OGH 1Ob109/98f

OGH1Ob109/98f28.7.1998

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr.Schlosser als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr.Schiemer, Dr.Gerstenecker, Dr.Rohrer und Dr.Zechner als weitere Richter in der Pflegschaftssache der mj. Johanna K***** infolge Revisionsrekurses des Bundes, vertreten durch den Präsidenten des Oberlandesgerichts Wien, gegen den Beschluß des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 13.Jänner 1998, GZ 44 R 988/97p, 989/97k-72, in der Fassung des Berichtigungsbeschlusses vom 17.März 1998, AZ 44 R 989/97k, womit der Beschluß des Bezirksgerichts Fünfhaus vom 5.November 1997, GZ 2 P 376/97p-59, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung folgenden

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben und die angefochtene Entscheidung dahin abgeändert, daß der erstgerichtliche Beschluß wiederhergestellt wird.

Text

Begründung

Nach der einvernehmlichen Scheidung der Ehe ihrer Eltern am 24.September 1992 kam die am 25.September 1982 geborene Minderjährige in die Obsorge ihrer Mutter. Im Scheidungsfolgenvergleich verpflichtete sich der Vater zur Leistung monatlicher Unterhaltsbeiträge von 3.700 S ab 1.Oktober 1992. Nach Eröffnung des Konkurses über das Vermögen des Vaters gewährte das Erstgericht der Minderjährigen mit Beschluß vom 9.August 1995 monatliche Unterhaltsvorschüsse nach §§ 3, 4 Z 1 UVG von 3.700 S für die Zeit vom 1.April 1995 bis 31.März 1998 auf die titelmäßig festgesetzte Unterhaltspflicht des Vaters. Die Mutter der Minderjährigen verstarb am 6.Juli 1997. Der Minderjährigen steht auf Grund des Bescheids des Bundespensionsamts vom 12.September 1997 gemäß § 17 Abs 1, § 18 Abs 1 Z 1 PensionsG 1965 ab 1.August 1997 als Halbwaisen bis 30.September 2000 ein Waisenversorgungsgenuß von monatlich brutto 7.498 S sowie gemäß § 25 Abs 3 PensionsG eine Zulage von monatlich brutto 200 S zu; dies entspricht (nach dem Vorbringen der Minderjährigen) bei Umrechnung auf zwölf Monate einem monatlichen Nettobetrag von 8.849,70 S.

Das Erstgericht setzte mit Beschluß vom 5.November 1997 die der Minderjährigen für die Zeit vom 1.April 1995 bis 31.März 1998 gewährten Unterhaltsvorschüsse für die Zeit vom 1.August 1997 - somit rückwirkend - bis 31.März 1998 auf 400 S monatlich herab, weil sie ab 1.August 1997 eine Halbwaisenpension von rund 8.850 S monatlich netto (inklusive der anteiligen Sonderzahlungen) beziehe. Mit diesem Eigeneinkommen und einer monatlichen Unterhaltsleistung des Vaters von 400 S seien ihre Bedürfnisse ausreichend gedeckt. Eine Einbehaltung des entstandenen Übergenusses in Teilbeträgen von 200 S monatlich erscheine angemessen.

Das Rekursgericht änderte diesen Beschluß über Rekurs der Minderjährigen dahin ab, daß es den angefochtenen Beschluß ersatzlos aufhob. Die von der Minderjährigen bezogene Waisenpension könne bei der Unterhaltsbemessung nicht als Eigeneinkommen gewertet werden. Nach herrschender Rspr sei die von einem Kind bezogene Halbwaisenpension als Ersatz für die Unterhalts- bzw Betreuungsleistungen des verstorbenen Elternteils anzusehen und berühre den Unterhaltsanspruch gegen den anderen Elternteil nicht. Auch der Umstand, daß die Minderjährige auf Grund des hohen Einkommens ihrer verstorbenen Mutter eine überdurchschnittlich hohe Halbwaisenpension bezieht, führe zu keiner Schmälerung der Unterhaltspflicht des Vaters. Selbst wenn man einen Teil der Waisenpension als Eigeneinkommen anrechnen wollte, sei nach stRspr der Richtsatz für Ausgleichszulagen nach dem ASVG nur bei einfachen Lebensverhältnissen als Orientierungshilfe für die Selbsterhaltungsfähigkeit eines Kindes heranzuziehen. Bei weit überdurchschnittlichen Lebensverhältnissen - wie hier - sei der für die Selbsterhaltungsfähigkeit erforderliche Betrag jedenfalls entsprechend höher anzusetzen, weshalb der Vater nach wie vor zu Unterhaltsleistungen von 3.700 S monatlich verpflichtet sei. Die Minderjährige sei nach wie vor Schülerin und beziehe kein Einkommen aus eigener Erwerbstätigkeit.

Rechtliche Beurteilung

Der von der zweiten Instanz nachträglich nach § 14a AußStrG idFd WGN 1997 zugelassene Revisionsrekurs des Bundes, der eine Wiederherstellung des erstinstanzlichen Beschlusses anstrebt, ist zulässig und berechtigt.

Gegenstand des Rechtsmittels ist die Herabsetzung der der Minderjährigen gewährten monatlichen Titelunterhaltsvorschüsse von 3.700 S auf 400 S, somit um monatlich 3.300 S, für die Zeit vom 1.August 1997 bis 31.März 1998. Nach § 7 Abs 1 Z 1 UVG sind die Vorschüsse ganz oder teilweise zu versagen, soweit in den Fällen der §§ 3, 4 Z 1 und 4 UVG begründete Bedenken bestehen, daß die im Exekutionstitel festgesetzte Unterhaltspflicht (noch) besteht oder, der gesetzlichen Unterhaltspflicht nicht entsprechend, zu hoch festgesetzt ist. Dazu gehört die materielle Unrichtigkeit der titelmäßigen Unterhaltsfestsetzung zufolge einer zwischenzeitigen Änderung der Verhältnisse. Während eigene Einkünfte des Kindes im Versagungsgrund des § 7 Abs 1 Z 2 UVG für die Fälle der Vorschußgewährung nach § 4 Z 2 und 3 UVG (Richtsatzvorschüsse) erwähnt sind, fehlt es an einer gesetzlichen Regelung, welchen Einfluß eigene Einkünfte des Kindes bei Titelvorschüssen haben. Der erkennende Senat als verstärkter Senat gelangte in der Entscheidung SZ 65/114 zur Auffassung, daß der Unterhaltsberechtigte auch dann, wenn ihm aus anderen Quellen, etwa aus Vermögen oder aus eigenem Erwerb (dort: Lehrlingsentschädigung), Mittel zur Deckung seines Unterhaltsbedarfs in Höhe des Richtsatzes (§ 6 Abs 1 UVG) zur Verfügung stehen, einen aus dem verbliebenen Unterhaltsanspruch resultierenden Anspruch auf Vorschüsse habe. Im Fall des § 7 Abs 1 Z 1 UVG ist es also nicht maßgeblich, ob das Eigeneinkommen den Richtsatz nach § 6 Abs 1 UVG erreicht, und das Eigeneinkommen ist auch nicht von der Titelhöhe abzuziehen. Vielmehr ist zu prüfen, ob und bejahendenfalls in welcher Höhe die im Exekutionstitel festgesetzte Unterhaltsverpflichtung unter Berücksichtigung des Eigeneinkommens noch fortbesteht, weil die Eigeneinkünfte zu einer Verringerung des konkreten Bedarfs führen (EvBl 1991/199; SZ 65/114 ua, zuletzt 1 Ob 419/97t; vgl auch Pichler in Rummel2, § 140 ABGB Rz 11; Schwimann in Schwimann, ABGB2 § 140 Rz 84; Neumayr in Schwimann2, § 7 UVG Rz 10, je mwN) und diese Bedarfsminderung beiden unterhaltspflichtigen Elternteilen zugutekommen sollen. Ist die Unterhaltsverpflichtung unter Bedachtnahme auf die geänderten Verhältnisse herabzusetzen, so sind die Vorschüsse teilweise zu versagen bzw iSd § 19 Abs 1 UVG herabzusetzen (1 Ob 419/97t; Neumayr aaO Rz 10).

"Eigene Einkünfte" eines Kindes iSd § 140 Abs 3 ABGB umfassen alle tatsächlichen Geld- wie Sachleistungen, die das nicht selbsterhaltungsfähige Kind aufgrund eines Anspruchs erhält (Schwimann in Schwimann2. § 140 ABGB Rz 80 mwN aus der Rspr). In diesem Sinne ist auch der (Halb)Waisenversorgungsgenuß als öffentlich-rechtliche Sozialleistung aufgrund der § 17 Abs 1, § 18 Abs 1 Z 1 und § 25 Abs 3 PensionsG 1965 Einkommen des Kindes und keine den Unterhaltsanspruch nicht berührende Drittleistung (5 Ob 606/90 = EFSlg 62.613; EFSlg 65.064; 2 Ob 549/94 = ÖA 1995, 118; 2 Ob 512/95 = ÖA 1995, 153 = EFSlg 76.883; RIS-Justiz RS0047345; Schwimann aaO Rz 82). Der nach dem Ableben der Mutter zustehende Waisenversorgungsgenuß soll in erster Linie die Ansprüche des Kindes gegen die Mutter decken. Er ist daher von der Seite der Bedürfnisse des Kindes her zu berücksichtigen (EFSlg 62.613, 65.066; ÖA 1995, 118; RIS-Justiz RS0047345).

Der Oberste Gerichtshof hat in der Entscheidung EFSlg 62.613 ausgesprochen, der Fall des Halbwaisen weiche von sogenannten Regelbedarfsätzen oder einer sonst üblichen Obergrenze der dem Kind zustehenden Alimentierung so wesentlich ab, daß nur nach Ermittlung der konkreten, den in § 140 Abs 1 ABGB aufgezählten Kriterien zufolge zu beurteilenden Lebensverhältnisse gesagt werden könne, welchen Bedarf das Kind habe, um seinen gesamten Lebensunterhalt decken zu können, wozu auch die sogenannten "Mindestpensionshöhen" (Richtsatz für die Gewährung einer Ausgleichszulage iSd § 293 Abs 1 lit a sublit bb und lit b ASVG, im folgenden nur ASVG-Richtsatz) einen Anhaltspunkt liefern könnten, aber nicht müßten. Beim Bedarf sei darauf Bedacht zu nehmen, daß das Kind nach dem Tod seiner Mutter nun auf Betreuung in anderer Weise angewiesen und dieser Aufwand aus den zum Lebensunterhalt insgesamt fließenden Mitteln, also sowohl aus dem Pensionseinkommen (Waisenversorgungsgenuß) als auch aus Unterhaltszahlungen des Vaters zu decken sei (so auch ÖA 1995, 118). Auch in der Entscheidung SZ 65/114 betonte der Oberste Gerichtshof, für die Ermittlung jenes Einkommens, mit dem der Minderjährige alle seine Bedürfnisse einschließlich des für Betreuungsleistungen nötigen Aufwands bestreiten könnte, ließen sich keine allgemein gültigen Regeln aufstellen. Für einfache Lebensverhältnisse könne aber der ASVG-Richtsatz als Richtschnur gelten (auch ÖA 1995, 118; ÖA 1996, 18), um eine Objektivierung der verhältnismäßigen Aufteilung des Eigeneinkommens des Kindes auf die Leistungen beider Elternteile zu erreichen (EFSlg 71.557).

Von überdurchschnittlichen Lebensverhältnissen kann hier entgegen der Auffassung des Rekursgerichts nicht gesprochen werden, weil über das Vermögen des unterhaltspflichtigen Vaters, dessen Geldunterhaltsverpflichtung im Scheidungsfolgenvergleich ohne Offenlegung der Berechnung mit monatlich 3.700 S festgelegt wurde der Konkurs eröffnet wurde, und bei der Minderjährigen nicht auf die Lebensverhältnisse zu Lebzeiten ihrer am 6.Juli 1997 verstorbenen, damals obsorgeberechtigten Mutter, sondern auf ihre derzeitigen Lebensverhältnisse, somit jene bei Beschlußfassung erster Instanz (vgl Neumayr aaO Rz 25) abzustellen ist, auch wenn der relativ hohe Waisenversorgungsgenuß der Minderjährigen auf ein überdurchschnittlich hohes Einkommen ihrer verstorbenen Mutter zurückgeht. Bei "einfachen", das heißt durchschnittlichen Lebensverhältnissen wie hier orientiert sich die Rspr zur Berechnung des nach Berücksichtigung des Kindeseinkommens verbleibenden Geldunterhaltsanspruchs im allgemeinen am Verhältnis von dem für die Altersgruppe, dem das Kind angehört, maßgeblichen "Regelbedarf" (als Vergleichszahl für den Geldbedarf) zur Höhe des ASVG-Richtsatzes (als Vergleichszahl für den Gesamtbedarf des Kindes; Schwimann aaO Rz 87 mwN aus der neueren Rspr) etwa an folgender Richtwertformel (ZfRV 1993, 256; ÖA 1995, 12, 164; Schwimann aaO Rz 88): Verbleibende Unterhaltspflicht = "Mindestpension" (richtig ASVG-Richtsatz) abzüglich Einkommen des Kindes multipliziert mit dem "Regelbedarf" und geteilt durch den ASVG-Richtsatz.

Im vorliegenden Fall beträgt der 14mal jährlich ausbezahlte (Neumayr aaO Rz 11) ASVG-Richtsatz für das Jahr 1997 7.887 S (§ 2 Z 41 der VO des Bundesministers für Arbeit und Soziales über die Aufwertung und Anpassung nach dem Allgemeinen Sozialversicherungsgesetz, BGBl 1996/732); umgerechnet auf zwölf Monate sind dies monatlich 9.201,50 S. Das monatliche Einkommen der Minderjährigen aus dem (Halb)Waisenversorgungsgenuß beträgt, umgerechnet auf zwölf Monate, 8.849,70 S pro Monat, der Durchschnittsbedarf der Altersgruppe von 15-19 Jahren, denen die Minderjährige angehört ("Regelbedarf") ab 1.Juli 1997 monatlich 4.370 S (ÖA 1997, Heft 4). Rechnerisch ergibt sich demnach hier ([9.201,50-8.849,70] x 4.370,-- : 9.201,50) eine verbleibende Unterhaltspflicht des geldunterhaltspflichtigen Vaters von rund 167 S.

Diese Berechnung als bloße erste, einer Nachjustierung durchaus zugängliche Orientierungshilfe entspricht hier auch den besonderen Umständen des Einzelfalls, namentlich der fehlenden Leistungskraft des Unterhaltsschuldners, über dessen Vermögen der Konkurs eröffnet wurde. Der der Minderjährigen zukommende monatliche Betrag von rund 9.200,- - S liegt erheblich über dem "Regelbedarf" einer 16jährigen, von seiner berufstätigen Mutter betreuten Schülerin und auch über dem erwähnten ASVG-Richtsatz. Es entspricht der Lebenserfahrung, daß auch die durch den Tod der Mutter verursachten höheren Bedürfnisse der Minderjährigen damit durchaus gedeckt werden können.

Auf das im Erbweg erworbene Vermögen der Minderjährigen und dessen Zinserträge muß nicht mehr eingegangen werden.

Demnach ist der erstinstanzliche Beschluß wiederherzustellen.

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