Spruch:
Die mit Beschluss des Bezirksgerichts Steyr vom 13. Juli 2011, GZ 1 PS 58/11g-24, gemäß § 111 Abs 1 JN verfügte Übertragung der Zuständigkeit zur Führung der Pflegschaftssache an das Bezirksgericht Favoriten wird gemäß § 111 Abs 2 JN genehmigt.
Text
Begründung
Der Vater und die väterliche Großmutter stellten den Antrag, der Großmutter die alleinige Obsorge über die Minderjährige zu übertragen.
Das Bezirksgericht Steyr hielt am 5. 4. 2011 eine Tagsatzung ab, in welcher Vater und Mutter ihre Standpunkte darlegten. Die Mutter sprach sich gegen die Übertragung der Obsorge aus. Sie habe die Unterbringung des Kindes bei der väterlichen Großmutter nur deshalb zugelassen, weil sie Angst vor dem Vater habe. Er habe gesagt, sie könne die „Kleine“ nur über seine Leiche haben. Die Verhandlung wurde zwecks Beiziehung eines Dolmetschers für die russische Sprache für die väterliche Großmutter und unter Umständen auch für den Vater auf unbestimmte Zeit erstreckt.
In der Folge ordnete das Bezirksgericht Steyr auf Antrag des Magistrats der Stadt Steyr die unverzügliche Überstellung der Minderjährigen in die Pflege und Erziehung der Mutter an. Nachdem dieser Beschluss vollstreckt worden war, verzogen Mutter und Kind nach Wien. Die Minderjährige hält sich nunmehr im Sprengel des Bezirksgerichts Favoriten auf.
Das Bezirksgericht Steyr verfügte mit Beschluss vom 13. 7. 2011 die Übertragung der Zuständigkeit gemäß § 111 JN an das Bezirksgericht Favoriten. Dieses lehnte die Übernahme wegen des offenen Antrags auf Übertragung der Obsorge, zu dem auch bereits ein Verfahren abgeführt worden sei, derzeit ab. Daraufhin stellte das Bezirksgericht Steyr seinen Übertragungsbeschluss den Parteien zu, sodass er in Rechtskraft erwuchs. Den Akt legte es dem Obersten Gerichtshof „gemäß § 47 Abs 1 JN“ (gemeint offensichtlich § 111 Abs 2 JN) „zur Entscheidung über den negativen Kompetenzkonflikt“ vor.
Rechtliche Beurteilung
Die Übertragung ist zu genehmigen.
Nach § 111 Abs 1 JN kann das Pflegschaftsgericht seine Zuständigkeit einem anderen Gericht übertragen, wenn dies im Interesse des Pflegebefohlenen gelegen erscheint, insbesondere, wenn dadurch die wirksame Handhabung des dem Pflegebefohlenen zugedachten Schutzes voraussichtlich befördert wird. Nach § 111 Abs 2 JN bedarf die Übertragung im Falle der Weigerung des anderen Gerichts zu ihrer Wirksamkeit der Genehmigung des den beiden Gerichten zunächst übergeordneten höheren Gerichts.
Die Voraussetzungen der Übertragung liegen in der Regel vor, wenn die Pflegschaftssache dem Gericht übertragen wird, in dessen Sprengel der Mittelpunkt der Lebensführung des Kindes liegt. Auch offene Anträge sind kein grundsätzliches Übertragungshindernis; es hängt von den Umständen des einzelnen Falls ab, ob die Entscheidung über einen solchen Antrag durch das bisherige Gericht zweckmäßiger ist (OGH 3 Nd 502/97 mwN).
Im vorliegenden Fall hat das Bezirksgericht Steyr noch keine formellen Vernehmungen der Parteien vorgenommen. Der persönliche Eindruck von ihnen wird somit erst zu gewinnen sein. Die am 5. 4. 2011 zwecks Protokollierung der Parteienanträge durchgeführte Tagsatzung hindert daher nicht die Übertragung der Zuständigkeit an das Wohnsitzgericht der Minderjährigen.
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