Spruch:
Der Revision wird Folge gegeben.
Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass sie zu lauten haben:
Das Klagebegehren, die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei zu Handen des Klagevertreters 4.211,49 EUR an Insolvenz-Ausfallgeld zu bezahlen, wird abgewiesen.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei 1.080 EUR (darin enthalten 180 EUR USt) die Kosten des Verfahrens aller drei Instanzen zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Der Kläger war beim ersten Arbeitgeber (im Folgenden: „Veräußerer“) vom 2. 5. 2005 bis 23. 5. 2006 beschäftigt. Mit 24. 5. 2006 ging sein Arbeitsverhältnis unstrittig im Rahmen eines Betriebsübergangs auf den Zweitarbeitgeber („Erwerber“) über. In weiterer Folge endete das Arbeitsverhältnis am 23. 6. 2006. Bereits am 15. 9. 2006 wurde über das Vermögen des Erwerbers das Schuldenregulierungsverfahren eröffnet. Der Kläger meldete in diesem Insolvenzverfahren unter anderem auch den Dezemberlohn 2005 und den Februarlohn 2006 in Höhe von jeweils 1.336 EUR an. Nachdem diese Forderung bestritten wurde, kam es zu einem arbeitsgerichtlichen Verfahren, das mit einem Submissionsvergleich endete, in dem die Ansprüche anerkannt wurden. Eine Anmeldung dieser Entgelte gegenüber der Beklagten im Zusammenhang mit dem Insolvenzverfahren des Erwerbers unterblieb aber. Vielmehr beantragt der Kläger nur Insolvenz-Entgelt für die Zeit vom 1. 3. 2006 bis 25. 6. 2006, das er auch in Höhe von 8.068 EUR zugesprochen erhielt.
In weiterer Folge nahm der Kläger den Veräußerer für seine Entgeltansprüche für Dezember 2005 und Februar 2006 gerichtlich in Anspruch und wendete in diesem Verfahren sowie im nachfolgenden Exekutionsverfahren insgesamt 1.581,93 EUR an Kosten auf. Auch über das Vermögen des Veräußerers wurde schließlich am 6. 4. 2007 das Schuldenregulierungsverfahren eröffnet. Nunmehr beantragte der Kläger auch Insolvenz-Entgelt für die Entgeltansprüche für Dezember 2005 und Februar 2006 sowie für die Kosten der Verfahren gegen den Veräußerer in Höhe von 1.581,93 EUR abzüglich einer Teilzahlung von 370,44 EUR.
Die Beklagte wies mit Bescheid vom 9. 7. 2009 diesen Antrag ab. Über den Antrag des Klägers auf Gewährung von Insolvenz-Ausfallgeld sei bereits im Verfahren gegen den Erwerber entschieden worden. Die Solidarverpflichtung des Übergebers und des Übernehmers schließe einen Anspruch auf Insolvenz-Ausfallgeld gegen den Übergeber aus.
Mit seiner Klage begehrt der Kläger nunmehr Insolvenz-Entgelt für die offenen Entgelte für Dezember 2005 und Februar 2006 und die im Verfahren gegen den Veräußerer entstandenen Kosten von 1.593 EUR sowie für die Anmeldegebühr und die Zinsen abzüglich einer Teilzahlung von 370,44 EUR. Eine Entscheidung über diese Ansprüche sei im Vorverfahren nicht erfolgt. Nunmehr sei aber klar, dass sowohl Veräußerer als auch Erwerber insolvent seien, weshalb trotz Solidarschuld der Anspruch nach § 1 IESG zu bejahen sei.
Die Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens und wendete zusammengefasst ein, dass der Erwerber nach § 3 Abs 1 AVRAG in die Arbeitsverhältnisse eingetreten sei. Das IESG diene nicht dazu, den Erwerber von seiner gesetzlichen Haftung zu entbinden. Auch die Kosten seien nur gesichert, soweit für die zugrundeliegenden Ansprüche Insolvenz-Ausfallgeld gebühre.
Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Die hier maßgeblichen Ansprüche seien nicht Gegenstand des früheren Antrags auf Insolvenz-Ausfallgeld gewesen. Im Hinblick auf die solidarische Haftung des Veräußerers sei der Betreibungsversuch gegen diesen erforderlich gewesen. Sowohl die geltend gemachten Ansprüche als auch die aufgewendeten Kosten seien durch das IESG gesichert. Die solidarische Haftung von Erwerber und Veräußerer stehe hier dem Anspruch auf IESG nicht entgegen, da sowohl Erwerber als auch Veräußerer insolvent seien.
Das Berufungsgericht gab der gegen dieses Urteil erhobenen Berufung der Beklagten nicht Folge. Nach § 1 Abs 2 IESG seien alle aufrechten, nicht verjährten oder nach dem § 1 Abs 3 IESG ausgeschlossenen Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis gesichert. § 1 Abs 3 Z 5 IESG sehe zwar vor, dass für solche Ansprüche keine Sicherungen bestehen, für die aufgrund gesetzlicher Anordnungen ein anderer als der Arbeitgeber (ehemaliger Arbeitgeber) zur Zahlung verpflichtet sei. Das Bestehen einer Solidarschuld im Zusammenhang mit dem Betriebsübergang schließe daher grundsätzlich den Anspruch auf Insolvenz-Ausfallgeld aus. Dies gelte auch für den Fall, dass der Erwerber in Insolvenz verfalle und eine solidarische Haftung des Veräußerers vorhanden sei. Daher habe der Kläger auch berechtigt vorweg die Ansprüche gegenüber dem ehemaligen Arbeitgeber geltend gemacht.
Die ordentliche Revision ließ das Berufungsgericht jedoch zu, da es der Oberste Gerichtshof in seiner Entscheidung zu 8 ObS 204/02m für überprüfenswert erachtet habe, ob nicht aufgrund der Insolvenz-Richtlinie doch davon auszugehen sei, dass die Ansprüche der übergegangenen Arbeitnehmer schon bei Konkurs des Erwerbers zu sichern sind.
Rechtliche Beurteilung
Die gegen dieses Urteil erhobene Revision der Beklagten ist aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig und auch berechtigt.
Zu prüfen ist, ob der Kläger seine Ansprüche auf den Dezemberlohn und den Februarlohn nicht bereits im Insolvenzverfahren des Erwerbers hätte geltend machen müssen. Der Kläger und die Vorinstanzen verneinen dies im Wesentlichen mit dem Argument, dass der Kläger gehalten gewesen wäre, vorweg den Anspruch gegenüber dem Veräußerer als Solidarschuldner geltend zu machen.
Nach § 1 Abs 3 Z 5 IESG ist ein Anspruch auf Insolvenz-Ausfallgeld dann ausgeschlossen, wenn „aufgrund gesetzlicher Anordnung ein anderer als der Arbeitgeber (ehemaliger Arbeitgeber) zur Zahlung verpflichtet ist“.
Aus der Haftung des Erwerbers des Betriebs nach den Bestimmungen über den Betriebsübergang im AVRAG hat der Oberste Gerichtshof in ständiger Rechtsprechung geschlossen, dass dem Arbeitnehmer im Falle der Insolvenz des Veräußerers kein Anspruch auf Insolvenz-Ausfallgeld zusteht (RIS-Justiz RS0108284 mzwN).
In der vom Berufungsgericht angeführten Entscheidung 8 ObS 119/02m hat der Oberste Gerichtshof diese Überlegung im Hinblick auf die Haftung des Veräußerers nach dem AVRAG auch auf den Fall ausgeweitet, dass der Erwerber in Insolvenz verfallen und ein solidarisch haftender Veräußerer vorhanden ist.
In der nachfolgenden Entscheidung des Obersten Gerichtshofs zu 8 ObS 204/02m hat der Oberste Gerichtshof aber dann darauf hingewiesen, dass in der Entscheidung 8 ObS 119/02m ungeprüft blieb, ob eine Erstreckung dieses Haftungsausschlusses auf den Erwerber mit der Insolvenz-Richtlinie 80/987/EWG vereinbar ist.
Nach Art 3 dieser Richtlinie sind die Mitgliedstaaten verpflichtet, Maßnahmen zu treffen, um die Befriedigung der nicht erfüllten Ansprüche von Arbeitnehmern aus Arbeitsverträgen und Arbeitsverhältnissen gegenüber insolventen Arbeitgebern sicherzustellen. In der Entscheidung des EuGH in der Rechtssache Caballero (C-442/00 ) hat dieser eine Bestimmung, nach der ein zusätzliches Prüfungsverfahren vorgesehen war, als richtlinienwidrig erachtet. Der EuGH hat später ua in der Rs Nunez (21. 2. 2008, C-498/06 ) diese Rechtsansicht für Ansprüche, für die klare Rechtsgrundlagen bestehen, aufrecht erhalten. Dies spricht aber dagegen, den Arbeitnehmer, der gegen seinen Arbeitgeber noch Ansprüche offen hat, auf ein Verfahren gegen frühere Arbeitgeber zu verweisen.
Der Oberste Gerichtshof hat in der Entscheidung 8 ObS 204/02m auch unter Hinweis auf die Kritik an der Rechtsprechung zum Ausschluss des Anspruchs auf Insolvenz-Ausfallgeld bei Betriebsübergängen (vgl etwa Rebhahn, Arbeitsrecht bei Betriebsübergang, Eintrittspflicht bei Insolvenz- und Haftungsfragen II JBl 1999, 710; Grießer, Insolvenzsicherung und Haftung des Unternehmenserwerbers, RdW 1998, 617 ff, aber auch Gahleitner, Betriebsübergang - Haftung und Regress bei Insolvenz in FS Krejci, 1525) ausgeführt, dass die Heranziehung des Ausschlusstatbestands nach § 1 Abs 3 Z 5 IESG hinsichtlich des Erwerbers bedenklich sei und erhebliche Argumente dafür sprechen, im Rahmen des IESG bei Ansprüchen von Arbeitnehmern überhaupt nur auf den Konkurs des Erwerbers und Arbeitgebers abzustellen.
Nach ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs tritt der Erwerber eines Betriebs im Rahmen der Regelungen über den Betriebsübergang nach § 3 Abs 1 AVRAG in alle Rechte und Pflichten der zum Zeitpunkt des Übergangs aufrecht bestehenden Dienstverhältnisse und damit auch in die davor entstandenen Verpflichtungen ein, ohne dass insoweit eine Beschränkung nach § 6 Abs 1 AVRAG bzw § 1409 ABGB anzuwenden wäre. Das bedeutet auch, dass der Erwerber für die Verbindlichkeiten, die vor dem Übergang entstanden sind als Arbeitgeber haftet (RIS-Justiz RS0112978; insb 9 ObA 45/03p, 8 ObA 64/07f ua).
Bereits in der Entscheidung 8 ObS 204/02m hat der Oberste Gerichtshof auch unter Hinweis auf die Systematik der Richtlinie 2001/23/EG betreffend den Betriebsübergang aufgezeigt, dass das Gemeinschaftsrecht - so wie die oben dargestellte Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur umfassenden Haftung des Erwerbers - offensichtlich zugrundelegt, dass der Erwerber nach dem Betriebsübergang der „Arbeitgeber“ ist und daher dessen Insolvenz den maßgeblichen Anknüpfungspunkt für Ansprüche nach dem IESG darstellt.
Binder (Glosse zu DRdA 2005/1) hat dieser Entscheidung insoweit zugestimmt und auch darauf hingewiesen, dass das Erfordernis der vorausgehenden Inanspruchnahme eines kraft Gesetzes für offene Entgeltforderungen haftenden Dritten gegen den Regelungszweck der Insolvenz-Richtlinie verstoße. Er hat auch aufgezeigt, dass die Formulierung des § 1 Abs 3 Z 5 IESG über den „ehemaligen Arbeitgeber“ nicht auf den „Veräußerer“ hinweise, sondern offenkundig darauf Bedacht nehme, dass die Insolvenzeröffnung zur schnelleren Beendigung der Arbeitsverhältnisse führen könne. Insgesamt sei unter Beachtung des Zwecks der Richtlinie § 1 Abs 3 Z 5 IESG restriktiv zu interpretieren.
Dem ist entsprechend der Vorentscheidung zu 8 ObS 204/02m hinsichtlich des Konkurses des Erwerbers zu folgen. Lag doch der Ansatz der Rechtsprechung zur Einschränkung der Ansprüche auf Insolvenz-Ausfallgeld auch darin, dass der Schutzzweck der Betriebsübergangsregelungen dagegen spreche, das Arbeitsverhältnis mit dem insolventen Veräußerer getrennt von jenem mit dem Übernehmer zu sehen; es sei nicht einsichtig, warum ein Teil der auf den Übernehmer übergegangenen Arbeitgeberpflichten vom Fonds getragen werden sollte (RIS-Justiz RS0113055). In dem Zusammenhang ist auch insoweit auf die Richtlinie zu verweisen als diese es in Art 2 Abs 2 ausdrücklich dem einzelstaatlichen Recht überlässt, was nun unter „Arbeitnehmer, Arbeitgeber, Arbeitsentgelt, erworbenes Recht und Anwartschaftsrecht“ zu verstehen ist.
Ausgehend von der dargestellten Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zum Eintritt des Erwerbers auch hinsichtlich der „alten“ Arbeitgeberverbindlichkeiten ist somit der Erwerber als „Arbeitgeber“ im Sinne des IESG zu qualifizieren, auf dessen Insolvenz nach § 1 IESG abzustellen ist. Dies bietet sich auch deshalb an, da das IESG in seiner Struktur grundsätzlich auf die Insolvenz des einen Arbeitgebers abstellt und meist ja auch das materielle Haftungssubstrat des Betriebs auf diesen übergegangen sein wird.
Im Ergebnis verbleibt es damit bei der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs, dass bei Insolvenz des Veräußerers nach einem Betriebsübergang keine Ansprüche auf Insolvenz-Entgelt bestehen. Hingegen bestehen die Ansprüche auf Insolvenz-Entgelt bei Insolvenz des Erwerbers und nunmehrigen Arbeitgebers, ohne dass darauf abzustellen wäre, ob auch der Veräußerer insolvent ist. Die gegenteilige, in 8 ObS 119/02m vertretene Auffassung wird nicht aufrecht erhalten.
Auf die Frage inwieweit im Rahmen des Übergangs der Arbeitnehmerforderungen auf den Insolvenz-Entgelt-Fonds nach § 1 IESG entgegen der früheren Rechtsprechung auch auf die Haftung des Veräußerers zurückgegriffen werden kann (vgl dazu etwa auch Liebeg, InsolvenzentgeltsicherungsG3 § 11 Rz 16 ff; Holzer/Reisner/Schwarz, Die Rechte des Arbeitnehmers bei Insolvenz, 345 jeweils mwN; RIS-Justiz RS0113056; vgl nunmehr auch die Neufassung des § 11 IESG mit dem IRÄG 2010 BGBl I 29/2010) muss hier nicht eingegangen werden.
Abschließend ist also festzuhalten, dass der Kläger bereits im Insolvenzverfahren des Erwerbers als Arbeitgeber die hier maßgeblichen Ansprüche hätte geltend machen können, nach dem Betriebsübergang aber nicht mehr in der Insolvenz des Veräußerers, weil dieser vom Erwerber als Arbeitgeber im Sinne des IESG abgelöst wurde und nur noch im Rahmen der Solidarhaftung einzustehen hat.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG. Aus Gründen der Billigkeit waren dem Kläger wegen der erheblichen rechtlichen Schwierigkeiten des Verfahrens pauschaliert Kosten zuzusprechen (RIS-Justiz RS0085871); zeigen doch gerade Fälle wie der vorliegende, dass durch das Nebeneinander von Richtlinien und nationalem Gesetz erhebliche Auslegungsprobleme entstehen (vgl allgemein dazu Rebhahn aaO).
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