OGH 10ObS138/10g

OGH10ObS138/10g21.12.2010

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Dr. Schinko als Vorsitzenden, die Hofräte Dr. Fellinger und Hon.-Prof. Dr. Neumayr sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Christoph Kainz (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Michael Kerschbaumer (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei G*****, vertreten durch Mag. Oliver Rößler, Rechtsanwalt in Wiener Neustadt, gegen die beklagte Partei Allgemeine Unfallversicherungsanstalt, Adalbert Stifter-Straße 65-67, 1200 Wien, vertreten durch Dr. Josef Milchram und andere Rechtsanwälte in Wien, wegen Behandlungskostenersatz (13.024,36 EUR), infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 25. Juni 2010, GZ 9 Rs 10/10x-11, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichts Wiener Neustadt als Arbeits- und Sozialgericht vom 13. November 2009, GZ 5 Cgs 235/09i-7, hinsichtlich des Leistungsbegehrens bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Der Kläger hat die Kosten des Revisionsverfahrens selbst zu tragen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der am 8. 11. 1975 geborene Kläger zog sich am 8. 5. 2000 durch das Platzen eines Schlauchs einer Verputzmaschine eine Prellung des Augapfels sowie eine Verätzung der Hornhaut beidseits zu; als Folge waren Hornhauttransplantationen erforderlich. In der Zeit zwischen Mai 2000 bis August 2002 befand er sich wiederholt in stationärer und ambulanter Behandlung in der Privatklinik S***** in V***** sowie in der Privatklinik B*****.

Im November 2002 stellte er einen Antrag auf Übernahme der Kosten für die Behandlungen; dieser wurde mit der Begründung abgelehnt, dass eine gleichwertige Behandlung in einer öffentlichen Einrichtung erfolgen hätte können. In der Zeit von Oktober 2004 bis Jänner 2008 befand sich der Kläger wiederum sowohl in ambulanter als auch in stationärer Behandlung in den Privatkliniken S***** und B*****. Der Kläger ist vor Inanspruchnahme dieser Behandlungen ab Oktober 2004 nicht an die beklagte Allgemeine Unfallversicherungsanstalt herangetreten. Die für die Behandlungen gelegten Honorarnoten reichte der Kläger mit Schreiben vom 20. 2. 2008 und 1. 5. 2008 bei seinem Krankenversicherungsträger, der Versicherungsanstalt öffentlicher Bediensteter, mit der Bitte um Kostenrückerstattung ein. Diese leistete aus dem Titel der Krankenversicherung gemäß den gesetzlichen Bestimmungen einen teilweisen Kostenersatz im Betrag von 2.805,64 EUR. Weiters übermittelte die BVA die Honorarnoten an die beklagte Allgemeine Unfallversicherungsanstalt. Im Auftrag der beklagten Partei erstattete ein Facharzt für Augenheilkunde und Optometrie am 17. 2. 2009 eine aktenmäßige gutachterliche Stellungnahme, in der er die Behandlung aufgrund der Unfallsfolgen als erforderlich erachtete, ebenso (aber) die Durchführung der Behandlungen in der Universitätsaugenklinik Wien und in der Universitätsaugenklinik Salzburg für möglich hielt.

Die beklagte Partei hat zur Konkretisierung und österreichweiten Regelung für die Übernahme der Restkosten privatärztlicher Behandlungen im Wege einer Unterstützung nach § 196 ASVG folgende Voraussetzungen festgelegt:

„Der Versicherte wurde von der AUVA oder einer ihrer Behandlungseinrichtungen an die private Krankenanstalt verwiesen.

Eine Vertragseinrichtung der Krankenversicherungsträger oder AUVA stand nicht zur Verfügung oder war es dem Versicherten unter Berücksichtigung der Schwere der Verletzung nicht möglich diese aufzusuchen (zB häusliche Behandlung bei Schwerversehrten).

Der Versehrte wurde selbst gutgläubig zum ‘Opfer' (damit ist gemeint, dass der Versehrte ohne Wissen über die Kostenfolgen die Behandlung in einer Privatklinik eingegangen war).

Bei sonstigem bewussten Eingehen dieser Verpflichtung seitens des Versehrten ist mit einem Ablehnungsantrag vorzugehen.“

Mit Schreiben vom 17. 7. 2009 beantragte der Kläger bei der beklagten Partei die Übernahme der Behandlungskosten.

Mit Bescheid vom 25. 8. 2009 lehnte die beklagte Partei die Kostenübernahme für die vom Kläger vom 15. 10. 2004 bis 15. 1. 2008 in Anspruch genommenen Behandlungen in der Klinik B*****, Augenklinik, Prim. Dr. Gerald S*****, und der Privatklinik S***** mit der Begründung ab, dass gleichwertige Behandlungen auch in Vertragseinrichtungen des Krankenversicherungsträgers des Klägers absolviert werden hätten können.

Der den ablehnenden Bescheid bekämpfende Kläger brachte zusammengefasst vor, dass er nach seinem Arbeitsunfall vom 8. 5. 2000 im Krankenhaus W***** erfahren habe, dass die einzige Möglichkeit zur Rettung in einer Hornhauttransplantation bestehe, die nur in einer Spezialklinik durchgeführt werden könne. Diese Transplantation sei in der Augenklinik von Dr. S***** zu einem Zeitpunkt durchgeführt worden, als er als absoluter Notfall einzustufen gewesen sei. Im Jahr 2007 habe sich sein Zustand wieder drastisch verschlechtert und aufwändige Behandlungen in der Klinik Dris. S***** notwendig gemacht; andernfalls hätte er sein Augenlicht verloren. Alle von Dr. S***** durchgeführten Behandlungen seien unmittelbare Folgen des Arbeitsunfalls. Die notwendige Behandlung sowie die notwendigen Begleitmaßnahmen seien in keiner anderen österreichischen Klinik möglich gewesen bzw sei nicht davon auszugehen gewesen, dass eine alternative Behandlung zum gleichen Erfolg geführt hätte. Für den Heilerfolg und die Rettung seines Augenlichtes sei es erforderlich gewesen, dass auch die weiteren Behandlungen von dem Arzt durchgeführt werden, der die Transplantation vorgenommen habe. Die Kosten für die Behandlung im Zeitraum vom 15. 10. 2004 bis 15. 1. 2008 in Höhe von rund 15.830 EUR seien nur mit einem Teilbetrag von 2.805,64 EUR vom Krankenversicherungsträger getragen worden, sodass Behandlungskosten von 13.024,36 EUR offen geblieben seien. Die Voraussetzungen für die Gewährung einer besonderen Unterstützung nach § 196 ASVG lägen vor, weil der Kläger ohne Wissen über die Kostenfolgen die notwendige Behandlung eingegangen sei.

Die beklagte Partei wandte vor allem ein, dass eine medizinische Versorgung in gleicher Qualität in Wien und Salzburg möglich gewesen wäre; diese öffentlichen Krankenanstalten wären auch näher zum Wohnort des Klägers gelegen. Der Kläger sei seit 1. 6. 2004 bei der Versicherungsanstalt öffentlich Bediensteter krankenversichert, die als Träger für die Krankenbehandlung des Klägers aufzukommen habe. Eine Kostenübernahme für Privatbehandlungen durch die beklagte Partei sei lediglich in Form einer besonderen Unterstützung gemäß § 196 ASVG möglich. Dabei handle es sich um eine freiwillige Leistung, auf die kein individueller durchsetzbarer Rechtsanspruch bestehe. Nachdem von Versicherten vermehrt Privatbehandlungen in Anspruch genommen worden seien, über welche die Beklagte erst nach Behandlungsende informiert worden sei, sei für die Übernahme der Restkosten privatärztlicher Behandlungen im Wege des § 196 ASVG nunmehr ein strenger Maßstab angelegt worden. In Punkt VI der Richtlinien über besondere Unterstützungen, die gemäß Punkt II der dazu korrespondierenden Dienstanweisung ab 1. 1. 2001 verbindlich sei, werde die besondere Unterstützung geregelt. Diese (näher angeführten) Voraussetzungen lägen nicht vor. Dem Kläger sei bereits seit 2002 bewusst gewesen, dass eine Kostenübernahme nur möglich sei, wenn die Behandlung vorher mit der beklagten Partei akkordiert werde und die Behandlung in einer öffentlichen Anstalt nicht möglich sei.

Das Erstgericht wies das Hauptbegehren auf Ersatz der Kosten für die Behandlungen in der Klinik B***** und der Privatklinik S***** aus dem Zeitraum vom 15. 10. 2004 bis 15. 1. 2008 in Höhe von 13.024,36 EUR zuzüglich 4 % Zinsen sowie das Eventualbegehren auf Ersatz der Behandlungskosten im gesetzlichen Ausmaß ab (ein vom Berufungsgericht rechtskräftig zurückgewiesenes Feststellungsbegehren ist nicht mehr Gegenstand des Revisionsverfahrens).

In seiner rechtlichen Beurteilung führte es aus, dass es sich bei der hier in Betracht kommenden Leistung nach § 196 ASVG um eine freiwillige Leistung des Unfallversicherungsträgers handle, auf die kein individueller durchsetzbarer Rechtsanspruch bestehe. Für das Gericht bestehe lediglich die Möglichkeit zu prüfen, ob der beklagte Versicherungsträger sein Ermessen ordnungsgemäß ausgeübt und den Kläger nicht willkürlich schlechter gestellt habe. Die beklagte Partei habe bei Ausübung ihrer Ermessensentscheidung ihren Richtlinien gemäß gehandelt und den Kläger nicht willkürlich schlechter gestellt. Ob die von der beklagten Partei eingeholte Stellungnahme richtig gewesen sei, sei nicht zu überprüfen, sondern nur, ob sie ihr Ermessen ordnungsgemäß ausgeübt habe.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers, soweit sie sich auf sein Behandlungskostenersatzbegehren bezog, nicht Folge. Es verneinte eine nicht vollständige Erledigung der Sachanträge des Klägers durch das Erstgericht, sah weitere behauptete Verfahrensmängel des Erstgerichts als rechtlich nicht relevant an, korrigierte die erstgerichtlichen Tatsachenfeststellungen (im Hinblick auf ein Zugeständnis) in einem Punkt, der in den eingangs wiedergegebenen Feststellungen bereits berücksichtigt ist, und legte seiner rechtlichen Beurteilung zugrunde, dass der Kläger seinen Anspruch nur mehr auf § 196 ASVG stütze. In dieser Bestimmung werde eine freiwillige Leistung des Unfallversicherungsträgers normiert, auf die kein individueller durchsetzbarer Rechtsanspruch bestehe. Nach der höchstgerichtlichen Rechtsprechung sei zwar der Rechtsweg eröffnet; allerdings könne der Versicherte keinen individuellen Rechtsanspruch auf Leistung geltend machen, wohl aber einen Anspruch auf gesetzmäßige Ermessensübung, der auch verfahrensmäßig nachprüfbar sei (10 ObS 258/02t, 10 ObS 10/04z, 10 ObS 7/05k, 10 ObS 45/08b). Das Wesen einer Ermessensentscheidung liege darin, dass ihr Inhalt gesetzlich nicht vorausbestimmt sei, mehrere Entscheidungsmöglichkeiten zulasse und alle diese möglichen Entscheidungen gesetzmäßig seien.

Auch im Fall einer Leistung nach § 196 ASVG sei vom Gericht zu prüfen, ob der beklagten Partei eine gesetzwidrige Ermessensübung vorzuwerfen sei. Die Frage, ob aus dem Anspruch des Klägers auf fehlerfreie Handhabung des Ermessens auch ein Anspruch auf Zuerkennung der begehrten Leistung resultiere, könne nur aufgrund der Ergebnisse des Gerichtsverfahrens und nicht aufgrund der Ergebnisse des vorgeschalteten Verwaltungsverfahrens vor dem Sozialversicherungsträger (hier: betreffend die von der beklagten Partei eingeholte augenärztliche Stellungnahme) beurteilt werden.

Wenn von der beklagten Partei bereits 2002 eine Kostenübernahme gemäß § 196 ASVG hinsichtlich der Behandlungen an den beiden Privatkliniken zwischen Mai 2000 und August 2002 abgelehnt worden sei, könne nur der Schluss gezogen werden, dass der Kläger nicht ohne Wissen über die Kostenfolgen die hier gegenständlichen Behandlungen in den selben Privatkliniken eingegangen und daher nicht gutgläubig zum „Opfer“ geworden sei. Weiters wäre es dem Kläger möglich gewesen, nach vorheriger Kontaktaufnahme mit der beklagten Partei eine ihrer Vertragseinrichtungen aufzusuchen. Es sei daher auch hier im Ergebnis nicht zu beanstanden, wenn das Erstgericht von den beantragten und von der Berufung vermissten Beweisaufnahmen Abstand genommen habe. Sachlich sei es durchaus gerechtfertigt, dass die beklagte Partei vor Inanspruchnahme von Behandlungen an Privatkliniken, für die sie im Rahmen einer besonderen Unterstützung nach § 196 ASVG als freiwillige Leistung zur Zahlung herangezogen werden solle, zumindest die vorherige Kontaktaufnahme (in irgendeiner Form) fordere, die ihr eine Prüfung allfälliger Voraussetzungen für eine Ersatzleistung ermögliche. Dass die Richtlinien der beklagten Partei sachlich nicht gerechtfertigt wären, habe der Kläger nicht behauptet.

Die Umstände zum Zeitpunkt des Unfalls und die daran anschließenden Behandlungen seien hier nicht relevant, seien doch lediglich die Behandlungen vom 15. 10. 2004 bis 15. 1. 2008 verfahrensgegenständlich. Der Kläger habe nicht begründet, warum er sich nicht wenigstens bezüglich der jahrelangen Folgebehandlungen an die beklagte Partei gewendet habe (was ihm zweifellos ohne weiteres möglich und zumutbar gewesen wäre), sondern trotz der bereits erfolgten Ablehnung des Kostenersatzes davon ausgegangen sei, dass die beklagte Partei die Kosten ersetzen werde. Es erscheine sachlich gerechtfertigt, den Versicherungsträgern außer bei Unaufschiebbarkeit des notwendigen stationären Aufenthalts in erster Linie die Möglichkeit der Erbringung von Sachleistungen und nicht von Geldleistungen einzuräumen, weil dies einen ökonomischen Einsatz der von der Allgemeinheit mitfinanzierten Krankenanstalten und deren optimale Auslastung im Interesse einer sozialen medizinischen Versorgung der gesamten Bevölkerung ermögliche. Der Kläger habe es also ohne erkennbare Begründung der beklagten Partei verwehrt, die Möglichkeit der Erbringung von Sachleistungen anstatt von Geldleistungen einzuräumen.

Damit könne aber die Ermessensentscheidung der beklagten Partei nicht als gesetzwidrig beurteilt werden.

Die Revision sei zulässig, weil keine höchstgerichtliche Rechtsprechung zur Frage vorliege, ob auch ein auf § 196 ASVG gestütztes Begehren auf Kostenerstattung hinsichtlich eines vom Krankenversicherungsträger nicht geleisteten Restbetrags als sogenannte Pflichtleistung ohne individuellen Rechtsanspruch (freiwillige Leistung) der gerichtlichen Ermessensprüfung unterliege.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision der klagenden Partei wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung und Aktenwidrigkeit mit dem Antrag auf Abänderung im klagsstattgebenden Sinn. Hilfsweise wird ein Aufhebungs- und Zurückverweisungsantrag gestellt.

Die beklagte Partei beantragt in der Revisionsbeantwortung (implizit), die Revision als unzulässig zurückzuweisen bzw (explizit) der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig; sie ist aber nicht berechtigt.

In seinem ausführlichen Rechtsmittel macht der Revisionswerber im Wesentlichen geltend, dass die Ausübung des Ermessens durch die beklagten Partei weder vom Erstgericht noch vom Berufungsgericht überprüft worden sei, was aber notwendig gewesen wäre, weil aus dem Anspruch auf fehlerfreie Handhabung des Ermessens im Sinne des Gesetzes auch ein materieller Anspruch auf Zuerkennung der begehrten Leistung resultiere, wenn eine am Gesetzessinn orientierte Ermessensausübung zu einer positiven Entscheidung führe. Dabei habe das Gericht nicht die verwaltungsbehördliche Entscheidung aufgrund der verwaltungsbehördlichen Verfahrensergebnisse zu überprüfen, sondern müsse ein völlig neues Verfahren durchführen und eine neue meritorische Entscheidung über den geltend gemachten Anspruch fällen. Demnach wäre - ausgehend von den eigenen Richtlinien der beklagten Partei - auch zu überprüfen gewesen, ob die von ihr eingeholte gutachterliche Stellungnahme richtig gewesen sei. In diesem Sinn wären auch den vom Kläger gestellten Beweisanträgen (Einholung eines augenfachärztlichen Sachverständigengutachtens, Zeugeneinvernahme des behandelnden Arztes, Einvernahme des Klägers als Partei) stattzugeben gewesen. Eine vorherige Kontaktaufnahme mit der beklagten Partei werde von deren Richtlinien nicht verlangt. Aus der Tatsache, dass die Übernahme von Kosten für die Behandlungen zwischen Mai 2000 und August 2002 abgelehnt worden sei, könne nicht gefolgert werden, dass es gesetzeskonformer Ermessensausübung entspreche, auch die Übernahme der Kosten für Behandlungen in Folgejahren abzulehnen. Dementsprechend wäre es notwendig gewesen, Feststellungen zum Vorliegen der Voraussetzungen zur Gewährung der besonderen Unterstützung gemäß § 196 ASVG zu treffen, etwa, dass dem Kläger bei anderweitiger Weiterbehandlung als in der Privatklinik, die die ursprüngliche Behandlung vorgenommen habe, der Verlust des Augenlichts gedroht hätte. Zusammenfassend habe die beklagte Partei ihr Ermessen nicht ordnungsgemäß ausgeübt.

Die Aktenwidrigkeit des Berufungsurteils liege darin, dass der Kläger nach dem Inhalt des Berufungsurteils keine Gründe dafür angegeben habe, warum er eine Privatklinik zur Behandlung aufgesucht habe; tatsächlich habe er entsprechendes Vorbringen erstattet und auch Beweisanträge (etwa auf Einholung eines Sachverständigengutachtens) gestellt, denen jedoch die Vorinstanzen nicht nachgekommen seien. Ob dem Kläger eine vorherige Kontaktaufnahme mit der beklagten Partei möglich gewesen wäre, könne im Übrigen nur ein Sachverständiger, nicht aber das Gericht selbst beurteilen.

In ihrer Revisionsbeantwortung erwidert die beklagte Partei, dass der Kläger die krankenversicherungsrechtliche Kostenerstattung bereits erhalten habe und sich wegen weiterer Ansprüche an den Krankenversicherungsträger zu halten habe. Im Übrigen sei es vor Inanspruchnahme kostenintensiver medizinischer Privatbehandlungen (insbesondere bei stationären Aufenthalten) angebracht, die in Betracht kommenden Versicherungsträger vorweg einzubinden. Letztlich widerspreche die vom Kläger gewünschte Erstattungspraxis der Gleichbehandlung mit anderen Versicherten, die sich mit den vorgegebenen Erstattungsgebühren zufrieden geben. Generell sei ein Kostenersatz nach Privattarifen mit den an Sparsamkeit und Wirtschaftlichkeit orientierten Gebarungserfordernissen des Versicherungsträgers nicht in Einklang zu bringen. Kostenerstattungen nach Privattarifen durchzuführen sei schlicht unfinanzierbar.

Dazu wurde erwogen:

1. § 196 ASVG sieht unter der Überschrift „Besondere Unterstützung“ vor, dass der Träger der Unfallversicherung dem Versehrten oder seinen Angehörigen für die Dauer einer Unfallheilbehandlung (§ 191) oder einer Krankenbehandlung (§ 119) in Berücksichtigung der Schwere der Verletzungsfolgen und der langen Dauer der Behandlung eine besondere Unterstützung gewähren kann; eine solche Unterstützung kann unter Bedachtnahme auf die Familienverhältnisse des Versehrten und die wirtschaftliche Lage desselben bzw der unterhaltspflichtigen Angehörigen auch zu dem Zweck gewährt werden, die Kosten des Transports des Versehrten vom Ort der Behandlung an den Ort des Wohnsitzes ganz oder teilweise zu ersetzen.

Der Normtext lässt keinen Zweifel, dass die Leistung dem Typ der Pflichtleistungen ohne individuellem Rechtsanspruch („freiwillige Leistungen“) zugehört, die vom Unfallversicherungsträger im Ermessen zu gewähren sind.

2.1. Zu Leistungen dieser Art hat der Oberste Gerichtshof in der Entscheidung 10 ObS 258/02t (= SSV-NF 17/17 = DRdA 2004/22, 263 [Naderhirn] = ZAS 2004/31, 183 [Haslinger]; RIS-Justiz RS0117386) ausgesprochen, dass gegen die Ermessensentscheidung des Versicherungsträgers Bescheidklage wegen gesetzwidriger Ermessensausübung erhoben werden kann. Dabei ist nur eine Rechtskontrolle, nicht auch eine Zweckmäßigkeitskontrolle durchzuführen (10 ObS 10/04z = SSV-NF 18/67): Die gerichtliche Überprüfung ist entsprechend Art 130 Abs 2 B-VG darauf beschränkt, ob vom eingeräumten Ermessen innerhalb der vom Gesetzgeber gezogenen Grenzen Gebrauch gemacht wurde oder ob dies - in Form einer Ermessensüberschreitung oder eines Ermessensmissbrauchs ­nicht der Fall gewesen ist (10 ObS 45/08b = SSV-NF 22/35).

2.2. Kann der Sozialversicherungsträger die für seine Ermessensentscheidung maßgebenden sachlichen Kriterien in rational nachvollziehbarer Weise darlegen, ist das vom Versicherten gegen die Ermessensentscheidung erhobene Klagebegehren vom Gericht abzuweisen; wurde dagegen die Leistung nicht aus sachlichen Gründen, sondern infolge eines Ermessensmissbrauchs verweigert, ist urteilsmäßig die Verpflichtung des Sozialversicherungsträgers zur Erbringung der Leistung auszusprechen (10 ObS 258/02t).

2.3. Hier zeigt sich ein gewisses Spannungsfeld zur sukzessiven Kompetenz, nach der die Gerichte in den an sie herangetragenen Leistungssachen nicht etwa die Ergebnisse des Verwaltungsverfahrens zu überprüfen haben; vielmehr haben sie den gesamten entscheidungswesentlichen Sachverhalt von Grund auf neu ohne jede Bindung an das vorangegangene Verwaltungsverfahren festzustellen und zu beurteilen und können dabei auch zu vom Verwaltungsverfahren abweichenden Ergebnissen gelangen (RIS-Justiz RS0106394).

2.4. Mit der Thematik der Bekämpfung von im Ermessen ergangenen Bescheiden des Sozialversicherungsträgers über „freiwillige Leistungen“ im Rahmen der sukzessiven Kompetenz hat sich der Oberste Gerichtshof in der Entscheidung 10 ObS 7/05k (= SSV-NF 19/34 = RIS-Justiz RS0119969) befasst und auch darin den Grundsatz der fehlenden Bindung an Ergebnisse des Verwaltungsverfahrens bekräftigt: Die Frage, ob aus dem Anspruch eines Klägers auf fehlerfreie Handhabung des Ermessens auch ein Anspruch auf Zuerkennung der begehrten Leistung resultiert, ist im gerichtlichen Verfahren nur aufgrund der Ergebnisse dieses Verfahrens und nicht aufgrund der Ergebnisse des vorgeschalteten Verwaltungsverfahrens vor dem Sozialversicherungsträger zu beurteilen.

Da das Wesen einer Ermessensentscheidung darin liegt, dass ihr Inhalt gesetzlich nicht vorausbestimmt ist, dass mehrere Entscheidungsmöglichkeiten bestehen und alle diese möglichen Entscheidungen gesetzmäßig sind (10 ObS 45/08b unter Hinweis auf VwGH 92/06/0075), muss aber die Entscheidung des Versicherungsträgers als „gegeben“ angesehen werden; das Gericht ist nicht befugt, im Rahmen der sukzessiven Kompetenz eine eigene Ermessensentscheidung an die Stelle einer (ebenfalls gesetzeskonformen) Ermessensentscheidung des Versicherungsträgers zu setzen. Entspricht die Entscheidung des Sozialversicherungsträgers den gesetzlichen Kriterien für eine Ermessensentscheidung, ist sie insofern zu akzeptieren, als das Gericht die gleiche Entscheidung wiederum zu treffen hat (wenn auch auf der Grundlage der Ergebnisse des gerichtlichen Verfahrens).

2.5. Bei der Ausübung des Ermessens muss stets auch der Gleichheitsgrundsatz (Art 7 B-VG und Art 2 StGG) beachtet werden (10 ObS 45/08b). Besondere Bedeutung kommt in diesem Zusammenhang dem aus dem Gleichheitsgrundsatz erfließenden Sachlichkeitsgebot zu: Der Versicherte hat den Anspruch, dass bei der Entscheidung über seinen Antrag auf Gewährung der Leistung keine unsachlichen Momente eine Rolle spielen (10 ObS 258/02t mwN). In diesem Sinn sind Richtlinien des Versicherungsträgers, die die Ermessensausübung determinieren, zur Erreichung einer Gleichbehandlung der Versicherten durchaus förderlich; sie müssen aber sachliche („im Sinne des Gesetzes“) und nachvollziehbare Kriterien vorgeben.

3. Es ist nicht ersichtlich, dass die festgestellten Richtlinien der beklagten Partei zur Ausübung des Ermessens bei Anwendung des § 196 ASVG diesen Anforderungen nicht entsprechen würden. In diesem Zusammenhang ist nochmals der Wortlaut des § 196 ASVG in Erinnerung zu rufen, wonach der Träger der Unfallversicherung dem Versehrten oder seinen Angehörigen für die Dauer einer Unfallheilbehandlung (§ 191) oder einer Krankenbehandlung (§ 119) in Berücksichtigung der Schwere der Verletzungsfolgen und der langen Dauer der Behandlung eine besondere Unterstützung gewähren kann; beispielsweise werden Transportkosten vom Behandlungsort zum Wohnsitzort (im Zusammenhang mit den Familienverhältnissen und den wirtschaftlichen Verhältnissen des Versehrten) erwähnt.

3.1. Angesichts des Pflichtleistungsspektrums der Unfallversicherung, aber auch der nach § 191 ASVG primär leistungspflichtigen Krankenversicherung muss eine „besondere Unterstützung“ nach § 196 ASVG auf einer besonderen Härte für den Versicherten beruhen. Diesem Aspekt tragen auch die Richtlinien der beklagten Partei Rechnung, indem sie - im konkret interessierenden Zusammenhang der Inanspruchnahme einer Behandlung in einer privaten Krankenanstalt - den Anspruch auf drei Fälle einschränken, in denen der Versehrte außerhalb des Pflichtleistungsspektrums als schutzwürdig erscheint:

- Verweisung des Versicherten an die private Krankenanstalt durch die AUVA oder eine ihrer Behandlungseinrichtungen;

- Fehlen einer Vertragseinrichtung der Krankenversicherungsträger oder der AUVA oder Unmöglichkeit ihrer Inanspruchnahme;

- Der Versehrte hat sich (betreffend die Kostenübernahme) gutgläubig auf eine private Behandlung eingelassen.

3.2. Der Kläger beruft sich darauf, dass er bereits bei den Hornhauttransplantationen die beiden Privatkliniken aufgesucht habe und es sinnvoll gewesen sei, auch für die Behandlung nach der Verschlechterung diese in Anspruch zu nehmen. Soweit damit die Kostenerstattung nach dem österreichischen Sozialversicherungsrecht angesprochen wird, steht ihr entgegen, dass das österreichische Krankenversicherungsrecht zwar vom Grundsatz der freien Arztwahl, nicht aber von einem Grundsatz der Übernahme aller Kosten durch die gesetzliche Sozialversicherung geprägt ist. Wenn die krankenversicherungsrechtlichen Normen keine vollständige Kostenerstattung vorsehen, kann eine solche nicht generell über den Weg der besonderen Unterstützung erreicht werden. Aus diesem Grund ist es sachlich gerechtfertigt (und dem entsprechen auch die Richtlinien der beklagten Partei), die besondere Unterstützung - wie bereits dargelegt - auf Ausnahmefälle zu konzentrieren, in denen der Versehrte besonders schutzwürdig ist, wobei allein der Umstand, dass der Krankenversicherungsträger nicht die Gesamthöhe der Behandlungskosten ersetzt, einen solchen Sonderfall, der (für sich allein) zu einer ausnahmsweisen Leistungspflicht des Unfallversicherungsträgers führen würde, nicht zu begründen vermag. Wenn der Kläger davon ausgeht, dass ihm der Krankenversicherungsträger die ihm zustehenden Leistungen nicht gewährt hat (etwa weil die notwendige Behandlung nur in einer Spezialklinik möglich war), läge es an ihm, den Anspruch auf der Ebene der Krankenversicherung durchzusetzen. In diesem Sinn kommt es auf das unter dem Revisionsgrund der „Aktenwidrigkeit“ erwähnte erstinstanzliche Vorbringen des Klägers bei der Beurteilung des Anspruchs nach § 196 ASVG nicht an.

4. In diesem Sinn ist das Ergebnis der Ermessensausübung durch die beklagte Partei im konkreten Fall nicht als unsachlich zu beanstanden, weshalb der Revision des Klägers kein Erfolg beschieden sein kann. Insgesamt ist festzuhalten, dass die gerichtliche Ermessensentscheidung nicht auf der von der beklagten Partei im Verwaltungsverfahren eingeholten gutachterlichen Stellungnahme beruht. Auch die fehlende Kontaktaufnahme mit den beteiligten Versicherungsträgern ist für sich allein nicht maßgeblich für die ablehnende Entscheidung.

5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG.

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