Spruch:
In der Strafsache AZ 2 U 28/07z des Bezirksgerichts Waidhofen an der Thaya verletzen das Gesetz
1./ die Unterlassung der Ladung
a./ des Privatbeteiligten Thomas S***** zur Hauptverhandlung am 12. Juni 2008;
b./ des Vertreters des Privatbeteiligten Thomas H***** zur Hauptverhandlung am 12. Juni 2008 und am 25. Juni 2009
jeweils in § 221 Abs 1 erster Halbsatz iVm § 67 Abs 6 Z 4 iVm § 455 Abs 1 StPO;
2./ die Beschlüsse vom 13. Oktober 2009, GZ 2 U 28/07z-40 und GZ 2 U 28/07z-41, in den im 16. Hauptstück verankerten Grundsatz der Bindungswirkung gerichtlicher Entscheidungen.
Die zu 2./ bezeichneten Beschlüsse werden ersatzlos aufgehoben.
Text
Gründe:
Mit Strafantrag vom 8. Jänner 2008 legte die Staatsanwaltschaft Krems an der Donau im Verfahren AZ 2 U 28/07z des Bezirksgerichts Waidhofen an der Thaya Alex T***** und Roland C***** zum Nachteil des Thomas S***** und zum Nachteil des Thomas H***** begangene Vergehen der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB zur Last (ON 10).
Thomas S***** und Thomas H***** erklärten schon vor der Polizei sich dem Strafverfahren als Privatbeteiligte anzuschließen (AS 77 und 87).
Mit Schriftsatz vom 30. Oktober 2006 gab der Privatbeteiligte Thomas H***** bekannt, den Rechtsanwalt Mag. Bernhard Kispert mit seiner anwaltlichen Vertretung beauftragt zu haben (ON 3).
Zu der am 12. Juni 2008 durchgeführten Hauptverhandlung wurden weder die Privatbeteiligten noch der Privatbeteiligtenvertreter geladen (AS 1b verso). Mit gekürzt ausgefertigtem, auch einen Freispruch enthaltenden Urteil vom selben Tag wurde Roland C***** des „Vergehens der Körperverletzung nach § 91 Abs 2 StGB“ schuldig erkannt (ON 20).
Für den 25. Juni 2009 ordnete die Einzelrichterin betreffend Alex T***** die Durchführung der Hauptverhandlung an, zu der zwar die Privatbeteiligten, nicht jedoch der Privatbeteiligtenvertreter geladen wurde (ON 23).
Mit gekürzt ausgefertigtem Urteil vom 25. Juni 2009 wurde Alex T***** der Vergehen der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB schuldig erkannt (ON 30).
Eine Entscheidung über die privatrechtlichen Ansprüche enthalten die beiden erwähnten, jeweils unbekämpft in Rechtskraft erwachsenen Urteile nicht (ON 20 und ON 30).
Mit Schriftsatz vom 16. Juli 2009 ersuchte der Vertreter des Privatbeteiligten Thomas H***** um Bekanntgabe des Verfahrensstandes (ON 34).
Aus diesem Anlass beraumte die Einzelrichterin eine weitere „Hauptverhandlung“ an, in der sie die Privatbeteiligtenansprüche erörterte und ankündigte, dass die Entscheidung über die privatrechtlichen Ansprüche bzw die Ergänzung der Urteile schriftlich ergehen werde (ON 36).
Mit Beschluss vom 13. Oktober 2009 ergänzte die Einzelrichterin des Bezirksgerichts Waidhofen an der Thaya das Urteil vom 25. Juni 2009 zufolge irrtümlicher Unterlassung eines Ausspruchs über den Privatbeteiligtenanspruch gemäß § 270 Abs 3 StPO und zwar dahingehend, dass Alex T*****, teilweise zur ungeteilten Hand mit Roland C*****, zur Zahlung von genau bezifferten Schmerzengeldbeträgen an Thomas S***** und Thomas H***** verurteilt werde (ON 40).
Mit gleichfalls gemäß § 270 Abs 3 StPO gefasstem, das Urteil vom 12. Juni 2008 betreffenden „Ergänzungsbeschluss“ vom 13. Oktober 2009 wurde Roland C***** schuldig erkannt, dem Privatbeteiligten Thomas H***** zur ungeteilten Hand mit Alex T***** einen Teilschmerzengeldbetrag von 700 Euro zu bezahlen. Der Privatbeteiligte Thomas H***** wurde mit seinen weiteren Ansprüchen auf den Zivilrechtsweg verwiesen (ON 41). Mit Beschluss vom 29. Juni 2010 (ON 49) bestimmte das Bezirksgericht Waidhofen an der Thaya die Kosten für die Vertretung des Privatbeteiligten Thomas H*****. Über eine dagegen erhobene Beschwerde des Vertreters des Privatbeteiligten (ON 51) wurde noch nicht entschieden.
Rechtliche Beurteilung
Wie die Generalprokuratur in ihrer zur Wahrung des Gesetzes erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde im Ergebnis zutreffend ausführt, stehen die Vorgangsweise der Unterlassung der Ladung des Privatbeteiligten Thomas S***** und des Privatbeteiligtenvertreters sowie die Beschlüsse des Bezirksgerichts Waidhofen an der Thaya vom 13. Oktober 2009 mit dem Gesetz nicht im Einklang:
Gemäß § 67 Abs 6 Z 4 StPO haben die Privatbeteiligten über die Rechte der Opfer hinaus das Recht, zur Hauptverhandlung geladen zu werden und Gelegenheit zu erhalten, nach dem Schlussantrag der Staatsanwaltschaft ihre Ansprüche auszuführen und zu begründen.
Gemäß § 221 Abs 1 erster Halbsatz StPO sind die Beteiligten des Verfahrens sowie deren Vertreter zur Hauptverhandlung zu laden. Die in dieser Norm genannten Ausnahmen, wonach die Ladung von Privatbeteiligten insoweit unterbleiben darf, als diese einem Auftrag gemäß § 10 des Zustellgesetzes nicht entsprochen, oder auf ihr Recht, während der Hauptverhandlung anwesend zu sein, verzichtet haben oder eine Ausforschung des Aufenthalts von Opfern und Privatbeteiligten oder die Zustellung einer Ladung oder Verständigung an diese im Rechtshilfeweg zu einer erheblichen Verzögerung des Verfahrens, insbesondere einer bedeutenden Verlängerung der Haft des Angeklagten führen würden, lagen nach der Aktenlage nicht vor. Es wären daher sowohl die Privatbeteiligten selbst als auch der Vertreter des Privatbeteiligten Thomas H***** zur Hauptverhandlung zu laden gewesen. Eine Gesetzesverletzung wegen Unterlassung der Ladung des Thomas H***** wurde von der Generalprokuratur aber nicht geltend gemacht.
Über privatrechtliche Ansprüche ist zufolge der §§ 260 Abs 1 Z 5 erster Fall, 366 Abs 2 erster Satz iVm § 455 Abs 1 StPO im Urteil abzusprechen. Die Unterlassung einer Entscheidung über die zivilrechtlichen Ansprüche kommt einer Verweisung auf den Zivilrechtsweg gleich (vgl Spenling, WK‑StPO § 366 Rz 12). Mag eine Verweisung auf den Zivilrechtsweg auch keine Sachentscheidung sein, ist sie ein Urteilsspruch, mit dem das Begehren des Privatbeteiligten ‑ wenn auch nur formal ‑ erledigt wird (vgl Spenling, WK‑StPO § 366 Rz 11). Die solcherart durch Unterlassung des Ausspruchs erfolgte Verweisung auf den Zivilrechtsweg wird demnach von der Rechtskraftwirkung des Urteils mit umfasst und entfaltet zugunsten des Angeklagten Bindungswirkung. Da das Gericht ohne Aufhebung der Entscheidungen nicht berechtigt war, über den Entscheidungsgegenstand neuerlich abzusprechen, verletzen die am 13. Oktober 2009 gefassten „Berichtigungsbeschlüsse“ das Gesetz in dem im 16. Hauptstück der Strafprozessordnung verankerten Grundsatz der Bindungswirkung gerichtlicher Entscheidungen.
Zum Schuldspruch des Roland C***** „wegen des Vergehens der Körperverletzung nach § 91 Abs 2 StGB“ bleibt anzumerken, dass dieser entgegen der Rechtsansicht der Generalprokuratur keiner Berichtigung nach § 270 Abs 3 StPO zugänglich ist. Nach § 270 Abs 3 StPO dürfen nämlich nur Schreib‑ und Rechenfehler, ferner solche Formgebrechen und Auslassungen berichtigt werden, die nicht die in § 260 Abs 1 Z 1 bis 3 und Abs 2 StPO erwähnten Punkte betreffen. Nur die mit dem mündlich verkündeten Urteil in dessen unbedingt zu verkündeten Teilen sachlich übereinstimmende Ausfertigung ist Gegenstand der ihre „Berichtigung“ regelnden und insoweit auch Beschränkungen anordnenden Vorschrift des § 270 Abs 3 StPO (RIS‑Justiz RS0098942, RS0107039).
Einer Klarstellung des Schuldspruchs durch den Obersten Gerichtshof (vgl dazu Lendl, WK‑StPO § 260 Rz 32; Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 622 f) steht entgegen, dass nicht zweifelsfrei erkennbar ist, welche strafbare Handlung nach Meinung des Erstgerichts durch die als erwiesen angenommenen Tatsachen tatsächlich begründet werden sollte.
Da sich die zu Punkt 2./ aufgezeigten Gesetzesverletzungen zum Nachteil der Verurteilten auswirken, war deren Feststellung mit konkreter Wirkung zu verknüpfen (§ 292 letzter Satz StPO).
Davon rechtslogisch abhängige Entscheidungen und Verfügungen gelten gleichfalls als beseitigt (vgl RIS‑Justiz RS0100444; Ratz WK-StPO § 292 Rz 28).
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