Spruch:
In teilweiser Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde wird das angefochtene Urteil, das sonst unberührt bleibt, in den Schuldsprüchen I. III. 1., III. 3., V. und VI. sowie in den Aussprüchen über die Strafe (damit auch im Widerrufsbeschluss), die Einweisung in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher und über die privatrechtlichen Ansprüche aufgehoben, eine neue Hauptverhandlung angeordnet und die Sache im Umfang der Aufhebung an das Erstgericht verwiesen.
Im Übrigen wird die Nichtigkeitsbeschwerde zurückgewiesen.
Mit Berufung und Beschwerde wird der Angeklagte auf die Aufhebung des Straf- und Einweisungsausspruchs verwiesen.
Ihm fallen die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Text
Gründe:
Mit dem angefochtenen Urteil wurde Manfred U***** des Verbrechens der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 erster Fall StGB (I.), des Verbrechens des sexuellen Missbrauchs einer wehrlosen oder psychisch beeinträchtigten Person nach § 205 Abs 1 erster Fall StGB idF BGBl I 2004/15 (II.), der Verbrechen der schweren Nötigung nach §§ 105 Abs 1, 106 Abs 1 Z 1 StGB teilweise iVm § 15 Abs 1 StGB (III.), des Vergehens der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs 1, Abs 2 StGB (IV.), des Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB (V.) und des Vergehens der Verleumdung nach § 297 Abs 1 erster Strafsatz StGB (VI.) schuldig erkannt, zu einer Freiheitsstrafe verurteilt und seine Einweisung in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher gemäß § 21 Abs 2 StGB ausgesprochen.
Danach hat er
I. zwischen Anfang Februar und 10. Februar 2010 in Spielberg Helmut G***** mit Gewalt zur Duldung einer dem Beischlaf gleichzusetzenden geschlechtlichen Handlung genötigt, indem er ihm Faustschläge ins Gesicht versetzte, ihn an den Oberarmen erfasste und sodann an ihm einen Analverkehr durchführte;
II. im Mai 2007 in Spielberg eine wehrlose Person, nämlich den schlafenden Helmut G*****, unter Ausnützung dieses Schlafzustands dadurch missbraucht, dass er an ihm eine geschlechtliche Handlung, nämlich einen Analverkehr vornahm;
III. zu nachstehenden Zeiten in Spielberg nachgenannte Personen durch gefährliche Drohung mit dem Tod und teils mit einer Brandstiftung (Schuldspruch III. 3.) zu nachgenannten Unterlassungen teils genötigt, teils zu nötigen versucht, und zwar
1. Helmut G***** im Anschluss an die zu Punkt I. genannte Tathandlung durch die ihm gegenüber getätigte sinngemäße Äußerung, er solle ja nicht zur Polizei gehen, da er sonst ihn, seine Oma (gemeint: Maria U*****) und „Z*****“ (gemeint: Markus Z*****) umbringen werde, weil er ohnehin nichts mehr vom Leben zu erwarten hätte, zur Abstandnahme von einer Anzeigenerstattung bei der Polizei wegen der zu I. genannten Tat, wobei es beim Versuch blieb;
2. in der Nacht zum 21. Dezember 2009 Helmut G***** durch die ihm gegenüber getätigte Äußerung: „Ah, der Dicke is a scho wieda do. Wenn du fette Missgeburt zu Weihnachten oder zu Silvester noch einmal nach Hause kommst, dann bringe ich dich um und grabe ich dich in den Misthaufen ein“, zur Abstandnahme des Aufsuchens der Wohnung in *****, zu Weihnachten und zu Silvester, wobei es beim Versuch blieb;
3. am 10. Februar 2010 Maria U***** durch die ihr gegenüber getätigte sinngemäße Äußerung, dass er sie alle umbringen würde, wenn sie das tut (gemeint: eine Anzeigenerstattung), weil er nämlich nie wieder in den Häfn gehen werde und außerdem werde er alle Häuser seiner Oma anzünden, wenn diese ihn enterben sollte, zur Abstandnahme von einer Anzeigenerstattung bei der Polizei wegen seinen Tätlichkeiten gegenüber Helmut G***** (vgl Schuldspruch V.) sowie von einer Enterbung des Manfred U*****;
4. zwischen Mai 2007 und 10. Februar 2010 Helmut G***** in wiederholten Angriffen durch die ihm gegenüber getätigten sinngemäßen Äußerungen, dass er ihn, seine Oma und auch seinen Cousin Markus Z***** umbringen werde, sollte er eine Anzeige erstatten, zu Unterlassungen, nämlich zur Abstandnahme von Anzeigenerstattungen bei der Polizei wegen seiner wiederholten Tätlichkeiten ihm gegenüber;
IV. im November 2009 in Spielberg und Stainach Sonja K***** durch die während eines Telefongesprächs zwischen dieser und Maria U***** im Hintergrund für Sonja K***** hörbare, zweifach getätigte Äußerung: „Wenn ich die Wab'n erwische, daschlog ich sie“ gefährlich mit dem Tod bedroht, um sie in Furcht und Unruhe zu versetzen;
V. am 10. Februar 2010 in Spielberg Helmut G***** vor der zu Schuldspruch III. 3. genannten Äußerung durch Schläge ins Gesicht vorsätzlich am Körper verletzt (2 Hämatome im Augenbereich);
VI. am 15. Februar 2010 in Leoben einen anderen, und zwar Michael P*****, dadurch der Gefahr einer behördlichen Verfolgung ausgesetzt, dass er ihn einer von Amts wegen zu verfolgenden, mit nicht mehr als einem Jahr Freiheitsstrafe bedrohten Handlung, nämlich des Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB, falsch verdächtigte, indem er bei seiner Einvernahme durch die Ermittlungsrichterin des Landesgerichts Leoben im gegenständlichen Strafverfahren tatsachenwidrig erklärte, dass die bei Helmut G***** vorhandenen Verletzungen (nämlich gemeint der Nasenbeinbruch ohne Verschiebung der Bruchenden sowie Hämatome an Oberarm, Schulter, Hüfte und Oberschenkel) von einem gewissen „P*****, wohnhaft in Judenburg, Vorname unbekannt, stammen und dass dieser Helmut G***** niedergeschlagen hat“, wobei er wusste, dass die Verdächtigung falsch war.
Dagegen richtet sich die Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten aus § 281 Abs 1 Z 4, 5 und 9 lit StPO.
Der Angeklagte hatte in der Hauptverhandlung „die Beiziehung eines psychiatrischen Sachverständigen zur Beurteilung der Frage der Wahrnehmungsfähigkeit, Erinnerungsfähigkeit und im Besonderen der Fähigkeit, real Erlebtes von nicht real Erlebtem, sowie der Glaubwürdigkeit des Zeugen Helmut G*****“ beantragt (ON 52 S 11), wobei er sich auf die Alkoholkrankheit des Genannten und darauf zurückzuführende Konfabulationstendenzen und Gedächtnisausfälle sowie einen dafür beispielhaften Vorfall vom März 2010 bezog (ON 49 S 9, ON 44).
Rechtliche Beurteilung
Die gegen die Abweisung dieses Antrags (ON 52 S 14 f) gerichtete Verfahrensrüge (Z 4) geht fehl.
Das Opfer hatte am Ende seiner kontradiktorischen Vernehmung (§ 165 StPO, an der der Angeklagte und sein Verteidiger teilgenommen hatten) erklärt, künftig von seinem Aussagebefreiungsrecht (nach § 156 Abs 1 Z 1 StPO) Gebrauch zu machen (ON 17 S 22). Der Beweiswerber hätte daher darzutun gehabt, dass das Opfer seine Zustimmung zur - für die gewünschte Expertise unerlässlichen - Exploration gegeben hatte oder geben würde (vgl RIS-Justiz RS0097584, RS0118956, RS0108614; Birklbauer, WK-StPO § 123 Rz 18 und Rz 41; Ratz, WK-StPO § 281 Rz 350).
Überdies gingen die Tatrichter ausdrücklich davon aus, es gebe keine objektiven Anhaltspunkte für das Vorliegen von Einschränkungen der im Antrag genannten Fähigkeiten des Zeugen (vgl Ratz, WK-StPO § 281 Rz 346, 347). Da über die Sachverhaltsgrundlage einer prozessualen Verfügung das dafür zuständige richterliche Organ in freier Beweiswürdigung (§ 258 Abs 2 StPO) entscheidet und dies nur nach den Kriterien der Z 5 und 5a des § 281 Abs 1 StPO überprüft werden kann, versagen die - auf eine im Stadium der Hauptverhandlung ohnedies unzulässige Erkundung („Kontrollbeweis zur Verbreiterung der Entscheidungsgrundlage“) hinauslaufenden - eigenständig nach Art einer Berufung wegen Schuld angestellten Überlegungen zu Umständen, die das Schöffengericht bei seiner Entscheidung ohnedies berücksichtigte (US 21 zum Vorfall vom März 2010; vgl RIS-Justiz RS0118977).
Des Weiteren hatte der Angeklagte „die Beischaffung aller Krankengeschichten betreffend den Zeugen Helmut G*****, einerseits anlässlich seines Heimaufenthalts in der betreuten Wohngemeinschaft, aber auch all jener Krankengeschichten der letzten beiden Jahre betreffend stationäre Krankenhausaufenthalte des Zeugen G***** in den verschiedenen Krankenhäusern in der Steiermark zum Beweis dafür, dass der Zeuge Helmut G***** ständig aufgrund verschiedener Raufhändel und seines Alkoholismus in ärztlicher Betreuung war und ist und dass ein Nasenbeinbruch und eine ähnliche Verletzung beim Zeugen Helmut G***** überhaupt nichts Außergewöhnliches ist“, beantragt.
Die Abweisung dieses Begehrens (ON 52 S 15) verletzte keine Verteidigungsrechte, weil sich die Beweisthemata weder auf entscheidende Tatsachen noch auf erhebliche Tatumstände, also auf solche, die nach Denkgesetzen und Lebenserfahrung nicht gänzlich ungeeignet sind, den Ausspruch über eine entscheidende Tatsache, das heißt für Schuldspruch oder Subsumtion relevante Tatsachenfeststellungen zu beeinflussen, bezogen (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 340, 341; RIS-Justiz RS0118319).
Der Mängelrüge (Z 5) zum Schuldspruch II. zuwider findet sich die Begründung der Feststellungen dazu (US 10 f) logisch und empirisch einwandfrei in US 22 f (iVm US 11), konkret zur inkriminierten immissio penis in anum aus den Schmerzen im Analbereich, einem blutverschmierten Leintuch und den Äußerungen des Angeklagten über eine von ihm durchgeführte Analpenetration beim Opfer.
Zum Schuldspruch IV. ist es - bei der Verurteilung wegen eines Vergehens der gefährlichen Drohung - irrelevant, ob die drohende Äußerung ein oder zwei Mal getätigt wurde und ob das Opfer diese (objektiv-individuell zur Besorgniserregung geeignete - US 27 f) Drohung ernst nahm (US 15; vgl Fabrizy StGB10 § 107 Rz 5; RIS-Justiz RS0092392). Die eigenständig beweiswürdigende Spekulation hinsichtlich einer milieubedingten Unmutsäußerung verlässt den gesetzlich vorgegebenen Rahmen einer Mängelrüge. Soweit der Beschwerdeführer in diesem Zusammenhang einen Feststellungsmangel (gemeint: Rechtsfehler mangels Feststellungen - vgl Ratz, WK-StPO § 281 Rz 605) geltend macht, versäumt er eine methodische Ableitung aus dem Gesetz, aus welchem Grund die Reaktion des Opfers die Tatbestandsmäßigkeit der in Rede stehenden strafbaren Handlung beeinflussen sollte.
Die Rechtsrüge (Z 9 lit a) zu Schuldspruch III. 2. behauptet einen substratlosen Gebrauch der verba legalia, übergeht dabei aber den sehr wohl hergestellten konkreten Sachverhaltsbezug in US 11 ff, 27 und 28 f (vgl RIS-Justiz RS0098664, RS0119090).
Hinsichtlich der Schuldsprüche I., III. 1., III. 3., V. und VI. kann hingegen den Einwänden der Unvollständigkeit (Z 5 zweiter Fall) Berechtigung nicht abgesprochen werden:
Die Vergewaltigung (Faktum I.) fand nach den erstgerichtlichen Annahmen spätestens am 10. Februar 2010 statt (US 12) und ging beim Opfer mit massiven Verletzungen einher, unter anderem mit Blutunterlaufungen im Gesicht, Hautabschürfungen am Nasenrücken, linken Ohr und an der Unterlippe, einer Blutunterlaufung an der Innenseite des linken Oberarms und einem nicht verschobenen Bruch des Nasenbeins (US 12, 13). Am 10. Februar 2010 soll der Angeklagte Helmut G***** Hämatome im Augenbereich zugefügt haben (Faktum V., US 14).
Das Erstgericht erwähnt zwar, „dass die verfahrenseinleitend wirkenden Verletzungen des Helmut G***** bereits am 10. Februar 2010 erstmalig diagnostiziert wurden (vgl Verletzungsanzeige des LKH Leoben, ON 24 S 85)“ (US 22), setzt sich aber in keiner Weise damit auseinander, dass am 10. Februar 2010 (lediglich!) die Diagnose contusio nasi vorlag und die wesentlich massiveren Verletzungen (erst) bei einer ambulanten Betreuung am 13. Februar 2010 befundet wurden (ON 24 S 87; vgl ON 28 S 15 f, ON 51 S 15 ff; auch ON 2 S 3).
Wenngleich die Tatrichter die subjektiven Umstände der Glaubwürdigkeit des Zeugen G***** mängelfrei erörterten (US 20 ff, 24 f), fehlt ein Eingehen auf für den Ablauf der vom Angeklagten geleugneten Fakten I., III. 1., III. 2. und V. bedeutsame zeitlich objektiv einordenbare, sohin erhebliche Umstände.
Wegen dieses Formalmangels war wie aus dem Spruch ersichtlich gemäß § 285e StPO vorzugehen.
Dies gilt gleichermaßen für den Einwand gegen die Begründung der erstgerichtlichen Feststellungen zum Faktum VI. (US 16, 26). Hier fehlt dem angefochtenen Urteil eine Auseinandersetzung mit dem Beweisergebnis, dass der nach der schöffengerichtlichen Meinung von der Verleumdung betroffene (Michael) P***** in Stainach (Bezirk Liezen) wohnt und nicht - laut der inkriminierten Äußerung des Angeklagten - in Judenburg (ON 24 S 53). Davon ist jedoch die von Lehre und Rechtsprechung geforderte Bestimmbarkeit des Verleumdeten - und somit die Tatbestandsmäßigkeit - unmittelbar berührt (vgl Pilnacek in WK² § 297 Rz 14).
Die Rechtsmittelausführungen zur Annahme einer geistigen und seelischen Abartigkeit höheren Grades beim Angeklagten (Z 11 erster Fall iVm Z 5 zweiter Fall) bedurften zufolge Aufhebung (auch) des Einweisungsausspruchs (RIS-Justiz RS0120576) keiner Erörterung durch den Obersten Gerichtshof. Für den zweiten Rechtsgang sei in diesem Zusammenhang daran erinnert, dass eine Unterbringung in der Anstalt nach § 21 StGB die Feststellung der Begehung einer Anlasstat unter dem Einfluss der geistigen oder seelischen Abartigkeit höheren Grades voraussetzt (Ratz in WK² § 21 Rz 11).
Im Übrigen war die Nichtigkeitsbeschwerde schon bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO), zumal die Argumentation des Beschwerdeführers gegen die Schuldsprüche III. 2. und III. 4. lediglich aus der allgemein gehaltenen, keinen Mangel iSd § 281 Abs 1 Z 5 StPO aufzeigenden Behauptung besteht, die oben behandelten (zur Teilaufhebung des Urteils führenden) Vorwürfe würden „insgesamt die Glaubwürdigkeit des Zeugen G***** tangieren“.
Mit seiner Berufung und seiner Beschwerde war der Angeklagte auf die Kassation von Straf- und Einweisungsausspruch zu verweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.
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