OGH 6Ob104/11d

OGH6Ob104/11d14.9.2011

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Pimmer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schramm, Dr. Gitschthaler, Univ.-Prof. Dr. Kodek und Dr. Nowotny als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei J***** W*****, vertreten durch Dr. Klaus J. Karner, Rechtsanwalt in Villach, gegen die beklagte Partei O***** GmbH & Co KG, *****, vertreten durch Puschner Spernbauer Rosenauer Rechtsanwälte OG in Wien, wegen Unterlassung (Streitwert 5.000 EUR) und Bekanntgabe (Streitwert 5.000 EUR), über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgericht vom 17. Februar 2011, GZ 34 R 11/11m-14, mit dem das Urteil des Bezirksgerichts Döbling vom 8. November 2010, GZ 4 C 636/10v-7, teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird teilweise Folge gegeben.

Die Entscheidung des Berufungsgerichts wird dahin abgeändert, dass jene des Erstgerichts in seinem Punkt 4. wieder hergestellt und in seinem Punkt 7. wie folgt zu lauten hat:

„Die Beklagte ist schuldig, dem Kläger die ihr zur Verfügung stehende E-Mail-Adresse der Person mit dem Benutzernamen ***** binnen 14 Tagen bekannt zu geben.

Das Mehrbegehren, die Beklagte sei schuldig, dem Kläger alle sonstigen Daten, die die Identifikation der Person mit dem Benutzernamen ***** ermöglichen, bekannt zu geben, wird abgewiesen.“

Die Beklagte ist schuldig, dem Kläger die mit 1.159,48 EUR (darin 122,02 EUR Umsatzsteuer und 427,33 EUR Barauslagen) bestimmten Kosten des Verfahrens erster Instanz binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Die Beklagte ist schuldig, dem Kläger die mit 1.715,82 EUR (darin 236,72 EUR Umsatzsteuer und 295,80 EUR Barauslagen) bestimmten Kosten des Rechtsmittelverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Vorinstanzen haben - insoweit rechtskräftig - die Beklagte als Medieninhaberin einer Internetseite, auf welcher in Form eines Live-Chats gepostet werden konnte, gemäß § 1330 ABGB zur Unterlassung der Verbreitung einer konkreten, den Kläger betreffenden und von einer Person mit einem Benutzernamen in Form einer bestimmten Buchstaben-Ziffern-Kombination geposteten Behauptung sowie sinngleicher Behauptungen verpflichtet.

Das Erstgericht verpflichtete darüber hinaus im Sinn eines vom Kläger gestellten Eventualbegehrens (unter gleichzeitiger Abweisung des nachstehend genannten Hauptbegehrens) die Beklagte gemäß § 18 Abs 4 ECG zur Bekanntgabe aller sonstigen Daten, die die Identifikation des genannten Nutzers ermöglichen.

Das Berufungsgericht verpflichtete hingegen im Sinn des diesbezüglichen Hauptbegehrens die Beklagte zur Bekanntgabe von Name und Anschrift dieses Nutzers und sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 5.000 EUR übersteigt und dass die ordentliche Revision zulässig ist; es fehle Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur Frage, ob die Beklagte zur Abwehr von Ansprüchen auf Herausgabe von User-Namen und User-Adressen zielführend lediglich deren Unkenntnis einwenden könne oder auch nachzuweisen habe, dass es ihr nicht möglich ist, sich die entsprechenden Kenntnisse zu verschaffen.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision der Beklagten ist zulässig; sie ist teilweise berechtigt.

1. Zum Hauptbegehren:

1.1. Es ist zwischen den Parteien nicht strittig, dass sich die im Revisionsverfahren allein noch zu beantwortende Rechtsfrage betreffend Inhalt und Umfang der Bekanntgabepflichten der Beklagten nach § 18 ECG richtet. Diese Bestimmung hält unter dem Titel „Umfang der Pflichten der Diensteanbieter“ in Abs 4 fest, dass „die in § 16 genannten Diensteanbieter [Host-Provider] … den Namen und die Adresse eines Nutzers ihres Dienstes, mit dem sie Vereinbarungen über die Speicherung von Informationen abgeschlossen haben, auf Verlangen Dritten zu übermitteln [haben], sofern diese ein überwiegendes rechtliches Interesse an der Feststellung der Identität eines Nutzers und eines bestimmten rechtswidrigen Sachverhalts sowie überdies glaubhaft machen, dass die Kenntnis dieser Information eine wesentliche Voraussetzung für die Rechtsverfolgung bildet.“

Das E-Commerce-Gesetz ist in Umsetzung der Richtlinie 2000/31/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 8. 6. 2000 über bestimmte rechtliche Aspekte der Dienste der Informationsgesellschaft, insbesondere des elektronischen Geschäftsverkehrs, im Binnenmarkt ergangen. Die Verpflichtung des Providers nach § 18 Abs 4 ECG ist dabei aber in der Richtlinie nicht unmittelbar vorgezeichnet (ErläutRV 817 BlgNR XXI. GP; siehe auch Art 15 Abs 2 der Richtlinie, der den Mitgliedstaaten lediglich die Möglichkeit einräumt, Diensteanbietern eine Auskunftsverpflichtung gegenüber nationalen Behörden aufzuerlegen).

1.2. Unter Namen und Adresse eines Nutzers iSd § 18 Abs 4 ECG sind grundsätzlich dessen Vor- und Zuname und dessen Postanschrift zu verstehen. Dies ergibt sich einerseits aus der Systematik des § 18 ECG insgesamt und andererseits aus einem Vergleich mit § 5 ECG und mit §§ 4 f Abs 2 Z 23 ORF-G. Während nämlich nach § 18 Abs 2 ECG einem Gericht vom Diensteanbieter „alle Informationen zu übermitteln [sind], an Hand deren die Nutzer [seiner] Dienste … ermittelt werden können“, sprechen Abs 3 und 4 nur von „Namen“ und „Adresse“. Auch in § 5 ECG unterscheidet der Gesetzgeber zwischen Namen beziehungsweise Firma des Nutzers (Abs 1 Z 1) und „geografische[r] Anschrift, unter der [der Nutzer] niedergelassen ist“ (Abs 1 Z 2) beziehungsweise der „elektronischen Postadresse“ (Abs 1 Z 3). Aber auch die ErläutRV zu § 18 Abs 4 ECG sprechen für diese Ansicht, soll mit dieser Regelung doch in ihren Rechten verletzten Personen „die Rechtsverfolgung erleichtert werden“; für eine (etwa) zivilgerichtliche Rechtsverfolgung benötigt der Verletzte aber Vor- und Zuname sowie Postanschrift des Users (vgl § 74 ZPO).

1.3. Die ErläutRV halten ausdrücklich fest, dass „die Auskunftsverpflichtung des Providers sich auch im Fall des Abs. 4 nur auf den Namen und die Adresse eines Nutzers [erstreckt], mit dem er Vereinbarungen über die Speicherung von Daten abgeschlossen hat. Weitergehende Informationen, etwa ein Userprofil oder andere Umstände, die zur Rechtsverletzung führen, können dem Auskunftswerber nicht mitgeteilt werden. Der Host Provider wird durch diese Regelung auch nicht verpflichtet, diese Daten zu speichern oder aufzubewahren, er hat auch nur die ihm verfügbaren Daten herauszugeben.“

Zwischen den Parteien ist es unstrittig, dass die Beklagte weder über Namen noch Anschrift des Nutzers, der das inkriminierte Posting verfasste, verfügt. § 4f Abs 2 Z 23 ORF-G, der die Registrierung eines Nutzers unter Angabe von Vor- und Nachnamen und der Wohnadresse anordnet, ist erst am 1. 10. 2010 in Kraft getreten (BGBl 2010/50) und daher hier noch nicht anwendbar. Angesichts dieses klaren gesetzgeberischen Willens, dem weder die Richtlinie noch der Wortlaut des § 18 Abs 4 ECG entgegen stehen, hat das Erstgericht das Hauptbegehren zutreffend abgewiesen.

1.4. Es entspricht durchaus der ständigen Rechtsprechung, dass eine Verurteilung zu einer Leistung eine ernst zu nehmende, irgendwie ins Gewicht fallende Chance voraussetzt, dass die Leistung (wenigstens) später erbracht werden kann (RIS-Justiz RS0016423 [T3]); die Beweislast trifft diesbezüglich denjenigen, der sich auf die Unmöglichkeit beruft (3 Ob 130/51 SZ 24/96). Nur bei offenkundiger (5 Ob 275/03g) oder mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit feststehender (8 Ob 150/08d; RIS-Justiz RS0016423) Unmöglichkeit ist nicht zur Leistung zu verurteilen.

Für die vom Kläger und vom Berufungsgericht angenommene Verpflichtung der Beklagten, sich „mit Hilfe der ihr vorliegenden Angaben des Users Kenntnis von [dessen] Namen und Adresse zu verschaffen“, bietet jedoch der Gesetzeswortlaut keine Grundlage (ebenso OLG Linz MR 2011, 214; vgl auch VfGH VfSlg 18.830). Die Beklagte verweist dazu in ihrer Berufungsbeantwortung zutreffend darauf, dass dies einer Ermittlungspflicht gleichkäme, die einer gesetzlichen Verankerung bedürfte. Im Übrigen sprechen die ErläutRV geradezu ausdrücklich gegen diese Ermittlungspflicht; der Host-Provider habe (lediglich) die ihm verfügbaren Daten herauszugeben.

2. Zum Eventualbegehren:

2.1. Der Oberste Gerichtshof hat bereits entschieden, dass ein Berufungsgericht sofort - wie sonst das Erstgericht - zu prüfen hat, ob ein Eventualbegehren gerechtfertigt ist, wenn es entgegen dem Erstgericht das Hauptbegehren abweist (RIS-Justiz RS0037663), und dass dieser Grundsatz auch dann gilt, wenn erst der Oberste Gerichtshof - abweichend von der Auffassung des Berufungsgerichts - ein Hauptbegehren für nicht berechtigt erachtet (9 Ob 4/09t). Dass in einem solchen Fall die klagende Partei in der Revisionsbeantwortung das Eventualbegehren ausdrücklich aufrecht erhalten müsste, um dessen Ausscheiden aus dem Verfahren zu verhindern, wird hingegen nicht gefordert; die diesbezügliche Rechtsprechung (RIS-Justiz RS0041490, RS0039435) bezieht sich auf Fälle, in denen sich die klagende Partei in ihrem Rechtsmittel nicht ausdrücklich gegen die Nichterledigung eines Sachantrags (etwa eines Eventualbegehrens [6 Ob 697/84]) gewendet hat. Daher ist auch im vorliegenden Verfahren die Berechtigung des Eventualbegehrens zu prüfen. Dabei kann - jedenfalls im Hinblick auf die in der Berufung der Beklagten enthaltene Anfechtung des diesbezüglich stattgebenden Ersturteils - auch nicht davon ausgegangen werden, dass dem Eventualbegehren bereits rechtskräftig stattgegeben worden wäre.

2.2. Die Beklagte hat dem Erstgericht in ihrer Berufung vorgeworfen, dieses habe für die von ihm angeordnete Verpflichtung zur Herausgabe „alle[r] sonstigen Daten, die die Identifikation der Person mit dem [konkreten] Benutzernamen ermöglichen“, keine rechtliche Grundlage anzugeben vermocht. Dem ist insofern beizupflichten, als die Verpflichtung, „alle Daten“ herauszugeben, gegen die insoweit eindeutige Absicht des Gesetzgebers sprechen würde, den Provider im Rahmen des § 18 Abs 4 ECG nicht zur Preisgabe von über Namen und Adresse hinausgehenden Informationen zwingen zu wollen.

2.3. Allerdings hat der Kläger in seiner Berufungsbeantwortung darauf verwiesen, dass die Beklagte über die E-Mail-Adresse des betreffenden Users verfügt (vgl die diesbezügliche Außerstreitstellung der Beklagten AS 21). Als Name und Adresse eines Nutzers iSd § 18 Abs 4 ECG ist auch dessen E-Mail-Adresse zu verstehen. Einerseits werden von der Rechtsprechung auch Internet-Domains als Namen iSd § 43 ABGB gesehen, wenn sie einen Namen enthalten oder namensmäßig anmuten (RIS-Justiz RS0113105); andererseits handelt es sich bei der E-Mail-Adresse um die „elektronische Postadresse“ nach § 5 Abs 1 Z 3 ECG. Die ErläutRV wiederum wollen lediglich über Namen und Adresse hinausgehende Daten von der Bekanntgabe ausnehmen, sprechen sie doch ausdrücklich etwa vom User-Profil; dieses enthält regelmäßig aber auch sonstige personenbezogene Daten. Und schließlich spricht auch ein Größenschluss für die gefundene Lösung: Wenn § 18 Abs 4 ECG sogar die Bekanntgabe des tatsächlichen Namens und der richtigen Adresse des Users anordnet, muss dies erst recht für seine E-Mail-Adresse gelten, die möglicherweise keine Rückschlüsse auf die Identität des Users zulässt.

2.4. Den Einwand, sie sei im Hinblick auf § 31 MedienG berechtigt, „Angaben über die Person eines Leserbriefschreibers in elektronischen Foren zu verweigern“, hat die Beklagte im Verfahren erster Instanz nicht erhoben.

2.5. Damit waren aber die Entscheidungen der Vorinstanzen dahin abzuändern, dass der Beklagten die Bekanntgabe der ihr tatsächlich bekannten E-Mail-Adresse jenes Users aufgetragen wird, der unter der Bezeichnung ***** das inkriminierte Posting verfasste.

3. Die Entscheidung über die Kosten des Verfahrens erster Instanz gründet sich auf § 43 Abs 2 ZPO, jene über die Kosten des Rechtsmittelverfahrens auf § 43 Abs 2, 50 ZPO. In sämtlichen Instanzen wurde die Beklagte zur Bekanntgabe von Daten verpflichtet; der konkrete Umfang dieser Pflicht wirkte sich kostenmäßig nicht aus.

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