OGH 5Ob119/11b

OGH5Ob119/11b25.8.2011

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon.-Prof. Dr. Danzl als Vorsitzenden und die Hofrätinnen Dr. Hurch und Dr. Lovrek sowie die Hofräte Dr. Höllwerth und Mag. Wurzer als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei 1. Dipl.-Ing. G*****, 2. Dr. D*****, 3. Mag. B*****, 4. G*****, 5. E. und O. ***** & Co *****gesellschaft m.b.H., *****, 6. K*****, 7. Mag. J*****, 8. E*****, 9. W*****, 10. Elisabeth K*****, 11. J*****, 12. H*****, (rechtskräftig abgewiesen: 13. M*****), 14. Ing. F*****, alle vertreten durch Held Berdnik Astner & Partner Rechtsanwälte GmbH in Wien, gegen die beklagte Partei R*****-Gesellschaft m.b.H., *****, vertreten durch Lattenmayer, Luks & Enzinger, Rechtsanwälte GmbH in Wien, und deren Nebenintervenienten 1. Ing. Mag. F*****, vertreten durch Dr. Hannes Pflaum, Dr. Peter Karlberger, Dr. Manfred Wiener, Mag. Petra Rindler, Rechtsanwälte in Wien, 2. P*****, vertreten durch Dr. Hans Ambros, Rechtsanwalt in Wien, 3. J***** & Co. ***** KG in Liquidation, *****, 4. G*****, beide vertreten durch DDr. Karl Pistotnig, Rechtsanwalt in Wien, wegen 6.283 EUR (Erstkläger), je 2.013 EUR (Zweit- und Drittkläger), 3.355 EUR (Viertklägerin), 3.696,60 EUR (Fünftklägerin), 3.562,40 EUR (Sechstklägerin), 3.477 EUR (Siebentklägerin), 4.880 EUR (Achtklägerin), 3.562,40 EUR (Neuntkläger), je 1.744,60 EUR (Zehnt- und Elftkläger), 3.782 EUR (Zwölftkläger) und 3.562,40 EUR (Vierzehntkläger) jeweils sA, über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht, vom 31. März 2011, GZ 4 R 68/11s-173, womit infolge Berufung der erst- bis zwölft- und vierzehntklagenden Parteien das Endurteil des Handelsgerichts Wien vom 11. November 2010, GZ 20 Cg 82/03t-167, abgeändert wurde, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

1. Die außerordentliche Revision wird, soweit sie die zweit- bis zwölft- und vierzehntklagenden Parteien betrifft, zurückgewiesen.

2. Hinsichtlich der erstklagenden Partei werden die Akten dem Erstgericht zur Herbeiführung einer Entscheidung iSd § 508 ZPO zurückgestellt.

Text

Begründung

Die Kläger sind Wohnungseigentümer und begehren von der Beklagten als Rechtsnachfolgerin der Bauträgerin die Leistung des für die Herstellung einer der ÖNorm und dem Stand der Technik entsprechenden Dachkonstruktion und des für die Sanierung von Mangelfolgeschäden erforderlichen Deckungskapitals.

Mit seinem Endurteil wies das Erstgericht das auf Leistung des jeweils auf ihren Miteigentumsanteil entfallenden Teils des Deckungskapitals gerichtete Zahlungseventualbegehren der Erst- bis Zwölft- und Viertzehntkläger ab.

Das Berufungsgericht gab der dagegen erhobenen Berufung der Kläger (mit Ausnahme der Abweisung eines Teils des Zinsenbegehrens) Folge und verurteilte die Beklagte zur Zahlung des auf den jeweiligen Anteil der Kläger entfallenden Teils des Deckungskapitals. Es sprach aus, dass die ordentliche Revision nicht zulässig ist.

Rechtliche Beurteilung

Die außerordentliche Revision der Beklagten ist hinsichtlich der Zweit- bis Zwölft- und Vierzehntkläger jedenfalls unzulässig. In Ansehung des Erstklägers erfolgte die Vorlage verfrüht.

1. Die Geltendmachung von Deckungskapital durch Wohnungseigentümer zur Beseitigung von Mängeln an allgemeinen Teilen der Liegenschaft ist nach einhelliger jüngerer Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs keine Gesamthandforderung (5 Ob 207/10t; Teilurteil und Aufhebungsbeschluss in dieser Rechtssache 5 Ob 21/09p = wobl 2010, 74/34 = ecolex 2010/9, 44 [Rindler] = wobl 2010, 24/74 = immolex 2010/48 [Prader]). Auch wenn es sich bei der erstmaligen Herstellung eines mängelfreien Zustands um eine Maßnahme der ordentlichen Verwaltung handelt, ist dieser auf Geldleistung gerichtete und damit teilbare Anspruch (vgl RIS-Justiz RS0017118) dahin zu beurteilen, dass mehreren Wohnungseigentümern jeweils nur der auf ihren Anteil entfallende Teil des eingesetzten Deckungskapitals zusteht (vgl auch RIS-Justiz RS0013214 [T10] = RS0013213 [T12] = RS0017118 [T6]). Diese Ansicht findet auch die Zustimmung der Lehre (vgl Perner in Fenyves/Kerschner/Vonkilch, Klang³ § 890 Rz 58 f mwN; Apathy/Riedler in Schwimann, ABGB³, § 890 Rz 5 f; Parapatits in ABGB-ON, § 848 Rz 5).

2. Die Kläger haben das Klagebegehren im zweiten Rechtsgang entsprechend diesen (auch vom erkennenden Senat in seinem Teilurteil und Aufhebungsbeschluss im ersten Rechtsgang bindend [§ 511 Abs 1 ZPO] vorgegebenen: 5 Ob 21/09p) Grundsätzen nach ihren jeweiligen Miteigentumsanteilen aufgeschlüsselt (ON 159 in Band III) und begehrten jeweils den Zuspruch des anteilsmäßigen Deckungskapitals. Nur noch dieses war Gegenstand des Rechtsmittelverfahrens.

3. Werden in einer Klage mehrere Forderungen geltend gemacht, so bilden sie nur dann einen einheitlichen Streitgegenstand, wenn die Voraussetzungen des § 55 Abs 1 JN erfüllt sind. Die Regelung des § 55 Abs 1 JN gilt auch für das Rechtsmittelverfahren (§ 55 Abs 4 JN). Mehrere in einer Klage geltend gemachte Ansprüche bilden daher nur dann einen einheitlichen Entscheidungsgegenstand des Berufungsgerichts, wenn die Voraussetzungen des § 55 Abs 1 JN vorliegen (RIS-Justiz RS0053096; RS0037838 [T38]).

Danach sind mehrere in einer Klage geltend gemachte Forderungen zusammenzurechnen, wenn sie von einer einzelnen Partei gegen eine einzelne Partei erhoben werden und in einem tatsächlichen oder rechtlichen Zusammenhang stehen (§ 55 Abs 1 Z 1 JN) oder von mehreren Parteien gegen mehrere Parteien geltend gemacht werden, die materielle Streitgenossen nach § 11 Z 1 ZPO sind (§ 55 Abs 1 Z 2 JN). Materielle Streitgenossen nach § 11 Z 1 ZPO sind Parteien, wenn sie in Ansehung des Streitgegenstands in Rechtsgemeinschaft stehen oder aus demselben tatsächlichen Grund oder solidarisch berechtigt oder verpflichtet sind. Eine Berechtigung oder Verpflichtung aus demselben tatsächlichen oder rechtlichen Grund iSd § 11 Z 1 ZPO setzt einen einheitlichen rechtserzeugenden Tatbestand voraus, ohne dass für einen Streitgenossen noch weitere rechtserzeugende Tatsachen für die Ableitung des Anspruchs hinzutreten (RIS-Justiz RS0035450; RS0035411). Liegt nur eine formelle Streitgenossenschaft nach § 11 Z 2 ZPO vor, kommt es selbst dann nicht zu einer Zusammenrechnung, wenn die geltend gemachten Ansprüche in einem rechtlichen oder tatsächlichen Zusammenhang stehen (Gitschthaler in Fasching² § 55 JN Rz 23).

4. Als Wohnungseigentümer stehen die Kläger in Ansehung des Streitgegenstands zueinander nicht in Rechtsgemeinschaft. Grundlage ihrer Ansprüche sind die jeweiligen Kaufverträge, sodass der den Klagebegehren zu Grunde liegende rechtserzeugende Sachverhalt nicht in allen Fällen derselbe ist. Die Kläger bilden damit grundsätzlich keine materielle, sondern lediglich eine formelle Streitgenossenschaft iSd § 11 Z 2 ZPO, weswegen ihre Ansprüche nicht zusammenzurechnen sind (vgl 10 Ob 106/00m). Anderes gilt allenfalls bei Vorliegen einer Eigentümerpartnerschaft (§ 13 WEG), wenn - wovon gerade in Fällen der erstmaligen Begründung von Wohnungseigentum im Allgemeinen ausgegangen werden kann - ein einheitlicher Kaufvertrag und damit derselbe rechtserzeugende Sachverhalt vorliegen wird.

5. Mit Ausnahme des Begehrens des Erstklägers übersteigt der jeweilige Wert des Entscheidungsgegenstands in zweiter Instanz auch unter Berücksichtigung jener Fälle, in welchen nach dem öffentlichen Grundbuch eine Eigentümerpartnerschaft und damit eine Zusammenrechnung der jeweiligen Ansprüche naheliegt (2./3. bzw 10./11. Kläger), nicht 5.000 EUR. Insoweit ist die Revision jedenfalls unzulässig (§ 502 Abs 2 ZPO) und damit zurückzuweisen.

6. Nach § 502 Abs 3 ZPO ist die Revision - außer im Fall des § 508 Abs 3 ZPO - jedenfalls unzulässig, wenn der Entscheidungsgegenstand an Geld oder Geldeswert insgesamt zwar 5.000 EUR, nicht aber 30.000 EUR übersteigt und das Berufungsgericht - wie hier - die ordentliche Revision für nicht zulässig erklärt hat.

7. Hat das Berufungsgericht ausgesprochen, dass die ordentliche Revision mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage nicht zulässig ist, so kann gemäß § 505 Abs 4 ZPO eine Revision (die hier nicht vorliegenden Fälle des § 502 Abs 5 ZPO ausgenommen) nur erhoben werden, wenn der Wert des Entscheidungsgegenstands insgesamt 30.000 EUR übersteigt (außerordentliche Revision). Übersteigt der Wert des Entscheidungsgegenstands in zweiter Instanz wohl 5.000 EUR, nicht aber insgesamt 30.000 EUR und hat das Berufungsgericht ausgesprochen, die ordentliche Revision sei mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage nicht zulässig, so kann eine Partei gemäß § 508 Abs 1 ZPO (nur) einen Antrag an das Berufungsgericht stellen, seinen Ausspruch dahingehend abzuändern, dass die ordentliche Revision doch für zulässig erklärt werde.

8. Wird gegen eine Entscheidung, die nur mittels Abänderungsantrags angefochten werden kann, eine ordentliche oder eine außerordentliche Revision erhoben, so hat - auch wenn das Rechtsmittel an den Obersten Gerichtshof gerichtet ist - das Erstgericht dieses Rechtsmittel dem Berufungsgericht vorzulegen, weil derartige Rechtsmittel als Anträge iSd § 508 Abs 1 ZPO zu werten sind (1 Ob 15/07y; RIS-Justiz RS0109623). Solange eine Abänderung des Zulassungsausspruchs durch das Berufungsgericht nicht erfolgt, mangelt es dem Obersten Gerichtshof an der funktionellen Zuständigkeit (7 Ob 18/11i). Ob die Einleitung eines Verbesserungsverfahrens notwendig ist, bleibt der Beurteilung der Vorinstanzen vorbehalten.

(Nur) Soweit die außerordentliche Revision der Beklagten den Erstkläger betrifft, waren die Akten daher dem Erstgericht zurückzustellen.

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