OGH 10Ob22/11z

OGH10Ob22/11z12.4.2011

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Hradil als Vorsitzenden sowie die Hofräte Dr. Fellinger, Dr. Hoch, Dr. Schramm und die Hofrätin Dr. Fichtenau als weitere Richter in der Pflegschaftssache des minderjährigen K*****, geboren am 9. Oktober 1996, vertreten durch das Land Wien als Jugendwohlfahrtsträger (Amt für Jugend und Familie - Rechtsvertretung für den 1. und 4. bis 9. Bezirk, 1060 Wien, Amerlingstraße 11), wegen Unterhaltsvorschuss, über den Revisionsrekurs des Minderjährigen gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 26. November 2010, GZ 42 R 540/10p-97, womit infolge Rekurses des Minderjährigen der Beschluss des Bezirksgerichts Josefstadt vom 20. September 2010, GZ 2 PU 177/09x-92, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die Beschlüsse der Vorinstanzen werden ersatzlos aufgehoben.

Text

Begründung

Dem Minderjährigen wurde mit rechtskräftigem Beschluss des Erstgerichts vom 2. 6. 2008 (ON U-73) für die Zeit vom 1. 3. 2008 bis 28. 2. 2011 gemäß §§ 3, 4 Z 1 UVG ein monatlicher Unterhaltsvorschuss in Titelhöhe von 180 EUR gewährt.

Mit Schreiben vom 31. 8. 2010 (ON U-87) übermittelte der Jugendwohlfahrtsträger dem Erstgericht einen Bescheid der Pensionsversicherungsanstalt vom 24. 8. 2010, wonach dem Minderjährigen ab 7. 7. 2010 eine Pension in der halben Höhe der Pension seines (geldunterhaltspflichtigen) Vaters, somit in Höhe von 236,80 EUR brutto monatlich, gewährt wurde. Zur Begründung wurde angegeben, dass der Leistungsanspruch des Vaters des Minderjährigen wegen Verbüßung einer Freiheitsstrafe ruhe und der Minderjährige daher gemäß § 89 ASVG einen Pensionsanspruch in Höhe der halben ruhenden Pension des Vaters habe.

Das Erstgericht stellte daraufhin die Unterhaltsvorschüsse für den Zeitraum vom 1. 8. 2010 bis 31. 10. 2010 mit der Begründung ein, dem Minderjährigen gebühre aufgrund des Bescheids der Pensionsversicherungsanstalt ab 7. 7. 2010 bis zum Haftende des Vaters (7. 10. 2010) eine monatliche Pension von 236,80 EUR.

Das Rekursgericht gab dem dagegen erhobenen Rekurs des Minderjährigen keine Folge. Es berief sich auf die Entscheidung 1 Ob 419/97t. In dieser habe der Oberste Gerichtshof in einem vergleichbaren Fall ausgesprochen, dass Unterhaltsvorschüsse nach § 20 UVG einzustellen seien, wenn der Minderjährige für die Dauer des Zivildienstes des Vaters Familienunterhalt nach dem Heeresgebührengesetz iVm dem Zivildienstgesetz erhalte. Eine Einstellung habe sogar auch dann zu erfolgen, wenn die Höhe der gewährten Titelvorschüsse diesen Familienunterhalt übersteige. Die vom Obersten Gerichtshof in dieser Entscheidung angestellten Erwägungen müssten auch für den vorliegenden Fall gelten. Der Pensionsbezug des Minderjährigen aufgrund der Bestimmungen des ASVG stelle eine Leistung dar, die von einem Dritten unmittelbar aufgrund des Pensionsanspruchs des Vater erbracht werde und allein dem Minderjährigen zukomme. Zu beachten sei weiters, dass der vom Minderjährigen während der Dauer der Haft seines Vaters bezogene Betrag sogar über der Höhe der gewährten Unterhaltsvorschüsse liege, sodass es insgesamt zu keiner Schmälerung der Unterhaltsansprüche des Minderjährigen komme.

Das Rekursgericht sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei, weil eine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur Frage der Auswirkungen des Bezugs einer Pension gemäß § 89 Abs 5 ASVG durch den Unterhaltsberechtigten während der Haft des Unterhaltspflichtigen fehle.

Rechtliche Beurteilung

Gegen diese Entscheidung richtet sich der ordentliche Revisionsrekurs des Minderjährigen wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, die Beschlüsse der Vorinstanzen ersatzlos aufzuheben.

Revisionsrekursbeantwortungen wurden von den übrigen Verfahrensparteien nicht erstattet.

Der Revisionsrekurs ist aus dem vom Rekursgericht genannten Grund zulässig und auch berechtigt.

Der Rechtsmittelwerber macht geltend, für die Zeit der bis zu sechs Monaten dauernden Haft blieben die Titelvorschüsse kraft ausdrücklicher Anordnung des § 7 UVG aufrecht, wodurch die Leistungsfähigkeit des Unterhaltsschuldners fingiert werde. Der Bezug einer Pension für die Dauer der Haft des Unterhaltsschuldners stelle wie der Bezug einer Waisenpension ein Eigeneinkommen des Unterhaltsberechtigten dar. Unter Berücksichtigung der Anrechnungsregeln für ein Eigeneinkommen des Unterhaltsberechtigten sei eine Einstellung der Unterhaltsvorschüsse nicht gerechtfertigt.

Diesen Ausführungen kommt Berechtigung zu.

1. Gemäß § 89 Abs 1 ASVG ruhen die Leistungsansprüche unter anderem in der Pensionsversicherung, solange der Anspruchsberechtigte eine Freiheitsstrafe verbüßt. Hat der Versicherte, dessen Leistungsanspruch ruht, Angehörige im Inland, die im Fall seines Todes Anspruch auf eine Hinterbliebenenrente (Pension) haben, so gebührt ihnen eine Rente (Pension) in der Höhe der halben ruhenden Rente (Pension). Diese Bestimmungen fanden sich schon im Allgemeinen Sozialversicherungsgesetz (ASVG) in der Stammfassung (BGBl 1955/189). Sinn und Zweck dieser Bestimmung ist es, die Angehörigen von Versicherten, deren Anspruch ruht, durch die Gewährung „eigener Ansprüche“ zu schützen. § 89 Abs 5 ASVG schafft daher einen eigenen Leistungsanspruch der Angehörigen, sodass die nach dieser Gesetzesstelle vom Vorschussberechtigten bezogenen Pensionsanteile Eigeneinkommen des Vorschussberechtigten darstellen und auf diesen Vorschuss entsprechend anzurechnen sind (vgl 4 Ob 69/07m = RIS-Justiz RS0121964 mwN).

2. Als eigene Einkünfte des Kindes iSd § 140 Abs 3 ABGB gelten alle Geld- und Sachleistungen, die das nicht selbsterhaltungsfähige Kind aufgrund eines Anspruchs erhält. Zum Eigeneinkommen des Kindes zählen daher insbesondere Arbeitseinkommen im weitesten Sinn, zB auch die Lehrlingsentschädigung usw, sowie privat- oder öffentlich-rechtliche nicht zurückzuzahlende Sozialleistungen wie zB eine Waisenrente oder Waisenpension, Versorgung durch den Jugendwohlfahrtsträger, Leistungen nach dem Heeresgebührengesetz und Zivildienstgesetz für Präsenz- und Zivildienstleistende sowie vom Kind bezogenes Wochengeld (vgl Barth/Neumayr in Fenyves/Kerschner/Vonkilch, Klang³ § 140 Rz 92 f mwN). Eigene Einkünfte des unterhaltsberechtigten Kindes, welche noch nicht zur Selbsterhaltungsfähigkeit führen, mindern seinen Unterhaltsbedarf. Diese Bedarfsminderung muss beiden unterhaltspflichtigen Elternteilen zugutekommen.

2.1 Leben das Kind und die unterhaltspflichtigen Elternteile in einfachen Lebensverhältnissen (was dann anzunehmen ist, wenn der nach der Prozentmethode geschuldete Geldunterhalt - wie im vorliegenden Fall - den aktuellen Regelbedarf nicht übersteigt), ist vom Gesamtbedarf des Kindes, der bei diesen Verhältnissen durch den Ausgleichszulagenrichtsatz repräsentiert werden kann, das Einkommen des Kindes in Abzug zu bringen. Die Differenz stellt den wegen der Einkünfte des Kindes verminderten Bedarf des Kindes dar. Da aber der Geldunterhaltspflichtige den Unterhaltsbedarf des Kindes auch sonst nicht alleine tragen muss (der von ihm im Wege der Prozentmethode zu leistende Unterhalt berücksichtigt ja nicht die Betreuungsleistungen des anderen Elternteils), ist die ermittelte Differenz mit jener Quote zu multiplizieren, die den Anteil des Regelbedarfs (der die Betreuungsleistungen nicht erfasst) am Gesamtbedarf (der durch den Ausgleichszulagenrichtsatz repräsentiert wird) wiedergibt. Diese Formel ist aber lediglich eine erste Orientierungshilfe, die nach den besonderen Umständen des Einzelfalls (etwa bei Sonderbedarf des Kindes oder fehlender Leistungskraft des Unterhaltsschuldners) korrigiert werden muss (Barth/Neumayr in Fenyves/Kerschner/Vonkilch, Klang³ § 140 Rz 171 mwN).

3. Erhält das Kind zu dem Zeitpunkt, in dem dem Unterhaltsschuldner die Freiheit entzogen wird, Vorschüsse nach §§ 3, 4 Z 1, 2 oder 4 UVG, laufen diese nach § 7 Abs 2 UVG grundsätzlich für längstens sechs Monate weiter, sofern der den Vorschüssen zugrundeliegende Titel aufrecht ist und nicht bereits früher ein Antrag nach § 4 Z 3 UVG gestellt wird.

4. Gemäß § 7 Abs 1 UVG hat das Gericht die Vorschüsse ganz oder teilweise zu versagen, soweit

1. in den Fällen der §§ 3 und 4 Z 1 sich aus der Aktenlage ergibt, dass die im Exekutionstitel festgesetzte Unterhaltspflicht nicht (mehr) besteht oder, der gesetzlichen Unterhaltspflicht nicht entsprechend, zu hoch festgesetzt ist;

2. in den Fällen des § 4 Z 2 bis 4 das Kind eigene Einkünfte hat oder unter Berücksichtigung seiner Lebensverhältnisse selbsterhaltungsfähig ist.

4.1 Nach ständiger Rechtsprechung hat der Unterhaltsberechtigte auch dann, wenn ihm aus anderen Quellen, etwa aus eigenem Erwerb (Lehrlingsentschädigung) oder einer Waisenpension, Mittel zur Deckung seines Unterhaltsbedarfs zur Verfügung stehen, einen aus dem verbliebenen Unterhaltsanspruch resultierenden Anspruch auf Vorschüsse. In solchen Fällen hat das Gericht daher gemäß § 7 Abs 1 Z 1 UVG zu prüfen, ob und bejahendenfalls in welcher Höhe der im Exekutionstitel festgesetzte Unterhaltsanspruch unter Berücksichtigung des Eigeneinkommens noch besteht, da die Eigeneinkünfte zu einer Verringerung des konkreten Bedarfs führen (Neumayr in Schwimann, ABGB³ § 7 UVG Rz 13 mwN; RIS-Justiz RS0076370 ua). Im Fall des § 7 Abs 1 Z 1 UVG ist es daher nicht maßgeblich, ob das Eigeneinkommen des Minderjährigen den Richtsatz nach § 6 Abs 1 UVG erreicht, und es ist auch nicht das Eigeneinkommen des Minderjährigen von der Titelhöhe abzuziehen (Neumayr aaO § 7 UVG Rz 13 mwN; RIS-Justiz RS0110363).

4.2 Anders als beim sogenannten Titelvorschuss des § 4 Z 1 UVG sind bei „Richtsatzvorschüssen“ gemäß § 7 Abs 1 Z 2 UVG die Vorschüsse um die dem Minderjährigen anzurechnenden Einkünfte zu verringern (RIS-Justiz RS0076408). Dementsprechend werden bei Richtsatzvorschüssen nach § 4 Z 2 und 3 UVG nicht die Unterhaltsleistungen völlig substituiert, sondern es liegt das Ziel in der Sicherung des Unterhalts bis zur Richtsatzhöhe. Wird die Richtsatzhöhe mit dem anzurechnenden Einkommen des Minderjährigen erreicht, besteht kein Anspruch auf Vorschüsse mehr. Bei Gewährung von Unterhaltsvorschüssen nach § 4 Z 2 und 3 UVG ist daher im Gegensatz zu den in § 7 Abs 1 Z 1 UVG genannten Vorschüssen die Hälfte des eigenen Einkommens des Unterhaltsberechtigten auf jeden Fall vom Richtsatz abzuziehen (vgl 2 Ob 579/93, 1 Ob 560/92 ua). Es wurde daher auch bereits ausgesprochen, dass Leistungen aus der Pensionsversicherung, die ein unterhaltsberechtigter Minderjähriger aufgrund eines eigenen Anspruchs nach § 89 Abs 5 ASVG erhält, bei der Berechnung des Richtsatzvorschusses nach § 4 Z 3 UVG („Haftvorschuss“) vom Richtsatz in Abzug zu bringen sind und dem Unterhaltsberechtigten daher ein Unterhaltsvorschuss nach § 4 Z 3 UVG nur in der Höhe einer allfälligen Differenz zwischen dem Richtsatz und der dem Unterhaltsberechtigten zukommenden anteiligen Pensionsleistungen zusteht (vgl 4 Ob 69/07m).

5. Im gegenständlichen Verfahren ist jedoch anders als in der zuletzt zitierten Entscheidung 4 Ob 69/07m der Fall eines mit einem Unterhaltstitel zusammentreffenden Eigeneinkommens des Minderjährigen zu beurteilen. Mit Recht verweist der Rechtsmittelwerber auch darauf, dass der im gegenständlichen Fall vorliegende Unterhaltstitel nach der bereits erwähnten Bestimmung des § 7 Abs 2 UVG für die Dauer der bis zu sechs Monate dauernden Strafhaft des Unterhaltsverpflichteten aufrecht geblieben ist. Somit hat es der Unterhaltsberechtigte, der bereits Titelvorschüsse erhält, innerhalb der ersten sechs Monate in Form eines Wahlrechts in der Hand, die für ihn günstigere Vorschusshöhe zu wählen, sofern der Unterhaltstitel formell aufrecht bleibt. Eine Möglichkeit zur Prüfung gemäß § 7 Abs 1 Z 1 UVG besteht in diesem Fall nicht (Neumayr in Schwimann, ABGB³ § 7 UVG Rz 45 mwN).

5.1 Durch diesen im vorliegenden Fall auch während der Strafhaft des Unterhaltsschuldners in der Zeit vom 7. 7. 2010 bis zum Haftende (7. 10. 2010) weiterhin aufrecht bestehenden Unterhaltstitel unterscheidet sich der gegenständliche Sachverhalt auch von dem der vom Rekursgericht für seinen Rechtsstandpunkt ins Treffen geführten Entscheidung 1 Ob 419/97t, bei der - zumindest analog - von einem Ruhen der Unterhaltspflicht des Unterhaltsschuldners während der Dauer des Zivildienstes ausgegangen wurde. Auch eine in dieser Entscheidung angenommene Doppelalimentierung des Minderjährigen (Unterhaltsvorschuss in Höhe des Familienunterhalts und Familienunterhalt) durch die öffentliche Hand ist im vorliegenden Fall nicht gegeben, weil es sich bei der dem Minderjährigen gewährten Pension um eine Leistung aus der gesetzlichen Pensionsversicherung und daher im Wesentlichen um keine Leistung durch die öffentliche Hand handelt.

5.2 Im vorliegenden Fall hat somit die Berücksichtigung des Eigeneinkommens des Minderjährigen für seinen verbleibenden Geldunterhaltsanspruch nach § 7 Abs 1 Z 1 UVG in der oben zu Punkt 2.1 dargestellten Weise zu erfolgen (vgl auch 1 Ob 109/98f betreffend eine Waisenpension). Der 14 x jährlich ausbezahlte ASVG-Richtsatz für das Jahr 2010 beträgt 783,99 EUR; umgerechnet auf 12 Monate sind dies monatlich 914,65 EUR. Das monatliche Einkommen des Minderjährigen aus der Pension nach § 89 Abs 5 AVG beträgt unter Berücksichtigung der Sonderzahlung für September 2010 315,73 EUR monatlich; der Durchschnittsbedarf der Altersgruppe von 10 bis 15 Jahren, denen der Minderjährige damals angehörte („Regelbedarf“), monatlich 334 EUR. Rechnerisch ergibt sich demnach hier ([914,65 EUR - 315,73 EUR] x 334 EUR : 914,65 EUR) eine verbleibende Unterhaltspflicht des geldunterhaltspflichtigen Vaters von rund 218 EUR monatlich. Diese Berechnung als bloße erste, einer Nachjustierung durchaus zugängliche Orientierungshilfe entspricht hier auch den besonderen Umständen des Einzelfalls, nämlich der fehlenden Leistungskraft des Unterhaltsschuldners als Ausgleichszulagenbezieher.

Da das Erstgericht die gewährten Titelvorschüsse in Höhe von 180 EUR monatlich im Hinblick auf den verbleibenden Unterhaltsanspruch des minderjährigen Sohnes von rund 218 EUR monatlich somit zu Unrecht eingestellt hat, war spruchgemäß zu entscheiden.

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