OGH 1Ob58/11b

OGH1Ob58/11b28.4.2011

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon.-Prof. Dr. Sailer als Vorsitzenden sowie die Hofräte Univ.-Prof. Dr. Bydlinski, Dr. Grohmann, Mag. Wurzer und Mag. Dr. Wurdinger als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Volodymyr I*****, vertreten durch Dr. Christian Widl, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei M***** AG, *****, vertreten durch Kunz Schima Wallentin Rechtsanwälte OG in Wien, wegen 2.829.897 EUR sA, über den Rekurs der beklagten Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 22. Dezember 2010, GZ 4 R 297/10s-31, mit dem das Urteil des Handelsgerichts Wien vom 12. Juli 2010, GZ 12 Cg 105/09z-27, aufgehoben wurde, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.

Die Kosten des Rekursverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung

Eine Gesellschaft mit Sitz auf den Seychellen erwarb im Jahr 2006 Wertpapiere von der beklagten Bank.

Der Kläger begehrt gestützt auf Irrtum die Aufhebung des Kaufvertrags und die Rückzahlung des Kaufpreises von 2.829.897 EUR sA, in eventu die Zahlung von 2 Mio EUR sA aus dem Titel des Schadenersatzes. Er sei als Bevollmächtigter/Beauftragter der Gesellschaft durch die Zusicherung der beklagten Partei, mündelsichere, wertstabile Aktien nach österreichischem Recht zu erwerben, über die Eigenschaft der tatsächlich erworbenen Zertifikate getäuscht worden. Aufgrund der Verletzung der Beratungspflicht sowie aufgrund von Maßnahmen wie Rückkaufaktionen und Zahlung ungerechtfertigter Provisionen etc, die der beklagten Partei zuzurechnen seien, sei ein Schaden entstanden. Zu der - von der beklagten Partei bestrittenen - Aktivlegitimation brachte er vor, die Gesellschaft habe ihm im März 2009 sämtliche Forderungen, die sich aus dem Wertpapierkauf gegen die beklagte Partei ergäben, abgetreten.

Die beklagte Partei bestritt - soweit im Rekursverfahren von Interesse - das Vorliegen einer (wirksamen) Zession sowie die Schlüssigkeit des Vorbringens des Klägers.

Das Erstgericht wies das Haupt- und das Eventualbegehren ab. Eine Irrtumsanfechtung durch die Gesellschaft und Käuferin setze voraus, dass der (irrende) Kläger als entscheidungsbefugtes Organ der Gesellschaft gehandelt habe. Dazu fehle konkretes Sachvorbringen. Der vorgelegten Zessionserklärung lasse sich nicht mit ausreichender Sicherheit entnehmen, ob und welche Ansprüche konkret an den Kläger abgetreten worden seien.

Das Berufungsgericht hob dieses Urteil auf und verwies die Rechtssache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurück.

Nach der in Österreich und Deutschland herrschenden Meinung unterlägen die schuldrechtlichen Beziehungen zwischen Zedent und Zessionar dem Vertragsstatut des Grundgeschäfts (Zessionsvereinbarung) iSd Art 12 Abs 1 EVÜ, während für das (abstrakte) Verfügungsgeschäft das Forderungsstatut des Art 12 Abs 2 EVÜ maßgeblich sei. Dies werde insbesondere mit der Formulierung des Art 12 Abs 1 EVÜ, nämlich der ausdrücklichen Beschränkung auf die „Verpflichtungen zwischen Zedent und Zessionar“, begründet. Auch solle sich der Schuldner hinsichtlich einer allfälligen Abtretung nur auf jenes Recht einrichten müssen, welches die Forderung beherrsche. Rechtsunsicherheiten, die sich für ihn aus der Anwendung einer anderen Rechtsordnung ergeben könnten, sollten von ihm ferngehalten werden. Durch die Anwendung des Forderungsstatuts auf das Verfügungsgeschäft werde verhindert, dass die Stellung des Schuldners durch Dispositionen von Zedent und Zessionar beeinträchtigt werden könnte.

Nach der Gegenmeinung solle die geltende Fassung des EVÜ („Verpflichtungen“) nur klarstellen, dass die Abtretungsvereinbarung nicht auch über die Wirksamkeit gegenüber dem Schuldner entscheide. Von Anfang an sei folglich beabsichtigt gewesen, die Frage des Forderungsübergangs im Verhältnis zwischen Zedent und Zessionar dem Vertragsstatut zu unterstellen. Aufgrund der gebotenen einheitlichen kollisionsrechtlichen Behandlung von Verpflichtungs- und Verfügungsgeschäft unterliege dem Vertragsstatut nicht nur die schuldrechtliche, sondern auch die sich aus dem Verfügungsgeschäft ergebende Beziehung zwischen Zedent und Zessionar.

Nach Art 1165 Abs 3 des Civil Code of Seychelles könne sich eine Vertragspartei im Vorhinein damit einverstanden erklären, dass die andere Vertragspartei ihre Forderung oder ihre Schuldverpflichtung an eine dritte Person übertrage. Demnach stehe im Raum, ob - bei Anwendbarkeit ausländischen Rechts - die Klagsabweisung im Ergebnis schon deshalb zu bestätigen wäre, weil die Wirksamkeit der Zession ein - hier nicht ohne weiteres vorliegendes - vorheriges Einverständnis der beklagten Partei erfordere.

Die Verbindlichkeit der beklagten Partei gegenüber der Gesellschaft unterliege hier österreichischem Recht, das das Einverständnis des Schuldners als Wirksamkeitserfordernis einer Abtretung nicht kenne. Warum die beklagte Partei daraus Vorteile ziehen sollte, dass nach dem im Verhältnis zwischen Kläger und Gesellschaft anzuwendenden Recht ein solches Einverständnis (allein ausgehend vom Normtext) erforderlich zu sein scheine, sei nicht ersichtlich. Demnach unterlägen insbesondere die Übertragbarkeit der Forderung und das Verhältnis zwischen Zessionar und Schuldner (Kläger und beklagter Partei) österreichischem Recht.

Das Vorbringen des Klägers zur Zession sah das Berufungsgericht als ausreichend schlüssig an. Es nahm aber eine primäre und sekundäre Mangelhaftigkeit des erstinstanzlichen Verfahrens und dessen Ergänzungsbedürftigkeit an, soweit es die (jeweils nach dem Recht der Republik Seychellen zu beurteilende) Vertretungsbefugnis des Klägers für die Gesellschaft sowie die Berechtigung des Vertreters der Gesellschaft, die Forderungen an den Kläger abzutreten, betreffe. Bei Bejahung der Aktivlegitimation des Klägers müsse geklärt werden, ob die vom Kläger vorgebrachten (durch Vertragsauslegung zur ermittelten) vereinbarten Eigenschaften der Veranlagung in relevanter Weise von den tatsächlichen Eigenschaften abwichen.

Das Berufungsgericht ließ den Rekurs an den Obersten Gerichtshof zu, weil höchstgerichtliche Rechtsprechung zur Frage fehle, ob sich Art 12 Abs 1 EVÜ nur auf die schuldrechtlichen Beziehungen zwischen Zedent und Zessionar beschränke oder eine einheitliche kollisionsrechtliche Behandlung zur Anwendung des Rechts am Sitz des Zedenten (hier: Seychellen) führe.

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs der beklagten Partei ist zulässig, aber nicht berechtigt.

1. Nach Art 12 Abs 1 des EVÜ (dessen Anwendbarkeit nicht strittig ist) ist für die Verpflichtungen zwischen Zedent und Zessionar einer Forderung das Recht maßgebend, das nach diesem Übereinkommen auf den Vertrag zwischen ihnen anzuwenden ist (Vertrags- oder - so im Folgenden - Zessionsstatut).

Nach Abs 2 leg cit bestimmt das Recht, dem die übertragene Forderung unterliegt (im Folgenden: Forderungsstatut), ihre Übertragbarkeit, das Verhältnis zwischen Zessionar und Schuldner, die Voraussetzungen, unter denen die Übertragung dem Schuldner entgegengehalten werden kann, und die befreiende Wirkung einer Leistung durch den Schuldner.

2. Die beklagte Partei zieht nicht in Zweifel, dass a) ihr Rechtsverhältnis mit der Gesellschaft mit Sitz auf den Seychellen über den Kauf der Wertpapiere nach Art 4 Abs 2 EVÜ österreichischem Recht unterliegt und dieses damit Forderungsstatut nach Art 12 Abs 1 EVÜ ist, und b) das am Sitz der Zedentin geltende Recht der Republik Seychellen das nach Art 12 Abs 1 iVm Art 4 Abs 2 EVÜ maßgebliche Zessionsstatut ist.

3. Die vom Berufungsgericht angesprochene, (auch) in Österreich und Deutschland diskutierte Streitfrage, ob das Zessionsstatut des Art 12 Abs 1 EVÜ (im Verhältnis zwischen Zedent und Zessionar) nicht nur das Verpflichtungsgeschäft, sondern auch das (abstrakte) Verfügungsgeschäft erfasst (zum Meinungsstand s nur Verschraegen in Rummel 3, EVÜ Art 12 Rz 4 ff), berührt die hier im Verhältnis zwischen Zessionar und Schuldner strittige Wirksamkeit der Abtretung nicht. Selbst jene Meinung, die (im Verhältnis zwischen Zedent und Zessionar) auch das Verfügungsgeschäft dem Zessionsstatut des Art 12 Abs 1 EVÜ unterstellen will, geht nicht davon aus, dass dieses im Verhältnis zum Schuldner die ausdrücklich in Art 12 Abs 2 EVÜ geregelten Aspekte des Schuldnerschutzes bestimmen soll (vgl dazu: Verschraegen aaO Rz 5; Lorenz in Czernich/Heiss/Lorenz, EVÜ Art 12 Rz 10 f; Staudinger/Hausmann [2001] Art 33 EGBGB [Abs 1 und 2 dieser Bestimmung entsprechen von gewissen Abweichungen in Abs 1 abgesehen Art 12 Abs 1 und 2 EVÜ: Lorenz aaO Rz 8] Rn 13 f).

4. Die Rekurswerberin sieht dies offenbar nicht anders, wenn sie eingangs ihrer Argumentation die vom Berufungsgericht gestellte Frage als bereits beantwortet bezeichnet, weil nach Art 12 Abs 2 EVÜ das Forderungsstatut das Verhältnis zwischen Zessionar und Schuldner bestimme. In ihren weiteren Ausführungen misst sie der Bestimmung des Art 1165 Abs 3 Satz 1 des Civil Code of Seychelles ausschließlich die Bedeutung zu, dass die Abtretung einer Forderung generell des vorherigen Einverständnisses des Schuldners bedürfe. Daraus zieht sie die Konsequenz, die hier geltend gemachte Forderung sei mangels Zustimmung des Schuldners (der beklagten Partei) nicht wirksam zedierbar (abtretbar).

5. Damit behauptet sie im Kern ein nur im Fall der Zustimmung des Schuldners nicht bestehendes generelles Zessionsverbot. Die ausdrücklich in Art 12 Abs 2 EVÜ genannte Übertragbarkeit (Abtretbarkeit) einer Forderung unterliegt aber nach insoweit einhelliger Meinung dem Forderungsstatut (Verschraegen aaO Rz 16 [ausdrücklich zu gesetzlichen Abtretungsverboten]; Lorenz aaO Rz 22 mwN; Staudinger/Hausmann aaO Rn 41 mwN). Lorenz (aaO Rz 24) bezweifelt diesen Grundsatz zwar für die Übertragbarkeit künftiger Forderungen mit dem Argument, das Verbot der Übertragung solcher Forderungen diene im Fall der beabsichtigten Verhinderung von Knebelungseffekten nicht dem Schutz des künftigen Schuldners. Eine ähnliche Einschränkung findet sich auch bei Hausmann (aaO), der die Frage, unter welchen Voraussetzungen unter anderem bedingte Forderungen abgetreten werden können, nur insoweit der Übertragbarkeit der Forderung iSd Art 33 Abs 2 EGBGB zuordnet, als die Rechtsposition des Schuldners berührt wird. Diese angesprochene Problematik spielt im konkreten Fall aber keine Rolle. Zu beurteilen ist die Abtretung bereits begründeter Forderungen als Folge der Irreführung der Käuferin bei Abschluss des Rechtsgeschäfts.

6. Mit ihrer Argumentation will die beklagte Partei also entgegen Art 12 Abs 2 EVÜ erreichen, dass sie sich als Schuldnerin auf die ihrer Ansicht nach günstigeren Bestimmungen des Rechts der Republik Seychellen Zessionsstatut) berufen kann. Diesem Wunsch steht auch der zwingende Charakter (Verschraegen aaO Rz 14; Lorenz aaO Rz 19 mwN; Hausmann aaO Rn 38) des Art 12 Abs 2 EVÜ entgegen, der bestimmte Fragen (insbesondere die Abtretbarkeit) ausschließlich dem Forderungsstatut unterstellt. Richtig ist zwar, dass Art 12 Abs 2 EVÜ dem Schutz des Schuldners dient, dessen Rechtsstellung nicht zur Disposition des Zedenten und des Zessionars stehen soll (Verschraegen aaO; Lorenz aaO mwN; Hausmann aaO Rn 40 mwN). Der Aspekt des Schuldnerschutzes rechtfertigt aber nicht das Ergebnis, dass sich der Schuldner nachträglich (wenn er nach einer Zession mit einem neuen Gläubiger konfrontiert wird) das für ihn günstigere Recht des Zessionsstatuts aussuchen kann. Der Schuldner soll sich bei der Forderungsabtretung nur auf die für seine Schuld geltende Rechtsordnung einzurichten haben. Unsicherheiten, die durch die Anwendbarkeit oder Mitberücksichtigung der für die Rechtsbeziehungen zwischen Zedent und Zessionar maßgebenden Rechtsordnungen geschaffen würden, sollen von ihm ferngehalten werden (Hausmann/Staudinger aaO Rn 40 mwN). Auch Zessionar und Schuldner können nach der Zession das Forderungsstatut ohne Ermächtigung des Zedenten nicht mit Wirkung für diesen ändern (Lorenz aaO mwN). Welches Recht die Forderung beherrscht, muss also vorhersehbar und einschätzbar sein.

7. Dass nach österreichischem Recht eine rechtsgeschäftliche Zession ohne Zustimmung des Schuldners zulässig ist, ist unbestritten.

8. Ein Klagebegehren ist rechtlich schlüssig, wenn das Sachbegehren des Klägers materiell-rechtlich aus den zu seiner Begründung vorgetragenen Tatsachenbehauptungen abgeleitet werden kann (RIS-Justiz RS0037516; Fasching in Fasching/Konecny 2 § 226 ZPO Rz 94). Es wird grundsätzlich nicht verlangt, dass der Kläger den gesamten Tatbestand vorträgt; er hat aber die rechtserzeugenden Tatsachen vollständig und knapp vorzutragen (RIS-Justiz RS0036973).

9. Die Beurteilung des Berufungsgerichts, das Vorbringen des Klägers zur wirksamen Abtretung der geltend gemachten Ansprüche als ausreichend schlüssig zu werten, ist nach diesen Kriterien zutreffend (§ 510 Abs 3 ZPO). Der Kläger behauptete, als Bevollmächtigter und Beauftragter der Käuferin über die Eigenschaft der erworbenen Wertpapiere in Irrtum geführt worden zu sein und berief sich (unter Vorlage einer Zessionserklärung) auf eine Abtretung der der Käuferin und Zedentin gegen die beklagte Partei aus dem Kauf der Wertpapiere zustehenden Ansprüche. Warum dies kein schlüssiges Vorbringen zu einer wirksamen Abtretung der hier erhobenen Forderungen auf Aufhebung des Vertrags wegen Irreführung, Rückzahlung des Kaufpreises und Leistung von Schadenersatz sein sollte, kann die Revisionswerberin nicht darlegen. Hat der Kläger als Vertreter der Käuferin das Geschäft abgeschlossen, ist sein Irrtum für die Anfechtung maßgeblich (RIS-Justiz RS0016136). Behauptet wird auch nicht die nur in bestimmten Fällen zulässige (RIS-Justiz RS0032642; Neumayr in KBB3 § 1393 ABGB Rz 8 mwN) isolierte Übertragung des Gestaltungsrechts auf Anfechtung wegen Irrtums.

10. Ein beachtlicher Geschäftsirrtum iSd § 871 ABGB ist ein Irrtum über Punkte, die Inhalt des Rechtsgeschäfts sind (RIS-Justiz RS0014910). Was Vertragsinhalt wurde, bestimmt sich danach, wie Vertragserklärungen objektiv zu verstehen sind (4 Ob 65/10b mwN). Der Inhalt der Besprechung(en) anlässlich des Kaufs der Wertpapiere ist in diesem Fall vollkommen offen. Wie das Berufungsgericht richtig erkannte, ist daher eine Beurteilung, was Vertragsinhalt wurde, in diesem Stadium ausgeschlossen.

11. Der Einschätzung des Berufungsgerichts zur Ergänzungsbedürftigkeit der Feststellungen des Erstgerichts und der Notwendigkeit weiterer Beweisaufnahmen kann der Oberste Gerichtshof, der nicht Tatsacheninstanz ist, nicht entgegentreten (RIS-Justiz RS0043414).

12. Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 52 Abs 2 ZPO.

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