Spruch:
Das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 1. Dezember 2010, AZ 9 Bs 140/10t (= ON 53 in den Akten AZ 12 Hv 53/10f des Landesgerichts Wels) verletzt § 474 iVm § 489 Abs 1 StPO.
Text
Gründe:
Mit Urteil eines Einzelrichters des Landesgerichts Wels vom 19. Mai 2010, GZ 12 Hv 53/10f-44, wurden Franz S***** des Vergehens der Verletzung des Amtsgeheimnisses nach § 310 Abs 1 StGB (I./) sowie Redzep R***** und Anto D***** je des Vergehens der Verletzung des Amtsgeheimnisses als Beteiligter nach §§ 12 zweiter Fall, 310 Abs 1 StGB (II./ und III./) schuldig erkannt.
Zur Entscheidung über die gegen dieses Urteil wegen vorliegender Nichtigkeitsgründe sowie des Ausspruchs über die Schuld und die Strafe erhobenen Berufungen der Angeklagten (ON 48, 49, 50) führte das Oberlandesgericht Linz als Berufungsgericht am 1. Dezember 2010 zum AZ 9 Bs 140/10t eine öffentliche Berufungsverhandlung durch (ON 52 der Hv-Akten). In dieser befragten die Richter - ohne ausdrückliche Anordnung der Beweiswiederholung oder Beweisergänzung - die Angeklagten eingehend zur Sache (ON 52 S 3 ff). Nach Vortrag der Rechtsmittel und Erwiderung durch den Sitzungsvertreter der Oberstaatsanwaltschaft zog sich der Senat zu geheimer Beratung zurück.
Im Anschluss verkündete der Vorsitzende das Urteil, wonach den Berufungen wegen Nichtigkeit Folge gegeben, das angefochtene Urteil aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen werde (ON 52 S 9).
Den Entscheidungsgründen des Urteils des Oberlandesgerichts zufolge sei „die erhobene Mängel- und Rechtsrüge“ (§ 281 Abs 1 Z 5 und Z 9 lit a StPO) berechtigt, da das Erstgericht entscheidende Sachverhaltsfeststellungen nicht getroffen und die festgestellten Urteilsannahmen auch nicht hinreichend begründet habe (ON 53 S 5 ff).
Rechtliche Beurteilung
Diese Vorgangsweise des Oberlandesgerichts steht - wie die Generalprokuratur gemäß § 23 Abs 1 StPO zutreffend ausführt - mit § 474 StPO iVm § 489 Abs 1 StPO nicht im Einklang:
Wenn schon vor der öffentlichen Verhandlung über die Berufung feststeht, dass das angefochtene Urteil aufzuheben und ua die Verhandlung in erster Instanz zu wiederholen ist, kann das Oberlandesgericht die erstinstanzliche Entscheidung gemäß § 470 Z 3 iVm § 489 Abs 1 StPO bereits bei nichtöffentlicher Beratung aufheben und die Strafsache an das Erstgericht zurückweisen. Liegen die in § 470 StPO genannten Fälle nicht vor, ist ein Gerichtstag zur Berufungsverhandlung anzuberaumen (§ 471 StPO).
Eine Beweisaufnahme durch das Oberlandesgericht als Berufungsgericht kommt bei der Behandlung einer Schuld- oder einer (vorläufig als begründet erachteten) Nichtigkeitsberufung in Betracht und dient dem (verfahrensökonomischen) Ziel, statt einer Rückverweisung an das Erstgericht eine Entscheidung des Berufungsgerichts in der Sache selbst zu ermöglichen (Ratz, WK-StPO § 473 Rz 11; RIS-Justiz RS0117419). Tritt das Berufungsgericht in das Beweisverfahren ein, so hat es die von ihm als notwendig erachtete Ergänzung bzw Wiederholung der Beweisaufnahme nach den für das Landesgericht als Schöffengericht geltenden Bestimmungen vorzunehmen (§ 473 Abs 1 StPO) und gemäß § 474 StPO iVm § 489 Abs 1 StPO in der Sache selbst zu erkennen.
Fallaktuell hatte das Oberlandesgericht Linz als Berufungsgericht in der Berufungsverhandlung vom 1. Dezember 2010 durch Vernehmung der Angeklagten bereits mit der Beweisaufnahme begonnen, weshalb ihm die Entscheidung, das angefochtene Urteil in Stattgebung der von diesen erhobenen Berufungen wegen vorliegender Nichtigkeitsgründe aufzuheben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zu verweisen, nicht mehr zukam (11 Os 48/09g, 49/09d = EvBl-LS 2010/103 [ÖJZ 2010, 613] mwN).
Da ein aus dieser Gesetzesverletzung resultierender Nachteil für die Angeklagten nicht erkennbar ist, kann es mit ihrer Feststellung sein Bewenden haben.
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