Spruch:
Im Verfahren AZ 95 Hv 25/10g des Landesgerichts für Strafsachen Wien verletzt der Beschluss des Oberlandesgerichts Wien vom 15. September 2010, AZ 17 Bs 166/10a (ON 18), § 489 Abs 1 StPO.
Dieser Beschluss wird ebenso aufgehoben wie der Beschluss des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 1. Oktober 2010 (ON 20) und es wird dem Oberlandesgericht Wien die Entscheidung über die Berufung der Antragsgegnerin aufgetragen.
Text
Gründe:
In der Medienrechtssache des Antragstellers Hans D***** gegen die Antragsgegnerin M***** „Ö*****“ GmbH wegen § 14 MedienG, AZ 95 Hv 25/10g des Landesgerichts für Strafsachen Wien, wurde die Antragsgegnerin mit Urteil vom 24. März 2010 (ON 9) zur Veröffentlichung einer Gegendarstellung und zum Kostenersatz verpflichtet; gemäß § 18 Abs 2 MedienG wurde die Entscheidung über die Geldbuße dem fortgesetzten Verfahren vorbehalten.
Dagegen erhob die Antragsgegnerin Berufung (ON 14).
Am 17. Juni 2010 verstarb der Antragsteller.
Mit Beschluss vom 15. September 2010, AZ 17 Bs 166/10a (ON 18), brach das Oberlandesgericht Wien das Rechtsmittelverfahren ab und stellte die Akten dem Landesgericht für Strafsachen Wien zur Beendigung des Medienverfahrens ‑ analog einer Einstellung nach § 197 StPO ‑ zurück. Begründend vermeinte es, beim Recht auf Gegendarstellung handle es sich um ein höchstpersönliches Recht, das mit dem Tod des Antragstellers erlösche. Die Veröffentlichung einer Gegendarstellung nach dem Tod des Antragstellers sei zudem sinnlos; mit einer dadurch erfolgenden Richtigstellung sei niemandem gedient. Hinzu komme der Provisorialcharakter des befristeten Verfahrens nach § 15 Abs 3 bis 5 MedienG, weil zufolge des nach § 15 Abs 4 MedienG erhobenen Einwands der Unwahrheit der Gegendarstellung die Entscheidung über eine Geldbuße nach § 18 MedienG dem fortgesetzten Verfahren vorbehalten worden sei. An einem solchen könnte der Antragsteller aufgrund seines Ablebens aber nicht mehr teilnehmen.
Mit Beschluss vom 1. Oktober 2010 (ON 20) stellte das Landesgericht für Strafsachen Wien das Verfahren „gemäß § 191 Abs 1 StPO analog“ zufolge Ablebens des Antragstellers ein.
Der dagegen gerichteten Beschwerde der Verlassenschaft nach Hans D***** gab das Oberlandesgericht Wien mit Beschluss vom 22. November 2010, AZ 17 Bs 305/10t (ON 24), nicht Folge.
Wie die Generalprokuratur in ihrer zur Wahrung des Gesetzes erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zutreffend ausführt, stehen der Beschluss des Oberlandesgerichts Wien vom 15. September 2010, AZ 17 Bs 166/10a, und der darauf beruhende Beschluss des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 1. Oktober 2010 mit dem Gesetz nicht im Einklang.
Rechtliche Beurteilung
Das Recht zur Privatanklage ist höchstpersönlicher Natur; es ist weder rechtsgeschäftlich übertragbar noch vererblich. Nach einhelliger Auffassung erlischt es mit dem Tod des (potentiellen) Privatanklägers. Für den Fall des Todes des Privatanklägers nach Erhebung der Privatanklage, also während laufenden Verfahrens, enthält das Gesetz keine ausdrückliche Regelung.
Grundsätzlich wird die Verfolgbarkeit strafrechtlichen Geschehens nur durch solche Tatsachen aufgehoben, denen das Gesetz diese Wirkung zuerkennt. In Ansehung von Privatanklagedelikten nennt das Gesetz den Rücktritt und gewisse Versäumnisse des Privatanklägers, denen es kraft einer Rechtsvermutung die gleiche Wirkung zuschreibt (§ 71 Abs 6 StPO; vgl KH 4084).
Hindert der Tod den Privatankläger, gewisse Rechtshandlungen vorzunehmen, deren Unterlassung dieselbe Wirkung hat wie die ausdrückliche Zurücknahme der Anklage, ist das Verfahren einzustellen. Stirbt der Privatankläger aber zu einem Zeitpunkt, zu dem es solcher Rechtshandlungen nicht mehr bedarf (und zu dem er die Anklage nicht einmal mehr zurückziehen könnte), fehlt ein gesetzlich vorgesehener Grund zur Einstellung des Verfahrens.
Daraus folgt, dass der Tod des Privatanklägers während des Rechtsmittelverfahrens eine Entscheidung über die ‑ von wem auch immer ‑ ergriffene Berufung nicht hindert. Kommt es dabei zu einer Aufhebung des Urteils und zu einer neuen Hauptverhandlung in erster Instanz, so wird das Ausbleiben des Privatanklägers bei dieser Hauptverhandlung die Einstellung des Verfahrens zur Folge haben (§ 71 Abs 6 StPO; vgl KH 4084; Zbl 19 [1901] 552; 15 Os 168/94).
Gemäß § 14 Abs 3 MedienG gelten für das Verfahren über einen Antrag nach § 14 Abs 1 MedienG, soweit im Folgenden nichts anderes bestimmt ist, die Bestimmungen der Strafprozessordnung für das Verfahren aufgrund einer Privatanklage dem Sinn nach. Da die §§ 14 ff MedienG keine Sonderbestimmung für den Fall des Todes des Antragstellers (Gegendarstellungswerbers) enthalten, gilt das bisher zum Tod des Privatanklägers Gesagte.
Überlegungen dazu, ob die Veröffentlichung einer Gegendarstellung nach dem Tod des Privatanklägers noch sinnvoll ist, weil ihr Zweck darin besteht, dem Betroffenen die Möglichkeit zu bieten, medialen Tatsachenmitteilungen mit gleicher Publizitätswirkung entgegenzutreten, tun im vorliegenden Fall auch insofern nichts zur Sache, als die Antragsgegnerin die Gegendarstellung zufolge § 13 MedienG bereits unmittelbar nach dem Urteil erster Instanz zu veröffentlichen hatte. Durch die Einstellung des Verfahrens vor Entscheidung über die von ihr gegen das sie verpflichtende Urteil erhobene Berufung würde der Antragsgegnerin aber die Möglichkeit zur Rehabilitierung mit den sich daran knüpfenden Kostenfolgen genommen (vgl Lendl, WK-StPO § 390 Rz 9).
Spekulative Erwägungen betreffend eine erst nach Entscheidung über die Berufung in Rede stehende, fallbezogen nur mehr auf Antrag der Antragsgegnerin mögliche Fortsetzung des Verfahrens gemäß § 16 MedienG sind vor Entscheidung über die Berufung der Antragsgegnerin ebenso wenig angebracht.
Demnach waren in Bezug auf die von der Antragsgegnerin erhobene Berufung die Bestimmungen des § 489 StPO, der ua auf die §§ 470, 474 StPO verweist, zu berücksichtigen. Das Berufungsgericht hätte also über die Berufung der Antragsgegnerin entweder gemäß § 470 StPO in nichtöffentlicher Sitzung oder gemäß § 474 StPO in der mündlichen Berufungsverhandlung in der in diesen Bestimmungen aufgezeigten Weise entscheiden müssen.
Eine mit dem Auftrag an das Erstgericht zur Beendigung des Verfahrens „analog § 197 StPO“ (Abbrechung des Ermittlungsverfahrens gegen Abwesende und gegen unbekannte Täter; siehe aber § 427 Abs 2 letzter Satz StPO) verbundene Abbrechung des Rechtsmittelverfahrens durch das Oberlandesgericht ist hingegen im ‑ insofern keineswegs lückenhaften ‑ Gesetz nicht vorgesehen.
Das Oberlandesgericht Wien hätte daher aus dem erst im Rechtsmittelverfahren eingetretenen Tod des Antragstellers Hans D***** ‑ den im Verfahren über die Berufung der Antragsgegnerin keine Mitwirkungspflicht trifft ‑ keine rechtlichen Konsequenzen für das Berufungsverfahren ableiten dürfen, sondern die im § 489 Abs 1 StPO vorgesehene Entscheidung über das Rechtsmittel treffen müssen (vgl 15 Os 168/94).
Insofern entbehrt auch der auf einem Auftrag des Oberlandesgerichts beruhende Beschluss des Erstgerichts vom 1. Oktober 2010 (ON 20), mit welchem das Verfahren zufolge Todes des Antragstellers eingestellt wurde, einer gesetzlichen Grundlage.
Die aufgezeigten Verstöße gereichen der Antragsgegnerin, der gemäß § 14 Abs 3 MedienG die Rechte des Angeklagten zukommen, zum Nachteil, sodass sich der Oberste Gerichtshof veranlasst sah, die Beschlüsse des Oberlandesgerichts Wien vom 15. September 2010 und des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 1. Oktober 2010 aufzuheben und dem Oberlandesgericht die Entscheidung über die Berufung der Antragsgegnerin aufzutragen.
Der Beschluss des Oberlandesgerichts Wien vom 22. November 2010, AZ 17 Bs 305/10t (ON 24), mit dem der Beschwerde gegen den Beschluss des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 1. Oktober 2010, GZ 95 Hv 25/10g-20, nicht Folge gegeben wurde, ist damit gegenstandslos.
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