OGH 1Ob181/10i

OGH1Ob181/10i31.3.2011

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon.-Prof. Dr. Sailer als Vorsitzenden sowie die Hofräte Univ.-Prof. Dr. Bydlinski, Dr. Grohmann, Mag. Wurzer und Mag. Dr. Wurdinger als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. Robert S*****, und 2. Maria S*****, und 3. Walter S*****, alle vertreten durch Dr. Wolfram Proksch, Dr. Thomas Fritzsche, Mag. Christian Frank und Dr. Bernd Fletzberger, Rechtsanwälte in Wien, gegen die beklagte Partei Land Niederösterreich, vertreten durch Dr. Markus Ludvik, Rechtsanwalt in Wien, wegen 2.000.000 EUR sA und Feststellung (Streitwert 70.000 EUR), über die außerordentliche Revision der klagenden Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 27. August 2010, GZ 14 R 43/10m-177, mit dem das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien vom 30. Dezember 2009, GZ 30 Cg 11/09x-173, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Text

Begründung

1. Die Kläger haben im Verfahren erster Instanz zahlreiche Vorwürfe gegen die in einem Zusammenlegungsverfahren tätigen Behörden erhoben und daraus Amtshaftungsansprüche abgeleitet. Auf die Revisionsausführungen kann nur insoweit eingegangen werden, als aus ihnen mit ausreichender Klarheit hervorgeht, auf welches konkrete Prozessvorbringen zu den verschiedenen Rechtsgründen insbesondere zum jeweils angesprochenen Verwaltungshandeln, dem daraus resultierenden Schaden und dem Kausalverlauf, sie sich beziehen.

Rechtliche Beurteilung

2. Die Rechtsauffassung des Berufungsgerichts, die unterlassene bzw unvollständige Anfechtung des Bescheids der Agrarbezirksbehörde vom 13. 11. 1986 über die vorläufige Übernahme der Grundabfindung stelle eine Verletzung der Rettungspflicht iSd § 2 Abs 2 AHG dar, ist jedenfalls keine bedenkliche Fehlbeurteilung, die vom Obersten Gerichtshof aus Gründen der Rechtssicherheit oder der Einzelfallgerechtigkeit korrigiert werden müsste. Auch wenn das Unterlassen eines zweckmäßigen Rechtsbehelfs im Einzelfall gelegentlich als unverschuldet qualifiziert werden kann (1 Ob 287/03t), ist das Nichtergreifen eines Rechtsmittels doch in aller Regel eine Sorglosigkeit in eigenen Angelegenheiten (1 Ob 33/91, 1 Ob 80/99t ua). Der durch einen hoheitlichen Akt potenziell Geschädigte ist grundsätzlich gehalten, zunächst die ihm vom Rechtsstaat zur Verfügung gestellten und eine Abwendung seines Schadens noch ermöglichenden Rechtsbehelfe auszunützen, um einen Schaden gar nicht entstehen zu lassen; Amtshaftung hat nur einzutreten, wenn das von den Gesetzen primär zur Verfügung gestellte Sicherheitsnetz an Rechtsbehelfen nicht ausreicht oder ausreichen könnte, den Schaden noch zu verhindern (RIS-Justiz RS0053077).

Wenn die Revisionswerber ein mangelndes Verschulden an der Unterlassung einer Bekämpfung des Bescheids damit begründen wollen, dass sie nur eine „falsche“ bzw unzureichende Begründung für ihr Rechtsmittel gewählt hätten, ist ihnen entgegenzuhalten, dass jede Partei eines Verwaltungsverfahrens im Rahmen ihrer „Rettungspflicht“ zur Wahrung von Amtshaftungsansprüchen auch die Obliegenheit trifft, sich rechtskundiger Beratung bzw Vertretung zu versichern, wenn sie erkennen (kann), dass die Rechtslage im Hinblick darauf, welche Fragen in einem Rechtsmittel gegen einen ihrer Ansicht nach inhaltlich unrichtigen Bescheid aufgeworfen werden können, kompliziert ist (vgl 1 Ob 24/81 = SZ 55/81; Schragel, AHG3 Rz 192 unter Hinweis auf [offenbar gemeint: 1 Ob 22/95 =] SZ 68/156). Wird die Einholung rechtskundigen Rats unterlassen, ist die Auffassung keineswegs bedenklich, ein Verschulden liege darin, dass die Kläger die Anfechtung auf verfahrensrechtlich unbekämpfbare Komplexe beschränkt, von allenfalls zielführenden Ausführungen - hier zum Fehlen der Voraussetzungen des § 22 FLG - aber Abstand genommen haben. Geht man nun von einem Verschulden an der insoweit unterlassenen Anfechtung des Bescheids aus, steht § 2 Abs 2 AHG der Geltendmachung des Ersatzes von Schäden entgegen, die - nach dem regulären Verlauf des Verfahrens - im Falle einer Bekämpfung nicht eingetreten wären.

3. Davon, dass die erwähnte Bekämpfung des Bescheids schon nach der abstrakten Wirkungsmöglichkeit des Rechtsmittels zur Schadensabwehr ungeeignet gewesen wäre, kann entgegen der Auffassung der Revisionswerber nicht die Rede sein. Ist fraglich, ob ein gewisser Teil des Schadens auch bei Befolgung der Rettungsobliegenheit des § 2 Abs 2 AHG eingetreten wäre, trifft die Behauptungs- und Beweislast insoweit den Amtshaftungskläger (RIS-Justiz RS0043435; 1 Ob 241/97s = SZ 71/7). Dieser hat konkret zu behaupten und zu beweisen, welcher Teil des geltend gemachten Schadens auch durch Ergreifung des nach der anzuwendenden Verfahrensordnung möglichen Rechtsmittels oder sonstigen Rechtsbehelf nicht mehr vermeidbar gewesen wäre (1 Ob 356/98d = SZ 72/28). Die Revisionswerber behaupten zwar, dass das Berufungsgericht zu Unrecht nicht festgestellt hätte, welcher Teil des Schadens nicht entstanden wäre, erstatten zu dieser Frage aber selbst keine konkreten und nachvollziehbaren Ausführungen.

Auch ihre weiteren Behauptungen, die Berufungen sonstiger Verfahrensparteien gegen den Bescheid seien ungeachtet ihrer jeweiligen Begründung allesamt zurückgewiesen bzw nicht behandelt worden bzw die unzähligen Eingaben der Kläger seien teilweise jahrelang liegen gelassen worden, sind in diesem Zusammenhang nicht von entscheidender Bedeutung, zumal die Kläger selbst nicht behaupten, die Zurückweisung der Rechtsmittel anderer Verfahrensparteien wäre rechtswidrig erfolgt. Bei Beurteilung des hypothetischen Verfahrensablaufs ist regelmäßig zu unterstellen, dass das (vom Amtshaftungskläger in Wahrheit unterlassene) Rechtsmittel in materieller und formeller Hinsicht gesetzmäßig behandelt worden wäre. Welchen Schaden die Kläger unter diesen Umständen erlitten hätten, legen sie nicht dar.

4. Soweit die Revisionswerber im Zusammenhang mit der vom Berufungsgericht angenommenen Verjährung darauf hinweisen, es sei für sie in keiner Weise erkennbar bzw vorhersehbar gewesen, dass die mit der vorläufigen Übernahme im Jahr 1986 verursachte Schädigung Jahrzehnte fortdauern würde, ist nicht recht erkennbar, welche für sie günstigen rechtlichen Konsequenzen daraus zu ziehen wären. Entscheidend ist nicht, ob bereits alle in Zukunft aus einem bereits erfolgten rechtswidrigen Verhalten resultierenden Schäden vorhersehbar sind, vielmehr kommt es darauf an, ob voraussehbar ist, dass in Zukunft überhaupt weitere auf das betreffende Schadenereignis zurückgehende Schäden entstehen werden. Dann beginnt die Verjährung mit der ersten Kenntnis eines bereits eingetretenen Schadens (Primärschadens) und erfasst auch dem Grunde nach bereits vorhersehbare zukünftige Schäden, weshalb zur Vermeidung der Verjährung innerhalb der durch die Kenntnis des Primärschadens ausgelösten dreijährigen Frist des § 1489 ABGB ein entsprechendes Feststellungsbegehren zu erheben ist (vgl nur die Nachweise bei Dehn in KBB3 § 1489 ABGB Rz 4). Sollte nun tatsächlich mit der Wirksamkeit des Bescheids vom 13. 11. 1986 über die vorläufige Übernahme wegen der unzureichenden Qualität der (vorläufig zugewiesenen) Ersatzgrundstücke eine Ertragsminderung eingetreten sein, so war durchaus voraussehbar, dass sich diese auch in den Folgejahren wiederholen werde, jedenfalls solange, bis diese vorläufige Grundstückszuweisung durch einen endgültigen Zusammenlegungsbescheid ersetzt würde. Mit der Kenntnis der erstmals eingetretenen Ertragsminderung wären damit auch zukünftige Nachteile in den Folgejahren ohne weiteres voraussehbar gewesen.

Entgegen der Auffassung der Revisionswerber liegt insoweit auch keine „fortgesetzte Schädigung“ im Sinne der dazu ergangenen Rechtsprechung vor, weil der Behörde im Zusammenhang mit einem allfälligen Fehler bei der Vorbereitung und Anordnung der vorläufigen Übernahme in erster Linie die Erlassung einer (einmaligen) unrichtigen Entscheidung zur Last gelegt wird, nicht aber das Nichtbeseitigen eines gefährlichen oder das Aufrechterhalten eines rechtswidrigen Zustands oder das Verüben wiederholter schädigender Handlungen. Ein solcher Vorwurf wäre allenfalls dann berechtigt, wenn es für die Behörde möglich und geboten gewesen wäre, den Bescheid über die vorläufige Übernahme von Amts wegen aufzuheben oder abzuändern. Derartiges behaupteten aber auch die Revisionswerber nicht.

5. Unter der Überschrift „Unrichtige Tatsachenfeststellungen infolge unrichtiger Beweiswürdigung; Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens“ führen die Revisionswerber im Wesentlichen aus, es sei nicht nachvollziehbar, weshalb auch das Berufungsgericht die Fülle an Beweisen für die vorschnelle, übereilte und unsorgfältige Anordnung der vorläufigen Übergabe nicht sehe. Soweit damit - wie es die Formulierung in der Überschrift nahelegt - die Beweiswürdigung der Vorinstanzen bekämpft werden soll, liegt kein gesetzlich (§ 503 ZPO) vorgesehener Revisionsgrund vor, ist doch der Oberste Gerichtshof bloße Rechts- nicht aber auch Tatsacheninstanz.

Sollten die Kläger hingegen in erster Linie eine Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens geltend machen wollen, wären sie gehalten, konkret darzulegen, gegen welche Norm des Verfahrensrechts das Berufungsgericht ihrer Ansicht nach verstoßen hat und zu welchen anderen (tatsächlichen) Ergebnissen das Berufungsgericht bei gesetzmäßigem Vorgehen hätte gelangen müssen. Die Erklärung, es werde, „um Wiederholungen zu vermeiden“, diesbezüglich auf die Ausführungen in der Berufungsschrift verwiesen und das dortige Vorbringen auch zum Revisionsvorbringen erhoben, ist schon deshalb unbeachtlich, weil ein solcher Verweis eigenständige Revisionsausführungen nicht ersetzen kann (RIS-Justiz RS0043616). Zudem können Ausführungen in der Berufung, die sich naturgemäß nur gegen das Urteil des Erstgerichts wenden können, allfällige - erst nachfolgende - Fehler des Berufungsgerichts nicht betreffen. Ein Mangel des Berufungsverfahrens im Zusammenhang mit der Erledigung der Beweisrüge könnte grundsätzlich nur dann vorliegen, wenn sich das Berufungsgericht mit ihr überhaupt nicht oder nur so mangelhaft befasst hat, dass keine nachvollziehbaren Überlegungen angestellt und im Urteil festgehalten wurden (vgl nur Kodek in Rechberger 3 § 503 ZPO Rz 11 mwN). Ein solcher Fall liegt hier jedenfalls nicht vor.

6. Letztlich ist noch darauf hinzuweisen, dass das Revisionsgericht bereits in seinem Aufhebungsbeschluss im ersten Rechtsgang (1 Ob 391/97z) dargelegt hat, dass den Klägern - von hier nach den Verfahrensergebnissen nicht vorliegenden Ausnahmefällen abgesehen - grundsätzlich nur das Recht zustehen könnte, die auf sie jeweils als Einzelpersonen entfallenden Schäden geltend zu machen, wobei der Schadensberechnung jeweils der erreichbare Betriebserfolg der den jeweiligen Klägern grundbücherlich zugeschriebenen „Altgrundstücke“ zugrunde zu legen wäre. Ein gemeinsam erhobenes Schadenersatzbegehren über einen Gesamtbetrag wäre unschlüssig, weil ihm der auf jeden einzelnen Kläger entfallende Schadensbetrag nicht entnommen werden könnte. Eine derartige Aufschlüsselung ist allerdings nicht erfolgt.

Einer weiteren Begründung bedarf es nicht (§ 510 Abs 3 ZPO).

Stichworte