienrechtliche Vereinbarung, nicht gefolgt werden.

4. Damit war iSd § 47 JN die Zuständigkeit des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien auszusprechen.

Stichworte