OGH 6Ob181/11b (6Ob182/11z)

OGH6Ob181/11b (6Ob182/11z)14.9.2011

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Pimmer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schramm, Dr. Gitschthaler, Univ.-Prof. Dr. Kodek und Dr. Nowotny als weitere Richter in der Firmenbuchsache der I***** Gesellschaft m.b.H., FN *****, über den außerordentlichen Revisionsrekurs des Geschäftsführers G***** P*****, vertreten durch Dr. Gottfried Forsthuber, Rechtsanwalt in Baden, gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Rekursgericht vom 14. März 2011, GZ 4 R 47/11b, 4 R 48/11z-4, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben. Die Beschlüsse der Vorinstanzen werden ersatzlos aufgehoben.

Text

Begründung

Mit Beschluss vom 30. 11. 2010 forderte das Erstgericht den Geschäftsführer unter Androhung einer Zwangsstrafe von jeweils 700 EUR auf, binnen drei Wochen die Jahresabschlussunterlagen für die Geschäftsjahre 2008 und 2009 vorzulegen. Dieser Beschluss wurde dem Geschäftsführer an der Anschrift „Hochstraße *****“ durch Hinterlegung zugestellt. Die Sendung wurde als nicht behoben an das Gericht retourniert.

Das Erstgericht verhängte daraufhin über den Geschäftsführer die angedrohten Zwangsstrafen von je 700 EUR.

Das Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung. Die unsubstantiierte Behauptung des Rekurswerbers, er habe den Strafandrohungsbeschluss „nicht erhalten“, reiche nicht aus.

Rechtliche Beurteilung

Der gegen diesen Beschluss erhobene außerordentliche Revisionsrekurs ist im Interesse der Rechtssicherheit zulässig; er ist auch berechtigt.

Im vorliegenden Fall ist noch die Rechtslage vor Inkrafttreten der Änderungen des § 283 UGB durch das Budgetbegleitgesetz 2011 anzuwenden. Nach der damaligen Rechtslage hatte der Verhängung einer Zwangsstrafe gemäß § 283 UGB zwingend deren Androhung vorauszugehen (RIS-Justiz RS0113939). Die Wirksamkeit der Zustellung der Strafandrohung richtet sich nach den Bestimmungen des Zustellgesetzes (§ 24 AußStrG iVm § 15 Abs 1 FBG). Im vorliegenden Fall liegt eine öffentliche Urkunde über die Zustellung vor. Diese macht zunächst vollen Beweis darüber, dass die darin beurkundeten Zustellvorgänge auch eingehalten wurden. Es ist Sache dessen, dem gegenüber die Zustellung nicht wirksam sein soll, den Gegenbeweis der Vorschriftswidrigkeit der Hinterlegung zu führen (RIS-Justiz RS0040471). Im vorliegenden Fall weist der Zustellnachweis die in § 22 ZustG geforderte gehörige äußere Form auf (vgl 6 Ob 93/09h). In einem derartigen Fall steht dem Empfänger nach herrschender Auffassung der „Gegenbeweis“ nach § 292 ZPO offen. Dazu bedarf es aber nach ständiger Rechtsprechung konkreter Darlegungen über den Zustellmangel und eines entsprechenden Bescheinigungsanbots; die Zustellmängel müssen vom Adressaten zumindest glaubhaft gemacht werden (6 Ob 93/09h). Zwar sind infolge der Amtswegigkeit der Zustellung allfällige Unrichtigkeiten in der Beurkundung von Amts wegen zu erheben und zu beachten (RIS-Justiz RS0036440). Allerdings reicht die nicht näher substantiierte Behauptung einer „Ortsabwesenheit“ zur Darlegung der Vorschriftswidrigkeit des Zustellvorgangs nicht aus. Eine derartige Behauptung ist auch nicht geeignet, die amtswegige Prüfung des Zustellvorgangs durch Anordnung von Erhebungen auszulösen (RIS-Justiz RS0036440 [T7]). Auch die im vorliegenden Fall erhobene nicht näher substantiierte Behauptung, das Schriftstück nicht erhalten zu haben, reicht nicht aus und löst noch keine Verpflichtung zur Prüfung des Zustellvorgangs aus; maßgeblich bleibt vielmehr der Akteninhalt (3 Ob 60/04a; Stummvoll in Fasching/Konecny 2 § 22 ZustG Rz 7 mwN; Gitschthaler in Rechberger ZPO3 § 87 Rz 4 mwN).

An diesen Grundsätzen ist festzuhalten. Im vorliegenden Fall besteht jedoch die von den Vorinstanzen nicht ausreichend gewürdigte Besonderheit, dass die Zustellung an der Anschrift „Hochstraße *****“ erfolgte, während die Anschrift des Geschäftsführers richtig „Hochbergstraße *****“ lautet. In ***** bestehen beide Adressen. Letztere Anschrift ist nunmehr seit 15. 4. 2011 aufgrund einer amtswegigen Berichtigung im Firmenbuch als maßgebliche Zustellanschrift eingetragen. Tatsächlich wird diese Anschrift - soweit ersichtlich - auch durchwegs von der Gesellschaft bzw vom Revisionsrekurswerber angeführt (vgl zB Gesellschafterbeschluss vom 18. 10. 1995, ON 5 der Urkundensammlung, Musterzeichnung des Geschäftsführers ON 6 der Urkundensammlung, Notariatsakt vom 2. 8. 1996 ON 8 der Urkundensammlung, Protokoll der außerordentlichen Generalversammlung vom 11. 9. 1998, ON 18 der Urkundensammlung, Notariatsakt vom 29. 9. 1999, ON 22 der Urkundensammlung, Notariatsakt vom 12. 12. 2002, ON 25 der Urkundensammlung usw).

Demgegenüber wird - soweit ersichtlich - nur an zwei Stellen, nämlich im Umlaufbeschluss vom 18. 12. 1997 (Beilage 9 der Urkundensammlung) und im Umlaufbeschluss vom 2. 12. 1998 (Beilage 19 der Urkundensammlung) die Anschrift „Hochstraße *****“ verwendet. Bei dieser Sachlage ist aber zwingend davon auszugehen, dass die Anschrift „Hochbergstraße *****“ richtig ist und dies - wie sich aus der wenn auch erst nachträglich durchgeführten Berichtigung der Anschrift durch das Firmenbuchgericht ergibt - auch von Anfang an die richtige Anschrift war, also nicht etwa das Ergebnis einer zwischenzeitigen Übersiedlung des Geschäftsführers darstellte.

In Anbetracht dieser konkreten Umstände des Einzelfalls ist aber davon auszugehen, dass die Zustellanschrift „Hochstraße *****“ schon nach dem - mangels konkreter Behauptungen des Revisionsrekurswerbers den ausschließlichen Beurteilungsmaßstab bildenden - Akteninhalt unrichtig war, sodass die verhängten Zwangsstrafen mangels wirksamer vorheriger Androhung ersatzlos aufzuheben waren.

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