Spruch:
Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.
Die Beschlüsse der Vorinstanzen werden aufgehoben. Dem Erstgericht wird die Fortsetzung des Verfahrens und eine neuerliche Entscheidung unter Abstandnahme vom gebrauchten Zurückweisungsgrund aufgetragen.
Text
Begründung
Die Patientin wurde am 6. 7. 2010 mit der Diagnose Borderline-Störung wegen Selbstgefährdung auf einer Psychiatrie-Station der O*****klinik ***** untergebracht. Mit Schreiben vom 9. 7. 2010 teilte ein Oberarzt dieses Krankenhauses der Bezirkshauptmannschaft P***** als Führerscheinbehörde mit, dass sich die Patientin im Straßenverkehr besonders gefährlich verhalten und dabei die Gefährdung ihres Lebens und die Schädigung anderer Verkehrsteilnehmer bewusst in Kauf genommen habe. Am 16. 7. 2010 wurde die Patientin in den offenen Bereich des Krankenhauses verlegt und deshalb das Unterbringungsverfahren eingestellt.
Mit am 30. 8. 2010 beim Erstgericht eingelangtem Schriftsatz beantragte die Patientenanwältin namens der Patientin die Feststellung, dass diese durch die Mitteilung an die Bezirkshauptmannschaft P***** in ihrem Recht auf ärztliche Verschwiegenheit verletzt worden sei. Die Patientin habe den Oberarzt nicht von seiner ärztlichen Schweigepflicht entbunden. Der Verstoß dagegen während aufrechter Unterbringung stelle eine Beschränkung sonstiger Rechte im Sinn des § 34a UbG dar.
Das Erstgericht wies den Antrag zurück. Die gerügte Handlung sei keine Rechtsbeschränkung im Sinn des § 34a UbG, über deren Zulässigkeit das Unterbringungsgericht zu entscheiden habe. § 34a UbG gelte nur subsidiär zu besonderen Rechtsvorschriften. Bei Verletzung von Geheimhaltungspflichten bestünden Rechtsvorschriften, die eine Klage vor dem Zivilgericht oder eine Beschwerde an die Datenschutzkommission vorsähen.
Das von der Patientin angerufene Rekursgericht bestätigte die erstinstanzliche Entscheidung. Nach der Generalklausel des § 34a UbG habe das Gericht auch über die Zulässigkeit der Beschränkung „anderer Rechte“ des Kranken während der Unterbringung zu entscheiden. Vor Einfügung dieser Bestimmung seien lediglich bestimmte, im UbG taxativ aufgezählte (§§ 33, 34, 35 ff) Maßnahmen der gerichtlichen Kontrolle unterstellt gewesen. Als solche „anderen Rechte“ zähle § 34a UbG das Tragen von Privatkleidung, den Gebrauch persönlicher Gegenstände und den regelmäßigen Ausgang ins Freie demonstrativ auf. Dabei handle es sich um Freiheitsrechte des Patienten, deren Beschränkung in der Regel unmittelbar aus der Unterbringung, den Vollzugsmodalitäten, der Einhaltung der Strukturen der psychiatrischen Abteilung oder der Stationsordnung, der sich der untergebrachte Patient nicht entziehen könne, resultierten. Durch § 34a UbG hätten nicht Beschränkungen aller erdenklichen sonstigen Rechte des Patienten einer Kontrolle durch das Unterbringungsgericht unterstellt werden sollen, sondern nur jene in Freiheitsrechte des Patienten eingreifende Maßnahmen, die sich aus dem Vollzug der Unterbringung ergäben. Bei der ärztlichen Verschwiegenheitspflicht und beim Recht des Patienten auf Geheimhaltung der dem Arzt anvertrauten Informationen handle es sich um kein Freiheitsrecht. Die Beschränkung dieses Rechts durch Weitergabe von Informationen an die Führerscheinbehörde wegen vermuteter Fahruntauglichkeit aufgrund einer psychischen Störung resultiere nicht unmittelbar aus dem Vollzug der Unterbringung eines Patienten. Schon deshalb sei die Meldung an die Führerscheinbehörde nicht unter § 34a UbG zu subsumieren. Zudem sei § 34a UbG nach den Gesetzesmaterialien nur subsidiär zu besonderen Rechtsvorschriften anzuwenden, in denen festgelegt sei, ob und unter welchen Voraussetzungen in ein spezielles Recht des Patienten eingegriffen werden dürfe. Eine solche besondere Rechtsvorschrift finde sich für die ärztliche Verschwiegenheitspflicht in § 54 ÄrzteG. Danach und nicht nach § 34a UbG sei die Zulässigkeit einer Beschränkung des Rechts des Patienten auf Geheimhaltung zu beurteilen. Bei Verletzung von Geheimhaltungspflichten habe der Patient die Möglichkeit der Klage vor dem Zivilgericht oder der Beschwerde an die Datenschutzkommission.
Das Rekursgericht sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei, weil zur Frage des Anwendungsbereichs des § 34a UbG keine Rechtsprechung des Höchstgerichts vorliege.
Gegen den Beschluss des Rekursgerichts richtet sich der Revisionsrekurs der Patientin, die unrichtige rechtliche Beurteilung geltend macht und beantragt, die Entscheidungen der Vorinstanzen dahin abzuändern, dass die Weitergabe von Informationen an die Führerscheinbehörde unzulässig gewesen sei. Hilfsweise wird der Antrag gestellt, die vorinstanzlichen Beschlüsse aufzuheben und dem Erstgericht die Fortsetzung des Verfahrens und eine neuerliche Entscheidung unter Abstandnahme vom Zurückweisungsgrund aufzutragen.
Rechtliche Beurteilung
Der Revisionsrekurs ist aus dem vom Rekursgericht genannten Grund zulässig und im Sinn des Aufhebungsantrags auch berechtigt.
Die Revisionsrekurswerberin wendet sich gegen die Rechtsansicht des Rekursgerichts, die mit der Meldung an die Führerscheinbehörde verbundene Einschränkung der ärztlichen Verschwiegenheitspflicht sei keine Beschränkung „sonstiger Rechte“ des Kranken während der Unterbringung im Sinn des § 34a UbG. Auch die Beeinträchtigung des Rechts auf Schutz der Patientendaten resultiere unmittelbar aus dem Vollzug der Unterbringung, weil sie nicht nur nach dem Datenschutzgesetz und § 54 ÄrzteG, sondern insbesondere auch nach unterbringungsrechtlichen Kriterien zu beurteilen sei. § 34a UbG setze nicht voraus, dass keine andere Möglichkeit einer rechtlichen Überprüfung bestehe. Dass die Verletzung der ärztlichen Verschwiegenheitspflicht auch auf andere Weise festgestellt werden könne, schließe nicht aus, dass eine gerichtliche Überprüfung auf der Grundlage des § 34a UbG erfolgen müsse. Durch die Rechtmäßigkeitskontrolle im UbG-Verfahren sollten Anstaltsakte sowohl von der persönlichen Haftung der handelnden Personen entkoppelt als auch ohne Kostenrisiko für den Patienten rasch einer Überprüfung zugeführt werden können. Der Anwendungsbereich des § 34a UbG sei daher im Sinn des Patienten und seines Rechts auf Freiheit nur hinsichtlich der Eingriffsermächtigung, nicht aber hinsichtlich des Rechtsschutzes restriktiv auszulegen.
Dazu wurde erwogen:
Der mit der Unterbringungs- und Heimaufenthaltsnovelle 2010 (BGBl I 2010/18) geschaffene, am 1. 7. 2010 in Kraft getretene § 34a UbG lautet:
„Beschränkungen sonstiger Rechte des Kranken während der Unterbringung, insbesondere Beschränkungen der Rechte auf Tragen von Privatkleidung, Gebrauch persönlicher Gegenstände und Ausgang ins Freie, sind, soweit nicht besondere Vorschriften bestehen, nur insoweit zulässig, als sie zur Abwehr einer Gefahr im Sinn des § 3 Z 1 oder zum Schutz der Rechte anderer Personen in der psychiatrischen Abteilung unerlässlich sind und zu ihrem Zweck nicht außer Verhältnis stehen. Auf Verlangen des Kranken oder seines Vertreters hat das Gericht unverzüglich über die Zulässigkeit einer solchen Beschränkung zu entscheiden.“
Ziel des UbG ist es, auch während der Anhaltung „die Grenzen der Einschränkung der Persönlichkeitsrechte in rechtsstaatlich einwandfreier Form abzustecken“ (Kopetzki, Grundriss des Unterbringungsrechts2 Rz 721 unter Hinweis auf die Gesetzesmaterialien). Die Gesetzesmaterialien (RV 601 BlgNR 24. GP 1, 6 und 17) bezeichnen § 34a UbG als eine zur Füllung einer - unter Hinweis auf Art 13 MRK kritisierten (Kopetzki, Entscheidungsbesprechung, RdM 2001/3; ders, Grundriss des Unterbringungsrechts2 Rz 766) - Rechtsschutzlücke geschaffene Generalklausel, die die Voraussetzungen für sonstige Rechtsbeschränkungen regle und gleichzeitig ein - antragsgebundenes - gerichtliches Verfahren zur Überprüfung der Rechtmäßigkeit vorsehe. Neben den materiellen und formellen Voraussetzungen für eine Unterbringung und deren gerichtliche Überprüfung habe das UbG schon bisher verschiedene in Freiheitsrechte eingreifende Maßnahmen im Rahmen des Vollzugs der Unterbringung geregelt, etwa medizinische Behandlungen (§§ 35 ff UbG), weitergehende Beschränkungen der Bewegungsfreiheit (§ 33 UbG) und Einschränkungen des Besuchs- und Telefonverkehrs (§ 34 UbG). Diese nach Auffassung der Gerichte taxativ aufgezählten Maßnahmen seien der Kontrolle durch das Unterbringungsgericht unterstellt worden.
Die Gesetzesmaterialien weisen also darauf hin, dass § 34a UbG einerseits (im ersten Satz) eine bislang fehlende Eingriffsbefugnis für die Krankenanstalt nachliefert, die derartigen Beschränkungen überhaupt erst rechtliche Deckung verleihen kann. Andererseits wird die gerichtliche Kontrollbefugnis auf Beschränkungen „sonstiger Rechte“ des Untergebrachten ausgedehnt und dadurch eine erhebliche (und mit Art 13 EMRK unvereinbare) Rechtsschutzlücke im Vollzug der Unterbringung geschlossen. Damit kommt dem Unterbringungsgericht nun eine umfassende Kompetenz zur Kontrolle von Rechtseingriffen während der Unterbringung zu (Kopetzki, Die UbG-Novelle 2010, in RdM 2011 [im Druck]).
Der Revisionsrekurswerberin ist darin beizupflichten, dass das Abgrenzungskriterium für diese gerichtliche Überprüfung nach § 34a UbG entgegen der Meinung der Vorinstanzen nicht der Umstand sein kann, dass es keine andere Überprüfungsmöglichkeit gibt. Besteht doch die Möglichkeit, seine Rechte zivilrechtlich durchzusetzen, wohl bei allen denkbaren Grundrechtseingriffen. Vielmehr bezieht sich - auch im Lichte des Art 13 EMRK - die gerichtliche Prüfungskompetenz unter dem Titel der Zulässigkeitskontrolle einer „solchen Beschränkung“ auch auf Eingriffe in Rechte, die außerhalb des UbG geregelt (und daher nicht „unterbringungsspezifisch“) sind. Dass § 34a UbG für in Freiheitsrechte eingreifende Maßnahmen drei Beispiele demonstrativ aufzählt, die im Rahmen des Vollzugs der Unterbringung häufig auftreten können, liegt in der Natur der Sache und erlaubt entgegen der Auffassung der Vorinstanzen nicht die Schlussfolgerung, nur unterbringungsspezifische Maßnahmen unterlägen der Kontrollkompetenz der Unterbringungsgerichte. Die Subsidiaritätsklausel des § 34a UbG erfasst entgegen der Ansicht des Rekursgerichts nur die Eingriffsbefugnis, nicht jedoch die Kontrollkompetenz. In Fällen wie dem vorliegenden ist daher die Prüfungskompetenz des Unterbringungsgerichts zu bejahen. Der materielle Prüfungsmaßstab ergibt sich allerdings nicht aus § 34a erster Satz UbG, sondern aus der jeweiligen „besonderen Vorschrift“ (Kopetzki, die UbG-Novelle 2010, in RdM 2011 [im Druck]), hier aus § 54 Abs 2 Z 4 ÄrzteG (Jahnel, Die Meldung von Gesundheitsdaten an die Führerscheinbehörde aus datenschutzrechtlicher Sicht, jusIT 2008, 18).
Da im vorliegenden Fall die gerichtliche Prüfungskompetenz nach § 34a UbG entgegen der Meinung des Erst- und des Rekursgerichts gegeben ist, sind die Beschlüsse der Vorinstanzen aufzuheben und es ist dem Erstgericht eine neue Entscheidung unter Abstandnahme vom gebrauchten Zurückweisungsgrund aufzutragen. Der Umstand, dass die Unterbringung der Revisionsrekurswerberin nach § 32 UbG aufgehoben ist, ändert nichts am rechtlichen Interesse an der begehrten Feststellung (vgl RIS-Justiz RS0071267). Es entspricht auch ständiger Judikatur, dass die Vertretungsbefugnis des Patientenanwalts nach Aufhebung der Unterbringung für Vertretungshandlungen bestehen bleibt, die sich auf Sachverhalte während der Unterbringung beziehen (7 Ob 229/09s, Zak 2010/185, 113 = RZ 2010/27, 262 = EvBl 2010/66, 462 = iFamZ 2010/117, 157 mwN).
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